Auch der zweite Festivaltag beim LollaBerlin 2023 stand wettertechnisch unter besten Bedingungen und ebnete damit erneut ein buntes Schaulaufen mit tollen Kostümen, viel nackter Haut und modischen Highlights aber auch Fehlgriffen (Hauptsache selbstbewusst präsentiert). Das Festivalkonzept ging wie immer weit über musikalische Erfahrungen hinaus. Wie jedes Jahr konnte sich neben dem umfassenden musikalischen Repertoire auch das Rahmenprogramm des LollaBerlin sehen lassen. Der „Grüne Kiez 2023 – reimagine a sustainable future“ war wieder Teil des Festivalkonzepts – Projekte, Vereine, Institutionen konnten sich vorstellen, die sich der Gestaltung einer besseren und nachhaltigeren Gesellschaft verschrieben haben, aber für die Besucher ging es vor allem ums Ausprobieren, Mitmachen und Mitgestalten zu Themen ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit.
Im Fashionpalooza-Bereich boten sich wieder allerhand Plätze, so konnten die Modebegeisterten sich in kreativen und frische Motiven ablichten und präsentieren. Im Kidzapalooza kamen Familien mit ihren kleinen Festivalbesucher:innen auf ihre Kosten – es gab Platz zum Spielen, Toben und Wohlfühlen und dazu Musik und spannende Mit-Mach Aktionen. Zu guter letzt konnte man wieder eintauchen in bunte Fantasien, Kuriositäten und Spielereien, unterstützt durch Künstler und Akrobaten aus alle Welt. Und wer einfach nur Zeit mit Freunden bei einem guten Wein oder die vielen kulinarischen Leckerbissen probieren wollte, der hatte im Weingarten oder der Street Food-Area zahlreiche Möglichkeiten dazu. Das Lollapalooza etablierte sich übrigens nicht nur in Berlin, sondern auch international. Neben dem Ursprungsfestival in Chicago, USA, gehören mittlerweile auch Chile, Argentinien, Brasilien, Frankreich und Schweden zur großen Lolla-Familie. Hier ist definitiv noch Raum für weitere Mitglieder dieser Festivalgemeinschaft.
Only the Poets + Chase Atlantic
Die vier britischen Musiker Tommy Longhurst, Andy „Roo“ Burge, Clem Cherry und Marcus Yates – zusammen Only the Poets – standen zur frühen Nachmittagszeit auf der Main Stage North. Diese englische Band zeigte uns ihre einzigartige Fähigkeit, Indie-Rock und Pop-Musik zu schaffen, die nicht nur die Ohren, sondern auch das Herz und die Seele berührt. Die Show begann mit einer leisen Melodie, die sich langsam in einen beeindruckenden Klangteppich verwandelte. Die Band bewies ihre Virtuosität, indem sie mühelos zwischen verschiedenen musikalischen Stimmungen und Genres wechselten. Ihre Songs, die von lyrischer Tiefe und eingängigen Harmonien geprägt waren, konnten die Zuschauer auf eine poetische Reise durch das Leben und die Liebe mitnehmen. Die Bühnenpräsenz der Band war ebenso beeindruckend wie ihre musikalische Darbietung, während die Interaktion mit dem Publikum herzlich und einladend war.
Fünf Australiern gehörte danach die Aufmerksamkeit der Besucher auf der Main Stage South. Die Alternative-Musiker Chase Atlantic lieferte eine Show mit einer Setlist aus 12 Jahren Bandhistorie, die mittlerweile fünf Alben umfasst. Chase Atlantic bewiesen, dass sie weit mehr als nur eine Band sind – sie sind eine kreative Kraft, die das musikalische Spektrum erweitert. Das Konzert begann mit einer vibrierenden Energie, als Chase Atlantic die Bühne betraten. Die Band verschmolz geschickt Elemente aus Alternative Rock, Pop, R&B und elektronischer Musik, um eine Klangexplosion zu erzeugen, die die Genregrenzen mühelos überschritt. Von einfühlsamen Gitarrenriffs bis zu den elektronischen Synthesizern und der kraftvollen Schlagzeugarbeit boten sie eine breite Palette von Klängen und Texturen, die ihre Songs belebten. Was Chase Atlantic so besonders macht, ist ihre künstlerische Unabhängigkeit und ihr Wagemut, sich über die erwarteten Konventionen hinwegzusetzen. Sie sind keine Band, die sich auf ein bestimmtes Genre festlegt. Stattdessen nehmen sie die Freiheit, verschiedene Stile zu erkunden, um etwas vollkommen Neues zu schaffen. Dies spiegelte sich in ihrem Auftritt wider, der eine Reise durch verschiedene musikalische Welten darstellte.
Bilderbuch + Jason Derulo
Es folgte eine beliebte Band aus Österreich auf der Main Stage North, bei der es nicht leicht ist, zu erklären, was genau Bilderbuch eigentlich ausmacht. Die Melange aus Soul, Funk, Hip-Hop, Boyband und Austropop war einfach magisch. Hier mixte sich Lässigkeit, Melancholie, hintergründiger Humor und jede Menge witziger Schwachsinn zusammen. Die Art, wie Lead-Sänger Maurice Ernst nach Belieben die deutsche Sprache stauchte und dehnte und mit englischen, spanischen, wienerischen, italienischen Elementen spickte und neu erfindet, einfach großartig. Das Publikum gerät sofort in Ekstase, wenn Gitarrist Michael Klammer sich um seine Gitarre windet oder Peter Horazdovsky seine Bassgitarre bearbeitet. Drummer Philipp Scheibl schleppt den Beat genau richtig durch das Hurricane-Live-Set und Maurice schreitet gockelhaft auf der Bühne umher – nur um dann lasziv seinen Allerwertesten in die Menge zu strecken: „Sag es laut. Jaul es raus. Gib es zu. Du bist hinter meinem Hintern her.“
Die drei Met-Brüder Adam, Jack und Ryan (AJR) aus New York spielten danach auf der Alternative Stage. Der familiäre Zusammenhalt spiegelte sich nicht nur in ihrer Musik aus Indie-Pop, Elektro-Elementen und eingängigen Melodien, sondern auch in ihrer Bühnenpräsenz wider. Die Band schaffte es mühelos, eine emotionale Resonanz herzustellen, die weit über die typische Popmusik hinausging. Die Dynamik zwischen den drei Brüdern war ein herausragendes Merkmal des Konzerts. Ihre Interaktion auf der Bühne zeugte von jahrelanger gemeinsamer Musikarbeit und schuf eine intime Atmosphäre. AJR zeigte auch ihre vielseitigen musikalischen Fähigkeiten. Von gefühlvollen Balladen bis zu mitreißenden Pop-Hymnen beherrschten sie ein breites Spektrum an Stilen und Instrumenten. Ihr kreativer Umgang mit Samples und elektronischen Elementen verlieh ihren Songs eine besondere Tiefe. Mit ihrer einzigartigen Kombination aus musikalischem Talent, harmonischem Gesang und kreativem Songwriting bewiesen AJR, dass sie zu den aufregendsten Indie-Pop-Acts der heutigen Zeit gehören.
Zwar hat der schnittige R&B- und Pop-Sänger Jason Derulo aus den USA seit 2015 kein neues Album mehr am Start, in den Charts ist er mit seinen aktuellen Hits wie „Glad U Came“, „When Love Sucks“ oder „Jalebi Baby“ dennoch regelmäßig zu hören. Kein Wunder dass er beim Lolla am Sonntag als großer Headliner gehandelt wird – leider genau parallel zu den Imagine Dragons. Ein unschöne und schwere Entscheidung für die Besucher. Das Olympiastadion war rappelvoll, die Perrys Stage hüllte sich in geheimnisvolle Nebelschwaden. Und alle warteten auf ihn: Jason Derulo. Plötzlich stand er auf der Bühne. Begleitet wie ein Stammeshäuptling, mit stylischer Lederjacke, umkreist von einigen weiblichen sowie männlichen Tänzern. Jacke und TShirt verschwanden aber nach und nach, war ja schließlich heiß draussen und gefühlt gab das einigen Damen im Publikum schon den Rest. Kreischalarm und Hysterie, denn er war ja nun halb nackt. Besonders gut gewählt war die Setlist, die eine breite Palette von Genres, von Pop über R&B bis hin zu Dancehall umfasste und trotzdem konnte der Musiekr dabei seinen eigenen einzigartigen Stempel auf die Musik setzen. Gesanglich und optisch war an dieser Show rein gar nichts auszusetzen. Jason Derulo lieferte mit den eingängigen Melodien und mitreißenden Beats eine grandiose Show und wickelte wortgewandt alle Besucher im Publikum mit Witz und Charme um seine Finger.
Lovejoy + SDP
Es folgte ein Indierock-Erlebnis, das keine Wünsche offen ließ. Die britische Band Lovejoy trat gegen 17:30 Uhr auf der Alternative Stage auf und es war richtig voll. Frontmann Wilbur Soot und seine Bandkollegen waren in bester Laune und eröffneten die Show mit ausgelassener Energie. Ihr unverwechselbarer Indierock-Sound mit eingängigen Melodien und treibenden Rhythmen sorgte direkt für eine mitreißende Stimmung. Die Bühnenshow war zwar sehr schlicht, doch die Gruppe ließ ihre Musik für sich sprechen, ohne auf ausgefallene Effekte oder Bühnenbildelemente zurückzugreifen. Hier ging es vor allem um die Musik und die Verbindung zwischen Band und dem Publikum. Mit Hits wie „One Day“, „S.O.S“ und „Big Mouth“ oder „Everybody Hates Me“ aber auch Songs vom aktuellen Werk „Wake Up & It’s Over“ aus diesem Jahr begeisterten sie die Menge. Ihre unverkennbare Musikalität und die ehrliche Bühnenpräsenz machen sie zu einer Band, die man unbedingt live erleben sollte.
Ein Heimspiel für die Spandauer Band SDP, die beiden charmanten Wort-Akrobaten kennt man für ihren Gute-Laune-Rap-Funk. Auf der Main Stage North waren sie eines der großen Highlights des zweiten Festivaltages. Auf der Bühne ging es direkt, schließlich wissen die beiden Vollblutmusiker Vincent Stein und Dag-Alexis Kopplin wie man die Menge anheizt, seit über 20 Jahren sind im Musikbusiness aktiv. Deutschrap-Funk ist mit viel Charme und Wortwitz verpackt – egal, ob sie sich gerade auf einer Mission zur Rettung unserer Galaxie befinden oder auf der bunten Seite der Macht stehen. Alle Hände gingen steil nach oben und dann wurde gefeiert. Und das mit Pyrotechnik, Konfettiregen und natürlich allen Hits, die das SDP-Fanherz begehrt. Auch die obligatorische „Leiche“ wurde besungen und später im Publikum fachgerecht entsorgt. Natürlich gab es noch viele weitere Songs aus dem SDP-Repertoire von insgesamt zehn Musikalben, darunter „Die Nacht von Freitag auf Montag“, „Ich will nur das du weißt“, „Ich muss immer an dich denken“, „Wenn ich groß bin“ und viele mehr. Als besonderes Highlight präsentierten Vincent und Dag ein Akustik-Set mit mehreren Songs, bei dem sich die Live-Band zurückzieht und die beiden Musiker nur zu zweit auf der Bühne stehen – Dag an der Akustikgitarre und Vincent am Klavier.
Macklemore, Leoniden + Imagine Dragons
Mit Macklemore beim Lolla 2023 angelte sich Veranstalter Good Live wieder mal einen echten Weltstar als Headliner. 2013 quasi über Nacht zum erfolgreichen Rapper geworden, surft der modebewusste Musiker seither auf der Erfolgswelle. Obwohl man den gut gelaunten US-Rapper sonst eher im Doppelpack mit Kumpel und Musikproduzent Ryan Lewis sah, wandelt er seit einiger Zeit ebenso erfolgreich auf Solopfaden. Mit dem aktuellen Album „Ben“ aus diesem Jahr enterte der 40-jährige zur Prime Time die. Main Stage South. Soweit das Auge reicht waren die Fans gekommen, sie alle warteten auf Macklemore, der mit echtem Namen Ben Haggerty heißt und aus Seattle stammt. Für den Erfolgs-Rapper gab es heute nur ein Level: Vollgas. Energiegeladen haute er seine Hits wie „Thrift Shop“, „Same Love“ und „Willy Wonka“ heraus. Zwischendrin wurde sich viel Zeit für die Kommunikation mit den Fans genommen, wobei Macklemore allerhand privates erzählte. Bis zur letzten Sekunde brannte der Rapper ein musikalisches Feuerwerk der Extraklasse ab. Das bedeutete körperliche Vollauslastung für Künstler und Fans – Konfetti und Feuerwerk bildeten das i-Tüpfelchen.
Jakob, Djamin, JP, Felix und Lennart aka Leoniden gebührte auf der Alternative Stage und parallel zu Macklemore der Slot. Nicht sehr dankbar, würde man ja denken. Doch hier gab es den beliebten Indie-Rock mit viel Energie und einer Begeisterung, die jede Skala sprengte. Die Leoniden standen keinesfalls für eine entspannte Runde, sondern ab der ersten Note wurde hier voller körperlichen und musikalischer Einsatz gebracht – und vom zahlreichen Publikum gefordert. Besonders Gitarrist Lennart schien kurzeitig von einem irren Indie-Dämon besessen zu sein: Er tanzte wild über die Bühne, steckte sich das Mikro in den Mund und wirbelte seine Gitarre durch die Luft. Auch vor der Bühne ging es ordentlich zur Sache, als Sänger Jakob Amr einen Moshpit eröffnete. Die eingängigen Melodien und fesselnden Texte verschmolzen zu einem harmonischen Klangteppich, der das ganze Infield in einen hypnotischen Rausch versetzte.
Die Imagine Dragons waren nun auch wieder beim Lolla und das erfolgreicher und vielseitiger als jemals zuvor, seit sie zuletzt in 2018 an gleicher Stelle spielten. Wie sie selber sagen, spielte die Band noch vor knapp neun Jahren hier zu Lande in kleinen Clubs vor 200 Zuschauern. Inzwischen folgen Dan Reynolds und seinen drei Bandkollegen etwa 60 Millionen Hörer auf Spotify. Imagine Dragons nutzten die COVID-Zeit für die Produktion von neuem Material, zwei Alben entstanden 2021 und 2022 namens „Mercury Act 1 und 2“. Lebensfroh und lebendig statt düster und bedrückend, das ist das aktuelle Motto der vier US-Indie-Rocker. Musikalisch gab es von der ersten Sekunde an das, was man von den Imagine Dragons erwartet und noch mehr: innovativen und elektrisierenden Sound aus rhythmischen Indie-Riffs gepaart mit Synth-Flächen und dazu einem Chorus, der kraftvolle Hymnen mitbringt. Hier sang von der ersten Reihe bis zum letzten Platz jeder mit, wenn die Chart-Stürmer „Thunder“, „Believer“, „Enemy“ oder „Demons“ live einschlugen, wie ein Soundgewitter. Die Band zeigte sich wie gewohnt in Bestform und gut gelaunt. Während Reynolds immer wieder mit dem Publikum agierte, schäkerten die restlichen Bandmitglieder im Hintergrund miteinander und gaben alles an ihren Instrumenten. Der sympathische, bodenständige Charme des US-Quartetts bescherte dem Olympiapark eine volle Ladung Imagine Dragons-Sound aus den ganzen letzten Jahren ihres musikalischen Schaffens – gepaart mit buntem Konfetti und tollen Pyro-Effekten.