Zwischen den aktuell wechselhaften Gut- und Schlechtwetterfronten, steht das Mera Luna 2019 glücklicher Weise unter einem günstigen Stern. Am Wochenende zuvor hat bspw. das matsch-berühmt-berüchtigte Wacken Open Air mal wieder unter Regen und sogar Evakuierungen gelitten. Umso fröhlicher sind nun 25.000 Gothic-Fans, die bei einem warmen Sonne-Wolken-Mix wieder liebevoll kostümiert den Flugplatz in Hildesheim Drispenstedt zum Schaulauen nutzen. Schließlich geht hier nichts ohne extravagante Kostüme, phantasievolle Roben, mittelalterliche Gewänder, bizarren Accessoires und gruselige Masken. Und wer mag, bummelt über die Shoppingmeile, kleidet und schmückt sich ein im Gothic-Ambiente-Zelt oder genießt Leckereien wie Met und Spanferkel im mittelalterlichen Dorf.
Bereits seit Freitag haben die Fans düsterer Rock- und Elektroklänge die das Festivalgelände umgebenen Campingflächen besiedelt und sind in den Abendstunden mit Workshops und Lesungen in das Wochenende gestartet. Richtig los geht es dann am Samstag mittag mit dem musikalischen Hauptprogramm. Dabei bietet das Maskenfest der Gothicszene ein großartiges Line-up, das mit Main Stage und Hangar gleich auf zwei großen Bühnen stattfindet. Als Headliner für den ersten Festivaltag hat Veranstalter FKP Scorpio die Symphonic-Metal-Größen Within Temptation gewinnen können, hinzu kommen Künstler wie ASP, Oomph!, Lacrimosa, Mono Inc. und viele viele weitere.
Ewigheim
Als erster Akt für uns steht Ewigheim auf dem Plan. Es ist einer der seltenen Live-Auftritte der vierköpfigen Band aus Thüringen. Bemerkenswert ist die Kombination an eher ruhigen und düsteren Texten, mit vorwiegend Gitarren- und Klavier-Sounds. In ihrem kraftvollen und exzellent arrangierten Liedgut geben sich die Thüringer schwarzhumorig und zynisch ihren Todessehnsüchten hin, dazu bieten sie aber auch jede Menge kreatives Reimgut und ruhige Töne zum melancholischem Verweilen an. In ihrer ganzen morbid-rockigen Schönheit spielen Ewigheim ihre Stärken wunderbar aus und besinnen sich auf das, was sie erfolgreich gemacht hat: Die Vertonung des Todes in seiner melancholischen Bedeutung.
Stahlmann
Stahlmann kommen aus Göttingen und haben damit, neben den Kollegen von Oomph! am Abend, fast ein Heimspiel beim Mera Luna 2019 Samstag. Sie repräsentieren eine junge Generation harter, deutschsprachiger Musik und entwickeln jenen kraftvollen Musikstil weiter, der in den 90ern als „Neue Deutsche Härte“ mit Vorreitern wie Die Krupps oder Oomph! begann und etliche Jahre später von Rammstein perfektioniert wurde. Knallharte Stakkato-Gitarren, bedrohlich-tiefer Bassgesang vom smarten Sänger Mart und schnelle Drums, die direkt einschlagen. Die vier silbernen Bandmitglieder kommen am frühen Nachmittag wie die Vorboten der Apokalypse daher und hauen entsprechend energisch ihre düsteren Electro-Rock-Hymnen heraus.
Centhron
Proppenvoll platz der Hangar am frühen Nachmittag bereits fast aus seinen Nähten. Verantwortlich dafür sind Centhron, eine deutsche Electro- und EBM-Band. Die Dreier-Combo aus Bremen ist mit ihrem Aggrotech ein Garant für knallharten Sound. Gnadenlos prasseln Beats und Bässe auf das Publikum ein, während Frontmann Elmar Schmidt die tiefsten Shouts aus seiner Seele und Kehle holt. Seit 18 Jahren ist die Gruppe aktiv, entsprechend bekannt und beliebt ist sie auch hier auf dem Mera Luna.
Deathstars
Als nächstes gibt es Black-Metal auf die Ohren von den Deathstars aus Schweden. Die Band besteht aus vier Mannen, die ausgeflippter nicht sein könnten. Dabei sind ihre blass-weißen Gesichter auf dem Mera Luna ja längst nichts ungewöhnliches oder dass sie alle komplett in schwarz auftreten. Wobei aber jedes kleine Detail perfekt abgestimmt ist: Sonnenbrillen und sonstige Accessoires, aber auch alle Instrumente. Die wirbelnden langen Rastazöpfe von Bassist „Skinny Disco“ stehlen aber allen anderen Bandmitgliedern ganz klar die Show. Zu hören gibt es härte Gitarrenklänge und dazu die tief-dunkle Stimme von Sänger Whiplasher. Das zieht einen in den Bann.
(X)-RX
Seit 2006 musikalisch aktiv, hat sich das Electro-Projekt X-RX des in Braunschweig lebenden Musikers Pascal Beniesch innerhalb kürzester Zeit zum heißgehandelten Tipp in der Cyber-Industrial-Szene entwickelt. Und dieser Erfolg ist nicht abgerissen. Kein Wunder, dass sich die Hangar Stage also in kürzester Zeit in ein Tollhaus verwandelt und die Leute regelrecht ausflippen zu den harten Beats. Jan und Pascal geben ihr Bestes, alle zum Eskalieren zu bringen. Beiden macht ihr Auftritt sichtlich Freude und das Publikum feiert sie und ihren furiosen Mix aus Electro, Industrial und Techno dafür.
Corvus Corax
Die Band Corvus Corax, die selbst ernannten und wohl verdienten „Könige der Spielleute“, sind von keinem Mittelalterfest mehr wegzudenken, schließlich sind sie neben In Extremo oder Tanzwut eine der populärsten Mittelalterbands dieser Szene. Breiten Bekanntheitsgrad erreichten die Spielleute mit ihren in 2005 neu vertonten Songs von Carmina Burana, veröffentlicht als „Cantus Buranus“. Wenn Corvus Corax live auftreten, geben sie alles um die Massen anzutreiben und das ist natürlich auch hier beim Mera Luna der Fall. Der klassische, unverwechselbare Klang, für den Corvus Corax steht, kommt eindeutig nicht zu kurz, mächtig dröhnen die Trommeln und klagen die Dudelsäcke.
Oomph!
Ab Sekunde Eins brennt hier das Feuer im Publikum lichterloh, denn die Menge ist mehr als bereit, um nicht nur aus voller Kehle mitzusingen, sondern auch um unter den Trommelschlägen von Frontsänger Dero Goi zu springen. Seit Januar 2019 ist das neuste Werk „Ritual“ auf dem Markt, daher gibt es auch einiges von diesem Tonträger zu hören. Aber natürlich kommen die beliebten Klassiker wie „Augen aAuf“, „Gott ist ein Popstar“ oder „Gekreuzigt“ aus der umfangreichen Oomph-Diskografie auch nicht zu kurz. Geliebt werden Oomph! vor allem auch wegen ihren unbequemen, sozialkritischen Songs, die gekonnt mit harten Riffs und eingängigen Keyboard-Hintergründe vermischt sind. Ganz deutlich wird wieder, dass die Band nicht nur Gothic Rock und NDH kann, sondern auch EBM in ihr Sortiment gehört. Sänger Dero geht voll in der Stimmung auf und dreht sogar eine große Runde über dem Meer der Hände.
Agonoize
Erste Reihe ohne Gehörschutz undenkbar! Was auch nicht geht ist, erste Reihe und trocken bleiben, ob Schweiß aus den eigenen Poren oder Kunstblut von der Bühne, hier bleibt niemand trocken. Das obligatorische Blutbad zu „Blutrausch“ in dem der Fronter sich mit einem großen Küchenmesser bewaffnet, die Puls- oder Halsschlagadern aufschneidet, ist schon weit bekannt. Chris L. ist heute ist Hochform und macht der Meute ordentlich Feuer unterm Hintern. Es werden keine halben Sachen gemacht, Chris prügelt sein Programm durch. Kurz gesagt, Agonoize veranstalten eine Abrissparty und alle feiern begeistert mit.
Mono Inc.
Mono Inc. wissen was ihre Fans hören wollen und feuern direkt einen Hit nach dem anderen ab. Aber da Mono.Inc natürlich auch mit einem neuen Album „Welcome to Hell“ in den Startlöchern stehen, beglücken sie ihre Fans mit Auszügen aus selbigem. Die neuen Lieder werden begeistert aufgenommen. Die Dark-Rock Band aus Hamburg schmettert ihre harten Sounds mit dunkler Stimme ins Infield. Textsicher singt das Publikum mit, feiert Martin Engler und seine Band in vollen Zügen. Das Quartett aus Nord-Deutschland zählt zu den Größten ihres Genres und füllt stattliche Hallen – kein Wunder also, dass auch die Besucher in Hildesheim Mono Inc liebend gern ihr Gehör schenken.
Lacrimosa
Nur wenige deutschsprachige Bands können auf eine so bewegte, musikalische Schaffensgeschichte wie Lacrimosa zurückblicken. Schon seit mehr als 27 Jahren scharren Tilo Wolff und seine Kollegen die Jünger der schwarze Szene um sich und werfen dem Gothic-Genre immer wieder wichtige Innovationen hinein. Die Relevanz von Lacrimosa ist auch heute noch ungebrochen, denn sie wandeln mühelos zwischen den Genre-Grenzen und bescheren ihren Anhängern einzigartige Momente zwischen Schwermut und Poesie. Gothic-Rock und Sinfonischer Metal gepaart mit Melancholie und Hoffnung – ihr schier unerschöpfliches Repertoire der schwarzen Musikkunst schallt in den frühen Abendstunden über das Festivalgelände.
Within Temptation
Vor anderthalb Jahrzehnten hat die Band um Sängerin Sharon den Adel und Gitarrist Robert Westerholt mit klassischem Gothic Metal begonnen. Mehr und mehr hat sich daraus bis heute DIE Symphonic-Metal-Gruppe schlechthin entwickelt. Und dass, ohne je ihre Wurzeln zu verleugnen oder zu verlieren. Der wunderbare Auftritt von Within Tempation beim diesjährigen Mera Luna ist natürlich genauso gut, wenn nicht noch besser, als all ihre Alben. Das liegt einerseits an dem fantasievollen Dress, den sich die gelernte Modedesignerin Sharon den Adel selbst auf den Leib geschneidert hat, andererseits aber auch an der spektakulären Bühnenshow, die mit Licht und Pyrotechnik besticht. Mit ihrer kraftvollen Stimme singt sich Adel in die Herzen der Zuschauer und legt die Headliner-Latte fürs kommende Jahr weit nach oben. Within Temptation sind und bleiben eben eine Institution in diesem Musikgenre. Sie wissen ganz genau, wie sie sich präsentieren und strahlen dabei wie eh und je eine Leichtigkeit und Spielfreude aus. Ihre Shows sind ein Rundum-Sorglos-Paket für einen guten Konzertabend, der optisch und musikalisch begeistert und überzeugt.
Die Krupps
Unter pompöser Marschmusik kommen Die Krupps auf die Bühne. Was die reine Menge an physischen Musikinstrumenten angeht, können Die Krupps hier die meisten anderen Bands locker abhängen. Den metallischen Klängen folgt auch unmittelbar ein riesiger Moshpit. Die Tontechniker haben zum Glück volle Leistung abgerufen, leiden die Krupps sonst öfter mal an schlecht gemischten Sound, ist davon heute nichts zu merken und das Publikum kann bei Top-Sound die Stimmung genießen. Die Menge lässt es richtig Krachen und singt lautstark mit.
ASP
Der Altmeister ASP bittet zum Stelldichein. Dank der langjährigen Schaffensgeschichte kann ASP auf ein großes Repertoire zurückgreifen und treibt gekonnt sein perfekt ausgewähltes Liveset voran. Die kompletten Mera Luna-Besucher feiert ausgelassen und genießt die letzten Atemzüge des ersten Festivaltages. Und was wäre eine ASP- Show ohne Feuer? „Ihr schönen Menschen. Es ist klasse, dass ihr alle hier seid“ begrüßt ASP die Fans. In schwarz und rot getauchten Farben schwelgen die Zuschauer zu der kraftvollen Stimme von ASP. Gänsehaut-Feeling vermischt sich mit romantischer Stimmung, als das ganze Field die Feuerzeuge und Handytaschenlampen anstellt. Man könnte meinen, ASP sind es nach all den Jahren langsam überdrüssig, aber weder Alexander Spreng, noch die Fans wollen es am Ende missen: „Ich will brennen“. Eine Art Glaubensbekenntnis für ASP, denn für sie entflammen ein weiteres Mal die Stimmen und Körper der schwarzen Seelen. Wieder einmal routiniert eine super gute Show abgeliefert.