Virtuose Zeitreise – Dream Theater in Hamburg


Dream Theater in Hamburg 2020
Am Donnerstag, den 23. Januar gab die Progressive-Metal-Band Dream Theater ein Konzert in Hamburg. (Bild: stagr / Mark Carstens)

Das Dream Theater-Konzert in der Sporthalle Hamburg ist mein erstes Konzert von Dream Theater und mein erstes Konzert in der Sporthalle bei dem der Innenraum bestuhlt ist. Wenn man bedenkt dass die Band seit über 25 Jahren international erfolgreich und regelmäßig auf Tour ist kommt einem der Gedanke, dass die Stühle ein Service an die Fans der ersten Stunde sind. Tatsächlich sorgt die Bestuhlung eher dafür, dass aus einem Metal-Gig mit Moschen und Crowdsurfen ein Konzert wird, dass man (mehr oder minder) still sitzend auf sich wirken lässt.

Und wenn es eine Metal-Band gibt, die diese Aufmerksamkeit verdient hat, ist es Dream Theater (und vielleicht noch Tool). Während andere Metal-Bands wie Accept auf der Symphonic Terror Tour ein Orchester mit auf die Bühne stellen um ein ähnliches Ambiente zu schaffen, reicht bei Dream Theater die 5-köpfige Band-Besetzung. Es ist jedes Mal wirklich unglaublich was einem da Virtuosität auf versammelt steht und verzückt. In 7 Konzerten und 2 Festival-Auftritten habe ich noch nie eine falsche Note, Verstimmung oder Timing Schwankung wahrgenommen. Vor allem John Petruccis (Gitarre) mal singender oder brachialer Ton mit diesem immensen Druck bei Highspeed sucht seit jeher seines gleichen. Und auch wenn man in dem ein oder anderen Moment Mike Portnoy vermissen mag, trommelt einem die geballte Power von Mike Mangini (Drums) ins Gesicht.

Einziger Wermutstropfen ist der Sporthallen-Sound, der nicht mit einem Mehr-Theater oder gar einer Laeiszhalle mithalten kann. Im Innenraum wenn man gerade zur Bühne sitzt ist der Sound gut, vor allem weil die Tontechniker sich in der ersten halben Stunde viel Mühe geben um alle Einstellungen nochmal nachzujustieren. Sitzt man allerdings auf den Seitenrängen und damit quer zur Bühne, wird der Sound und speziell die Snare von der Gegenseite der Bühne/ PA so hart zurück geworfen dass man stets ein brutales Slap Back Delay über sich ergehen lassen muss. Elvis und die Väter des Surf Rock hätten ihre helle Freude daran, aber die Fans eines “anspruchsvollen” Prog-Metal Abends stört es dann doch.

Dream Theater in Hamburg

Das Set wird eröffnet mit Songs vom 2019er Album “Distance over Time”, aufgelockert durch den 2007er Song “In the Presence of Enemies, Part I”, an dem man gut festmachen kann was mich an Dream Theater so begeistert. Das Intro des Songs ist kraftvoll, der Rhythmus von Bass und Drums eingängig und nicht zu schnell, das Keyboard füllt dezent die Flächen aus, und Petruccis Gitarre spielt mehr als man von einer Metal-Band erwarten würde, aber auch nur so viel dass man merkt dass er noch viel Luft nach oben hat. Nach einigen Minuten nimmt das Tempo zu, jetzt lässt Petrucci mal richtig seine Finger fliegen, aber auch Bass, Drums und Keyboard zeigen, was sie draufhaben. Das gesammelte Können aller Musiker ist sehr beeindruckend. Alles in allem ist die Sequenz für meinen Geschmack etwas überfüllt, aber bevor es mir zu viel wird, wechselt das Tempo wieder. Die nächste Sequenz ist langsamer, aber nicht ruhiger, sondern nimmt noch mal an Energie zu und baut die Stimmung weiter auf, wenn auch mit eher rudimentären Mitteln.

Nach einer kurzen Pause wird nun das 20 Jährige Jubiläum des Albums “Metropolis Part 2: Dreams of a Memory” gefeiert. Was bedeutet, das erste Konzeptalbum von Dream Theater wird 20 Jahre nach dem Release live vorgespielt, inklusive Videos aus Comic- und 3D Sequenzen die die Story hinter dem Album erklären oder teilweise auch nur die Stimmung der Songs untermalen.

Das Album erzählt die Geschichte eines Mannes, der unter Alpträumen leidet, in denen immer dieselbe junge Frau auftaucht. Er lässt sich Hypnotisieren, um zu verstehen was sich hinter den Alpträumen verbirgt. Die Hintergrundgeschichte wird mit einer kurzen Filmsequenz erklärt, dann geht das Album los, live, und erzählt wie die junge Frau aus dem Träumen des Mannes gelebt und geliebt hat, und schließlich gestorben ist. Denn sie ist das vorherige Leben des Mannes, bevor er wieder geboren wurde.

Das Album schwankt zwischen düsteren, angsteinflößenden und aggressiven Passagen des Alptraums und ruhigen Sequenzen die von dem Leben und der Liebe der Frau erzählen. Dabei sind die Wechsel so elegant, dass man gar nicht bemerkt wie sich die Instrumente so weit zurücknehmen dass der Frontmann nur noch zu Klaviertönen des Keyboards singt, und dann beinahe zusammenzuckt wenn Gitarre, Bass und Schlagzeug auf einmal wieder einsteigen.

Solche Momente erinnern an einen harten Cut in einem Film, bei der die Szene eine dramatische Wende erfährt. Tatsächlich hat das Konzeptalbum von Dream Theater eine Dramaturgie von denen einige Hollywood-Blockbuster-Regisseure noch viel lernen können.

Der letzte Song “Finally Free” ist harmonisch, glücklich, der Mann ist von seinen Alpträumen erlöst, die Frau lebt in dem Mann weiter, und das Publikum darf verzaubert “One last tiiime” mitsingen. Aber wieder wechselt die Stimmung, Bass und Drums steigern das Tempo, die Gitarre wird immer bedrohlicher, und abrupt endet die Musik, und eine Filmsequenz zeigt das überraschende Ende der Geschichte.

Standing Ovations für die Künstler auf der Bühne, die ihre Musik, ihr Konzept fehlerfrei aufgeführt haben. Die Bestuhlung hat die Distanz zwischen Künstler und Publikum erhöht, es ist eine ganz andere Erfahrung als die Mitmach- & Mitsing-Konzerte mit Circlepit, Crowdsurfen und lautem Grölen. Und dann kommt die Zugabe “At Wit’s End”, ein energiegeladener Song aus dem neuen Album der das eh schon stehende Publikum auf den Füßen hält und noch mal richtig abgehen lässt. Das Publikum strömt in die Gänge, und es wird gebangt, gemoscht, mitgegrölt. Wie bei einem “richtigen” Metal-Konzert.

Und ja, die Zugabe war „nur“ ein Song. Aber dieser Song ging über 9 Minuten lang.

Setlist – Dream Theater in Hamburg 2020

Act 1
1. Untethered Angel
2. A Nightmare to Remember
3. Fall Into the Light
4. Barstool Warrior
5. In the Presence of Enemies, Part I
6. Pale Blue Dot

Act 2 (Metropolis, Part 2: Scenes From a Memory):
7. Act I: Scene One: Regression
8. Act I: Scene Two: I. Overture 1928
9. Act I: Scene Two: II. Strange Déjà Vu
10. Act I: Scene Three: I. Through My Words
11. Act I: Scene Three: II. Fatal Tragedy
12. Act I: Scene Four: Beyond This Life
13. Act I: Scene Five: Through Her Eyes
14. Act II: Scene Six: Home
15. Act II: Scene Seven: I. The Dance of Eternity
16. Act II: Scene Seven: II. One Last Time
17. Act II: Scene Eight: The Spirit Carries On
18. Act II: Scene Nine: Finally Free

Encore:
19. At Wit’s End