Wer auch immer Mr. Hurley & die Pulveraffen morgens um zehn zum Frühstück auf die Running Order setzte, hat wohl wahrlich einen Clown gefrühstückt. Oder hat dies zumindest vor. Draußen ist es zu dieser Zeit kühl, regnet und man will eigentlich am liebsten direkt zum Flughafen fahren und gerne in die Karibik fliegen, aber halt! Günstiger kriegen wir ein karibik-ähnliches Feeling auch in der Tentstage hin. Also einen kräftigen Schluck Rum zum Aufwärmen in den Pulveraffen – äh, Pulverkaffee, und ab geht’s! Die Band hat kein Problem damit, als musikalische Untermalung des Frühschoppens zu dienen und scheinbar hat der ein oder andere dieselbe Idee mit dem Rum im Kaffee gehabt. Textsicher ist das vorhandene Publikum und schunkelt und wackelt sich zum Takt der Osnabrücker Piratenbande. So weit scheint Tortuga nun doch nicht mehr weg zu sein und der Konterkaffee zu dieser Uhrzeit vereitelt die Flucht gen Urlaubsreise erfolgreich.
Kaiser Franz Josef
Mit der Rockband Kaiser Franz Josef (KFJ) gibt es in Österreich ein klassisches Power-Trio. Gegründet von Sänger und Gitarrist Sham (bürgerlich Hesham Abd El Salam) im Jahr 2010, stellt die Dreier-Combo (alle gerade mal knapp 20 Jahren alt), zu der auch noch Tom Pfundner (Schlagzeug) und Can Aygün (Bass) gehören, mittlerweile eine der heißesten Rockformationen des Landes dar. KFJ wollen es aber auch in Deutschland wissen. Bassist Can formuliert, was die Band ausmacht: “Wir geben den Alten was sie hatten und den Jungen was sie nie kannten”. Ihr Musikmix ist guter Radio- oder Stadionrock, zwischen den Chartstürmer Nickelback, Creed oder Bon Jovi. Mit ihren Catchy Hooklines, ausladenden Soli, treibenden Bassläufen und kraftvollen Drums zeigen sie dem noch etwas verhaltenen Publikum aber eindeutig, was sie können.
the night flight orchestra
Richtig Freude kommt jedoch bei The Night Flight Orchestra auf. Classic Rock vom Feinsten, der die Vergleiche zu den Szenehelden von Journey nicht zu scheuen braucht! Quasi als Idee von Mitgliedern Soilworks auf der 2007er Tour gezeugt, erblickte die All-Star-Band dann schließlich 2012 das Licht der Welt. Auf der Bühne sind die Mannen um Björn Strid eine wahre Augenweide, präsentieren sie sich schick im Anzug, und Schuhen, in denen man ihnen auch fast jeden Versicherungsvertrag unterschreiben würde. Dazu die hübschen Background-Sängerinnen, die adrett in einer Kostüm-Melange aus Stewardess und Krankenschwester wohl den ein oder anderen männlichen Zuhörer zu Fantasien jenseits der Bühnenaktivität verleiten. Seit der Gründung hat die Band mittlerweile vier Alben am Markt, von denen jedoch das aktuellste Album ‚Sometimes The World Ain’t Enough‘ den Großteil der Setlist ausmacht. Vor allem der Song ‚Lovers In The Rain‘ findet Anklang und man entdeckt viele Zuhörer, die den Song mitsingen, schließlich rockt dieser Song live richtig ab. Auch ich summe noch die eingängige Melodie vor mich hin, als die Band nach viel zu kurzen vierzig Minuten die Bühne wieder verlassen hat.
deez nuts
Die wohl weiteste Anreise hatten die Herren von Deez Nuts zu verzeichnen. Statt den australischen „Winter“ zu frönen, spielen sie lieber in Europa eine Mischung aus Club- und Festivaltour und machen zum frühen Samstagnachmittag auch die Bühne des Reload Festivals unsicher. Und es wird laut. Und schnell! Das Quartett um JJ Peters macht keine Gefangenen und so kommt endlich mal richtig Bewegung um das sonst bisher doch eher gemütlich agierende Publikum. Metal-Rapcore eignet sich ja auch schlecht zum Disco-Fox tanzen, also starten die ersten Circle Pits und Crowdsurfer versuchen, diesen irgendwie auszuweichen. Als hätten die Australier mit Petrus eine Vereinbarung getroffen, fängt es zum letzten Song ‚Bing & Purgatory‘ wieder aus allen Eimern an zu schütten – die coregetreuen Fans stört das allerdings weniger und feiern die Jungs aus Down Under bis zum letzten Ton ab.
mantar
Während es noch regnet, entern Mantar die Bühne. Ich war sehr gespannt, da ich die Band außer ihrem Logo bisher nie musikalisch wahrgenommen hatte, da auf andern Festivals immer etwas anders dazwischen gekommen ist. Du staune ich nicht schlecht, das nur zwei Mannen auf der Bühne in der Lage sind, einen solchen Krach zu fabrizieren! Aber mal ganz ehrlich, so wie das Bremer Extrem-Metal-Duo hier ihre Musik darbietet, stellt sich mir die Frage, wozu manche Bands vier oder noch mehr Leute auf der Bühne stehen haben. Nicht nur die Musik ist knallhart, auch die Ansagen von Sänger/Gitarrist Hanno gehen grad aus, sind aber unterschwellig so lustig, dass ich mich schon auf die nächsten Ansagen freue! Definitiv eine Band, die ich beim nächsten Festival nochmal anschauen werde. Nicht unbedingt, weil sie meinen Musikgeschmack treffen, jedoch absoluten Unterhaltungswert haben!
torfrock
Unterhaltsam geht es mit Torfrock weiter. Was soll man zu dieser Kombo noch erzählen, schließlich folgt nach dem bloßen Erwähnen des Bandnamens obligatorisch ein Dängelägelängeläng. Hier im Norden ist die Band zuhause und man merkt das auch, denn das Publikum scheint die Texte in- und auswendig zu kennen. Dabei hat sie in ihrer mittlerweile 40-jährigen Bandgeschichte genug Hits geschrieben, die im norddeutschen Raum Kultstatus innehaben. Sänger Klaus Büchner, der in den 80er und 90er Jahren auch als kleiner Klaus im Blödel-Duo Klaus & Klaus mitwirkte, leitet das Publikum vergnüglich durch den Auftritt der Partyrocker. „Renate“ wird abgefeiert und bei „Beinhart“, den wirklich jeder aus den Werner-Verfilmungen kennt, gibt es kein Halten mehr und das komplette Gelände ruft nur noch bei der entsprechenden Passage das unvermeidliche Dängelägelängeläng.
Voll auf die 12 gibts im Anschluss bei den Veteranen des NY-Hardcore Madball. Auch nach dreißigjährigem Bestehen wirkt die Band kein bißchen müde, im Gegenteil. Sänger Freddy Cricien scheint die Bühne noch zu klein zu sein und nimmt diese in voller Länge ein. Er feuert das eh schon hochmotivierte Publikum an jeder Ecke an, und es wird mit Circlepits und Extrem-Moshing gedankt.
dragonforce
Bei Dragonforce kommen hingegen alle Fans klassischen Powermetal voll auf ihre Kosten. Melodie-Feuerwerke treffen auf Tempiwechsel, wie Honigkuchenpferde grinsende Musiker treffen auf ein dankbares Publikum, Kaum eine Band zelebriert das Saiten-Gefrickele so ausgiebig wie die Londoner. Technisch einwandfrei und spielerisch ausgeklügelt vermittelt die Band Lehrstücke im Songwriting. Kein Song, der nicht ohne ein Gitarrensolo der Oberklasse bietet. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass viele Fans offen zeigen, was sie bei Guitar Hero gelernt haben und geben beim Kulthit „Through the Fire And Flames“ ihre Luftgitarren-Künste zum Besten. Danach muss wohl der ein oder andere Nacken erstmal eine Verschnaufpause einlegen und wieder eingerenkt werden.
Sick of it all
Da jedoch mit Madball nicht genug NY-Hardcore auf dem Reload vertreten war, kommen nun Sick of it All zum Einsatz, und die machen keine Gefangenen. Direkt mit den Ansage von Souter Lou Koller wird klar gemacht, das es nicht leise wird. Aber das hat auch wahrlich niemand erwartet. In bester Old School-Manier zeigen die Herren, dass sie, obwohl sie zum alten Eisen gehören, mächtig Dampf ablassen können und Szene-Youngsters zeigen, wer im Hardcore-Bereich das Maß aller Dinge ist. Der Kreislauf der Fans ist auf 180 und zeigt sich entsprechend in einem gewaltigen Circle Pit, der von den geballten Beats des Drummers Armand Majidi immer weiter und weiter entfacht wird. Bei der im Anschluss aufgebauten Wall of death wollte ich gar nicht hinsehen, so energiegeladen sind die beiden Wände aufeinander eingefallen. Aber laut Medienberichten gab es keine größeren Verluste zu beklagen.
In der Pause nutzt der ein oder andere die Zeit, seine Knochen wieder zu richten, während Veranstalter Andre Jürgens die Bühne betritt um sich beim Publikum für das zahlreiche Erscheinen zu bedanken, das dazu geführt hat, dass das Reload Festival im Vorfeld zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Sold Out melden konnte.
kreator
Die Bühne verdunkelt sich, denn nun gibt sich der Ruhrpott die Ehre! Die Großmeister des Teutonen-Thrashmetals Kreator bitten nicht zum Tanze, sondern fordern totale Zerstörung. Sollen sie haben! Denn schon beim Opener „Phantom Antichrist“ ist die Masse nicht mehr zu halten. Ein kleiner Wermutstropfen ist aus dem Fotografenlager zu beklagen. Statt der üblichen drei Songs wurden aufgrund Pyro-Einsatzes nur zwei Songs genehmigt, aber der Verantwortliche im Graben konnte nicht richtig zählen, und hat die fleißigen Scharfschützen schon nach einem Song aus dem Gefechtsgraben beordert. Das soll nicht ganz so schlimm sein, so können sie sich direkt im Anschluss mit einem frischen Bier direkt zu ‚Enemy of Gods‘ den Auftritt von Fronten Mille Petrozza und seinen Mannen anschauen. Mille scheint gut drauf zu sein, auch seine grauen Zellen liefern ihm Erinnerungen des letzten Auftritts auf dem Reload, und so will er ein weiteres Mal eine Wall of Death vor sich sehen, die ihm das Publikum auch nicht verwehrt. Die Essener (mit finnischem Import in Form von Gitarrist Sami Yli-Sirniö) hauen den Massen ihre Hits wie ‚Phobia‘, und ‚Satan Is Real‘ um die Ohren, und als wäre des den Zuhörern nicht eh schon warm genug, wird die ganze Stimmung noch von Pyros weiter aufgeheizt. Zu ‚Flag Of Hate‘ schwenkt Mille diese in die Luft, aber auch ‚Violent Revolution‘ und ‚Pleasure to kill‘ dürfen im Set nicht fehlen. Damit haben die Thrash-Legenden aus dem Solinger Battlefield wahrlich ein Schlachtfeld gemacht.
In flames
Mittlerweile ist es ganz schön schattig geworden in der norddeutschen Pampa und die Headline IN FLAMES lassen auf sich warten. Als dann mit über zwanzig Minuten die Lichter angehen, wird auch verständlich, warum. Die Bühne gleicht einem riesigen Verkaufsraum für LED-Projektoren. Was die Schweden an Lichtshow aufwarten, macht optisch schon einiges her. Auch wenn sie aus nördlichen Gefilden kommen, auch Anders Frieden und seinen Mitstreitern scheint es kalt zu sein, und sie entern in Jacken die Bühne. Selbst Neuzugang Tanner Wayne an den Drums hat sich zum dritten Song einen Pullover bringen lassen. Trotz einiger Crowdsurfer scheint der Funke der Melodie Death Helden nicht wirklich aufs Publikum überspringen. Zu lange sind die Pausen zwischen den Songs, und Anders war auch noch nie wirklich der Entertainer, der mit coolen Sprüchen das Publikum zu animieren vermag. Es bedarf viel Anfeuerung seitens der Schweden, um die Fans nochmals in Wallung zu bekommen. Es ist kalt, es ist spät, die Energiereserven weitgehendste aufgebraucht, jedoch Funktionieren die Kehlen der Besucher noch gut genug, um bei den größten Hits „Only For The Weak“, „Pinball Map“, „Clouds Connected“ und „Take This Life“ lautstark mitzusingen. Zum Abschluss folgt „Dead End“ und ein letztes Mal dürfen die Schweden für diesen Festivalsommer von Applaus getragen die Bühne verlassen.