Amphi Festival 2019: Tag 2 am Kölner Tanzbunnen


Amphi Festival 2019
Tag 2 beim Amphi Festival 2019 am Kölner Tanzbrunnen. (Bild: stagr / Cynthia Theisinger)

Frisch erholt und mit deutlich angenehmeren Wetteraussichten geht das Amphi Festival 2019 am Sonntag in die Verlängerung. Das kurze Gewitter am Vortag hat den Großteil der Wolken vertrieben und nun scheint die Sonne unaufhörlich auf den Tanzbrunnen in Köln.

Den Anfang machen heute Hell Boulevard. Der Samstag hat sichtlich seine Spuren im Publikum hinterlassen, sind doch deutlich weniger Gäste vor der Main-Stage als gestern. Aber das hält die Jungs von Hell Boulevard nicht auf. Mit viel Enthusiasmus eröffnen sie den zweiten Tag und haben, neben einer Auswahl aus dem eigenen Katalog, auch noch „…Baby One More Time“ in ihrem eigenen Stil im Gepäck.

Als nächstes lassen „die Könige des schlechten Geschmackes“ es richtig scheppern. Ost+Front fegen über das Amphi Festival im Gepäck haben sie eindrucksvolles Make-Up, blutige Outfits und ein großes Maß an Selbstironie. Was irgendwann mal „unschuldig“ als Rammstein-Abklatsch startete, hat mittlerweile durchaus eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Kein Wunder in über 10 Jahre entwickelt man sich weiter oder geht unter in der Masse der Mittelmäßigkeit und Ost+Front ist wirklich schwer zu übersehen.

Das Theater eröffnet heute die Band, die das Amphi Festival abgesagt hat: Seadrake. Das relativ junge Synthiepop-Projekt von Hilton Theissen. Mit seiner tragend melancholischen Stimme und viel Leidenschaft und Energie fegt Hilton über die Bühne durch sein Meer an Lichtern. Die Menge ist zwar nicht unbedingt energiegeladen zur frühen Stunde aber sichtlich in seinem Bann gefangen. Viele Schwingen entspannt hin und her, den Teppich an Eindrücken auf sich einwirken lassend.

Draußen machen sich die Schweizer von The Beauty of Gemina fertig. Für ihr drittes Mal auf dem Amphi haben sie ein sehr Akustik-lastiges Set mitgebracht. Leider ist die Außenbühne dafür nur mäßig gut geeignet und es geht, in den Weiten des Tanzbrunnens, viel Kraft verloren. Wer trotzdem Blut geleckt hat kann sich auf das neue Album und die dazugehörige Tour nächstes Jahr freuen.

Um sicher zu gehen, dass hier nicht zu viel Entspannung aufkommt heißt es “Licht an, Licht aus”: Schattenmann. Mit harten Gitarren-Riffs und voller Kraft zaubern sie ordentlich Bewegung in das Theater. Die Setlist ist sehr stark in Richtung des aktuellen Albums Epidemie verschoben. Schade ist, dass die Stimme von Frank Herzing heute etwas gelitten hat. Hat da jemand etwa zu viele Stunden im Proberaum verbracht? Die Tour zum neuen Album startet im Oktober.

Gut aufgewärmt machen wir draußen weiter mit Faderhead. Die Entwicklung der Band spiegelt sich auch heute in ihrer Setlist wieder. Mit alten Songs wie „Destroy Improve Rebuild“ bringen sie die Masse zum beben, können aber auch langsam und melancholisch, wie mit „Ballad of the Weak“ vom aktuellen Album – vermutlich einem der langsamsten Songs des Tages – überzeugen. Aber die nächste Platte ist schon in Arbeit. Am 4. Oktober 2019 wird Asteria in den Regalen landen und für richtigen Fans stehen auch hier wieder unterschiedliche Optionen für Fan-Extras auf Kickstarter zur Verfügung.

Puppen … jede Menge Puppen. Welle: Erdball hat heute drei Sachen im Gepäck: Schaufensterpuppen, Cover-Songs und natürlich den guten alten C64. Und mit allem dreien gehen sie nicht sparsam um. Der C64 ist natürlich stets und ständig wahrzunehmen und die Schaufensterpuppen sind ab dem zweiten Song „Schaufensterpuppen“ überall auf der Bühne. Die Setlist besteht vollständig aus Songs die zwar von anderen Künstlern stammen aber durch die einzigartige Art von Welle: Erdball adaptiert wurden. Schließlich kündigt Honey noch an: Die Schaufensterpuppen werden für den guten Zweck versteigert. Derweil fangen Coma Alliance an das Theater aufzumischen. Das Publikum begrüßt unter großem Jubel das Joint Venture von Adrian Hates (Diary of Dreams) und Torben Wendt (Diorama). Mit viel Enthusiasmus und einer großartigen Lichtschau verzaubern sie das Publikum.

Zu White Lies ist das Publikum eher verhalten. Die Outfits sind einigen Wohl suspekt – viel zu viel weiß – und viele nutzen die frühen Abendstunden sich eine letzte Stärkung zu zuführen. Aber nach einige Zeit fangen die Leute dennoch an zu tanzen, was mit auch daran liegt, dass die Setlist zu Beginn sehr gediegen ist und erst hinten raus tanzbaren Indie-Rock bietet.

Aber wenn wir ehrlich sind wer es wilder haben will geht ins Theater. Dort steht der Hauptmann und seine Kompanie von Feuerschwanz auf der Bühne und ziehen den Mittelalter-Rock durch den Met. Wobei natürlich Aktionen wie der Schubsetanz nicht lange auf sich warten lassen und die Nähte des Theaters auf die Zerreißprobe stellt.

Peng! Knall! Bumm! Mit diesen Klängen nahm der Auftritt von Project Pitchfork eine jähe Unterbrechung im ersten Song. Die Technik hat die grätsche gemacht und erst einige Minuten später und viele panisch umherlaufende Bühnentechniker können Project Pitchfork wieder weiter spielen. Einige hat es vertrieben in der Zeit. Die wahren Fans bleiben und sich begeistert. Taktischer Ausfall um die Spreu vom Weizen zu trennen? Möglich aber unwahrscheinlich.

Wer wirklich Abriss wollte, hatte sich aber eh rechtzeitig auf die Orbit-Stage gequetscht. Gestern noch mit seinem Cousin auf der Bühne, zerlegt Erk Aicrag mit seinem solo Projekt Rabia Sorda heute die MS Rheinenergie. Bei einer unmenschlichen Hitze – die Klimaanlage hat bei solchen Mengen keine Chance mehr – und unter tosendem Applaus legt er los. Schon nach wenigen Sekunden hämmert es einen den Sound durchs Gehirn und der ein oder andere reibt sich nach knapp einer Stunde die Ohren…“This is why I’m deaf“. Gelohnt hat es sich trotzdem auf jeden Fall.

Der Abschluss des Abends beginnt für viele mit einem großen Zwiespalt. Auf der Main-Stage erwartet einen In Extremo mit Mittelalter-Rock vom feinsten und einer ausgiebigen Pyro-Show, im Theater ruft mit Nachtmahr der Tanzdiktator aufs Parkett und schließlich Das Ich, dass die MS Rheinenergie an seine Grenzen treibt. Das große Finale treibt alle aus dem Schatten und so ist vor allen Bühnen dicht gedrängte Fröhlichkeit angesagt, egal ob „Sternhagelvoll“ vor der Main-Stage oder zu „Katharsis“ im Theater. Der letzte Rest Energie wir ausgepackt und in den Raum gefeuert.

Schließlich ist um Punkt 22:00 Uhr Schluss mit lustig. Viele machen sich auf den Weg nach Hause oder ins Hotel. Aber auch heute muss niemand unbefriedigter Dinge nach Hause gehen. Das Nachtprogramm der Aftershow-Party geht noch lange weiter mit den DJ’s Emmanuel Pursuit, MD75, Adrian Brian Thompson & Deany Sevigny, Dalecooper und Klass-x.

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Text: Lars Tobias Lorbeer