Wacken Open Air 2023: Donnerstag – Modder-Wandern für Anfänger


(Bild: stagr / Mark Carstens)

Die ganze Welt weiß, dass Wacken dieses Jahr eine einzige Schlammschlacht war. Es ging durch die Presse, und war so bekannt dass selbst Freunde aus den USA mich anschreiben und fragen ob ich da war. Freunde, denen ich sonst im Nachgang Fotos zeige und die dann sagen “Nette Bilder … welches Festival war das?” wissen jetzt dass Wacken abgesoffen ist und die Leute nach Hause geschickt wurden (was nicht so ganz stimmt, aber immerhin wissen sie dass es Wacken war). Natürlich hat die Wacken-Crew mit Holzschnipseln Kränen und Traktoren versucht den Schaden einzudämmen, aber wenn immer wieder von oben Wasser nachkommt, ist man auch stark eingeschränkt was die Gegenmaßnahmen angeht. Am Ende wurde das Infield mit leichter Verspätung geöffnet, und nur der Biergarten blieb geschlossen. Was mir in Wacken aufgefallen ist: Alle wissen, dass der Acker voll Modder ist. Aber die wenigsten wissen noch, wie man sich auf dem heiligen Acker im Modder verhalten sollen. 3 Jahre in Folge sonniges Wacken (plus 2 Jahre COVID-Pause) haben eine Generation von Modder-Noobs geschaffen. Und für die gibt es jetzt meinen persönlichen Modder-Guide.

1. Modder-Schluffen: Schnürstiefel statt Gummistiefel.
Ich weiß, die Meinungen gehen hier stark auseinander, aber ich persönlich setze auf gut gefettete Leder-Stiefel mit enger Schnürung. Warum? Die Kritik lautet immer, dass Lederstiefel irgendwann das Wasser durchlassen. Dafür geben sie aber auch einen festen Halt, scheuern nicht an den Waden, und vor allem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein fest (!!) geschnürter Lederstiefel im Schlamm steckenbleibt, viel geringer als bei einem eher locker sitzenden Gummistiefel. Und wenn man den ganzen Tag lang in die Gummistiefel reingeschwitzt hat, ist das auch nicht besser als wenn die Lederschuhe durchgeweicht sind. Finde ich zumindest.

2. Niemals ohne Modder-Buddy.
Solange es sich nicht vermeiden lässt, seht zu dass ihr mit einem Modder-Buddy unterwegs seid. Idealerweise eine Person in eurer Gewichtsklasse, die euch die Hand hinhält und euch Ziehen kann wenn ihr mal feststeckt. Noch besser sind zwei Modder-Buddies, die sich links und rechts neben einen hinstellen und auf deren Schultern man sich beim rausziehen abstützen kann. Wenn man in der 100+ kg Klasse ist wie ich, muss man danach meistens seine Modder-Buddies rausziehen, aber immerhin hilft man sich gegenseitig und ist nicht allein.

3. Pfützen und Fußspuren meiden
Wenn ihr im Modder vorankommen wollt, versucht immer eure Füße auf die höchsten Punkte des Modders abzustellen. Statt in die (voraussichtlich sehr tiefen) Fußstapfen der Person die vor euch langgelaufen ist hineinzutreten, tretet zwischen die Fußstapfen so dass ihr den oberen Schlamm nach unten drückt. Und meidet Pfützen! Gerade im Modder kann eine harmlose kleine Pfütze ungeahnte Tiefen haben, und dadurch dass der Boden darunter noch weiter aufgeweicht ist gibt er noch besser nach. Ich habe schon Leute bis zum Knie in eine Pfütze sinken sehen. Und das ist sicher kein schönes Gefühl.

4. Der Modder ist dein Freund
Versuche nicht gegen den Modder anzukämpfen. Akzeptiere den Modder. Durch den Modder zu waten ist der ultimative Leg-Day (am besten hinterher noch n Proteinriegel und Magnesium einwerfen). Wenn die Sonne scheint, kannst du den Modder auf der Haut verteilen, um keinen Sonnenbrand zu bekommen (vermute ich, die Laborergebnisse sind noch nicht zurück). Oder auch so kannst du dich mit Modder schminken, was zu einem noch intensiveren Wacken-Erlebnis führt. Und gut für die Haut ist es ganz bestimmt auch (erneut: Vermutung, Laborergebnisse sind noch nicht da).

Aber das Wichtigste: Ob du nun durch den knöcheltiefen Modder watest, Spritzer abbekommt, in einem Mosh- oder Circlepit reingefallen bist oder einfach nur einen vollgemodderten Wasserball ins Gesicht bekommen hast: Modder bringt Menschen zum Lachen. Und das Wichtigste auf Wacken ist, Spass zu haben.

Skyline

Wie heißt es so schön: “Die Oper ist erst vorbei, wenn die fette Lady gesungen hat.” Ich sage: “Das Wacken Open Air hat erst begonnen, wenn Skyline gesungen hat.” Alle Jahre wieder freue ich mich auf die Eröffnungsshow der Band, die von den Wacken-Gründern gegründet wurde. Eine 35 Jahre alte Tradition die bis heute weiter lebt. Durch die Wetter-bedingte Verzögerung der Infield-Eröffnung gibt es dieses Jahr nur 6 Songs, anfangen mit dem selbstgeschriebenen Song “This is W:O:A” der 2019 Premiere feierte. Es folgen Cover von Van Halen (Panama) und AC/DC (It’s a long Way to the top). Bevor Gitarrist Joey das Gesangsmikro von Sänger Dan übernimmt und “Lovegun” von Kiss singen darf wird er noch mal darüber aufgeklärt worum es tatsächlich im Song geht (Nicht Love and Peace, sondern halt die sprichwörtliche “Love-Gun”) und stellt überrascht fest “This is a Penis-Song”. Sogar “Numb” von Linkin Park covern die sechs Jungs erfolgreich. Nur bei “Nothing Else Matters” finde ich dass sie sich übernommen haben. Aber vielleicht liegt das an der besonderen Bedeutung den der Song für mich hat. Und dass niemand so richtig an Metallica rankommt. Auch wenn nun am Mittwoch schon das Infield eröffnet wurde und Headliner wie Skindred und Doro auf den großen Bühnen aufgetreten sind, für einen alten Wacken-Gänger wie mich ist nun nach dem Skyline-Gig der offizielle Startschuss gefallen.

Vixen

Vixen war eine der ersten erfolgreichen Hard Rock Bands mit ausschließlich weiblichen Mitgliedern, die 1980 gegründet wurde. Und als solche auch ein Pionier für Frauen im Hard Rock. Die aktuelle Sängerin Lorraine Lewis ist zwar erst seit 2019 Teil der Band, aber auch Gründungsmitglied von “Femme Fatale”, eine Glam Metal Band die 1982 gegründet wurde und ebenfalls ihre eigenen Erfolge feierte. Auch wenn Vixen sich zweimal aufgelöst und wieder neu formiert hat, war die Band immer mit hervorragenden (und meist auch gutaussehenden) Musikerinnen besetzt. Und hatte immer einen festen Platz am Rock-Zenit. Ihr 1983er Hit “Hellraisers” hat einen festen Platz in meiner persönlichen Rock-Playlist. Entsprechend war es für mich ein Erlebnis, Vixen zum ersten mal live zu sehen, und das direkt auf der großen Bühne des Wacken Open Air. Natürlich klingt Lorraine Lewis live ganz anders als die alten Aufnahmen von Noelle Bucci, Gründerin und erste Frontfrau von Vixen. Während Noelle eine sehr cleane Stimme hatte, schwingt in Lauraines Stimme diese leichte Kratzen mit, das ich immer mit dem 80er Jahre Rock verbinde. Und sie hat auch die Bühnenpräsenz und die Power, um die alte Vixen Songs wie “Hellraisers” und “Rev it up” zu schmettern. Schön auch, dass sie mit “Waiting for the Big one” einen ihrer alten Femme Fatale Hits zum besten geben darf. Flankiert von Britt Lightning (E-Gitarre) und Julia Lage (E-Bass) tanzt und springt sie über die Bühne, heizt das Publikum an und schmettert einen Song nach dem Anderen. Auch die anderen Ladies auf der Bühne haben sichtlich Spaß und lassen ihre langen Mähnen kreisen und ihre Finger über die Saiten fliegen. Am Ende wird es noch leicht melancholisch (so melancholisch wie es eben für 80er Jahre Rock geht) mit “Love made me do it” von 1988er Album Vixen, gefolgt von dem Erfolgshit “Edge of a broken heart” vom selben Album, der es damals auf 26 der US Charts geschafft hat. Jeder Fan von 80er Jahre Rock und Glam sollte auf jeden Fall Vixen und Femme Fatale eine Chance geben.

Uriah Heep

“Was, die gibt’s noch?” ist die Reaktion als ich einer Freundin von mir schreibe, dass gerade Uriah Heep auf der Bühne steht. “Ja klar, die haben vor nem Jahr n neues Album rausgebracht.” “Oh, da muss ich mal reinhören.” Benannt nach einem Roadie aus einem Charles Dickens Roman, wurde Uriah Heep bereits 1969 gegründet – also 7 Jahre nach den Rolling Stones, und 2 Jahre nachdem David Bowie sein Debüt-Album veröffentlicht hat. Gründungsmitglieder David Byron (Gesang), Mick Box (Gitarre & Gesang) und Paul Newton (Bass & Gesang) waren alles begnadete Sänger, und gerade die Mehrstimmigkeit im Gesang zusammen mit den für den damaligen Rock doch sehr melodischen Songs hoben Uriah Heep deutlich von den anderen Bands ihrer Zeit ab. Mittlerweile ist nur noch Mick Box von der Originalbesetzung übrig, aber Keyboarder Phil Lazon und Sänger Bernie Shaw sind seit 1986 fester Bestandteil von Uriah Heep und haben den Stil der Band über Jahrzehnte mitgeprägt. Wer sich jetzt immer noch fragt “Uriah wer?” sollte bei Spotify oder Youtube nach “Lady in Black” suchen und wird dann spätestens beim Refrain sagen “Aaaaaaaah, DAS ist Uriah Heep. Ok.” Und so war es auch kein Wunder, dass nach Hits wie “Between Two Worlds”, “Rainbow Demon” und “Sunrise” zum vorläufigen Abschluss “Lady in Black” gespielt wird bevor es noch “Gypsi” und “Easy Living” als Zugabe gibt.

Hammerfall

Es ist gar nicht so lange her, da habe ich Hammerfall in der “Forces United” Tour mit Helloween zusammen in der Hamburger Sporthalle gesehen. Von daher fühlte sich Hammerfall auf der Bühne weniger nach “Oh mein Gott, wir haben uns so lange nicht gesehen! Wie geht’s dir?” an, sondern eher nach einem “Ach, du schon wieder. Alles Gut?”
Trotzdem ist es natürlich immer wieder eine Freude, die Schwedische Power-Metal Band live zu sehen. Hammerfall ist die stereotypische Power-Metal-Band und das erste Beispiel dass mir einfällt wenn mich jemand fragt was Power-Metal ist: Zwei Gitarren die mit kraftvollen “Geschrammel” über das “Gedonner” von einem Schlagzeug mit einer fetten Doppel-Bassdrum von einem schnellen E-Bass gestützt werden, und Gesang mit langgezogenen Vokalen, vor allem in den Refrains die man leicht mitsingen kann. Texte die Fantasy-Themen und epische Helden besingen und die passenden Cover-Motive von Helden und Drachen, die sich auch gut auf Patches und T-Shirts machen. Oder wie Danko Jones auf dem Wacken Open Air mal sagte “Hier ist ein Song von mir darüber, mit einem Girl rumzumachen. Bei euren Metal-Songs geht’s ja eher darum, mit einem Drachen rumzuknutschen.” Zwischen Refrain und Strophe gibt es dann noch ein paar Jaulende Gitarren-Soli, nicht zu lang (anders als bei progressive metal, wo so ein Solo auch mal 30 Minuten lang sein kann), oder auch einen “Chor” was bedeutet dass alle auf der Bühne gemeinsam “Ah-ah-ah” oder “Oh-oh-oh” singen – und das Publikum kann laut mitgrölen. Wer guten, “klassischen” Power Metal kennenlernen will, sollte sich das Album “Brotherhood” holen. Oder einfach miterleben, wie ganz Wacken bei “Hammer High”, “We Make Sweden Rock” oder “Hearts On Fire” mitsingt.

KREATOR

Die letzten beiden Headliner vom Wacken-Donnerstag kommen aus Deutschland. Den Anfang macht Kreator, eine der ältesten und bekanntesten Thrash-Metal Bands aus dem Inland (zusammen mit Sodom vielleicht noch). Unbestreitbar, dass Kreator einer der großen Wegbereiter für die Popularität des Genres Thrash in Deutschland war, und somit auch als Brückenkopf für Bands wie Metallica und Slayer fungierte, die zur gleichen Zeit im Ausland entstanden. Thrash hat zwei grobe Ausrichtungen (nicht musikwissenschaftlich, sondern meiner persönlichen Meinung nach). Das eine sind die Metallicas, Megadeths und Destructions dieser Welt, die eine eher melodiösere Richtung eingeschlagen sind. Und dann git es die Slayers und Kreators dieser Welt, die einfach immer mehr Power und Geschwindigkeit draufgelegt haben. Persönliche Highlights dieses “Voll auf die Fresse” Thrash-Metal Stils sind neben “Reign in Blood” von Slayer auch “Terrible Certainty” von Kreator. Aber was für mich Kreator vor allem ausmacht ist, wie gelungen die neueren Alben sind. Hits wie “Satan Is Real” und “666 – World divided” sind im Stil des 80er und Früh-90er Thrash, aber stammen aus den 2010ern. Und deshalb ist und bleibt Kreator eine der beliebtesten Thrash-Metal-Bands der Welt, die auch als Headliner in Wacken das Infield füllt und die Metalheads zum durchdrehen bringt.

Helloween

Wenn die Bühne in Schwarzlicht getaucht ist, und der große Kürbiskopf auf dem das Schlagzeug steht im matten Orange leuchtet und böse guckt, kann das nur eins bedeuten: Gleich kommt Helloween! Die Massen vor der Bühne Jubeln schon lange bevor das Licht angeht, die sieben Band-Mitglieder nach und nach auf die Bühne kommen und “Skyfall” als erster Song angestimmt wird. Alle drei Sänger der Bandgeschichte sind auf der Bühne, Sowohl Gründer und erster Sänger Kai Hansen, der aktuell vor allem Gitarre spielt und nur einzelne Songs singt, als auch Michael Kiske und sein Nachfolger Andi Deris. Gerade Kiske und Deris stacheln sich immer wieder zu Höchstleistungen an, langgezogene Screams durchbrechen die hellen, komplexen Gitarrensoli und die Mitsing-Refrains. Helloween ist ebenfalls Powermetal, aber mit 2 Sängern und 3 Gitarren (also je ein Sänger und eine Gitarre mehr) um einiges komplexer als Hammerfall. Außerdem jaulen die Gitarren heller und sind die Takte etwas schneller. Bei aller Liebe zu Hammerfall (die ich privat öfter höre als Helloween) ist bei Helloween mehr auf der Bühne los, die Fans werden mehr mitgerissen, die Licht-Show ist greller und glitzernder und das ganze Erlebnis einfach beeindruckender. Hammerfall könnte in einer Bar vor 50 Leuten auftreten und ebenso begeistern wie in Wacken. Helloween hingegen ist für große Bühnen und Shows vor großem Publikum gemacht. Songs wie “Future World” und “How Many Tears” müssen man in einer großen Crowd erleben, die jedes Wort mitsingt. Ebenso wie die erste Zugabe “Keeper of the Seven Keys” (das gleichnamige Album ist eins der erfolgreichsten Metal-Alben Deutschlands) und natürlich die zweite Zugabe “I want out”. Und auch hier gab es wohl am Ende noch eine schöne Drohnen-Show über der Bühne, die das Helloween-Logo an den Himmel geschrieben hat. Die ich aber nicht sehen konnte, weil ich zu nah an der Bühne stand.