MS Dockville 2019 am Freitag: Billie-Eilish-Ville


MS Dockville 2019 Freitag
Was für ein 1. Tag beim MS Dockville 2019! Billie Eilish trat am Freitagabend auf. (Bild: stagr / Axel Schilling)

Vom 16. bis zum 18. August fand zum 13. Mal das wohl bunteste Musikfestival des Nordens statt: das MS Dockville 2019 in Hamburg. Wir berichten vom ersten Tag: Freitag. Obwohl das ganze Line-up spektakulär war, warteten doch alle nur auf sie: Billie Eilish.

Schon die Beginner haben gesungen: „Im Süden von der Elbe, da ist das Leben nicht dasselbe.“ Hamburg wird durch die Elbe in zwei Teile getrennt, die leider nie richtig zusammengefunden haben: den Norden, mit der prachtvollen Alster, um die sich die angesagten und herausgeputzten Stadtteilen drängeln – und den Süden, mit dem Industriehafen und Arbeiterstadtteilen, die größtenteils aus Ecken und Kanten bestehen. Leider machen Hamburger aus dem Norden viel zu selten den Sprung über die Elbe. Doch an einem langen Wochenende im August sind alle hier: beim MS Dockville Festival.

Moin Mülleimer-Maulwurf!

Auch dieses Jahr kamen die meisten Besucher für die Musik zum MS Dockville. Kein Wunder bei dem hochkarätigen Line-up: am Freitag waren Juju, RIN und Überheadliner Billie Eilish angekündigt. Doch weil das Dockville ein „Festival für Musik und Kunst“ ist, gibt’s zwischen all den großen und kleinen Bühnen viel Kunst, Kultur und Quatsch zu entdecken.

Als Fotograf Axel und ich gegen 15 Uhr das Gelände betraten, wurden wir von einem gigantischen Maulwurf begrüßt, der aus bunten Mülltonnen gefertigt war und sich mit seinen Riesenpfoten aus dem Dockville-Boden gewühlt hat. Noch bunter sind nur die vielen Gesichter von Künstlerin Bona Berlin, denen wir hier, da, dort und überall auf dem Gelände begegneten. Ein paar Meter weiter glotze uns ein meterhoher Holzkopf an, aus dem ein Baum wächst, der Jahr für Jahr größer wird. Hoffentlich geht der nie nie, nie zum Friseur. Als nächstes ging’s am großen Zirkuszelt vorbei, dann über einen Trampelpfad durch dichte Brombeerbüsche. Plötzlich standen wir vor einer bunten Lokomotive. Hier sollte später noch ein Electro-DJ auflegen.

Von Kleinkleinkleinbühne bis Großschot

Die bunte Lokomotive ist nur eine von vielen winzigen Bühnen, auf denen jetzt noch nicht viel, dafür später umso mehr los war. So schön und schräg wie ihre Architektur sind auch ihre Namen, zum Beispiel die pinke „¥€$ we can can“ Burg, der spießig-spaßige „Easy Kisi“ Wohnwagen, das „Butterland“ oder die „40ft Disko“, in der schon zu Electro getanzt wurde. Die drei größten Bühnen heißen allerdings Großschot, Vorschot und Maschinenraum.

Matija

Nachdem wir mit einem Begrüßungsbier das Gelände erkundet haben, ging’s zur zweitgrößten Dockville-Bühne: dem Vorschot. Hier spielte der erste Act des Tages: Matija aus München. Es ging direkt vielversprechend los, als Sänger und Gitarrist Matt Kovac eine Blockflöte rausholte, um eine electropopige Melodie zu spielen, die wenige Takte später zu wunderbar treibendem Alternative-Pop/Indie-Rock wurde.

Als ich mich kurz umgedreht habe, wunderte ich mich gewaltig: Wo kommen die ganzen Menschen plötzlich her? Gerade war’s noch leer vor der Bühne, doch beim ersten Song sind die Fans aus allen Richtungen zu Matija geströmt und haben die Band gefeiert. Auch Matt Kovac konnte die Freude nicht verbergen: „Wir hätten nie gedacht, dass wir mal auf dem Dockville spielen! Das ist so verfickt geil!“ Yepp, das war es.

Cassia

Nächste Station: Maschinenraum. Die kleine Bühne versteckt sich in der Nähe der Hautbühne und ist immer wieder für eine Überraschung gut. So eine Überraschung war auch die Indie-Rock-Band Cassia, die hier um 17:30 angekündigt war. Schon beim Aufbau der Instrumente konnten wir sehen, dass uns was Besonderes erwartet: der Drummer hatte große, traditionelle Percussion-Instrumente ins Drumset eingebaut. Nach einem etwas längeren Soundcheck ging’s dann endlich los: die Band aus Manchester, die nicht mehr lange ein Geheimtipp sein wird, spielten Indie-Rock, bei dem sich alles irgendwie verspielt und nach guter Laune anhört.

Juju

Unser erstes Konzert auf der großen Hauptbühne, dem Vorschot: Juju, eine Rapperin aus Berlin. Sie ist bekannt als eine Hälfte des Hip-Hop-Duos SXTN und jetzt solo unterwegs. Nura, die andere Hälfte, wird übrigens am Samstag zu Gast auf dem Dockville sein. Zwei SXTN-Konzerte zum Preis von einem, was will man mehr?

Eine Windböe fegte über das Publikum, als Juju auf die Bühne kam und die jubelnden Fans begrüßte: „Hamburg, was geht ab?!?“ Das ging ab: der Song „Coco Chanel“, zu dem direkt alle Hände hochgingen, später dann auch „Live Bitch“, ihr wohl bekanntester Song. Juju war gut drauf, die Fans auch: Mit einen lauten „Prost, ihr Säcke!“ gönnte sie sich einen Schluck von ihrem Drink, die Fans antworteten „Prost, du Sack!“ und nahmen einen tiefen Schluck von ihrem Bier. Dieses Spiel sollte sich nochmal wiederholen, was sicherlich auch zur guten Stimmung beigetragen hat – auf der Bühne und davor.

Bausa

Bausa. Bausa. Bausa. So stand es gleich dreimal auf dem großen Banner, das die Hauptbühne verdeckte. Schon jetzt war es vor dem Großschot rappelvoll: Fans drängten sich bis weit nach hinten und über die Deiche links und rechts der Bühne. Wie wird das später erst bei RIN aussehen? Oder gar bei Billie Eilish?

Das große Banner wurde ein letztes Mal vom Wind aufgebläht wie ein dicker Bierbauch, dann fuhr es nach oben und Bausa kam auf die Bühne. Zu lautem Jubel ging’s los mit dem Song „Intro (Radio)“, gefolgt vom Hit „Casanova“. Alles etwas prollig, aber wer sich mit Bausa und seinen Texten beschäftig, merkt, dass er überraschend reflektiert ist, zum Beispiel im Song „Weiß noch nicht wie“.

Die Fans sangen jeden Song lauthals mit, mittlerweile wurden die ersten Mädchen von den Securities aus Publikum gezogen. Kein Wunder, in vielen Bausa Songs geht’s – neben den üblichen Angeber-Themen wie Cash, Money und dem täglichen Hustle – auch um Liebe, Herzschmerz und dem Gefühl, hin- und hergerissen zu sein. Und das verpackt in Refrains, die einfach mitzusingen und mitzufühlen sind.

boy pablo

Die norwegische Dream-Pop-Band durften wir schon auf dem Sziget Festival in Budapest erleben. Als Sänger Nicolas Pablo Muñoz und seine Band beim Soundcheck auf der Bühne waren, wurden sie von manchen Dockville Besuchern vielleicht etwas unterschätzt. Die Jungs sehen einfach superjung aus. Doch als sie dann loslegten, Pablo vor lauter Freude direkt der Schellenring aus der Hand flog und sie extrem tanzbare Songs wie „Feeling Lonely“ spielten, lösten sich alle Zweifel in Hamburger Seeluft auf. Die Fans tanzen, jubelten und feierten ausgelassen bei jedem Song. Die Lieder von boy pablo klingen beim ersten Anhören alle irgendwie gleich. Aber schon beim zweiten Mal merkt man, wie eingängig und facettenreich sie sind. Also unbedingt auch ein drittes, viertes und fünftes Mal anhören.

RIN

Auf der Hauptbühne stand kurze Zeit später der erste richtige Headliner auf dem Programm: RIN. Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn. Als Hip-Hop-Head der 90er habe ich lange gebraucht, um mit RINs verstrahlten Autotune-Cloud-Rap warm zu werden. Bei den Fans, die vor der Bühne standen, ging das etwas schneller.

Als RIN, die Pumuckl-roten Haare unter eine Cap versteckt, um 20:20 seinen ersten Song „Avirex“ spielt, wird jede zweite Zeile von den Fans gerappt. Auch bei den Songs „Need For Speed“ und „Nightlife“ war das Dockville-Publikum erstaunlich textsicher. Vor dem nächsten Song hat RIN zur Sicherheit nochmal gefragt: „Seid ihr bereit? Ich hoffe ihr überlebt den Bass.“ Als Antwort gab’s lauten Jubel – und als Dank den Song „Bass“, der die Fans dann vollends ausflippen lies.

Billie Eilish

Der engste Platz der Welt? Normalerweise die U-Bahn von Tokio. Gestern Abend sollte es der Platz vor dem Großschot werden. Anscheinend war das halbe Festival auf dem Weg hier hin. Neben mir brüllt ein junger Typ ins Handy: „Hauptbühne, Alter! Hauptbühne!“

Wohin sonst? Hier war um 22:00 Billie Eilish angekündigt, das wohl größte Musikphänomen der letzten Jahre. Billie ist gerade mal 17 Jahre alt, Electro-Pop-Sängerin, stolzer Weirdo und außer Kontrolle geratenes Fashion-Experiment. 2015 veröffentlichte sie ihren Song „Ocean Eyes“ und wurde fast über Nacht berühmt. Normalerweise dauert das ja etwas länger.

Viele Dockville-Besucher waren am Freitag wahrscheinlich nur wegen Billie da. Sie belagerten schon viele, viele Stunden vor dem Auftritt die vorderen Reihen. Weil das ziemlich kraftraubend ist, wurden die ersten geschwächten Mädels schon aus dem Publikum gezogen, bevor Billie überhaupt loslegen konnte.

Um für gute Laune zu sorgen, wurde auf der Bühne eine gruselige, bedrückende Animation abgespielt. Kurz darauf war es dann soweit: Billie! Eilish! Sie sprang mit knallgrünen Haaren und in knallgrünen, wild bedruckten Klamotten auf die Bühne. Das war der Moment, auf den all die Fans den ganzen Tag gewartet haben. Und sie wurden nicht enttäuscht: Zur Begrüßung spielte sie ihren aktuellen Hit „Bad Guy“ und brachte die Massen schon mit dem ersten Song in einen kollektiven Billie-Rausch.

Leider konnte man von ihrem Gesang, der eh schon gesungenes Geflüster ist, nicht viel hören: das Mikro hätte ruhig etwas lauter sein können. Doch das war den Fans schnuppe, sie haben eh alle Zeilen mitgesungen. Und das bis zum letzten Song.

Wer war sonst noch da?

Shacke One. Der Battleking aus Nord-Berlin hat im Maschinenraum zu feine Boom Bap Beats gerappt. Lasst euch nicht von den prolligen Prollo-Texte irritieren. Shacke One hat Flow, Humor und eine eiserne Leber.

Cari Cari. Die österreichische Band hat beim diesjährigen Dockville die Hauptbühne eröffnet. Die beiden Musiker haben unaufgeregten, coolen Indie-Rock gespielt. Und das mit einem für Indie-Rock eher untypischen Instrument: einem Didgeridoo.

Golden Dawn Arkestra. Die Band sah mit ihren Masken, den Kostümen und der bunten Schminke vielversprechend aus: ein irrer, intergalaktischer Folklore-Style, der uns direkt neugierig gemacht hat. Leider hat der Soundcheck viel zu lange gedauert, deswegen haben wir die Band verpasst. Wir mussten weiter.

Meute. Die Marching-Band aus Hamburg ist jetzt schon legendär: statt klassischer Blasorchestermusik spielten sie Techno. Richtig gelesen: Techno. Und das in Formation, mit Pauke und Trompeten. Unbedingt mal live anschauen.

Parcels. Waren nach Billie Eilish wie Urlaub. Die Disco-Pop Band aus Australien musste nur zwei Takte spielen, sofort nickte der Kopf und ich hatte ein seliges Grinsen im Gesicht.

Wie geht es weiter?

Heute steht Tag 2 auf der Matte: Samstag. Auf der Bühne stehen Loyle Carner, Jungle, Von Wegen Lisbeth und viele mehr. Wir stürzen uns jetzt ins Getümmel und werden morgen berichten. Dranbleiben!

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