So war das Wacken Open Air 2018 am Samstag


(Bild: stagr / Mark Carstens)

Der Dritte Tag meines ersten regenfreien Wackens. Die Sonne brennt, die Luft ist trocken und reizt die Kehle, das Wasser aus den Trinkwasserleitungen ist kurz vor Tee-Aufbrüh-Temperatur und alle Hoffnung liegt auf dem Wetterbericht der meint, es könnte vielleicht doch nachmittags noch mal ein bisschen regnen. (Achtung Spoiler: es regnet nicht).

Inmitten dieser Hitze versammeln sich zahlreiche Metal-Jünger “morgens” um 11:00 Uhr zum Metal-Yoga. Angeführt von einer growlenden Yoga-Lehrerin (ist das der richtige Begriff dafür? Meisterin? Instruktorin? Trainerin?) und angetrieben von Metal-Songs vollführt die Gruppe eine Mischung aus Cardiotraining und Yoga (Power-Yoga, werde ich belehrt). Bei jedem Songwechsel fragt die Drillinstructorin einen Teilnehmer “von welcher Band ist der Song” und wer die falsche Antwort gibt muss 10 Liegestütze machen. Nebenbei werden Wasserflaschen verteilt und die Teilnehmer werden ermahnt viel zu trinken. Was manche denn auch sofort mit Bier umsetzen. Beeindruckt von dieser morgendlichen Leistung geht es ins Infield, wo bereits eine große Gruppe vor der Harder Bühne steht und darauf wartet, dass Betontod auftritt.

Betontod

In den letzten beiden Tagen habe ich Hard Rocker und alle möglichen Facetten von Metal gesehen, heute ist auch mal Punkrock dran. Betontod gehört zu den langjährigen Mitgliedern des deutschen Punkrocks, deren ersten Alben noch auf Musik-Kassetten erschienen sind. Für die Jüngeren Leser: Musik-Kassetten (MCs) waren das, was wir gekauft haben bevor es CDs gab. Und CDs sind diese komischen, glänzenden Scheiben zum Musikhören vor iTunes und Spotify.

Mittlerweile hat die Kombo aus dem Rheinland 19 Alben und über 1.000 Live-Auftritte vorzuweisen (der 1.000ste war irgendwann 2016). Stilistisch hat Betontod sich von dem ursprünglichen “Geschrammel” verabschiedet und ist gerade in den letzten Jahren um einiges – hmm – massentauglicher geworden. Auch beim Auftritt in Wacken geben die Punk-Rocker alles auf der Bühne um das Publikum mitzureißen, bleiben aber eher bei einer “lieben” Setlist – was man nur merkt wenn man die alten Alben kennt. Eröffnet wird das Set mit “La Familia”, die erste Single-Auskopplung des für den 31.08. angekündigten neuen Albums “VAMOS!”. Und natürlich darf auch die zweite Single “Boxer” nicht fehlen. Der Rest sind Songs aus den 2000ern, die alle gut sind, qualitativ sogar um einiges besser als die Songs aus den 90ern. Aber eine richtige Rebellion klingt doch anders.

wintersun

Noch eine Metal-Band aus Finnland, die dieses Jahr in Wacken zeigt, dass guter Metal nicht nur aus Schweden kommt. Diesmal ein würdiger Vertreter des Melodic Metal-Genres. Wobei Wintersun nicht eine reine “Melodic Metal” Band sind. Black, Death, Folk … zahlreiche weitere Stile fließen in die Songs von Wintersun ein. Kein Wunder also, dass das zweite Album erst 8 Jahre nach dem ersten rauskam. Und für das dritte Album haben sich die 4 Finnen um Frontmann Jari Mäenpää auch noch mal 5 Jahre Zeit gelassen.

Dass die Zeit gut investiert wurden ist, beweisen Wintersun auf der Bühne. Hier zeigt sich auch die Qualität der Anlage und vor allem der Tontechniker in Wacken. In billigen Kopfhörern klingen Wintersun nach wechselweise gegrowlten und cleanen Vocals, kräftigen Drums und einem Brei aus Gitarren und Keyboard zusammen gematscht. Die komplexen Mitten der Gitarren-Riffs und Keyboard-Flächen liegen live auch immer noch sehr nah übereinander, aber die Leadgitarre schafft es ein wenig hervorzutreten, angelöst von Keyboard-Noten wenn die Gitarren sich ein wenig zurücknehmen. Das Set an sich hat nur wenig Songs, was daran liegt dass Wintersun-Songs gern mal 12 bis 14 Minuten lang sind, aber selbst die sich wiederholenden Teile des Songs werden so stark variiert, dass es nicht langweilig ist. Am Ende bleibt es Geschmackssache ob man den Mix von Wintersun mag oder nicht, aber hier in Wacken findet man genug Metalheads denen es offenbar gefällt.

Alestorm

“True Scottisch Pirate Metal”. So bezeichnet Alestorm ihren Musikstil. Und bereits der Opener “Keelhaul” zeigt ziemlich deutlich, was damit gemeint ist. Power-Metal “with a Bottle of Rum and a Jo-ho-ho” wie sie so schön singen. Gitarre, Bass und Double-Bass-Drum werden von Keyboard und Akkordeon (bzw. Keytar mit Akkordeon-Sounds) ergänzt und ergeben eine moderne Version der Musik, die man in den Piraten-Tavernen von Tortuga erwartet. Dazu gibt es mehr oder weniger jugendfreie Texte und Bandmitglieder wie “Beefman” der auf die Bühne kommt, drei Corona ext (davon zwei auf einmal) und dann wieder von der Bühne geht,  während der Rest der Band ein Cover von “I got a hangover” anstimmt. Der Gute Laune-Faktor ist mit Korpiklaani vom Vortag vergleichbar, mit ein bisschen weniger Folklore und etwas mehr “Arrrrrr” und “nicht ganz jugendfreien” Texten. Tatsächlich hat Alestorm auch schon mal einen Song von Korpiklaani gecovert. Ich kann nur jedem der nicht allzu finster, sondern es eher fröhlich mag empfehlen, in Alestorm reinzuhören.

die apokalyptischen reiter

Schwarze Hemden voll blutroter Farbspritzer in der brennenden Nachmittagssonne. Ein Keyboarder mit Ledermaske, Gitarrist und Bassist mit langen Haaren. Und dazu ein Frontmann mit rasiertem Kopf, Kinnbart und dem Lächeln eines Geschichtenerzählers der Kinder Gruselstorys erzählen will. “Kommt und setzt euch ans Feuer, ich erzähle euch die Geschichte von der Rückkehr der Apokalyptischen Reiter” erwartet man mit einer knarzenden Stimme zu hören. Doch statt einer ruhigen, sich langsam in der Spannung steigernden Geschichte, schmettert der Frontmann den Song “Wir sind zurück” vom neusten Album “Der Rote Reiter”. Ein krachender Song mit galoppierenden Drums, messerscharfen Gitarren, dumpf reinhauenden Bässen und einen Rammsteinig-rollendem “R” im Gesang.

Seit sie vor 10 Jahren auf deutsche Texte gewechselt haben, ist das Growlen nach und nach in erzählerische Klar-Gesänge übergegangen und der Stil von Melodic Death Metal zu Thrash mit Folk-Einflüssen gewechselt. Fans der ersten Stunde sind eventuell vom Wechsel enttäuscht, das Wacken-Publikum dankt es ihnen aber. Schön sind auch Ideen wie ein Crowdsurf-Gummiboot-Wettrennen hin und zurück über die Crowd vor der Louder-Stage während die Band “”Auf und Nieder” singt.

Arch enemy

Heiß, Heißer, Arch Enemy. Gerade als sich die Sonne zum Zenit neigt und die ersten Wolken die letzten Sonnenstrahlen wegschieben, eröffnet Arch Enemy das Set mit dem Intro-Loop “Set Flame to the Night”. Es folgen Feuerzungen die vor der Bühne emporschießen und die energiegeladene Frontfrau Alissa White-Gluz, die auf die Bühne stürmt und “The Word is yours ins Mikro” growlt.

In einem Experiment hat ein Kollege seiner Frau mal einen neueren Song von Arch Enemy vorgespielt und ihr dann ein Foto vom “Sänger” Alissa gezeigt, worauf seine Frau meinte “Kann nicht sein, das ist ja ’n Foto von ner Frau”. Ich persönlich finde, dass niemand so schön growlen kann wie die Schwedin mit der knallblauen Mähne, die sie wild schüttelt während sie über die Bühne stürmt, auf und ab springt, ihren Kopf bangt und einen Song nach dem anderen ins Mirko schmettert. Die gute Nachricht ist, dass ich Arch Enemy in zwei Wochen schon wieder auf dem Elbriot sehen kann. Growlend wie keine andere.

Helloween – pumpkins united

Ich habe mittlerweile das Gefühl, das Wort “Urgestein des Deutschen Metal” viel zu oft zu verwenden. Aber wenn eine Band seit 34 Jahren soliden Speed- und Powermetal abliefert und zu den erfolgreichsten deutschen Metalbands gehört, passt der Begriff einfach. Mit Helloween tritt dieses Jahr die zweite vor über 30 Jahren gegründete deutsche Powermetal-Band in Wacken auf und eröffnet das Set mit der allerersten Single der Band aus 1987 “Halloween”. Das Intro mit einer stark verzerrten Leadgitarre und finsteren Rhythmusgitarren-Riffs hört sich an, wie der Vorspann eines klassischen Gruselfilms, wechselt dann aber in schnellen, erzählenden Power-Metal wie man ihn auch von Iron Maiden (Number of the Beast, Fear of the Dark) kennt. Der Refrain “It’s Helloween (and there’s Magic in the air)” ist eine klare Ansage für das, was das begeisterte Publikum erwartet: Eine 2,5 Stunden (!!) lange Show durch die Geschichte der Band, in der kein Highlight(-song) ausgelassen wird.

Denn aktuell befindet sich die Band auf ihrer Reunion-Tour: Gründungsmitglieder Kai Hansen (Gitarre) und Michael Kiske (Gesang) sind seit 2016 wieder an Bord, zusammen mit den Gründungsmitgliedern Michael Weikath (Gitarre) und Markus Grosskopf (Bass) die nie weg waren. Mit 23 Songs und 2 Zugaben zeigen die Kürbisköpfe, dass sie erfolgreich das Metal-Prinzip “Faster, Harder, Louder” mit technischem Anspruch und melodischen Leadgitarren koppeln. Der Stil erinnert an Judas Priest von Tag 1, und beweist dass sie damals verdient mit Legenden wie Iron Maiden zusammen auf Tour geschickt worden sind.

Ein gelungener Abschluss für ein heißes, staubiges Wacken Open Air, das nächstes Jahr sein 30. Jubiläum feiert und bereits die ersten 60.000 Karten verkauft hat.

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