Im vergangenen Jahr hat der Schlechtwetter-Kelch auch nicht vor dem Mera Luna halt gemacht. Im Vorfeld hatte es viel geregnet, so dass haufenweise Matsch als unschönes Überbleibsel das gesamte Festivalwochenende begleitete. Natürlich haben 25.000 Gothic-Fans wie in jedem Jahr kostümiert und ausgelassen gefeiert. Das Mera Luna 2018 steht nun wieder unter einem günstigen Stern, schließlich steckt Deutschland seit Wochen in einer echten Hitzewelle. Am Wochenende zuvor hat sogar das matsch-berühmt-berüchtigte Wacken Open Air zum allerersten Mal in 29 Festivaljahren bestes Wetter erlebt. Nun ist das Wetter aber genau richtig, sonnig, leicht bewölkt und nicht zu heiß.
Fans düsterer Rock- und Elektroklänge nennen bereits seit Freitag früh die Campingflächen auf dem Flughafengelände in Hildesheim-Drispenstedt ihr aktuelles Zuhause. In den frühen Abendstunden starten dann Workshops und Lesungen, Bands und Künstler treten wie immer nur am Samstag und Sonntag auf. Das Maskenfest der Gothicszene bietet ein hervorragendes Musikprogramm, das mit Main Stage und Hangar gleich auf zwei großen Bühnen stattfindet. Als Headliner für den ersten Festivaltag hat Veranstalter FKP Scorpio die Top-Elektroband der 90er – The Prodigy – für das Line-up gewinnen können, hinzu kommen Künstler wie Tanzwut, Ministry, Lord of the Lost, Nachmahr, Apoptygma Berzerk, Welle:Erdball und viele viele mehr.
Natürlich geht beim Mera Luna 2018 absolut nichts ohne das berühmte Schaulaufen der Besucher – mit extravaganten Kostümen, phantasievollen Roben, mittelalterlichen Gewändern, bizarren Accessoires und gruseligen Masken. Und wer mag, bummelt über die große Shoppingmeile, kleidet und schmückt sich ein im Gothic-Ambiente-Zelt oder genießt Leckereien wie Met und Spanferkel im mittelalterlichen Dorf.
Eisfabrik
21 Grad und es schneit? Und ob, schließlich schenken wir unser Gehör den weißgewandeten Musikern von Eisfabrik. Um 13:15 Uhr ist die Hangar Stage bereits bis auf den letzten Platz gefüllt. Die treibenden Beats der Dark-Electro-Band aus Hamburg animieren vom ersten Takt an, sich zu bewegen. Da kommt die gesamte Menschenmenge in Schwung. Das eisige Trio besteht aus Dr. Schnee, Der Frost und Celsius bietet Future-Pop vom Feinsten und dazu ausdrucksstarken Gesang. Es fühlt sich an, als donnere der Transsibirische Express mitten über den Flugplatz Hildesheim. Dazwischen gibt es per Schaumkanone Kunstschnee der am Ende aber „nur“ hübsch ausschaut und nicht die Temperaturen senkt.
Zeraphine
Statt mit Solar Fake ist Sven Friedrich heute mit seinem zweiten Projekt Zerpahine und Partner Norman Selbig (beide ehemals von Dreadful Shadows) beim Mera Luna 2018. Entsprechend gibt es keine Future Pop-Sounds auf die Ohren, sondern guten handgemachten Dark Rock. Damit das klappt, haben die beiden Musiker – Friedrich ist Sänger, Selbig Gitarrist – noch Verstärkung im Sinne von drei Bandkollegen am Start. Die Gothic-Rock-Gemeinde kann sich an jeder Menge rockigen Titeln und melancholischen, düsteren Nummern erfreuen. Die gesangliche Interpretation von Friedrich gibt lebensnahe und identifizierende Gefühle einfach authentisch und emotional wieder, so dass man fast Gänsehaut beim Zuhören bekommt. Ob in deutscher Sprache wie bei den Songs vom Debütalbum „Kalte Sonne“ oder den neueren Nummern ab „Traumaworld“ die größtenteils in englisch sind – Zeraphine funktionieren in beider Weise gleich ausdrucksstark.
Tanzwut
Die Mittelalter-Rockband Tanzwut ist ein Garant für gute Stimmung. Wenn Sänger Teufel mit seinen Spielleuten die Bühne in Beschlag nimmt, gibt es viel zu sehen und noch mehr zu hören. Seit 1999 sind die Berliner, mit einigen Mitgliedern der Band Corvus Corax dabei, schon auf dem Musikmarkt unterwegs. Nach ihrem berühmt-berüchtigten Intro aus „Freude schöner Götterfunken“ heißt es direkt: „Schreib es mit Blut“. Die Menge tanzt unter der Anleitung des Teufels, wie das „Meer“. Teufel posiert in bester „Teufel Manier“ während der mittelalterliche Rocksound von Tanzwut lauthals vom Fanchor begleitet wird. Es ist eine explosive Mischung mit Pyrotechnik, aber vor allen Dingen sind die Musiker gut gelaunt. Egal ob zur melodischen Flöte oder dem wilden Dudelsack, der harten E-Gitarre oder der sanften Harfe, zur Musik von Tanzwut kann man einfach nur in Tanzlaune geraten.
Lord of the Lost
Die Hamburger Dark-Rockband Lord of the Lost hat am 3. August ihr neuestes Werk „Thornstar“ auf den Markt gebracht. Da liegt nichts näher, als es nun auch mit druckvoller Härte der versammelten Hörerschaft vor der Bühne live zu präsentieren. Die stilistische Ausrichtung der fünf Musiker hat sich von früheren, eher sanft-gotischen Klängen mittlerweile mehr hin zum Harten und Unmoralischem gewandelt. Auf der Bühne gibt es aber immer eine perfekte Mischung all ihrer Werke und so gibt Sänger Chris Harms (The Lord) auch immer mal wieder seine klangvolle Stimme zum Besten und sorgt damit für jede Menge Gänsehaut-Momente. Der Frauenschwarm ist voll und ganz in seinem Element und führt die düsteren Klänge der Band an. Melodisch und emotional, gespickt mit Industrial-Elemente und plötzlichen, explosiven Metalcore-Attacken so begeistern Lord of the Lost heute beim Mera Luna 2018.
The 69 Eyes
Als nächster Act macht sich die Dark Rock-Band The 69 Eyes bereit. Seit ihrer Gründung vor 28 Jahren in der finnischen Hauptstadt Helsinki, schauet die Truppe auf mittlerweile elf Studioalben zurück. Die auch immer wieder gern als Helsinki Vampires benannten Rockmusiker bringen ihren Sound geradewegs aus der Gruft auf die Bühne. Ihr Sleaze/Darkrock-Mix wirkt dabei nicht eine Sekunde langweilig und setzt immer wieder interessante Akzente in ihrem typischen Soundbild. Das ist Rock vom Feinsten. Frontmann und Sänger Jyrki 69’s typische Elvis-Stimme verschmilzt mit den knallharten Gitarrenriffs. Hier wird dem Düsterrock noch ein hocherotisches Blutsauger-Flair aufgesetzt. Fast alle Top-Lieder des dunklen Fünfers gibt es hier in ihrem Live-Setlist, also etwas für die neueren und älteren 69 eyes Fans beim Mera Luna 2018. Drauf los knüppeln können ja bekanntlich viele Bands, aber diese finnischen Jungs können Songs schreiben und schütteln dabei Ohrwürmer, ja fast schon Rock-Hymnen, nur so aus den Ärmeln. Straight
Welle:Erdball
25 Jahre Jubiläum feiern Welle:Erdball – das deutsche Elektrop-Pop-Projekt mit Hannes „Honey“ Malecki und Alf „A.L.F.“ Behnsen (sowie den beiden „neueren“ Bandkolleginnen Lady Lila und Fräulein Venus) in diesem Jahr. Das ist natürlich ein super Anlass um mal wieder beim Mera Luna in Hildesheim vorbei zu schauen, denn hier sind sie bereits einige Mal zu Gast gewesen und haben das Publikum jedes Mal wieder mit ihrem ganz eigenen Sound vom Hocker gerissen. Der Einsatz von Elementen aus der NDW sowie 80er Jahre Wave prägt ihre Musik, dazu gibt es provokante und ironische Texte. Auf insgesamt zehn Alben haben es Welle:Erdball in ihrer langen Schaffensperiode gebracht.
Apoptygma Berzerk
Gegründet haben sich Apoptygma Berzerk (abgekürzt APOP) bereits im Jahr 1989. Die vier Musiker sind mit 29 Jahren im Musikbusiness also alte Hasen, auch wenn es hier und da ein paar Mitgliederwechsel gegeben hat. In heutiger Kombination sind die Norweger jedenfalls gut eingespielt und aufeinander abgestimmt. Mit ihren Hits „Starsign“, „Major Tom“ oder „In this together“ bieten die Skandinavier eine perfekte Zusammenfassung ihres umfangreichen Repertoires an ohrwurmlastigem Future Pop. Auch wenn die Band sich gern immer wieder neu erfindet und mal experimentelle Klänge einbaut, die Stimme von Sänger Stephan Groth klingt zu allem unglaublich – da sind große Gefühle unter der Motorhaube. Beim Cover des Klassikers „Major Tom“ von Peter Schilling stimmt dann der Fanchor an um lautstark mitzusingen.
Nachtmahr
Bei Nachtmahr ist der Platz vor der Hauptbühne ordentlich gefüllt, Platz zum Tanzen wird hier aber trotzdem noch gefunden. Allerlei Hits führen die heutige Setlist an. Es dauert nicht lang und dann holt der „Tanzdiktator“ aka Thomas Rainer seine „Mädels in Uniform“ auf die Bühne und lässt eine Modenschau unterschiedlichster Uniformen auf der Bühne laufen. Das Projekt Nachtmahr von dem österreichischen Musiker ist bereits seit 11 Jahren auf Europas Bühnen unterwegs. Industrial und Aggrotech paaren sich hier mit kriegerischer Lyrik. Ein musikalisch einwandfreier Auftritt, bei dem die gute Akustik ihren Teil zu einem fabelhaften Konzerterlebnis beigetragen hat.
Ministry
Auf der Hauptbühne zeigt sich als nächste Band keine geringe als das US-Industrial-Metal-Flaggschiffs Ministry aus Chicago. Die Truppe um Frontmamn Alain „Al“ Jourgensen gilt als brachiales Industrial Monster das gerne und vor allem ordentliche Arschtritte verpasst. Aktuell als Sechser Kapelle präsentieren die Herren ihren harten Sound in düsterer Atmosphäre und übermitteln ihre anklagende, beklemmend wirkende Message, die im typischen Ministry-Stil durch den Einsatz von Samples erreicht wird. Ihr in den 80ern mit EBM versehene Sound hat sich mittlerweile durch insgesamt dreizehn Alben gepeitscht und gipfelt derzeit im neusten Werk, das auch erst seit März 2018 in den Plattenläden steht. Es hört auf den plakativen Namen „AmeriKKKant“ – ganz im Sinne der von Ministry gern politisch angeprangerten Probleme, greifen sie auch hier die gegenwärtigen Realsatire, dass Trump amtierender US-Präsident ist, auf. Rein gar nichts wird geschönt. Derzeit sind die Pioniere übrigens auf Deutschlandtour, wer hier also noch nicht genug auf die Zwölf bekommen hat, kann sich gerne noch ein weiteres Mal live der groben Kelle stellen.
In Extremo
Der Platz vor der Hauptbühne ist gerammelt voll, schließlich sind die Live-Auftritte von In Ex immer wieder ein Erlebnis. Über zwanzig Jahre bespielen die sieben Berliner nun die Bühnen sämtlicher Rock- und Metal-Festivals, kleine und große Hallen sowie die mittelalterlichen Pilgerstätten kreuz und quer in Europa. Aber In Extremo begeistern eigentlich die ganze Welt mit ihrer Musik. Mal laut, mal leise und gerne auch mal akustisch: mit dem Einsatz allerhand historischer Instrumente und vor Lebensfreude strotzender Texte, offenbaren In Ex eine fast vergessene Klangwelt. Mittlerweile sind sie die wichtigsten Spielmänner ihres Genres und dass sie nach wie vor Spaß auf der Bühne haben, zeigen Dr. Pymonte, die Lutter, Flex der Biegsame, Yellow Pfeiffer, Van Lange, Specki T. D. und das Letzte Einhorn beim Mera Luna zur Prime Time. Das Vorteil an In Extremo ist: man weiß immer, was man erwarten darf und wird nie enttäuscht. Sie bringen das Beste aus den beiden Welten Rock- und Mittelaltermusik zusammen.
The Prodigy
Grelle Lichtblitze zucken über die Bühne und schnell paaren sich Synthesizer-Klänge mit treibenden Beats. Was von In Ex übrig gelassen wurde, wird jetzt von Headliner The Prodigy restlos zerstört. Die Briten brennen ein musikalisches Feuerwerk ab und die tanzende Meute dankt es ihnen. The Prodigy spielen sich durch ihre langjährige Diskografie. In den 90ern hat die Band dafür gesorgt, dass der Musikstil Elektro überhaupt populär wurde. 27 Jahre, acht Studioalben und haufenweise Auszeichnungen später stehen sie nun auf der Mera Luna 2018-Bühne. Und es hat sich gar nicht so viel verändert. Krachende Bässe, extreme Licht- und Lasereffekte und der ausgeflippte Frontmann Keith Flint, der wie wild geworden über die Stage fegt. Nicht weniger auffällig ist Partner Keith Palmer (alias Maxim Reality), der erst im Pelzmantel bleibt, um später aber ähnlich flippig und mit Kung Fu-Einlagen herumzuwirbeln. Für Fans ihrer ganzen Klassiker, aber auch die der neuen Werkte gibt es aller Hand musikalisches Futter. The Prodigy sind ein energiegeladenes Gesamtkunstwerk.