Rockharz Open Air 2024 – Samstag


Judas priest Rockharz Open Air 2024 – Samstag
Am Samstag traten Judas Priest als Headliner beim Rockharz Open Air 2024 auf. (Bild: Birger Treimer)

Noch bevor es mit der Live-Musik los ging, wuselten nicht wenige RHZ-Gänger*innen fleißig wie Ameisen auf dem Campground umher. Der Grund war mal wieder das Wetter. Obwohl Festivalbesucher*innen im Normalfall allen Ereignissen von oben trotzen, sind amtliche Unwetterwarnungen nichts, was zu ignorieren ist. Menschen sind schließlich sterblich (wer hätte es gedacht). Entsprechende Vorkehrungen wurden getroffen und so verschwanden schon jetzt zahlreiche Zelte, Pavillons und diverse andere Utensilien. Safty first eben.

Ungeachtet dessen stürmten die Recken von Nakkenknaekke, gleich Vorboten des Unwetters, wie ein Orkan los. Und obwohl der 5er aus Dänemark wirklich jung, also wirklich JUNG, bezüglich Alter der Musiker*innen ist, wirkte es eher so, als wäre eine klassische Old School Death Metal Band am Werke, wie Asphyx und Kollegen.

Obwohl Parasite Inc. sich vor fast 15 Jahren als Band zusammenfand, ist die Musik eindeutig im Geiste der heutigen Zeit. Vor allem der Industrial Einschlag verleiht dem Melodic Metal Quartett aus Aalen eine moderne Note. Das Ergebnis war ein voluminöser Live Auftritt, der noch vor 12 Uhr mittags wirklich akkurat die Haare bei unzähligen Zuschauer*innen in Bewegung versetzte.

Die Sturmsuchenden von Storm Seeker (ja, soll ein Wortwitz sein)  beschworen vor allem Bierdurst und gute Laune. Pirat Metal, mit Cello, Drehleier und Keyboard und einer Prise Mittelalter Flair. Die Mischung kam beim Publikum hervorragend an. Weniger verwunderlich war es, dass erneut zur frühen Mittagsstunde das Verlangen nach diversen Litern an Hopfenblütentee (Bier) geweckt wurde.

Weniger folkig, dafür schnell und finster, ging es im Programm mit Knife weiter. Speed meets Black Metal. Folglich legten die Musiker*innen um Vince Nihil wie der Teufel los. Tempogeladene Rhythmik und dazu beißende Lead Gitarren lösten die ersten nennenswerten Circle Pits aus. Die Marburger Formation ist ein Garant für finsterste Schnelligkeit.

Als Coppelius anstimmten, sorgten sie für ein Fragezeichen bei denen, die die Formation das erste Mal zu Gesicht bekamen. Wäre Metal bereits im europäischen 19. Jahrhundert publik gewesen, hätte es wohl so geklungen. Mit Kontrabass und Klarinette, statt E-Bass und Stromgitarre, Zylinder und Frack, statt Lederjacke und Stiefel, spielte sich die Band in die Herzen der Zuschauer – vor allem die Anweisungen ans Publikum, aufgemalt auf Schildern, waren ein absolutes Highlight, ebenso das Cover von System Of A Down „Chop Suey“.

Mit mindestens genau so viel Elan betraten die Musiker*innen von Mystic Prophecy die Bühne. Und was als viel versprechende Darbietung aus Heavy’n’Thrash Metal begann, sollte leider in einem Szenario enden, was man keiner Band auf einem Openair-Festival wünscht, auch nicht den Fans und Besucher*innen. Die am Vormittag ausgesprochene Unwetterwarnung traf ein und bei starkem Gewitter hört der Spaß auf. Dazu kamen noch starke Winde, die das ein oder andere Zelt in die Knie zwangen. An dieser Stelle sei das Orga-Team des RHZ nochmals ausdrücklich gelobt. Frühzeitig informierten sie auf allen Kanälen, dass das Unwetter drohte und sorgten rechtzeitig für eine Evakuierung des Infields. Zeitgleich baten sie allen KfZ-Inhaber*innen um deren Mithilfe, dass sie per Warnblinker signalisieren, dass in ihrem Auto noch Platz für Schutzsuchende ist. Bedingt durch die Extremwetterlage mussten die Auftritte von Nestor, Avatarium und Draconian leider abgesagt werden. Die Sicherheit und Unversehrtheit von Menschen geht eben vor.

Erst mit Orden Ogan ging es am späten Nachmittag, frühen Abend, weiter. Völlig unbeirrt von der Unwetterpause präsentierte die Heavy/Power Metal Truppe gleich zu Beginn mit „F.E.V.E.R.“ den ersten Nackenwirbelbrecher. Die Partystimmung und das Publikum waren sofort wieder belebt. Das erste Mal Vollgas gaben die Musiker*innen um Sänger  Sebastian „Seeb“ Levermann mit ihrem Ohrwurm „Gunman“. Trotz ansteigender Temperaturen gaben die Mannen in ihren Kostümen Vollgas.  Ihr wohl erfolgreichster und populärster Song „The Things We Believe In“ sorgte zum Schluss für ein Meer aus mit klatschenden Händen und einem Refrain sicheren Chor.

Soilwork. Wird neben In Flames die wohl einflussreichste Band in Sachen Melodic Death Metal der schwedischen Schule aus Göteborg erfragt, muss der Name fallen. Björn „Speed“ Strid und seine Band sind seit 1997 unter dem Namen im Geschäft und ihr Opener „Stabbing The Drama“ schlug wie eine saubere Gerade dem Publikum ins Gesicht. Die Band verstand es, wie keine Andere den Fokus der Aufmerksamkeit komplett auf die Musik zu legen. Ohne Schnörkel und pompösen Bühnenaufbau wurden Evergreen Hits wie „Sworn To A Great Divide“ sowohl von Band, als auch von den zahllosen Zuschauer*innen zelebriert. Wie sagt man so schön? Gekonnt ist eben gekonnt!

Bevor über die nächste Band berichtet wird, sei eines gesagt: Krebs ist ein Arschloch. Umso so erfreulicher ist es, wenn es Menschen gibt, die diese heimtückische und widerwertige Krankheit besiegen konnten – Thomas Lindner, Frontmann und Gründungsmitglied der nun aufspielenden Band Schandmaul, zählt zu jenen Menschen. Im Sommer letzten Jahres wurde beim Sänger ein Karzinom im Rachen entfernt, entsprechend weniger verwunderlich war es, dass er den Gesang nicht übernehmen konnte. Alea der Bescheidene, bekannt als Sänger der Band Saltatio Mortis, und Marco Klingel, seines Zeichen verantwortlich für das Stimm- und Gesangstraining von Lindner, nahmen diese Rolle ein. Und wie sie das taten! Generell war es ein sehr emotionaler Auftritt und obwohl die Genesung des Sängers deutlich für ein positives Gefühl bei allen Anwesenden sorgte, mahnten die Musiker*innen bei ihrem Song „Bunt Und Nicht Braun“ Faschisten*innen keinen Platz in der Gesellschaft zu geben. Als im Anschluss „Der Teufel Hat Den Schnaps Gemacht“ angespielt wurde, donnerten zahllosen Kehlen in den Strophen das „Na Und?“ mit. Es war ein Auftritt, der noch vielen Anwesenden in Erinnerung bleiben wird.

Nun war es Zeit für die Band, auf die wohl der größte Teil des RHZ, sowohl hinter, wie auch vor der Bühne, hin gefiebert hatten. Schon bei der Bekanntgabe des Headliners am Samstag ging ein Raunen durch die Community. Judas Priest – eine Band, die seit Dekaden unzählige Generation des Heavy Metal und Hard Rock geprägt haben und es immer noch tun gaben sich die Ehre auf dem diesjährigen RHZ zu spielen. Die mit ikonischste Figur des Heavy Metal Rob Halford, mittlerweile 72 (!) Jahre alt, betrat mit dem Intro von Black Sabbaths „War Pigs“ die Bühne und feuerte sofort mit „Panic Attack“ das erst Geschoss los. Wenn eine Band schon seit über 50 Jahren aktiv ist, bleiben Handicaps nicht aus. Doch sind es die Gruppen, die gestärkt daraus hervor gehen, die Unsterblichkeit erlangen. In diesem Sinne begrüßte Halford das Rockharz mit „The Priest is back!“, um nochmals zu unterstreichen, dass ihr 19. Studioalbum „Invincible Shield“ die Neufindung der Band bekräftigt. Gleich 3 Tracks der neuen Schiebe fanden ihren Weg in die Setlist („Panic Attack“, „Invincible Shield, und „Crown Of Horns“). Auch wenn die Elemente von Mutter Natur den Sound teilweise arg verwischten, tat das der Party keinen Abbruch. Das Schönste am gesamten Auftritt war jedoch, dass zahlreiche Altersgruppen die Lieder textsicher mitsangen was Halford dazu verleiten lies, einfach das Publikum singen zu lassen. Regelrecht in Ektase verfielen die tausenden Zuschauer*innen bei „Turbolover“ und (selbstverständlich) bei dem Priest Song schlecht hin „Painkiller“. Das Intro mit der wohl einprägsamsten Drumspur der Heavy Metalgeschichte musste nur kurz angespielt werden und ein Jubelorkan brach los. Für wohl nicht wenige Metalheads ging mit dieser Show ein Lebenstraum in Erfüllung.

Nach so einer Darbietung nicht unterzugehen muss gekonnt sein. Und was soll man noch sagen? Peter Tägtgren meisterte auch diese Aufgabe, diesmal mit Hypocrisy. Abermals demonstrierte der Skandinavier, dass er und seine Mitmusiker*innen ihr Handwerk schlicht und ergreifend gemeistert haben. Präzise, wie ein Uhrwerk, rollte das Death Metalkommando über das Trommelfell der begeisterten und zahlreichen Zuschauer*innen. Es schien egal, welchen Song die Schweden präsentierten. Rotierende und nickende Nackenmuskeln bewegten sich im Tack zu „Adjusting The Sun“ und teilweise wirkte das Infield eher wie ein Windpark im Miniaturformat.

Weniger tödlich, dafür mit mehr Horror und Rock’n’Roll, ging es kurz vor Schluss nochmal mit den finnischen Monstern von Lordi zur Sache. Was wohl nur wenigen wissen ist, dass die Band rund um Monsterboss Tomi „Mr. Lordi“ Putaansuu bereits seit 1992 existiert. Ein Denkmal schufen sich Finnen mit ihrem Sieg beim ESC 2006 in Griechenland mit ihrem populärsten Hit „Hard Rock Halleluja“. Selbstverständlich wurden der Songs zum Abschluss des Sets gespielt und textsicher mit gebrüllt, aber auch Lieder wie „Blood Red Sandman“ und „Who´s Your Daddy?“ fanden nicht wenige textsichere Fans vor der Bühne.

Ohne Metal, dafür mit viel Atmosphäre und Mystik, wurde das RHZ 2024 von der Pagan/Folk-Mittelalterband Faun beendet. Stimmungsvoll, mit abgestimmten Farben von der Lichttechnik in Szene gesetzt, kam es zum Schluss zu einem klangvollen Abschluss. Am Fuße der Teufelsmauer wahrlich ein geheimnisvoller Ausklang, nachdem wieder den ganzen Tag über Vollgas gegeben wurde. Zur späten Stunde war auch der letzte Ton irgendwann gespielt. Kurze Zeit später machten sich die zahlreichen Helfer und die Stagecrew daran die Bühnen abzubauen. Spätestens jetzt wurde auch dem letzten Gast klar: Das Rockharz 2024 war vorbei.

Fazit – ein Rückblich und ein Ausblick?

Bei seiner Abschlussansprache lies Buddy, Gründer des Rockharz, verlauten, dass das Festivals nicht mehr wachsen würde. In Anbetracht der Tatsache, wie (über-)voll das Infield, aber auch der Campground waren, ist das in der Tat eine frohe Botschaft gewesen. Nicht wenige teilten offen ihren Unmut über die Platzknappheit auf dem Rockharz. Vor allem auf den Socialmediakanälen wurden zum Teil wilde Geschichten veröffentlicht. Angeblich wurden Ticketinhaber*innen sogar gar nicht mehr auf den Campground gelassen, weil dieser bereits am Mittwochabend vollkommen ausgelastet gewesen sein soll. Besonders viel Unmut war von jenen zu lesen, die mit ihrem Privileg bereits am Dienstag angereist zu sein, damit bestraft wurden, am letzten Ende des Campgrounds zu campieren. Das scheint etwas Paradox, denn wie soll eine vorzeitige Anreise mit Aufpreis sich denn dann noch für die Gäste rentieren?

Auch der kilometerlange Rückstau am Dienstag stieß bei nicht wenigen RHZler*innen, die es betraf, sauer auf. Aber letztendlich sind das Punkte, mit denen sich jedes Festival dieser Größenordnung herumschlagen muss. Das Rockharz ist keine 2-Tages-Veranstalltung mehr, zu dem nur 5000 Leute erscheinen. Es ist mit 25000 eines der größten Metalfestival des Landes. Von 2009 bis 2024, also in den knapp 15 Jahren die es jetzt in Ballenstedt ist, hat sich die Größe (gemessen an Besucher*innen) verdreifacht und ist trotzdem weiterhin mit das familiärste Festival der Metalszene in dieser Größenordnung.

Über die Qualität des Sounds lässt sich bei Openairveranstaltungen immer sehr schnell die (vermeidliche) Schuld bei den Tontechniker*innen finden. Dass diese allerdings gegen die unbändige Gewalt der Natur ankämpfen müssen, scheint vielen egal zu sein. Bei den starken, teilweise stürmischen, Böen, war es kaum möglich auf dem Infield den Sound vernünftig zu streuen. Auch dieses Problem hat jedes Festival, das unter freiem Himmel stattfindet.

Dass Handeln der Verantwortlichen während der Unwetterphasen war absolut vorbildlich. Vor allem über die WhatsApp-Gruppe des RHZ konnten wichtige Information sofort und sehr schnell an die Besucher*innen weitergeleitet werden. Besonders zu erwähnen sind die zahllosen Helfer*innen, die aus Liebe zur Musik und zum Festival den Ablauf überhaupt erst möglich machen – danke an euch! Ihr seid der Hammer!

Letztendlich sieht sich das Rockharz mit all den Problemen, Herausforderungen und Aufgaben konfrontiert, wie jedes andere Festival im Metal auch. Es deswegen als „schlecht organisiert“ zu betiteln, wäre gegenüber den Helfer*innen und Veranstalter*innen nicht ganz fair. Perfekte Durchführung und Planung mag auf Papier möglich sein. In der Realität ist es eher unmöglich. Von daher sollten kritische Stimmen immer fair beseelt sein und nicht von Frust gesteuert sein.