Midgardsblot 2023: Nordische Mythologie, Kultur und Musik treffen aufeinander


Midgardsblot 2023
Am Wochenende des 16. bis 19. August 2023 startete in Norwegen das Midgardsblot. (Bild: Hannes Fuchs)

Unter dem Motto „Welcome Home!“ öffnet auch die achte Ausgabe des außergewöhnlichsten Festivals in Europa Mitte August seine Tore. Das Metal and Folk Music Festival, das etwa zwei Stunden südlich von Oslo nahe dem Midgard Viking Center stattfindet, bietet nicht nur einen einzigartigen Rahmen, sondern ist auch in der Nähe der größten Grabhügelanlage Nordeuropas angesiedelt. Das Herzstück dieses bemerkenswerten Festivals ist zweifelsohne die imposante Gildehalle – ein Ort, der wie geschaffen ist, um die Wikinger-Kultur in ihrer ganzen Pracht zu feiern.

Doch das Midgardsblot 2023 geht über die Grenzen eines herkömmlichen Musikfestivals weit hinaus. Es ist eine eindrucksvolle Mischung aus Musik, Happenings, Workshops, kulinarischen Genüssen und einem lebendigen Wikingermarkt. Über vier Tage hinweg bieten die Mimir-Talks in Kooperation mit dem Museum und der Festival-Community eine Plattform für Vorträge, Diskussionsrunden und Panels, die sich mit der Geschichte, Kultur und Musik der Wikinger auseinandersetzen. Auch wieder dabei der Workshop für angehende Schreihälse „Extreme Metal Vocals – Learn to Scream“.

Die musikalische Vielfalt ist auch trotz etwas kleinerem Billing als 2022 wieder beeindruckend: Vier Bühnen, auf denen in glasklarem Sound eine unglaubliche Bandbreite an Stilen dargeboten wird – von Ambient bis Black Metal, von Pop bis traditionellem nordischen Folk. Die großen Acts teilen sich die Valhalla- und Kaupangr-Stage in einem abwechselnden Spiel, während die intime und atmosphärische Gildehalle Raum für weniger bekannte oder spezialisierte Künstler bietet. Und für die Fans von reinem Folk oder Geschichtenerzählern ist die Brage im Wiki-Corner neben der Hauptbühne die richtige Anlaufstelle.

Die Essenz des Midgardsblot jedoch liegt in seiner Gemeinschaft und Offenheit für alle. Dies ist kein bloßer Slogan, sondern eine tief verwurzelte Philosophie, die das Festival in jeder Facette durchdringt. Selbst nach dem offiziellen Programm klingt das Festival nicht aus, sondern lebt an den Lagerfeuern bis in die frühen Morgenstunden fort – nicht immer zu Freude der Anwohner. Wer das Gelände selbst erkunden will, kann dies hier auf einer virtuellen Tour erkunden.

So war der Mittwoch

Wie jedes Jahr beginnt das Midgardsblot mit dem traditionellen Eröffnungsritual mit Folket Bortafor Nordavinden. Es ist eine Hommage an die alten Bräuche der nordischen Völker, die einst in Einklang mit der Natur und den Göttern lebten. Es ist eine Zeit des Zusammentreffens, der Reflexion und des Respekts vor den Kräften der Welt. Alle Gäste, Künstler und sonstige Mitwirkende kommen zusammen, um der Gemeinschaft und allen positiven Kräften Ehre zu erweisen oder ihren Beistand zu erbitten. Das Eröffnungsritual schöpft aus religiösen Elementen aus der Wikingerzeit, in dem Holzstatuen die alten Götter und Göttinnen repräsentieren und Tierblut als Opfergabe dient. Obwohl die Zeremonie ihren Ursprung im Altnordischen hat, ist sie vollkommen frei und für jeden zugänglich. Jeder ist eingeladen, auf seine individuelle inspirierende Weise daran teilzunehmen. Das beinahe zweistündige Ritual schafft die Bühne für das Festival, indem es eine spirituelle Verbindung zwischen den Festivalbesuchern, der Natur und den Wurzeln der nordischen Kultur herstellt. Es ist eine unvergessliche Erfahrung, die die Festivalatmosphäre mit Magie und Bedeutung erfüllt.

Die Hauptbühne des Midgardsblot-Festivals wird von einem Sturm der finnischen Folk Metal-Magie erfasst, als Finntroll als erste Band des Tages auftreten. Während die Sonne prächtig scheint, verwandelt sich die Szene in einen Hexenkessel aus wilden Melodien und kraftvollen Rhythmen. Die einzigartige Kombination aus Metal und Humppa erzeugt eine mitreißende Stimmung, die die Menge zum Tanzen und Mitgrölen bringt. Finntroll liefern einen großartigen Start in den Festivaltag und beweist erneut, warum sie aus der finnischen Metal-Szene nicht mehr wegzudenken sind.

Direkt nach dem mitreißenden Auftritt von Finntroll eröffnet die italienische Musikerin Lili Refrain eine völlig neue Klangwelt auf der Hauptbühne. Die sonnige Kulisse des Mitgardsblot-Festivals bildet einen Kontrast zur experimentellen Musik, die Lili mit Leidenschaft präsentiert. Allein auf der Bühne, beherrscht sie die Kunst, verschiedene Instrumente zu spielen und mit elektronischen Klängen zu verschmelzen. Als der Auftritt endet, ist Lili Refrain sichtlich von der einzigartigen Atmosphäre des Midgardsblot-Festivals überwältigt und bedankt sich strahlend beim Publikum.

Nach dem faszinierenden Auftritt von Lili Refrain betritt die norwegische Band Sylvaine die Hauptbühne und verwandelt den Abend in eine Symphonie aus Post-Rock und Blackgaze, die an die Franzosen Alcest erinnern. Überraschend für viele, die Sylvaine nicht kennen, setzt die feengleiche Sängerin Kathrine Shepard auch Growls ein, die eine zusätzliche Intensität in die Musik. Untermalt vom Sonnenuntergang liefern Sylvaine ist eine eindrucksvolle Performance ab.

Am Mittwochabend erreicht das Midgardsblot-Festival seinen ersten Höhepunkt, als die norwegische Band Kampfar die Bühne als letzte Band des Tages entern. Mit fast 25 Jahren Bandgeschichte im Gepäck präsentieren Dolk, Ole, Jon und Ask eine energetische und kraftvolle Performance, die das Publikum zu heftigem Handbangen animiert. Kampfars Wurzeln in der norwegischen Black-Metal-Szene sind spürbar, während sie eine breite Palette an Songs aus ihrer langen Karriere darbieten. Der intensive Auftritt ist würdiger ein Ausklang des ersten Festivaltags.

So war der Donnerstag

Am Donnerstag eröffnet die aufstrebende Band Vargvrede das Festival mit einer geballten Ladung nordischer Energie. Die lokalen Musiker liefern mit knallharten und eingängigen Riffs einen dynamischen Auftakt für den Tag. Schon im Jahr 2022 durfte Vargvrede das Midgardsblot bereichern, und nun kehren sie mit frischem Elan zurück.

Die Festivalseite beschreibt die Dänen Wulfaz als bösartige Kreuzung von frühen Enslaved und Taake. Ob das zutrifft oder nicht, mag jeder für sich selbst entscheiden. Das dänische Trio, das den Spitznamen „Runen-Black-Metal“ für sich beansprucht, liefert punkigen und rohen Black-Metal- einen Ausbruch kompromissloser Aggression, der vielen Fans vor der Kaupangr-Stage zu gefallen weiß.

Die norwegische Band Isák tritt in die in Fußstapfen der Sami-Legende Mari Boine und trägt die Fackel des Kampfes für die indigene Kultur weiter. Das Trio bestehend aus der Sängerin Ella, dem Produzenten Daniel und dem Schlagzeuger Aleksander liefert eine sehr poppige Interpretation der Sami-Folk-Musik.  Sie verschmelzen traditionellem Yoik mit urbanen Synthesizern zu Elektro-Pop, der zum Hüpfen und Tanzen einlädt. Nicht jedermanns Sache, aber Isák erweitern den Horizont für viele und sind noch dazu ein Dienst an der Kultur der nordischen Ureinwohner.

Auf der kuscheligen Kaupangr-Stage liefern die dänische Band IOTUNN eine spannende musikalische Erfahrung ab. Mit ihrem innovativen Spacemetal entführen sie das Publikum auf eine fesselnde Reise durch klangliche Weiten. Der Sänger betritt die Bühne mit einem unverkennbaren Mikrofonständer, der an eine futuristische Skulptur erinnert, und trägt einen ungewöhnlichen Kapuzenmantel, der seine mysteriöse Bühnenpräsenz unterstreicht. IOTUNNs Performance auf der Kaupangr-Stage bietet eine eindrucksvolle Darbietung ihres spielfreudigen Progressive Metals.

Die Hauptbühne erwacht zum Leben, als Sowulo mit ihrer einzigartigen Fusion aus nordischer Folklore und modernen Klängen die Bühne betreten. Traditionelle Instrumente wie Flöten, Trommeln und sogar eine majestätische Harfe erzeugen eine geheimnisvollen Atmosphäre, verstärkt durch den Klang des Drachenhorns, der durch die Luft schwebt. Sowulos Auftritt wird zu einer magischen Reise, auf der die sehr ausgefallenen Instrumente eine zauberhafte und fesselnde Wirkung entfalten. Die Verbindung von alten Klängen und moderner Musik schafft eine einzigartige Erfahrung, die die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf wundervolle Weise verschwimmen lässt.

Die Kaupangr-Stage wird von einer intensiven Energie erfüllt, als Nordjevel mit ihrem grimmigen Black-Metal die Bühne entern. Blastbeasts und düstere Stakkato-Riffs durchdringen die Abendluft und brechen über das Publikum herein. Während die Band ihre rohe Energie entfessel, tauchen brennenden, okkulten Symbolen in infernalisches Licht. Im Sekundentakt schießen weitere Feuersäulen in die Luft. Nordjevels Auftritt auf der Kaupangr-Stage ist ein eindrucksvolles Erlebnis, bei dem frostiger Black-Metal auf eine Augenbrauen gefährdende Feuershow trifft.

Die Hauptbühne erstrahlt im Glanz, als Enslaved als Headliner des Donnerstags die Menge mit ihrer epischen Performance verzaubern. Die Band hat sich seit ihren Anfängen musikalisch kontinuierlich weiterentwickelt und ihren Sound von traditionellem Black Metal zu einer faszinierenden Mischung aus progressiven Elementen und atmosphärischen Klängen verfeinert. Das Publikum wird auf eine Reise durch die verschiedenen Phasen ihrer Karriere mitgenommen, von den rohen Anfängen bis hin zur reifen Klanglandschaft von heute. Die kraftvollen Gitarrenriffs und die eindringlichen Melodien verschmelzen zu einem beeindruckenden Gesamterlebnis.

Zusätzlich zu ihrer musikalischen Darbietung hat Sänger Grutle Kjellson am Nachmittag die Heimdall-Statue auf dem Weg namens Bifröst zum Vikingcenter eingeweiht, was die enge Verbundenheit der Band zur nordischen Mythologie unterstreicht. Diese spirituelle Verbindung spiegelt sich auch in ihrer Musik wider und verleiht ihrem Auftritt eine besondere Tiefe. Enslaveds Headliner-Auftritt ist eine kraftvolle Hommage an ihre musikalische Entwicklung und ein Höhepunkt des Festivals, der die Zuschauer in eine hypnotische Welt entführt.

Das Midgardsblot ist ein 4-Tagesfestival in Norwegen. Den Freitag und Samstag findet ihr hier.