Mera Luna 2022 Sonntag – kontrast- und facettenreicher zweiter Tag


Mera Luna 2022
Am Sonntag, den 7. August 2022 ging der zweite Tag vom Mera Luna in Hildesheim an den Start. (Bild: Rüdiger Knuth)

Nachdem der erste Festivaltag unter dem Motto „Welcome b(l)ack!“ stand, empfing die schwarze Anzeigentafel hinter dem Eingang die Besucher am Sonntag mit den Worten „Das glücklichste Schwarz des Jahres!“. Und auch der zweite Tag schickte sich an dem gerecht zu werden. Nicht nur noch mehr großartige Konzerte erwarteten die Gäste, sondern auch weitere Workshops und der Crypt-Talk. Während der beiden digitalen Ausgaben des M’era Luna ins Leben gerufen konnte man dem Gespräch zwischen Chris Harms von Lord of the Lost und M’era Luna Chefbooker Stephan Thanscheidt nun live beiwohnen. Außerdem gab es noch kurzfristig Zuwachs beim Workshop-Programm der M’era Luna Academy. Hinzu kamen Shibari Performances und mit dem Zodiac Talk ein astrologischer Vortrag über die Tierkreiszeichen.

the beauty of gemina

Wenn man die Schweizer The Beauty of Gemina spielen hört, denkt man unweigerlich an Bands wie die Sisters oder The Cure – feinster ‚old-schooliger‘ Gothic-Sound. Umso erstaunlicher, dass die Herren keineswegs Weggefährten dieser Combos sind, sondern sich erst 2006 gründeten. Sich ihrer ‚Verwandtschaft‘ aber durchaus bewusst, empfingen sie die Zuhörer mit dem Sisters-Cover „Nine while nine“. Nach den Erfahrungen vom Vortag sah man vor der Main Stage einige Schirme, zum Schutz des ‚gotischen‘ Teints. Sänger Michael Sele lobte aber das „wunderprächtige“ Wetter, denn bei ihrem ersten M’era 2011 hatte die Band mit Sturm und Wolkenbruch deutlich weniger Glück. Songs wie „End“, „One step to heaven“ und „Endless time to see“ drangen düster und melancholisch ins Ohr. Zum Abschied verwiesen The Beauty of Gemina noch auf ihre anstehende Tour im Herbst, die vor zwei Jahren auch der Pandemie zum Opfer fiel. Und falls die Damen und Herren in Berlin bis dahin noch was anderes beschlössen, solle man einfach in die Schweiz kommen.

Feuerschwanz

Ein wahres Kontrastprogramm gab es dann mit Feuerschwanz. Als sie Sasha mit „Kaufmann und Maid“ bei seinem ‚Ulk-Ausflug‘ ins Mittelalter-Genre unterstützten, konnten sie ihre humoristische Ader einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren. Und dass es gut ankommt, wenn man sich selbst nicht zu ernst nimmt, zeigte sich nun, denn es wurde richtig voll. Der Mittelaltermarkt wie leergefegt und auch weit abseits der Bühne wurde noch getanzt und mitgesungen. Das liegt sicher auch an den durchaus gut zu merkenden Texten: „Halt deinen Met fest auf dem Metfest“, „Untot im Drachenboot“. Schnell hatten die Musiker das Publikum auf „Betriebstemperatur“, da ließ man sich nicht lange bitten und sein „wüstestes Kampfgeschrei“ hören. Und damit auch wirklich alle mitsingen können, gab es noch „Dragostea Din Tei“ von O-Zone und „Warriors of the World United“ von Monowar auf die Ohren. Ein großer Spaß, wenn man sich darauf einlässt und die nötige Selbstironie hat.

Combichrist

Nicht weniger energiegeladen, aber deutlich düsterer wurde es nun mit den Mannen um Andy LaPlegua. „Heads off“ brüllte der Frontmann die Neue Single ins Mikrofon und es war gleich klar, wo die Reise hingeht, jetzt wurde es dreckig, laut und aggressiv. Fäuste wurden gereckt, es wurde ‚geheadbangt‘ und gehüpft, die Industrial-Core-Party war in null Komma nichts in vollem Gange. Die Hymne „Get your body beat“ entfesselte die Massen dann vollends. „Shit we’re not even supposed to be here today, but guess what – we’re here motherfuckers!“ kommentierte LaPlegua das Geschehen vor der Bühne und erinnerte noch einmal daran, dass Combichrist für die Crüxshadows eingesprungen waren. Mit „Blut Royale“, „Can’t control“ und „Maggots at the party“ hatten die Musiker noch reichlich ‚Tanzmusik‘ im Gepäck und nach diesem Abriss war eine Erholung bitter nötig!

VNV Nation Classical

Eine willkommene Pause gönnte dann Ronan Harris den Festivalbesuchern, der, unterstützt von der Philharmonie Leipzig, mit einem symphonischen Set aufwartete. Erst kürzlich feierte der Ire mit einem großen Geburtstagskonzert das über 30-jährige Bestehen von VNV Nation. Ohne Frage ist die Band inzwischen eine wahre Institution und gern gesehener Gast auf allen Szene-Festivals. „And now for something completely different“, begrüßte der Frontmann scherzhaft die Leute vor der Bühnen und die Streicher stimmten „Nova“ an. Schon nach diesem ersten Stück waren die Fans so begeistert, das der Sänger versuchte den Jubel mit „Wir haben mehr“ abzukürzen. Es folgte „Illusion“ welches mehr vom Publikum als von Harris gesungen wurde, was diesen sichtlich zu Tränen rührte. Bis in die hintersten Reihen schwelgte man verzückt in den wunderbaren Klassik-Versionen von „Further“, „The farthest Star“ oder „Resolution“. Ein Set das bei Ronan und seinen Fans gleichermaßen für Gänsehautmomente und feuchte Augen sorgte und sicher vielen in Erinnerung bleiben wird.

Schandmaul

Mit orchestralem Intro schlossen die ‚Schandmäuler‘ elegant an VNV an, um aber gleich darauf den typischen Sound mit Dudelsack und Drehleier hören zu lassen. Die „Herren der Winde“ hatten leichtes Spiel mit den Zuschauern, die sich auch unaufgefordert sofort an dem Reigen beteiligten. „Wir haben die große Ehre mit euch gemeinsam den Abend einzuläuten“ begrüßte Thomas Lindner schließlich die feiernde Menge. Einen kleinen Exkurs über ‚Ungerechtigkeiten‘ in Märchen gab es dann beim „Froschkönig“ – bei Schandmaul bekommt die Küchenmaid den Prinzen. Da Trinklieder unter Spielmännern und Mittelalter-Fans schwer beliebt sind, durfte ein solches natürlich auch nicht fehlen. Mit „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ bot man ein ebensolches dar und verwandelte die Menschen vor der Bühne in eine hüpfende und mitgrölende Einheit. Mit „Feuertanz“ ging das Spektakel dann schließlich zu Ende.

The sisters of mercy

Auch wenn beim diesjährigen M’era Luna einige ‚Veteranen‘ am Start waren, kann vermutlich keiner den Sisters den Posten als dienstälteste Band des Festivals streitig machen. 1980 gegründet und zwischendurch mehrfach umbesetzt, aufgelöst und wieder ‚reanimiert‘ hat die Band bis heute Kultstatus und gilt weltweit als bekanntester und wichtigster Vertreter des Gothic-Rock. Bekannt ist auch, dass bei den Konzerten der Briten gerne Nebel zum Einsatz kommt und so hüllten auch bei dieser Show wabernde Nebelschwaden die Bühne während des gesamten Sets in eine leichte Rauchwolke. Andrew Eldritch kann auf ein reichhaltiges Repertoire an Hits zurückgreifen, die auch über die Genre-Grenzen hinaus bekannt sind. Mit „First and last and always“, „Lucretia my reflection“ und „Temple of love“ konnte der Altmeister auch Leute überzeugen, die nicht wegen der Sisters da waren.

eisbrecher

Schöne Tage vergehen wie im Flug und so neigte sich das erste ‚Post-Pandemie‘ M‘era nun wirklich dem Ende zu, was aber nicht heißt, dass nichts mehr los war. Dass Eisbrecher zurecht Headliner des zweiten Festivaltages waren, bewies die schiere Menge an Leuten vor der Main-Stage. Und schon bei den ersten Tönen flogen die Arme gen Himmel und es ertönte ein kollektives „Hey, hey, hey“. Alexander Wesselsky erschien mit Tropenhut und stimmte „Verrückt“ an. „Willkommen zu Hause, schön das ihr da seid, schön dass wir noch leben“ wurden die Besucher anschließend begrüßt. Nach den ersten Songs verließ die Band kurzzeitig die Bühne und kehrte mit Mänteln und Pelzmützen zurück. Da war schnell klar, nach zwei Tagen ununterbrochenem Sonnenschein brach nun unerwartet die „Eiszeit“ an, inklusive Schneefall. Mit Fortschreiten des Konzerts stieg bei den Fans die Stimmung und beim Frontmann die Temperatur. Hatte er sich schon frühzeitig vom Frack befreit, musste die Krawatte auch irgendwann weg. Das weckte sofort Begehrlichkeiten und Alex ließ sich gern überreden das gute Stück herzugeben. Und wo er schon mal beim Publikum war, nutzte er bei „Prototyp“ die Gelegenheit einige Hände zu schütteln. Nach einer guten Stunde Show gönnten Eisbrecher der tobenden Masse noch zwei Zugaben und beschlossen ihr Set mit dem Falco-Cover „Out of the dark“. Aus den Boxen erklang Freddy Quinn „Junge, komm bald wieder“ und damit war nun wirklich Schluss mit dem M’era Luna 2022.