Vom Mittwoch, den 18. bis Samstag, den 21. September hat in der Innenstadt der Hansestadt Hamburg wieder das größte Club-Festival Europas stattgefunden: das Reeperbahn Festival 2019. Klar, um und auf der Reeperbahn ist eh jeden Tag die Hölle los und dass in hunderten Cafés, Bars und Restaurants, Musikclubs sowie Theatern und Galerien. Wer denkt, da gäbe es keine Steigerung mehr, kennt die Reeperbahn nicht. Vier Tage lang haben 50.000 Festivalbesucher*innen bei der 14. Ausgabe vom Reeperbahn Festival rund 600 Konzerte von 412 Künstlern aus über 51 Nationen erleben können. Hinzu kommen 5.900 Fachbesucher*innen, die an 300 Programmpunkten wie Workshops, Sessions und verschiedenen Awards teilgenommen haben. Dabei ist der Stadtteil St. Pauli erneut zum Schmelztiegel der spannendsten, neuen, internationalen Talente geworden und hat der internationalen Musikwirtschaft unzählige Themengebiete wie Musik, Film, Kunst und Literatur geboten.
Die meisten Leute sind Fans einer Kneipentour durch den Hamburger Kiez. Mit einem Bier in der Hand von Bar zu Bar ziehen, und dass an einem lauen Sommerabend? Für wen das verlockend klingt, der ist beim Reeperbahn Festival gut aufgehoben. Hier zieht man jedoch nicht einfach nur von Bar zu Bar, sondern von Bar zu Kneipe zu Club zu Konzerthalle zu Café zu Club zu Theater zu Galerie zu Konzerthalle zum Party-Schulbus und alles auch wieder zurück. Es heißt also Gas geben und Schuhe tragen, mit denen man eine ordentliche Strecke über vier Tage lang zurücklegen kann. Und auch wenn das Festival mitten im September schon deutlich in den Spätsommer ragt, ist der Sonne-Wolken-Mix mit Temperaturen zwischen 12 und 20 Grad wie in diesem Jahr doch perfekt gewesen.
Praktisch, sich den Spiel- und Konferenzplan erst einmal auf den Tisch zu legen und dann die verschiedenen Veranstaltungsorte und Zeiten zu koordinieren. Danach führt ein erster Weg zum Festival-Village auf das Heiligengeistfeld, dorthin, wo sonst das beliebte Volksfest „Hamburger Dom“ stattfindet und direkt neben dem legendären St. Pauli Stadion – hier gibt es das RPF-Festivalbändchen und die Delegates-Pässe – und natürlich auch einiges zu erleben.
Mittwoch und Donnerstag
Wer das allererste Mal zum Reeperbahn Festival in Hamburg ist, für den lohnt sich ein Schlendern über die berühmte Amüsiermeile, um das liebevoll aufgebaute und geplante Innenstadt-Festival kennenzulernen. Wer aus Hamburg kommt oder schon öfter zu dieser Zeit zu Gast war, den erinnert sicher einiges an die letzten Jahre. Natürlich ist der gelbe Party-Schulbus wieder da, vor und in die Ska-Band Bazookas an allen Tagen mehrfach spielt und dabei Fans einlädt, zusammen das tonnenschwere Fahrzeug zum Beben zu Bringen. Das Festival Village, dass als idyllisches Künstlerdorf daherkommt, bietet viel Raum zum kreativen Netzwerken, Chillen und Erleben verschiedener Programmpunkte. Auch die St. Pauli Kirche ist wieder Bestandteil der Festival-Locations genau wie die Elbphilharmonie, dort werden Konzerte durch den einzigartigen Sound und die besondere Atmosphäre unvergesslich.
Mit der offiziellen Eröffnungsveranstaltung „Doors Open“ ist am Mittwochabend im Theater Stage Operettenhaus für die Medienvertreter*innen das Event eingeläutet worden. Charlotte Roche und Ray Cokes haben durch die Show geführt und einen künstlerischen Ausblick auf die kommenden Tage gegeben. Kaum bricht der erste Abend an, häufen sich auch schon die Meldungen „Einlassstop im …“ – egal, ob Imperial Theater, Schulmuseum, Prinzenbar, Knust, Große Freiheit oder das Docks. An diesen vier Festivaltagen platzen die Clubs aus allen Nähten, es heißt also sehr, sehr früh vor Ort sein. Und auch dann gibt es keine Garantie, wenn die „großen, beliebten Acts“ spielen. Man kann sich getrost bewusst machen, beim RBF geht es weniger um die bereits bekannten Top-Stars, eher um die Headliner von morgen.
Im kultigen Häkken, dem kuscheligen Club hinter der blendenden Medienfassade des Klubhaus St.Pauli am Spielbudenplatz, hat Musikstreaming-Dienst Deezer u.a. Newcomer und Sängerin Mathea aus Österreich geladen. Knapp 200 Leute passen ins Häkken, die junge Musikerin sorgt für volles Haus. Unweit des Häkken findet sich ein weiter musikalischer Höhepunkt und auch Top-Location am Spielbudenplatz: das Docks. Die beliebte Konzertlocation fasst 1.500 Besucher und auch dort ist es gerappelt voll. Die Sleaford Mods – ein britisches Electropunk-Duo bestehend aus Sänger und Rapper Jason Williamson sowie Musikproduzent Andrew Robert Lindsay Fearn – hat sich angekündigt. Hier gibt es ein minimalistisches Bühnenprogramm, dafür aber politische Texte verpackt in einen ungewohnt harten Sound, der wütend aber auch elektrisierend ist.
Am gleichen Spielort folgen wenig später die Leoniden, benannt nach einem Meteorstrom, schlagen diese Meteore sofort ein. Ihr Indie-Rock sorgt mit viel Synthie und ungezähmter Energie für große Begeisterung im Docks. Sänger Jakob Amr springt wie ein Flummi über die Bühne, Gitarrist Lennart dreht völlig durch. Er schmeißt sich die Gitarre auf den Rücken, beißt ins Mikrofon, verknotet sich fast in den Bühnenkabeln und befreit sich gerade rechtzeitig, um seinen Part weiter zu spielen. Eine Band, die vollen körperlichen und musikalischen Einsatz bringt und dabei sehr viel Spaß macht.
Am Spielbudenplatz gibt es neben vielen kulinarischen Leckereien auch mehrere Bühnen. Den erwähnten Schulbus, aber auch die große Spielbuden-Bühne sowie von Radio N-Joy den „Reeperbus“. Hier treten an allen Tagen verschiedene Künstler und Newcomer auf. So auch der aus Down Under stammende Dean Lewis. Jede Menge Mädels füllen die ersten Reihen, um den smarten Australier zu empfangen. Mit seinem soften Poprock und der großartigen Stimme, begeistert der charismatische Sänger am E-Piano und wird dabei von vielen textsicheren Kehlen begleitet. Kein Zweifel, dass es mit Dean Lewis noch weit nach oben geht.
Vor dem Imperial Theater, der größten Krimibühne Deutschlands, sammelt sich derweil eine ellenlange Schlange. Nicht, weil sich die Menschen dort einen der Krimiklassiker von Agatha Christie oder Edgar Wallace ansehen wollen, denn während des Reeperbahn Festivals wird der Spielbetrieb unterbrochen und hier findet am Donnerstagabend die Verleihung vom Helga! Award statt. Es ist die 7. Verleihung des beliebten Festivalpreises, bei dem insgesamt 6 sechs Kategorien ausgezeichnet wurden. Carsten Schumacher und Bernd Begemann führen durch ein charmant-witziges Abendprogramm, es sind ausgezeichnet worden:
Bestes Festival: Open Flair Festival
Feinstes Booking: Haldern Pop
Bestes Einbeziehen: Zurück zu den Wurzeln Festival
Größtes Glück für den kleinsten Geldbeutel: WATT EN SCHLICK FEST
Bestes-Sich-Neu-Erfinden: Artlake Festival
Inspirierendste Festival-Idee: alínæ lumr
Freitag und Samstag
Im Mojo Club direkt an der Reeperbahn geht es für uns los mit Sängerin Celeste. Mit den Singles „Chocolate“ und „Daydreaming“ hat sich Celeste vor über drei Jahren auf den einschlägigen Streamingplattformen als eine der vielversprechendsten neuen Soul-Stimmen profiliert. Das britische Soul-Talent präsentiert sich selbstbewusst und setzt ihre unglaublich gefühlvolle Stimme gekonnt ein, um für Gänsehaut im Saal zu sorgen. Dazu gibt es so smarte, zeitlose Lyrics, zusammen ist das einfach ein wunderbar authentischer Auftritt. Und alles gar nicht so weit entfernt von Legende Amy Winehouse. Wider im Musikclub Häkken, freuen wir uns auf den Schweizer Musikimport Linda Vogel. Die Singer-Songwriterin kommt mit ihrer Harfe auf die Bühne. Und dass so ein Instrument längst nicht „out“ ist, beweist die smarte Musikerin gekonnt im rappelvollen Saal. Emotional geladene Stücke, die uns durch die Harfe neue Klangwelten eröffnen und kombiniert mit den Drums der Bandbegeitung zwischen Wucht, Gefühl und Erlösung pendeln.
Den weiten Weg aus Australien haben die Pierce Brothers aka Jack und Pat Pierce zurückgelegt, um die Hamburger Zuschauer auf dem Spielbudenplatz so richtig in Wallung zu bringen. Neben einigen weiteren Auftritten in den Clubs der Reeperbahn, ist es nun Zeit für ihr Element, Straßenmusik. Die leidenschaftlichen Multiinstrumentalisten sind ein Garant für gute Stimmung, liefern mit kraftvollen Stimmen und treibenden Hooks jede Menge Ohrwurm-Flair.
Das Wahl-Berliner Dreigestirn des Alt-Folk begeistert nach zwei Jahren Pause diesen Jahr wieder auf Festivals. Ian Hooper, Claudio Donzelli und Craig Saunders bringen auch nach Hamburg genügend Material für eine tolle Live-Setlist mit, die sie aber dieses Mal mit Gänsehaut-Momenten in der St. Michaelis Kirche präsentieren. Wer die Band schon kennt, freut sich auf Musik, die sich um Themen wie Freundschaft, Liebe und Erinnerung dreht, und das in Songwriter-Qualität. Für alle Neuhörer der Mighty Oaks, ist die unschlagbare Live-Präsenz des Trios überzeugend, vor allem in diesem wunderschönen Ambiente untermalt von Akustik-Gitarre, Banjo oder Mandoline und dem dreistimmigen Satzgesang und schlichten Drums.
Mag jemand keine Überraschungen? Bestimmt nicht. Dachte sich bestimmt auch Kraftklub Frontmann und Sänger Felix Kummer, als er kurz vor dem Reeperbahn Festival einen spontanen Auftritt auf dem Hamburger Event ankündigte. Mehr konnten seine Fans allerdings erst wenige Stunden vor seinem Auftritt am Freitagabend erfahren. Und um den Überraschungs-Effekt perfekt zu machen, legte Kummer seinen Auftritt nicht gewöhnlich auf irgendeine Bühne – er kam auf einem Unimog direkt nach einem Bus an die Haltestelle vor der Davidwache, Beamer an die Wand mit Videos und zack, wird der Sound aufgedreht. Schnell versammeln sich massenhaft Menschen um die Haltestelle. Passend zum Solo-Pfad, den der Kraftkluber derzeit nebenher noch einschlägt und zur ersten eignen Single, gibt es mal Promo, die im Kopf und in den Ohren bleiben wird. Spitze!
Als direktes Heimspiel kann Musiker Lejo seinen Auftritt im Docks bezeichnen. Schließlich lebt der ambitionierte Popmusiker hier in Berlin. Der 24-jährige Sänger und Multi-Instrumentalist bringt gefühlvolle aber auch groovige Songs aufs Parkett, die sich stilsicher zwischen Pop und Funk bewegen. Auf der Spielbude wird es danach Zeit für Mia Morgan, die mit ihrem Songs „Waveboy“ bereits für Aufsehen gesorgt hat. Die junge Sängerin aus Kassel steht für catchy Hooks und clevere Texte, die sie gekonnt in ihren Gruftpop einwebt und ihren Auftritt mal bissig-ironisch, dann wieder introspektiv bis emotional gestaltet. Bereits beim LollaBerlin hat die Popsängerin die Herzen der Zuschauer erreicht und auch die Hamburger sind begeistert.
Die 19-Jahre-junge Amilli stamm aus Bochum und belegt am frühen Abend den N-Joy Reeperbus. Der Spielbudenplatz ist vor allem mit vielen jungen Fans gefüllt, die alle auf die Rap- und R’n’B-Sängerin warten. Die als Nachwuchstalent gefeierte Sängerin kommt mit melodisch angehauchten, souligen Vocals und poppigen Beats daher und weiß stilsicher und selbstbewusst zu überzeugen. US-Pop-Sternchen Charlie Hanson steh am Abend Docks auf dem Spielbudenplatz auf der Bühne. Dass diese junge Lady bereits jetzt über den Eintagsfliegen-Status hinausgewachsen ist, beweist ihr Liveauftritt einmal mehr, genau wie ihre grandiosen Songs „Numb“ oder „Back In My Arms“. Die eigenwillige Stimmperformance kombiniert sie mit wummernden Beats und bunten Synthmelodien, das kommt bei den Zuschauern im Saal richtig gut an.
Der britische Singer-Songwriter hat nicht nur mit seinem nagelneuen Album „Chaptera“ alles richtig gemacht – die tolle Stimme paart er mit wunderschönen Melodien und damit kommt er nahe ran an das, was seine Musikerkollegen Ed Sheeran und Shawn Mendes bieten. Auch wenn der noch so junge James TW hier bei uns noch nicht zu den Top-Stars gehört, lange kann das eigentlich nicht mehr dauern, das beweist er auch bei seinem Auftritt im Docks. Rau im Timbre, mit riesigem Umfang und einer Passion, die jede Silbe durchzieht, ist Kennedys Gesang der aktuell vielleicht beste Garant für minutenlanges Prickeln auf der Haut. Dermot Kennedy, der Ire, der als Straßenmusiker in Dublin bereits die Zuschauer verzückt hat, legt auch am Samstagabend im Docks die Messlatte für soften Folkrock sehr weit hoch. Melancholischer Soul-Epik der durch die Stimme des charismatischen Sängers voll zur Geltung kommt.
Reeperbahn Festival 2020: Tickets + Infos
Nach der erfolgreichen Länderpartnerschaft mit Australien liegt im kommenden Jahr der Fokus auf Dänemark. Vor dem Hintergrund des ersten Deutsch-Dänischen kulturellen Freundschaftsjahres wird Dänemark seine spannendsten Künstler*innen präsentieren Einblicke in den Musikmarkt unseres Nachbarlandes bieten. Ihr könnt euch auch schon auf den ersten Top-Act freuen, denn die australisch-malische Songwriterin Tash Sultana ist bereits bestätigt, ihr vielschichtiger Soundmix vereint mitreissend Elemente aus Electonic, Folk, Indie und Reggae.