Mera Luna 2022 Samstag – 25.000 Nachtschwärmer hatten Nachholbedarf


Mera Luna 2022
Am Samstag, den 6. August 2022 startete der erste Tag vom Mera Luna in Hildesheim. (Bild: Rüdiger Knuth)

Nach zwei Jahren Covid-Zwangspause kehrte diesen Sommer auch das M‘era Luna zurück und lockte die schwarze Szene am 6. und 7. August auf den Flugplatz Hildesheim Drispenstedt. Seit 2000 folgen die Nachtschwärmer dem Ruf des Mondes und haben das Festival zu einer fest etablierten Größe gemacht. So war es mit rund 25.000 Besuchern in den letzten Jahren auch immer ausverkauft.

40 Bands auf zwei Bühnen boten einen Querschnitt durch die mannigfaltigen schwarzen Subgenres und bescherten einem die Qual der Wahl. Ein Novum in diesem Jahr war die Verlegung der zweiten Bühne aus dem Hangar unter den freien Himmel, Adieu Einlassstopps und von der Decke tropfender Schweiß. Die Club Stage getaufte Area erwies sich als wahre Bereicherung. Ein gewaltiges, ufoartiges Sonnendach verlieh der Area einen futuristischen Look. Die allermeisten Besucher und Bands fühlten sich dort auf Anhieb wohl und im Gegensatz zur Main Stage hatte man hier zumindest zeitweise Schatten. Das Wetter meinte es gut mit den Festivalgängern, vielleicht sogar etwas zu gut, den die Sonne traf nur selten auf die schönen Wattewolken. Man merkte, dass alle nach den Restriktionen durch die Pandemie immer noch Nachholbedarf hatten. So tummelten sich schon vormittags viele Leute auf dem Gelände, gab es doch auch viel zu erleben, nicht nur musikalisch.

Wie üblich wartete wieder ein umfangreiches Rahmenprogramm auf die M’era-Gäste. Warm-Up und After-Show-Party, Lesungen, Workshops, die Gothic Fashion Shows, der Crypt-Talk mit Chefbooker Stephan Thanscheidt und Chris Harms von Lord of the Lost und nicht zu vergessen der beliebte Mittelaltermarkt.

SCHATTENMANN

Es stieg grüner Rauch auf und unvermittelt schossen mit einem lauten Knall Flammen gen Himmel, was bei einigen Besuchern für einen gehörigen Schreck sorgte. Aber es waren nur Schattenmann, die ihre Fans mit einem Salutschuss im „Schattenland“ willkommen hießen. Anfang des Jahres mussten die Nürnberger ihre „Chaos“-Tour erneut verschieben und entsprechend groß war die Freude der NDH-Jünger vor der Hauptbühne. Bei „Spring“ hüpften die Ersten dann brav mit Frontmann Frank Herzig um die Wette und spätestens bei „Generation Sex“ ließen sich dann alle zum Mitsingen hinreißen. Der „Amok“-lauf inklusive der funkensprühenden Kettensäge durfte natürlich auch nicht fehlen. Die ‚Schattenmänner‘ verabschiedeten sich mit „Cosima“ und der Aussicht auf ein Wiedersehen, als Support bei der Herbsttour von Eisbrecher, beziehungsweise auf ihrer eigenen Tour, die nun endlich im kommenden Frühjahr starten soll.

Ost+Front

Mit harten Gitarrenriffs ging es auch weiter. Provokation mit viel Kunstblut und Fetisch-Attitüde haben sich die Berliner von Ost+Front auf die Fahnen geschrieben und damit eine beachtliche Menge Leute vor die Main Stage gelockt. Und die wussten schon nach den ersten Tönen des zweiten Songs Bescheid: es startet die „Fiesta de Sexo“. Gut vielleicht hat es auch der riesige Sombrero von Eva Edelweiß verraten, Fakt ist, es wurde bis in die letzte Reihe gefeiert. Es folgten unter anderem das „Denkelied“, die Ost+Front-Version des Schlagers über den Massenmörder Haarmann, und das sicher auch unter ‚nicht Fans‘ bekannte „Mensch“. Zum Abschied stiegen schwarze Ballons gen Himmel und mit „Bitte schlag mich!“ beendeten die Hauptstädter ihr Set, bevor sie unter Spielmannsmusik von der Bühne marschierten.

The Lord of the Lost Ensemble

Das Lord of the Lost nicht nur Abriss-Party können, haben sie ja schon mehrfach unter Beweis gestellt, ihre ‚klassischen‘ Stücke kennen sicher viele von den Swan Songs Alben. Im feinen Zwirn und nicht wie sonst im punkig-zerfetzten Look traten die Herren um Chris Harms am späten Samstagnachmittag an, um vielleicht auch die letzten Skeptiker von ihren sanfteren Qualitäten zu überzeugen. Und die Ensemble-Show kam ab dem ersten Song „Lighthouse“ gut an. „Wir sind wieder zu Hause“ genoss der strahlende Frontmann die gute Stimmung. Man könnte meinen, wer gerade mit Iron Maiden unterwegs war und riesige Arenen bespielt hat, wäre vielleicht ‚satt‘, aber die Freude war der Band anzusehen. Harms merkte an, dass Mondschein zwar romantischer zu den düsteren Texten gewesen wäre, aber das störte das Publikum wenig. Da wurde zu „Six feet under ground“ Tango getanzt, es wurde mitgesungen, geklatscht und gefeiert. Das LOTL auch mit Ensemble ‚Wums‘ haben, zeigte sich spätestens bei „Loreley“, als auch die Geigerinnen nicht mehr auf ihren Stühlen sitzen bleiben wollten. Vor dem obligatorischen Abschiedsfoto wurde dann noch gemeinsam „Annabel Lee“ angestimmt und zur Autogrammstunde geladen.

LACRIMAS PROfUNDERE

Die last minute Absage von Megaherz am Freitagvormittag bescherte Lacrimas Profundere den nächsten slot auf der Main Stage. Und nun gab es feinsten Dark Rock statt Neuer Deutscher Härte. Sicher war manch einer traurig über den Ausfall, aber vor allem unter den weiblichen Festivalbesuchern gab es einige die von dieser Änderung begeistert waren. Wie heißt es so schön: des einen Leid ist des anderen Freud. Zu sehen bekamen aber alle etwas, denn Julian Larre ist ein wahres Energiebündel. Zu Songs wie „Like screams in empty halls“ und „Remembrance Song“ wirbelte er über die Bühne und machte beeindruckende Luftsprünge. Das der Sänger keine Berührungsängste hat, konnte man schon bei anderen Konzerten erleben und so sprang er bei „The Letter“ von der Bühne, um mitten unter seinen Fans zu sein. Das Publikum teilte sich und bot ihm so einen Laufsteg für seinen ‚Spaziergang‘. Die Band hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um beim M’era dabei zu sein und es sicher nicht bereut. Und die Zuschauer haben am Ende sicher die kurzfristige Änderung im Line-Up verschmerzt.

The Mission

Lang lang ist’s her, dass Andrew Eldritch Sänger der Szene-Ikonen Sisters of Mercy Wayne Hussey aus der Band warf und dieser mit The Mission seine eigene Goth-Rock-Combo gründete. Dementsprechend stand ein gediegener Herr im Sakko auf der Main Stage, die graue Mähne vom Wind zerzaust. „I wish I wore my hat – the wind is playing havoc“, scherzte er ob seiner ‚Sturmfrisur‘. Aber der Wind war nicht sein einziger Gegner: „You’re gonna get some tans, if you’re not careful. And we wouldn’t want that, would we?“, warnte Hussey das Publikum ironisch, das wie er in der Sonne vor sich hin brutzelte. Vor allem Lieder aus den erfolgreichen 80ern präsentierten die Briten ihren Fans. Songs wie „Beyond the Pale“, „Severina“ und „Wasteland“ konnten fast alle mitsingen. Die Ballade „Butterfly on a wheel“, wohl einer der bekanntesten und erfolgreichsten Songs der Band, sorgte für ein seliges Wogen und Singen der Menge. Ein entspanntes und nostalgisches Set, welches einen zufrieden zurückließ.

Blutengel

Blutengel polarisieren, die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Es lieben sie aber genug Leute, um den Platz vor der Main Stage ordentlich zu füllen und das obwohl es dort immer noch reichlich warm und kein Schatten in Sicht ist. Heiß wurde es Chris Pohl nicht nur von der Sonne, sondern auch vom ‚Feuerwerk‘ auf der Bühne: „Wir wurden gerade von unserer eigenen Pyro-Show ein bisschen getoastet, aber egal“. Da bei den Fetisch-Show-Einlagen zu Songs wie „Wer ist dein Meister?“, oder „Bloody pleasures“ gerne mit Kunstblut gearbeitet wird, musste in der Folge häufiger Mal durchgewischt werden, „Wischen Impossible“ kommentierte der Frontmann, das erneute Auftauchen eines Bühnentechnikers mit dem Putzlappen. Mit „Lucifer“ neigte sich das Set allmählich dem Ende und schon die ersten Pianoklänge lösten Begeisterungsstürme über diesen Klassiker aus. Nach „Reich mir die Hand“ verabschiedete sich die Band: „Bis zum nächsten M’era Luna!“.

Nitzer Ebb

Bereits seit Ende letzten Jahres muss die EBM-Institution Nitzer Ebb ohne ihren Frontmann Douglas McCarthy auskommen. Nach einem Zwischenfall bei der damaligen US-Tour war Bandkollege Bon Harris gezwungen, die ausstehenden Shows allein zu bestreiten. Zum Leidwesen der Fans hatte sich der gesundheitliche Zustand auch bis zum M’era Luna nicht ausreichend gebessert, so dass Harris wieder die kompletten Gesangsparts übernehmen musste. Keine schönen Umstände im Jubiläumsjahr, NEP feiern 2022 ihr 20-jähriges Bestehen. Da man aber nicht allzu häufig die Gelegenheit hat, die Briten live zu sehen, ergaben sich die EBMer nach anfänglicher Zurückhaltung in ihr Schicksal und gewährten Nitzer Ebb ohne Douglas eine Chance. Und zumindest in Bühnennähe wurden die Hits wie „Join in the chant“, „Control I’m here“ und „Let your body learn“ dann doch noch richtig gefeiert. Bleibt zu hoffen, dass sich der Fronter bis zur anstehenden Tour Anfang nächsten Jahres wieder erholt hat.

ASP ft. The Little Big Men

Um 22.45 Uhr war es dann endlich Zeit für den Headliner. Dass es zwischen Metal und Gothic doch gewisse Schnittmengen gibt, bewies ASP an diesem Wochenende in Person, hatte er doch am Vorabend noch auf dem Wacken gespielt. Und er betonte sich in beiden Welten sehr wohl zu fühlen. Los ging es dann direkt mit der ganz frischen Single „Die letzte Zuflucht“. Dass die Band viele glühende Fans hat, merkte man schnell. „Schwarzes Blut“ und „Weltunter“ führten zu kollektivem Ausrasten. Irgendwann blieb die Bühne eine ganze Weile dunkel und schließlich kam der Sänger mit einem Zylinder zurück und läutete damit den Beginn des zweiten Showteils mit The Little Big Men ein. ASP erklärte den Unwissenden nochmal kurz, dass sie zur Pentagrammophon-Tour mit TLBM quasi ihre eigene Vorband waren und dies aber auch der letzte Auftritt dieser Spaß-Formation sein würde. Mit „Ich will brennen“ ging dann der erste Festivaltag zu Ende.

Danke für den Text: Christina Meerkamp