Der halbnackte Wahnsinn: Sziget Festival 2018 – Teil 1


Vom 08. bis 15. August wurde eine kleine Insel im Herzen Budapests zu einem der größten Musikfestivals Europas: Sziget 2018.

„Das können wir laufen!“ Ich bin einer dieser nervigen Typen, der das zu jeder Strecke sagt. Ganz ehrlich, auf der Karte sah die Strecke vom Hotel zum Festivalgelände gar nicht weit aus. Doch als Fotograf Axel und ich am Mittwoch Richtung Sziget gelaufen sind, lief uns schon nach wenigen Minuten der Schweiß in dicken Tropfen von der Nase. War vielleicht doch keine so schlaue Idee, zur Mittagszeit bei 34°C und erbarmungslosem Sonnenschein zu Fuß zu gehen. Egal, da schwitzen wir uns jetzt durch. Nach 20 Minuten (gefühlt 20 Stunden) hatten wir endlich das Sziget-Gelände erreicht.

„Sziget“ bedeutet übrigens „Insel“. Denn das Festival findet seit 1993 auf einer großen Donauinsel mitten in Budapest statt. Für eine Woche im Jahr wird die Óbuda-Insel, auf der normalerweise nur ein paar Clubs und ein Golfplatz sind, zu einer gigantischen Festivalinsel umfunktioniert. Und jeder Quadratmeter zählt: die Besucherzahlen für dieses Jahr sind noch nicht raus, aber letztes Jahr waren es über 450.000 Fans. In Worten: Vierhundertfünfzigfuckingtausend.

Heavy-Folk-Electro-Metal-Hip-Pop

Welche Musikrichtung auf dem Sziget gespielt wird? Die Frage sollte eher lauten: Welche nicht? Indie, Folk, Metal, Electro, Hip-Hop, Reggae, Pop und alle Schattierungen dazwischen – hier gibt’s einmal alles auf die Ohren. Die Headliner dieses Jahr: Kendrick Lamar, Gorillaz, Lana Del Rey, Mumford & Sons, Liam Gallagher, Shawn Mendes und die Arctic Monkeys. Dazu kommen unzählige weitere Musiker, die hier um 16 Uhr im Zelt nebenan spielen, aber auf vielen anderen Festivals die Headliner wären.

Als wir über eine rostige Brücke auf die Insel gelaufen sind, die uns in meterhohen Buchstaben „No walking!“ entgegenschrie, waren wir fast da. Wir mussten noch ein paar Minuten eine staubige Straße entlanglaufen ohne von Tourbussen, Taxis oder Motorrollern überfahren zu werden, durch die Sicherheitskontrolle gehen – und schon standen wir mittendrin.

Let’s get lost

Die Eindrücke, die in den ersten Sekunden ungebremst auf mich eingeprasselt sind: bunt. Staubig. Voll. Euphorisch. Heiß. Laut. Durcheinander. Unordentlich. Lustig. Dreckig. Wahnsinnig. Weltoffen. Und wir sind erst wenige Meter übers Gelände gelaufen. Wenn man solche Riesenfestivals nicht gewohnt ist, kann einen das ziemlich überfordern. Einzige Lösung: Ich musste den ordnungsliebenden Spießer in mir abschalten und mich dem liebenswürdigen Sziget-Chaos hingeben. Nicht dagegen ankämpfen, einfach treiben lassen.

Nach einem ersten, ziellosen Rundgang über das verwinkelte Gelände, wurde uns bewusst, dass das Sziget Festival eigentlich ein Musik-Kunst-Funsport-Fitness-Spaß-Zirkus-Food-Kino-Theater-Spaß-Camping-Festival ist. Insgesamt finden hier 1.000 Veranstaltungen auf über 60 Bühnen statt. Das Angebot ist so dermaßen breit, dass wir 7 Tage Spaß haben könnten, ohne eine einzige Band zu sehen. Wir könnten Bungeespringen oder ins Open-Air-Fitness-Studio gehen. Wir könnten Fußball-Tischtennis spielen. Fußball-Billard. Oder Fußball-Fußball! Wir könnten uns Kunst anschauen, uns tätowieren und piercen lassen – oder den ganzen Tag futtern, futtern, futtern. Denn hier steht in der hintersten Ecken noch ein Essensstand. Vom veganen Burger bis zum Stand für traditionelles Essen aus Transsilvanien (wahrscheinlich nix mit Knoblauch) ist für jeden Geschmack was dabei.

Und überall dazwischen wird gecampt. Wie auf anderen Festivals gibt’s natürlich auch auf dem Sziget ausgewiesene Campingplätze. Aber auch überall sonst wird gecampt. Ein Zelt 20 Meter hinter der Bühne? Direkt am Wegesrand? Hinterm Bierstand? Direkt unterm Camping-verboten-Schild? Egal, bau das Zelt auf!

Der halbnackte Wahnsinn

Ein so vielfältiges Programm zieht natürlich auch ein bunt gemischtes Publikum an. Hier ist jede Altersklasse, jedes Geschlecht und jede Nationalität vertreten. Was alle gemeinsam haben: sie sind spärlich bekleidet. Wer bei der Hitze vor der Bühne durchdrehen will, zieht alles aus, was nicht unbedingt nötig ist. Hier liefen zeitweise mehr Männer ohne Shirt rum als mit Shirt.

Warum waren wir eigentlich hier? Ach ja, für die Musik. Los ging’s für uns mit Stormzy auf der Hauptbühne.

Stormzy

Der Grime Rapper aus London (UK) kam schon am frühen Nachmittag auf der Bühne. Doch vorher hat sein DJ Tiiny (ja, mit zwei „i“) die Fans schon mal in Stimmung gebracht. Der Bass-Regler war anscheinend auf 11 gedreht: Als Fotograf Axel im Fotograben direkt vor den Boxen war, wurde er so durchgewummert, dass er nach eigenen Angaben kurz vor einer Herzrhythmusstörung stand. Nach 10-15 Minuten stürmte dann Stormzy auf die Bühne und hat düsteren, energiegeladenen Grime Hip-Hop gespielt. Knallharte Beats und Raps im typischen Cockney-Slang, den Rap-Fans entweder lieben oder hassen. Egal – spätestens als er „Are you ready for fuckin’ bizzness?!?“ gebrüllt hat, sind dann alle durchgedreht. Trotz der harten Beats und Raps war Stormzy ein sympathischer Typ, der sich überschwänglich bei den Fans dafür bedankt hat, dass sie soviel Gas gegeben haben.

Lykke Li

Als nächstes auf der Hauptbühne: die schwedische Sängerin Lykke Li. Der Unterschied zu ihrem Vorgänger Stormzy könnte nicht größer sein: statt hartem Straßenrap gab’s verträumten, melancholische Elektro-Pop. Als Lykke Li die Fans mit einem „I am so happy to be here!“ begrüßt hat, hat sie zwar eher traurig geguckt, aber das heißt nichts. Wer Pressebilder von ihr kennt, weiß, dass Lachen einfach nicht ihr Ding ist. Da verwundert es gar nicht, dass ihr aktuelles Album „So Sad So Sexy“ heißt. Ach ja, sie hat natürlich auch ihren Sommerhit „I Follow Rivers“ gespielt.

Kendrick Lamar

Hype hin oder her, Kendrick einer der einflussreichsten Rapper der letzten Jahre. Bei den ganzen Bling-Bling-Rappern heutzutage ist es wichtig, dass es noch politischen Rap gibt. Message statt Gucci-Gucci. Besonders in der Ära Trump. Ihr merkt, ich bin ein Fan. Umso enttäuschter war ich, als Kendrick seine Fans 45 Minuten warten lassen hat. Als es dann die ersten Buhrufe aus dem Publikum gab, ging’s dann plötzlich ganz schnell: Kendrick springt auf die Bühne und spielt „DNA“. Blöd nur, dass der Sound an unserem Standort ziemlich mies war. Bei uns kam nur ein wummernder Bass und Kendricks Stimme an. Wenn ich die Lyrics nicht kennen würde, wäre es schwer gewesen, die Songs auseinander zu halten. Bringt doch nix – wir sind nach der Hälfte des Konzerts nach Hause gegangen. Uns wurde aber versichert, dass der Sound weiter vorne gut war und Kendrick ordentlich abgeliefert hat.

Sziget Festival 2018 – Tag 2

Apey & the Pea

Was gehört zu einem guten Start in den Tag? Ungarischer Heavy Metal natürlich. Apey & the Pea haben um 16 Uhr auf der Hauptbühne gespielt und auch den verpenntesten Festivalbesucher unsanft geweckt. Knallharter Metal! Doublebass! 666! Satan! I am Hell! Und vor der Bühne: bunte Sziget Fans und Instagram-Mädchen in Hippiekleidchen, die mit den geschmückten Haaren moschen. Erster Gedanke: irgendwie fake. Zweiter Gedanke: irgendwie cool. Denn genau das macht Festivals doch aus: du kannst neue Bands entdecken und deinen musikalischen Horizont erweitern. Du wärst vielleicht nie auf ein Metal-Konzert gegangen, schaust dir hier aber Apey & the Pea live an.

Bonobo

Als nächstes haben wir Bonobo live auf der Hauptbühne gesehen. Zu einem kitschig-traumhaften Sonnenuntergang gab’s elektronische Downtempo Songs, die er zusammen mit 6 Musikern und zahlreichen Instrumenten gespielt hat. Als dann auch noch die Sängerin Szjerdene auf die Bühne kam und ihre wunderbare Stimme auf die Songs gelegt hat, ist dann wohl der letzte Fan dahingeschmolzen.

Cigarettes After Sex

Nach Bonobo sind wir in das gigantische Zirkuszelt gegangen, das direkt hinter der Hautbühne aufgebaut war. Die Temperaturen waren zwar tropisch, aber immerhin gab’s Schatten. Schnell noch ein kühles Bier holen und die nächste Band anschauen: Cigarettes After Sex aus den USA, die ich schon auf dem Positivus Festival in Lettland gesehen habe. Die Ambient-Pop Band um Sänger Greg Gonzalez hat mal wieder sehr gefühlvoll gespielt, aber ich bleibe dabei: Irgendwie passt der ein entspannte Sound nicht auf ein Festival. Die Fans vor der Bühne waren anderer Meinung und haben jeden Song mit lautem Jubel gefeiert.

Wer war sonst noch da?

WhoMadeWho: Die drei Musiker aus Dänemark standen im Kaftan auf der Bühne. Bei den Temperaturen sicherlich die schlauste Kleiderwahl. Oscar and the Wolf: Heißt eigentlich Max, kommt aus Belgien und hat Elektro-Pop gespielt. Unknown Mortal Orchestra: Eine Indie-Rock-Band, die von mir Bonuspunkte bekommen hat: Frontman Ruban Nielson lief mitten im Gitarren-Solo durchs Publikum, kletterte den Front-of-House-Turm hoch und spielte oben sein Solo. Nebenbei hat er noch was mit dem Tontechniker besprochen und ist dann Solo-spielend zurück zur Bühne gegangen. Gorillaz: natürlich der Headliner auf der Hauptbühne. Wie schon bei Kendrick am Vortag war es vor der Hauptbühne so dermaßen voll, dass wir die Gorillaz nur aus gefühlt 2 km Entfernung sehen konnten. Zu weit weg, um was Sinnvolles über sie zu schreiben. Seasick Steve: früher umherziehender Wanderarbeiter aus den USA, jetzt gefeierter Bluesmusiker. Er hat sich gewundert, dass so viele Fans vor der Bühne stehen. „Don’t you know the Gorillaz are playing?“ Cooler Typ.

Berühmte letzte Worte

Das waren Tag 1 und Tag 2 auf dem Sziget Festival 2018 in Budapest. Heute geht’s weiter – wir halten euch auf dem Laufenden!

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