Küstenklänge und Festivalvibes: Unser Blick auf das Rolling Stone Beach 2023


Rolling Stone Beach 2023
Am Wochenende des 10. und 11. Novembers 2023 fand das Rolling Stone Beach statt. (Bild: Marten Körner)

Auch die 14. Auflage des Indoor-Festivals fühlt sich wieder an wie das Treffen eines großen Freundeskreises. 3.500 vertraute Gesichter, gewohnt komfortable Bedingungen, ein reizvoll abwechslungsreiches Line-up. Was will man mehr, wenn draußen der norddeutsch grau verhangene Himmel nicht viel mehr als leichten Nieselregen zu bieten hat.

Freitag

Die Nerven, Goose, Lee Fields + Girl Scout

In der Anmoderation äußert Frontmann Max Rieger seine Verwunderung, dass sie als Die Nerven hier heute den opener machen: „Da tut ihr euch ja Einiges an!“ Wir erinnern uns an das Jahr 2014, das Jahr ihres Durchbruchs. Wir sahen die Nerven auf der Newcomerbühne des Roskilde Festival und hatten damals wirklich das Gefühl, uns da Einiges angetan zu haben. Was sie heute im Zelt, der größten location, abliefern ist eine feine Portion Noise Rock/Post Punk, den wir deutlich besser verdauen als vor 9 Jahren. Eine wahrlich angemessene Besetzung für die Eröffnung des Festivals!

Von der Musikpresse als „next great american jamband“ gefeiert, begeistern Goose im Baltic Saal. Wir schließen uns dem Urteil uneingeschränkt an. Zu den Klängen von „Hungersite“ möchte man auf einem amerikanischen Motorrad den highway gen Horizont rollen.

Wer James Brown möchte (und natürlich nicht mehr haben kann), ist mit Lee Fields bestens bedient. Soul alter Schule. Authentisch, bestes Handwerk, Leidenschaft.

In der Almhütte versorgen und die vier Schwedinnen und Schweden mit dem, was aus Schweden fast immer mit hoher Qualität kommt: Pop. In diesem Fall Indie-Pop. Man liest, sie haben an der Stockholmer Musikhochschule Jazz studiert. Das Ergebnis ist auf jeden Fall gelungen und der kleinen Bühne (geschätzt 16 qm) würdig auf der 2011 einst Ed Sheeran seine Weltkarriere begann.

Coach Party, Tocotronic + Dinosaur jr.

Gleich anschließend wird es mit den Briten, bei allem Indie-Rock, fast etwas punkig. Die Almhütte ist rappelvoll, manch einer spricht schon vor dem Konzert von „Abriss“. Nun gut, die Almhütte steht noch, aber es ging dann doch schon gut vorwärts!

Fotoverbot bei Fehlfarben, warum auch immer, und ein etwas übellauniger Kommentar zum Rauch im Baltic Saal von Peter Hein. Aber sonst eine druckvolle Reise in die 80er Jahre und damit die spektakulärsten dieser Band. Gut gealtert seien die Songs und eben das bescheinigt Hein auch dem Publikum.

Nachdem Tocotronic 2021 mit den „Hamburg Years“ brillierten, gibt es zum 30-jährigen Bandjubiläum einen Querschnitt der Karriere. Die Fanbase ist treu, das Zelt voll und so wird hier niemand ein Haar in der Suppe finden. Wir sehen nur glückliche, zufriedene Gesichter.

Die Band steht seit 40 Jahre auf der Bühne und füllt mühelos das Zelt. Gewohnt gelangweilt wirkend agiert J Mascis vor seiner beeindruckenden Marshall Amp Wand. Die Saurier schleudern uns wahrliche Lärmhurrikans (im positiven Sinne) entgegen und lassen den Blick schon einmal hinüber zum FOH schweifen, wo das Dezibelmeter aber niemals über 120 db steigt und somit alles im Limit bleibt. Gefühlt liegt es drüber, aber das liegt einfach am brachialen Gitarrensound. Mit gut durchmassiertem Trommelfell ist für heute dann wirklich die Ruhe am windstillen Strand paradiesisch.

Samstag

Lesungen, Talk

Traditionell beginnt der Samstag mit dem gesprochenen Wort. Jens Balzer legt nach seinen Büchern über die Popkultur der 70er Jahre („Das entfesselte Jahrzehnt“) und die 80er Jahre („High Energy“) nun sein Werk über die 90er Jahre („No Limit“) vor. Facettenreich schickt er uns in der Lesung auf die Reise vom Fall der Berliner Mauer bis hin zum unaufhaltbaren Siegeszug des world wide web. Prädikat EMPFEHLENSWERT!

Birgit Fuss schwelgt in ihrem Buch „R.E.M.: Life And How To Live It“ sowohl von ihrer frühen Anhängerschaft als auch ihren vielfältigen beruflichen Kontakten mit der Band R.E.M.. Ihre Begeisterung macht Lust auf das Buch aber auch auf das Anhören des ein oder anderen Songs, den man entweder nicht oder nicht so intensiv wahrgenommen hatte. Wunderbar, die von Tom Liwa zur Akustikgitarre interpretierten R.E.M. Songs!

Der Rolling Stone Talk ist gut besucht und gerät wie immer zu einer sympathischen, lockeren Unterhaltung zwischen den Machern der von uns so geliebten Musikzeitschrift und FKP Scorpio, vertreten durch Stephan Thanscheidt. Neben den highlights im Bereich Neuerscheinungen, Bestes Konzert 2023 und Ähnlichem, wird ausführlich und auch nötigerweise über die anhaltenden Probleme der Musikbranche berichtet und diskutiert. Nach wie vor sind Personalmangel und Kostenexplosionen DAS Thema. Um so beeindruckender, wie sehr von FKP Scorpio beim Bemühen um Ticketpreise, die nicht zu einer sozialen Ausgrenzung führen, gerungen wird!

Will Butler + Sister Squares, Shred Kelly + Charlotte Brandi

Will Butler, Ende 2021 bei Arcade Fire ausgetreten, verschreibt sich nun im Quintett (u.a. mit seiner Frau Jenny Shore und Schwester Julie Shore) dem Indie/Synth-Pop. Mit Spielfreude und lustigen Choreographien starten wir musikalisch gut in den zweiten Tag.

Absolut begeistern können Shred Kelly mit ihrer wunderbaren Mischung aus Folk (grandioses Banjo übrigens!) und waschechtem Alternative Rock, so dass das  Zelt am späten Nachmittag schon ziemlich feiert.

Bei Charlotte Brandi wird es im Baltic-Saal etwas subtiler. Erkältet aber nicht minder leidenschaftlich dürfen wir ihre Kunst genießen. Von melancholisch bis rockig erleben wir sie und Band mit Songs aus ihrem Album „An den Alptraum“.

Andy Frasco and the U.N., Thee Sacred Souls, Thees Uhlmann, Bob Mould + The Notwist

Andy Frasco gelingt, was unseres Wissens beim Rolling Stone Beach noch nicht vorkam: Er springt im Verlauf des energiegeladenen Konzerts im Zelt in die Crowd und organisiert im Handumdrehen eine Circle Pit. Der Kalifornier und Band agieren dermaßen hyperaktiv, dass wirklich keiner stillstehen kann. Am Ende fragt mich jemand, ob irgendwer Andy Frasco jetzt nicht lieben kann. Nein! Den MUSS man lieben!

Die erst seit 2019 existente Band um Josh Lane begeistert den Baltic-Saal mit Retrosoul erster Güte. Leidenschaftlich, authentisch, kein bisschen verstaubt.

Allein mit Akustikgitarre auf der Hauptbühne im Zelt. Was gewagt klingt, ist bei Thees Uhlmann natürlich nicht wirklich ein Risiko, eher ein sicheres Heimspiel. Eine Freude, dem sympathischen Songwriter zuzuhören, der sich wie immer sehr kommunikativ gibt.

Bob Mould, prominent geworden mit Hüsker Dü in den 80ern, zelebriert solo mit E-Gitarre seine wütenden Songs und fegt über die Bühne als gäbe es kein Morgen. Schweißtreibend! Sein treues Publikum dankt es ihm!

The Notwist gehören zu den Bands, die sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lassen. Mittlerweile sind es über 30 Jahre, die die ehemalige Schülerband sich zwischen Ambient, Noise-Rock, Elektro-Pop und anderem bewegt. Heute liefern sie ein 1,5-stündiges Set aus experimentellen, pulsierenden Klangwelten. Leider ein wenig distanziert aber in jedem Falle ein würdiger Headliner eines wieder gelungenen Rolling Stone Beach 2023. Wieder einmal ein gelungenes, anspruchsvolles Booking! Vielen Dank an Rolling Stone und FKP Scorpio!