Bruce Dickinson in Hamburg: The Mandrake Project


Bruce Dickinson in Hamburg 2024
Am Montag, den 18. Juni 2024 gab Iron Maiden-Legende Bruce Dickinson in Hamburg ein Solokonzert. (Bild: Mark Carstens)

Sommer 2024. Ganz Deutschland ist im EM Fieber und träumt von einem Sommermärchen. Nur ich bin auf dem Weg an allen Public Viewings vorbei um meinen Lieblings-Geschichtenerzähler live zu sehen. Als ich freudig verkünde, dass ich Bruce Dickinson live sehe, grinst mein Hip-Hop-hörender Kollege nur und fragt “Fliegt der mit seiner Boeing ein?”. Sonst guckt er mich immer nur fragend an wenn ich von meinen Konzerten erzähle und fragt: “Wer? Ach irgend so n Metal-Ding.”

Aber Bruce Dickinson ist halt nicht nur “irgend so n Metal-Ding”. Seit 1981 ist er der Frontmann von Iron Maiden, Pilot der Boeing 757 “Ed Force One”, Drehbuchautor, Autor der bei den Lesungen seiner Autobiographie auch zum anerkannten Stand-Up-Comedian mutierte, leidenschaftlicher Fechter, und seit diesem Jahr auch Namensvetter für den Stachelschwanzleguan Enyalioides dickinsoni.

Was man aber nicht vergessen darf ist, dass Bruce Dickinson schon vor Iron Maiden und auch während bzw. “zwischen” seiner Zeit bei Iron Maiden (also in der Pause von 1993 bis 1999) ein erfolgreicher Solo-Künstler war und ist. 19 Jahre mussten die “Bruce Bruce” Fans auf den Nachfolger von “Tyranny of Souls” warten. Aber Fans und Kritiker sind sich einig, dass sich das Warten gelohnt hat. Ich für meinen Teil habe bis zum Konzert gewartet und wollte Bruce die Gelegenheit geben, mir sein Wert “ungespoilert” live zu präsentieren. Und – Achtung Spoiler – es hat sich gelohnt.

Dominum

Aber bevor Bruce der Bändiger vom Iron-Maiden-Zombie Eddy auf die Bühne kommt, stehen auf einmal drei Metal-Zombies an Gitarre, Bass und Schlagzeug auf der Bühne. “Erschaffen” hat sie Sänger und Songwriter Felix Heldt, der als Modern-Day Dr. Frankenstein im Anzug mit Spazierstock auftritt und die Menge begrüßt. Dominum ist ein Power-Metal-Projekt aus Nürnberg, das mit einer leichten Prise von Epic Metal gewürzt ist. Dies liegt vor allem an der Stimme von Felix, die perfekt für langgezogene Screams geeignet ist. Dies beweist er unter anderem beim Scorpions-Cover, bei dem er “Here I aaaaaaam” (Rock you like a Hurricane) so schrill ins Mic screamt dass man Angst um die Sound-Anlage hat. 

Abgesehen von dem Cover handeln Dominums Songs von Vergänglichkeit und Untoten. Songs wie “Immortalis Dominum” und “Half Alive” klingen ein wenig nach Feuerschwanz und Saltatio Mortis, nur ohne Mittelalter und mit mehr Zombies. Im Gegensatz zu den eher finsteren Song-Texten und den enthaltenen Growl-Passagen schwingt bei den Songs immer eine Portion gute Laune mit, was an der eher hellen Stimme von Felix liegt, und den Power-Metal-typischen Chorus mit den langgezogenen Vokalen. Und daran, dass die Zombies sich nicht allzu ernst nehmen. Sie springen rum, headbangen bis man Angst hat der Kopf könnte abfallen und ins Publikum fliegen, und hauen hochmotiviert in die Saiten und auf die Drums. Auch Felix ist gut drauf. Er ist sich bewusst, dass er “die doofe Band vor der Hauptband” ist, bei der “alle nur darauf warten, dass es vorbei ist”. Trotzdem, oder gerade deshalb, gibt er alles um die Menge anzuheizen. Und die Menge macht mit. Mit dem letzten Song des Sets gibt es noch mal eine politische Botschaft. Egal wo man herkommt und wie man aussieht: “We all taste the same”. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Dominum am Ende ihres Sets einige neue Fans gewonnen hat. 

Bruce Dickinson

Nun steht er also auf der Bühne. Der große Geschichtenerzähler, der seit 1981 bei Iron Maiden die Abenteuer vom Zombie Eddy durch Raum und Zeit besingt. Der Pilot “Ed Force One” und Autor mehrere Bücher. Der Sänger, der einen Krebstumor an der Zunge hatte und den Krebs erfolgreich besiegt hat. Der darüber in seiner Biographie schrieb. Und der auf der Buchtour für seine Autobiographie als Standup-Comedian gefeiert wurde. Andere Sänger wie Rob Howard (Judas Priest) mögen eine weitere Stimm-Bandbreite haben, andere Songwriter können anspruchsvollere Melodien oder schnellere Songs schreiben. Aber für mich ist die Art, mit der Bruce in seinen Songs Geschichten erzählen kann, ungeschlagen. Und so ist auch das neue Album “The Mandrake Projekt” eine Sammlung von Geschichten. Allein dass bei der LP ein 7-Seitiges Comic über die Hintergrundgeschichte beiliegt, zeigt mir, dass Burce es vermutlich ähnlich sieht.

Mit dem Eröffnungssong “Accident of Birth” stürmt der Brite auf die Bühne. Die Große Freiheit 36 fasst 1650 Menschen und ist komplett ausverkauft. Aber die Halle wirkt zu klein für die Stimme, die Bühne zu klein für den energiegeladenen Sänger, der sie voll einnimmt und hin und her flitzt. Man glaubt nicht, dass Bruce schon 65 ist. “Accident of Birth” ist nicht aus “The Mandrake Project” sondern vom gleichnamigen Album ”Accident of Birth” aus 1997. Das Publikum stört es nicht, der Altersdurchschnitt ist etwas höher, hier sind nicht Maiden Fans, die auch mal Bruce alleine sehen wollen, sondern Fans von Bruce Dickinson, die auch seine früheren Alben kennen. Es folgt “Abduction” von “Tyranny of Death”, das vorletzte Album aus 2005. 

Alles Kraftvolle, schnelle Songs, die die Menge zum Tanzen und Headbangen auffordern während Bruce von links nach rechts und zurück über die Bühne hin und her flitzt, mit den Musikern rumflaxt, die Menge anheizt und seine Stimme zum besten gibt. Der Sound ist gut abgemischt, die Drums haben so richtig schön viel Druck ohne alles andere zu übertönen, und Gitarre und Bass können Gas geben ohne dass Burces Stimme untergeht. Die Backing-Voices treffen genau den Sweetspot wo man sie gut hört kann, ohne dass sie Bruces Stimme überdecken oder ihr “die Show stehlen”. Drei Songs powern Bruce und seine Band am Stück durch, erst dann macht er eine kurze Pause und kündigt nun den Eröffnungssong vom Mandrake Project an, der auch die erste Single ist: Afterglow of Ragnarok. Harte Riffs werden von einer Melodie getrieben, die finster und zugleich kraftvoll ist, und Bruce singt dazu heroisch von einer Bedrohung, die das Ende der Welt bedeuten könnte. Wer mehr wissen will, sollte sich das Musikvideo ansehen, ein Kurzfilm, der da ansetzt, wo der Comic aufhört. 

Es folgen weitere Songs vom aktuellen und vorherigen Alben. Alle kraftvoll, manche bedrohlicher, manche etwas fröhlicher. Alle perfekt gespielt und vorgetragen mit einer Energie, die man nur selten in so einer kleinen Location erreicht. Die Musiker verstehen sich ohne Worte, bewegen sich wie eins, und Bruce ist der Taktgeber, der Dirigent, nicht nur auf der Bühne, sondern auch für die Menge.  Mittendrin spielt er auch mal die Bongos bei “Chemical Wedding” und holt zu “Rain on the Graves” auch mal ein Theremin raus. Das ist dieses seltsame Instrument das so aussieht als hätte man eine Antenne senkrecht an die Kante eines Holzbriketts geschraubt, und dann bewegt man die Hände über dem Brett hin und her und man hört dazu passende Geräusche die einen an die Star Trek-Melodie erinnern. Die meiste Zeit treibt Bruce jedoch die Band, die Menge und sich selbst mit seiner Stimme an. Zu spät fällt ihm auf, dass es einen Fehler auf der Setlist gibt. So hat er bereits “Dark Side of Aquarius” gesungen, bevor es in die Zugabe geht. In den vorherigen Stationen der Tour war “Dark Side of Aquarius” immer das letzte Lied der Zugabe. Aber Bruce wäre nicht Bruce, wenn er es nicht sofort zugeben und selber darüber lachen würde. Nach dem obligatorischen “Von der Bühne gehen und dann zur Zugabe zurück auf die Bühne” wird es endlich etwas ruhiger. Der Gitarrist wechselt zur Western-Gitarre, und mit “Navigate the Seas of the Sun” singt Bruce von einer “kosmischen Liebesgeschichte, quasi Romeo und Julia, nur in Space”. Auch der nächsteSong “Tears of the Dragon” ist eher epischer Drachentöter Metal mit Gefühl. Am Ende allerdings wird noch mal mit kraftvollem Power-Metal Vollgas gegeben. Zwar nicht mit “Dark Side of Aquarius”, dafür aber “Road to Hell”. Was aber keinen der Fans auch nur ansatzweise stört. 

Erst nach dem Konzert im Gespräch mit anderen Besuchern fällt mir auf, dass Bruce keinen einzigen Song von Iron Maiden gespielt hat. Aber warum sollte er auch, er ist ja nicht nur der Sänger von Iron Maiden. Er ist so viel mehr.

Setlist – Bruce Dickinson in Hamburg 2024

1. Accident of Birth
2. Abduction
3. Laughing in the Hiding Bush
4. Afterglow of Ragnarok
5. Chemical Wedding
6. Resurrection Men
7. Rain on the Graves
8. Frankenstein (The Edgar Winter Group cover)
9. Book of Thel
11. The Alchemist
12. Darkside of Aquarius

Zugabe:
12. Navigate the Seas of the Sun
13. Faith
14. Tears of the Dragon
15. The Tower
16. Road to Hell