Wacken Open Air 2023: Mittwoch – Return of the Modder


Mittwoch beim Wacken Open Air 2023
Das Wacken Open Air startet am Mittwoch, den 2. August 2023 mit schlechten Wetterbedingungen. (Bild: Mark Carstens)

Jahrzehntelang war der Modder symbolisch für Wacken. Das Gelände heißt nicht umsonst “der heilige Acker” und überall wo über Wacken berichtet wurde, zeigte man Metal-Heads die von Kopf bis Fuß mit Dreck beschmiert waren. Man war immer dankbar für den Notfall-Poncho den ein Freund dabei hatte – und festes, idealerweise wasserdichtes Schuhwerk war Pflicht. Unvergesslich wie 2007 der Heli-Föhn in Form von Bundeswehr-Hubschraubern die Campingplätze trocken gepustet hat (da war der Regen allerdings auch mehrere Tage vor Festivalbeginn vorbeigezogen). Hier der Link zur damaligen News mit Fotos. Den Höhepunkt erreichte die Schlammschlacht in 2015, wo so viel Schuhwerk im Schlamm stecken blieb und nicht mehr rausgezogen werden konnten, dass das Infield aussah wie eine bunte Gummistiefel-Blumenwiese.

In den letzten Jahren wurde Wacken dann von der Sonne verwöhnt. Während andere Festivals 2018 wegen Unwetter vorzeitig beendet werden mussten, erschien im sonnigen Wacken ein neues Accessoire: Die Wacken-Stoffmaske, die vor dem trockenen Staub schützen sollte, der über dem ausgetrockneten Heiligen Acker lag. Besucher meckerten, dass die Veranstalter das Feld bewässerten nicht, um den Staub in den Griff zu kriegen. 2019 war es ähnlich, ebenso 2022 nach der Covid-Pause.

Als langjähriger Wacken-Gänger war ich deshalb begeistert als es hieß: In der Wacken-Woche regnet es. Endlich wieder Schlamm und Dreck, bei jedem Schritt bis zum Knöchel versinken und sich an den Schultern des Nebenmanns wieder rausziehen. Wenn man fällt, dann fällt man weich (und nass), und wenn man aufgestanden ist und sich den Schlamm aus dem Gesicht wischt, haben alle was zu lachen.

Da wusste ich aber noch nicht, wie stark der Regen kommen würde. Ich habe niemanden gewünscht, dass er oder sie nicht anreisen kann. Und möchte an dieser Stelle auch betonen, dass es sicher keine leichte Entscheidung war, einen Anreisestopp auszusprechen. Die Veranstalter sind immer bemüht, das Festival stattfinden und alle anreisen zu lassen. Und auch die lokalen Behörden unterstützen wo sie konnten. Allein die zu erstattenden Tickets kosten mehrere Millionen (300 EUR pro Ticket mal ca. 25.000 Leute die nicht kommen konnten). Dazu noch der Umsatzverlust an Bier (ein durchschnittlicher Metalhead trinkt ganz entspannt seine 5 Bier, also 2 Liter am Tag mal 5,50€), plus ne Bratwurst oder ne Pizza, summiert sich auch schnell auf über eine Million.

Unabhängig davon hat die Wacken-Crew und gefühlt die ganze Umgebung Tag und Nacht gearbeitet, um das Festival so gut wie möglich stattfinden zu lassen. Sei es mit dem “Einparkservice” von Traktoren ,die Fahrzeuge auf die Park- und Campingplätze zogen, Flugfelder und Supermarkt-/Baumarkt-Parkplätze, die mit Klos und Duschen ausgestattet wurden, Kräne die den feuchten Dreck abgetragen und zum Abtransport in Anhänger verladen haben … und und und. An dieser Stelle deshalb großen Respekt an alle Beteiligten, die in Matsch und Regen zugepackt haben, um das diesjährige Wacken Open Air zu ermöglichen. Und jetzt Musik.

Skew Siskin

Manchmal hat man Glück im Unglück und stolpert unverhofft über eine Band, die einem gefällt. So erging es mir mit Skew Siskin. Ursprünglich wollte ich Nervosa sehen, aber aufgrund der Verzögerung am ersten Tag war ich pünktlich zu Skew Siskin an der Louder-Bühne. Wenn man eine junge (2010 gegründet, Frontfrau Jahrgang 1985) Brasilianische All-Women-Thrash-Metal-Band erwartet und plötzlich eine nicht mehr ganz so junge (1992 gegründet, Frontfrau Jahrgang 1966) Rockband aus Berlin sieht, muss sich mein Metal-Brain schon mal etwas umstellen. Eröffnet wird “Jesus of Cool” mit schrammelnden Rock-Gitarren die eine wellige Melodie mit dem typisch rockige Auf und Ab spielen, gestützt von dem leichtgängigen Schlagzeug, dem das Donnern der Double-Bass fehlt und das dieses leicht schwingende Nicken im Hals auslöst statt dem harten Headbangen. Und dann tritt Nina C. Alice auf die Bühne und ihre kratzig-rockige Stimme packt mich. Es ist die Stimme die sich anhört als hätte Nina in ihrer Kehle einen 500Watt Röhrenverstärker, der über einen Plattenspieler läuft. Auch wenn ich eigentlich Thrash wollte: So muss Rock klingen, und spätestens als sie den Refrain “I am the Messiah!” ins Mikro shoutet wippt mein Fuß mit und ich bemerke dieses leichte Schmunzeln auf meinen Lippen das ich habe wenn ich einen guten Song höre. Für das Metal-Publikum hat sie noch 3 Motörhead-Cover “Iron Fist”, “Stay Clean” und “No Class” im Gepäck, aber es hätte mich auch nicht gestört noch ein paar mehr ihrer eigenen Songs zu hören.

Deine Cousine

Nach Hard-Rock nun Punk. Ja, mich dürstet immer noch nach gutem alten Heavy Metal, aber auf Ina Bredehorn a.k.a. “Deine Cousine” war ich schon eine ganze Weile neugierig. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, dass Punk nur Punk heißen darf wenn harter, sozialkritischer und nicht kommerzieller Punk drin ist. Oder zu der “Oi!” Bewegung die sagen dass das Genre seit den Sex Pistols und The Clash tot ist und nix vernünftiges dazukommt. Als jemand der ab und an auch mal gern hört was meine Punk-Fan-Freunde als “Weichspül-Punk” bezeichnen, denke ich dass Fun-Bands wie Blink182, die Ärzte oder The Offspring die die richtigen Attitüde und ein leichtes Augenzwinkern auf die Bühne bringen auch als “Punk” bezeichnet werden dürfen. Deine Cousine, entdeckt und gefördert von Udo Lindenberg, fällt für mich in diese Kategorie. Sie hat eine Punk-Einstellung, wird von einer schnellen, simplen Drumline und schrammelnden Gitarren begleitet und singt in ihrem Eröffnungssong über “St Pauli” und die Liebe zu ihrer Wahlheimat mit allen schönen und nicht so schönen Seiten. Es folgen Songs über Chauvinisten “Scheiß auf Ironie”, Herz-Angelegenheiten “Bang Bang (mein Herz schlägt krass für dich)”, Religion(?) “Der Himmel ist ‘ne Kneipe” und auch immer wieder Songs die einen Mut machen wie “Attacke” und “Träume findet man im Dreck”. Am Ende weiß ich nicht, ob “Deine Cousine” es auf meine Favoriten-Playlist schaffen wird. Aber sollte sie bei meinem nächsten Festivalbesuch auf der Running-Order stehen, werde ich ihrer Bühne auf jeden Fall einen Besuch abstatten.

Skindred

Ein schwarzer Waliser mit einer Nieten-besetzten Sonnenbrille schwenkt eine schwarz-Weiße Union-Jack-Flagge und singt mit einem Reggae-Akzent begleitet von Metal-Gitarren mit Dubstep-Effekten und einer Double-Bass-Drum über Fazer. Das ist die Eröffnung des Skindred-Gigs in einem Satz. Wer jetzt verwirrt ist: Ja, so ging es mir bei meiner ersten Begegnung von Skindred auch. Aber positiv verwirrt, und mittlerweile bin ich ein sehr großer Fan von Benji Webbe und seiner Truppe. IN einem Genre wo es lange nicht mehr große Entwicklungen gab und (seinen wir mal ehrlich) die Festival-Headlines von den alteingesessenen Bands dominiert werden und die Genres wie Power, Thrash, Melodic, Metal Core, Black und Death alle ihre Nischen gefunden haben aber sich nicht wirklich stark weiterentwickeln, wo die Pionierarbeit von Bands wie Linkin Park schon wieder 20 Jahre her sind, bringt Skindred mal wieder einen erfrischend neuen Anstrich an das Metal-Genre und kann hoffentlich auch wieder neue Bands dazu inspirieren, außerhalb von Konzeptalben neues auszuprobieren.

Plus: Skindred macht Live unheimlich viel Spaß. Ich kann jedem der Skindred nicht kennt nur wärmstens empfehlen, Skindred NICHT im Livestream zu hören, sondern sich das nächste Konzert zu suchen und ganz unvoreingenommen Skindred Live zu erleben.

Ziemlich sicher, dass viele Metal-Heads heute Skindred heute zum ersten mal erlebt haben. Eine leichte Irritation bei “Set Fazers” war in einigen Gesichtern gerade im Mittleren und hinteren Publikum zu sehen, aber schon während des ersten Songs wird man von der guten Laune um einen herum mitgerissen. Der funkige Beat von Songs wie (Woop woop) “That’s My Jam” lässt niemanden ruhig stehen, “Kill the Power” hat genug Power um es mit Thrash.Songs aufnehmen zu können, und spätestens bei “Nobody” sind die meisten zum Fan geworden.

Broilers

Mein Durst nach klassischen, harten Metal muss warten, denn jetzt gibt es es erstmal die Broilers. Da ich mehrere Jahre in Düsseldorf gelebt habe, sind mir die Broilers selbstverständlich ein Begriff, und Songs wie “Zurück zum Beton” und “Schwer verliebter Hooligan” lösen bei mir eine gewisse Nostalgie aus. “Petrus ist ein Broilers Fan!” ruft Frontmann Sammy Amara nach einigen Songs begeistert und die Menge jubelt mit, denn die tiefen Wolken haben sich verzogen und die Sonne scheint – zumindest für eine Weile – auf den heiligen Acker. Dies will Sammy nutzen um zwischen zwei Songs sein Bier auszutrinken und mit ein paar Worten über “Gruppenzwang auf Festivals” die Menge zu einem Circlepit aufzurufen.

Stattdessen lernt er eine andere Metal-Tradition kennen. “NOCH EIN BIER!! NOCH EIN BIER!!” brüllen die Metalheads in alter Sabaton-Manier und schließlich fügt sich Sammy dem Gruppenzwang und trinkt ein zweites Bier auf Ex. Joakim Broden (Frontmann Sabaton, der sonst immer unter den “Noch ein Bier!”-Rufen “leidet”) wäre stolz. Mit einem “Breaking the Law” Cover bleibt es noch etwas Metal-ig, aber dann gibt es wieder das volle Broilers-Repertoire mit Songs wie “Wie weit wir gehen”, “Ihr da oben”, ein “Walking on Sunshine”-Cover und “Meine Sache” als letzten Song bevor die Party mit dem eingespielten Song “Don’t Stop believing” von Journey aufgelöst wird.

Doro

40 Jahre Doro Pesch! Eine Leistung, die unglaublich viel Respekt verdient. Es gibt wenige Künstlerinnen die schon so früh und über so lange Zeit das Genre des Heavy Metal geprägt haben. Als Role-Model war sie sicher unzähligen Metallerinnen ein Vorbild als lebender Beweis, dass auch Frauen so richtig “Metal” sein können. Der 1987 “All we are” ist bis heute eine Hymne aller Metal-Fans, “All for Metal” aus 2018 ein würdiger Nachfolger den wirklich jeder mitsingen kann. Dazwischen sind über 500 Songs produziert und 13 Alben unter “Doro” zusätzlich zu den 4 vorherigen Alben ihrer Band “Warlock” released worden. Unvergessen für mich das akustische “Breaking the Law” Cover mit Orchester auf der 2004er Scheibe “Classic Diamonds”. Oder die “All we are” Version auf ihrem 30 Jährigen Bühnenjubiläums, das sie ebenfalls auf Wacken gefeiert hat, zusammen mit Sabaton, Uli Roth, Eric Fish (Subway to Sally), Phil Campbell (Mötörhead), Chris Boltendahl (Gravedigger) und den Dudelsack-Spielern von Corvus Corax.

Doro ist mit all den Größen der Metal-Branche auf Tour geworden, und so gab es am Anfang zahlreiche Gratulationen via Videobotschaft von den ganz großen wie Gene Simmons (Kiss) und Rob Halford (Judas Priest). Auch Live gaben sich die Gratulanten und Gastmusiker die Klinke in die Hand: Hansi Klütsch (Blind Guardian) begleitet sie bei “Rock till Death”, Bei Eats Meets West ist Sammy Amara (Broilers) neben ihr auf der Bühne. Antisocial (Trust Cover) singt sie mit Joey Belladonna, Legendärer Frontmann von Anthrax. Beim Motörhead-Cover von “Love me Forever” sind Mikkey Dee und Phil Campbell (beide Motörhead) dabei um den verstorbenen Motörhead-Frontmann zu gedenken. Selbstverständlich darf das “Breaking the Law” Cover nicht fehlen, ebensowenig wie “All we are” als “Letztes Lied” mit allen Special Guests auf der Bühne. Natürlich gibt es dann als erste Zugabe “All for Metal” bevor das Set mit “Mikkey und Phil zusammen abgeschlossen wird: Zum letzten Song “Ace of Spades” gibt es eine Drohnen-Show über der großen Bühne von Wacken.

Und hier liegt meine einzig laute Kritik an den Veranstalter. Die Show soll richtig schön gewesen sein, aber sie war über/hinter der riesigen Bühne, so dass alle die weiter vorne standen, sie nicht sehen konnten. Schade, ich persönlich hätte es besser gefunden, die Show horizontal über dem Infield in den Himmel hinein zu gestalten, so dass alle nur in den Himmel hätten schauen müssen, um sie sehen zu können. Eine willkommene Dehnung zum vom Head-Bangen versteiften Nacken.

Zum Abschluss noch eine kleine, persönliche Laudatio auf Doro. Als Doro 1983 ihre Band “Warlocks” gründete: Wurde das weltweit allererste Handy in den USA zugelassen. Wurde Windows 1.0 im November in las Vegas angekündigt. Fand der Jungfernflug des Spaceshuttles “Challenger” statt. Wurde im Arpanet (der Vorgänger vom Internet) das heute noch verwendete TCP/IP Protokoll eingeführt. Trat Udo Lindenberg zum ersten und einzigen mal in der DDR im “Palast der Republik” in Berlin auf.

Doro’s Musik hat uns also über 11 Windows-Versionen, die gesamte Geschichte des Internets, und vom ersten Tasten-Handy (keine SMS, 800 Gramm schwer) begleitet. Sie hat alle Generationen der Spaceshuttles überlebt und begleitet uns noch länger als es das Internet gibt. Ich danke Doro auf diesem Weg für wundervolle Songs und wünsche ihr alles Gute für die nächsten 40 Jahre – und mehr.