Mera Luna 2023 Samstag – Wetter auf und ab, Magie und düstere Klänge


Mera Luna 2023 Samstag
Am Samstag, den 12. August 2023 starte der erste Festivaltag beim Mera Luna. (Bild: Birgit Lutterberg)

Das M‘era Luna 2023 entfesselt am 12. und 13. August seinen dunklen Zauber und ruft die schwarze Szene zur großen Versammlung auf den Flugplatz Hildesheim Drispenstedt. Seit nunmehr 23 Jahren ist dieses Event der Inbegriff für ein schaurig-schönes Treiben und die Nachtschwärmer lassen sich dieses Mond-Rendezvous nicht entgehen. Rund 25.000 Besucher strömen seit Jahren in Scharen herbei und das Resultat ist auch in diesem Jahr wieder klar: Ausverkauft! Und das Motto auf der Festivaltafel lautet: „The end of the Rainbow is not bright. It is black“.

Die zwei Bühnen des M‘era Luna verwöhnen die Sinne mit einem ausgewählten Potpourri schwarzer Subgenres. Für die Gäste heißt es, sich zwischen knapp 40 Bands zu entscheiden, keine leichte Aufgabe, denn die Auswahl ist wie immer überwältigend. Die zweite Bühne ist bereits in 2022 aus dem schwülen Hangar unter den offenen Himmel verlegt worden und steht auch in diesem Jahr wieder dieser Stelle – ein Aufatmen für die Festivalbesucher, denen somit lange Warteschlangen erspart bleiben. Die Club Stage, so heißt diese Area, ist zweifelsohne eine Top-Idee. Ein gigantisches, UFO-ähnliches Sonnendach verleiht dem Ort einen Hauch von Futurismus und dort fühlt man sich gleich wie auf einem anderen Planeten. Zumindest zeitweise bietet es auch Regenschutz bei den zwischenzeitlich starken Regengüssen.

Und apropos Wetter, dies meint es ja schon seit einigen Wochen nicht gerade gut mit Festivalgängern, Wacken, Deichbrand, alles Festivals die in den letzten Woche mit Regen und Schlamm zu kämpfen hatten. Aber nach all den verflixten Restriktionen durch die Pandemie in 2021 und 2020 ist das Wetter sowieso das letzte, worüber man sich beschweren mag. Die Leute stürmen schon vormittags das Festivalgelände und das Wetter hält sich die meiste Zeit des Tages mit einem Sonne-Wolken-Mix.

Natürlich wäre das M‘era Luna nicht dasselbe ohne sein abwechslungsreiches Rahmenprogramm, das die Gäste auf eine andere Ebene der Ekstase katapultiert. Warm-Up und After-Show-Partys, Lesungen, Workshops, Gothic Fashion Shows – die Liste ist lang und verlockend. Doch ein Highlight sticht besonders hervor: der legendäre Crypt-Talk, moderiert von Chefbooker Stephan Thanscheidt und dem unvergleichlichen Chris Harms von Lord of the Lost. Ihre Gespräche am Freitag sind wahrlich göttlich und verheißungsvoll! Und last, but not least, sollte man den Mittelaltermarkt keinesfalls unterschätzen. Dort treffen sich die Seelen von gestern und heute, und der Zauber vergangener Zeiten verbindet mit der Faszination des Jetzt. Ein Schmelztiegel der Kulturen und Ästhetiken, ein Paradies für alle, die dem schwarzen Herzen folgen.

Tanzwut

Die Mittelalter-Rockband Tanzwut ist ein Garant für gute Stimmung. Wenn Sänger Teufel mit seinen Spielleuten die Bühne in Beschlag nimmt, gibt es viel zu sehen und noch mehr zu hören. Seit 1999 sind die Berliner, mit einigen Mitgliedern der Band Corvus Corax, schon auf dem Musikmarkt unterwegs. Nach ihrem berühmt-berüchtigten Intro aus „Freude schöner Götterfunken“ heißt es direkt: „Schreib es mit Blut“, aber auch Songs wie „Die Tanzwut kehrt zurück“ oder „Was soll der Teufel im Paradies“ finden in der Setlist ihren Platz. Die Menge tanzt unter der Anleitung des Teufels, wie das „Meer“. Teufel posiert in bester „Teufel Manier“ während der mittelalterliche Rocksound von Tanzwut lauthals vom Fanchor begleitet wird. Es ist eine explosive Mischung mit Pyrotechnik, aber vor allen Dingen sind die Musiker gut gelaunt. Egal ob zur melodischen Flöte oder dem wilden Dudelsack, der harten E-Gitarre oder der sanften Harfe, zur Musik von Tanzwut aus insgesamt elf Studioalben kann man einfach nur in Tanzlaune geraten.

Megaherz

Nun finden harte Gitarrenriffs und laute Metalsounds Gehör. Die Münchener Vertreter der Neuen Deutschen Härte Megaherz drehen auf der Main Stage richtig auf und fordern den Zuschauern alles ab. Frontmann Alexander „Lex“ Wohnhaas ist energiegeladen und präsentiert mit seinen vier Bandkollegen u. a. Songs vom erfolgreichen und Ära-bereitenden Album „Zombieland“ sowie von acht weiteren Werken. Die Bandmitglieder, Wohnaas aber allen voraus, zeigen sich nicht nur als Meister an ihren Instrumenten, sondern auch als Künstler von Mimik und Theatralik. Die harten Klänge erinnern vielerorts an Hits von Oomph! oder Rammstein, macht aber nichts. Die hört hier auch jeder gern. Vor der Bühne brüllt der Fanchor jede Textzeile lauthals mit.

Diary of Dreams

Wer sich für eine gute Mischung aus Gothic und gutem alten Wave begeistern kann, der ist bei der nächsten Band eindeutig richtig. Bei Diary Of Dreams dreht sich inhaltlich alles um aktuelle Themen wie Kriege, Zerstörung, Fanatismus, Egoismus, Leid und Trauer. Es geht düster und brachial zu, dafür aber auch mitreißend oder mal nachdenklich. Ehemals dem Dark-Wave zugeordnet, hat sich die Band mit Sänger Adrian Hates mittlerweile Richtung Future Pop entwickelt. Entsprechend mächtig stampfen düstere Rhythmus-Bollwerke gegen massive Gitarrenwände an, während elektronische Sounds den charismatischen Gesang durch die Melodien tragen. Mit dabei haben sie Songs aus dem aktuellen Album „Melancholin“ das ganz frisch aus diesem Jahr ist und auch hier sind die Aussagen explizit und politisch. Der Band geht es vor allem darum, ihre Botschaften in Töne zu verwandeln – und diese werden gerne gehört und mitgesungen!

L’Ame Immortelle

Nach den Album-Erfolgen mit „Drahtseilakt“ (2014), dem 20-jährigen-Jubiläumsalbum (2016) sowie §Hinter dem Horizont (2018) knüpfen L’Âme Immortelle mit ihrem neuen Werk „In tiefem Fall“ (2022) genau dort wieder an. Das Duo, bestehend aus Thomas Rainer und Sonja Kraushofer, ist schon seit Jahren weit über die schwarzen Szene hinaus beliebt. Die Kombination der beiden herausragenden Stimmen zieht die Hörerschaft einfach in den Bann. Bei Thomas dringt die Black-Metal-Vergangenheit in seinem harschen Gesang hindurch, wohin gegen ein jeder von der engelsgleichen, perfekt ausgebildeten Stimme von Sonja verzaubert wird. Die charismatische Präsenz der Sängerin versetzt die Menge in einen tranceartigen Zustand, während Sonja mit ihrer kraftvollen Stimme die Geschichten von Liebe, Verlust und Leidenschaft zum Leben erweckt.

Joachim Witt

Altes Eisen ist das Stichwort für die nächste Show. Joachim Witt, der in diesem Jahr stolze 74 Jahre alt geworden ist, ist seit seinem Richtungswechsel hin zur Neuen Deutschen Härte Ende der 90er Jahre ein gern gesehener Stammgast auf dem Mera Luna Festival oder auch dem Plage Noire. Zuletzt ist Witt in 2019 hier in Hildesheim gewesen. Dem inzwischen komplett ergrauten und mit langem Rauschebart ausgestatteten Witt schlägt bei Betreten der Bühne frenetischer Jubel entgegen. Dieser wird auch im Verlauf des Auftritts nicht abebben, der hauptsächlich durch die düstere Schaffensphase des ehemaligen NDW-Recken führt. Sein Hit der “Goldene Reiter” darf natürlich nicht fehlen, ebenso wenig “Die Flut”, die ihm seinerzeit kommerziell einen zweiten Frühling beschert hat.

Project Pitchfork

Falls die M’era Luna-Besucher gemütlich zu weit abgedriftet sind, schleifen Project Pitchfork sie alle nun wieder über den Boden ratternd zurück. So hat Peter Spilles, nicht nur einen sondern gleich zwei Drummer mitgebracht. Mit Nachdruck wird also voll aufgedreht. In einem strudelnden Sog aus elektronischen Klängen und pulsierenden Rhythmen entführen Project Pitchfork das Publikum in eine andere Dimension. Jeder Song wurde zu einer spirituellen Reise und der Bogen, den Project Pitchfork auf musikalischer Ebene ziehen, lebt vom Wechsel aus Spannung, Entspannung, Harmonie. Weite Soundscapes und atmosphärische Arrangements, eine enorme Vielfalt an Klangmustern und der Reichtum an tonalem Detail lassen ihre Songs zu einer inspirierenden Erfahrung werden.

In Extremo

Der Platz vor der Hauptbühne ist gerammelt voll, schließlich sind die Live-Auftritte von In Extremo immer wieder ein Erlebnis. Über 28 Jahre bespielen die Berliner nun die Bühnen sämtlicher Rock- und Metal-Festivals, kleine und große Hallen sowie die mittelalterlichen Pilgerstätten kreuz und quer in Europa. Aber In Ex (so der Name bei den Fans) begeistern eigentlich die ganze Welt mit ihrer Musik. Mal laut, mal leise und gerne auch mal akustisch: aber vor allem durch den Einsatz allerhand historischer Instrumente und vor Lebensfreude strotzender Texte. Die Band offenbart eine fast vergessene Klangwelt. Mittlerweile gelten sie als die wichtigsten Spielmänner ihres Genres und dass sie nach wie vor Spass auf der Bühne haben, zeigen Dr. Pymonte, die Lutter, Flex der Biegsame, Van Lange, Specki T. D. und das Letzte Einhorn beim Mera Luna zur Prime Time. Besonders Frontmann Michael „Das letzte Einhorn“ Rhein verkörpert mit seiner charismatischen Stimme und fesselnden Bühnenpräsenz den wahren Geist des Mittelalter-Rocks. Die Setlist ist ein gelungener Mix aus alten Klassikern und neuen Hits, die alle Facetten der Band zeigen – epische Hymnen wie „Rasend Herz“ und „Küss Mich“ erzeugen eine euphorische Stimmung, während ruhigere Stücke wie „Liam“ für emotionale Momente sorgen. Das Vorteil bei In Extremo ist: man weiß immer, was man erwarten darf und wird nie enttäuscht. Sie bringen das Beste aus den beiden Welten Rock- und Mittelaltermusik zusammen.

Solar Fake

Nun ist es Zeit, dass wir auch die Club Stage besuchen, denn dort erklimmt Sven Friedrich mit seinem Synthpop-Projekt Solar Fake die Bühne. Er hat alles „Under Control“ und liefert Electro-Pop/Dark Wave vom Feinsten. EBM-Melodien gepaart mit der außergewöhnlichen Stimme von Frontmann Friedrich. Die Bühne ist dabei in ein futuristisches Lichtermeer gehüllt, während Friedrich mit seiner charismatischen Präsenz die Massen begeistert. Hits wie „Such a Shame“ und „Parasites“ werden zu wahren Hymnen, die von der Menge lautstark mitgesungen werden und die Setlist bietet eine gelungene Mischung aus eingängigen Melodien und kraftvollen Club-Tracks. Auch Bandkollege André Feller hinter dem Keyboard bringt die Menschenmenge in Wogen zum Tanzen. Vor einer Weile haben Solar Fake einen besonderen Schritt gewagt, nämlich Live-Auftritte in Form einer Akustik-Tour mit verstärkter Besetzung und das in Deutschlands heiligen Kirchenhallen. Fazit: Die Fans waren begeistert. Und heute? Natürlich kann das Duo auch beim Mera Luna 2023 alle Fans glücklich machen. Die Interaktion mit dem Publikum ist wie immer herzlich und authentisch, was die Band noch sympathischer macht.

Ville VAlo

Die Main Stage beherbergt zur guten Nacht noch einen besonderen Gast, den Teenie-Schwarm der 90er Jahre, Ville Valo – ehemaliger Frontmann der Love-Metalband HIM. Im Frühjahr schon auf erfolgreicher Tour in Deutschland, begeistert der Sänger nun mit neuem Solo-Album „Neon Noir“ während der aktuellen Festivalsaison. Und auch bei Rock am Ring diesen Juni sind die Fans begeistert gewesen. Mit “Echolocate Your Love” geht es nun direkt los. Und zack, als zweiter Song kommt schon der erste HIM-Klassiker mit “The Funeral Of Hearts”. Wer als Zuschauer hier ist, zeigt sich natürlich textsicher. Die Songs von „Neon Noir“ passen perfekt zu den alten Klassikern. Ville, der sich ja nie wirklich viel auf der Bühne bewegt hat, schnippst mit den Fingern im Takt, winkt dem einen oder anderen Fan zu oder verteilt auch mal ein Augenzwinkern. Kurze und knappe “Thank you”-Ansagen sind eigentlich so ziemlich, alles was das Publikum an sprachlicher Interaktion bekommt. Aber auch das ist schon früher so gewesen. Hin und wieder dirigiert er seine Band oder gibt den jeweiligen Einsatz hinter seinem Rücken vor. “Join Me” ist für alle Fans sicherlich DAS Highlight am gesamten Abend. Nostalgie pur. Der Finne liefert eine grundsolide Rockshow und zeigt, dass er Lust auf seinen Auftritt hat. Zur Freude aller sind die HIM-Klassiker auch so performt, wie sie im Original sind. Perfekte Show des Vollblut-Frontmanns.