Wacken 2019 Samstag: Crowdsurfen als Breitensport


Wacken 2019 / Wacken Open Air 2019
Der dritte und letzte Tag beim Wacken Open Air 2019, der Samstag, hielt Avatar, Parkway Drive, Kvelertak uvm. bereit. (Bild: stagr / Mark Carstens)

Eine Sache die mir über die Jahre aufgefallen ist: Crowsdsurfen wird mehr und mehr zur Breitensportart. Das mache ich vor allem an der zahl der Surfer fest, die ich fotografiert habe, aber auch an der Zahl der Surfer, die ich selber nach vorne weitergeschoben habe. Tatsächlich hat sich die Zahl der Crowdsurfer in Wacken so weit erhöht, dass die vorderen Reihen teilweise “Zuuuu-Rück!! Zuuu-Rück!!” rufen und die Surfer wieder nach hinten schicken (und das sogar meist erfolgreich) weil sie keine Lust mehr haben, andauernd andere Leute über ihren Kopf zu heben statt das Konzert zu genießen.

Aus dem Grund ein paar Grundregeln für’s Crowdsurfen basierend auf jahrelanger Erfahrung sowohl beim Surfern als auch beim Surfen lassen.

Für den Surfer:
Arsch hoch! Wenn andere euch tragen, streckt den Körper durch, und lasst nicht das “Körperzentrum” hängen. Das macht es unnötig schwierig für die Leute unter euch. Keiner hat was dagegen wenn ihr euch dabei filmt oder eine Flagge schwenkt, solange Rücken und Beine eine möglichst gerade Linie bilden.

Abstand halten. Ich versteh, das ihr mit eurem besten freund oder euren besten Freundin zusammen surfen wollt, am besten Kopf an Kopf und euch dabei unterhält. Oder dass ihr gerade los wolltet, als der Kerl vor euch hochgehoben wurde. Aber: Haltet Abstand, es braucht einige Leute um einen Surfer zu tragen, und die sollten eine Verschnaufpause zwischen zwei Surfern haben. Taschen zuknöpfen. Reisverschluss hochziehen. Die Bauchtasche enger ziehen. Schnürsenkel nach schnüren. Wenn ihr surft, und irgendwas runterfällt, ist es weg. Wahrscheinlich für immer. Also überlegt euch vorher, wie ihr Handy, Portemonnaie, Cap, Hoodie, Schuhe(!!) und andere Besitztümer sichert.

Für die anderen:
Umdrehen. Wenn jemand euch von hinten auf die Schulter tippt, heißt das wahrscheinlich, dass ein Surfer unterwegs ist. Wenn vor euch jemand mit den Finger hinter euch zeigt, auch. Vor allem wenn diese Personen kleiner und schmaler sind als ihr, dreht euch um, guckt was da kommt, und packt dann mit an. Aber vorher …

Weitersagen. Wenn ihr einen Crowdsurfer seht, oder auf einen hingewiesen wurdet, oder ein Kopf oder ein paar Füße auf eurer Schulter abgeladen werden (ok, dann vielleicht nicht weil zu spät), macht andere auf den Surfer aufmerksam. Auf die Schulter tippen hilft meist und geht auch ganz schnell. Idealerweise nicht die kleinsten, sondern Leute die so groß oder größer sind als ihr. Arme nach oben. Die Idee ist, den Surfer von unten anzuheben und dann nach vorne weiterzureichen. Was überhaupt nicht hilft ist wenn man den Surfer von der Seite stützt (weil man nicht weiß, ob jemand auf der anderen Seite das auch tut) oder ihn nach vorne wirft (weil ihn dann die Leute vor einen auffangen müssen, was richtig auf die Schultern geht).

Und dann noch ein kleiner Tipp am Rande: Wenn ihr das Konzert genießen wollt, und jemand vor, neben oder direkt hinter euch einfach nur nervt, tauscht einen kurzen Blick mit dem nächst-kräftigen Kerl aus, schnappt die Nervensäge an den Beinen und hebt ihr auf die Leute vor euch, damit sie ihn wegtragen. Und schon habt ihr wieder eure Ruhe.

Alabama Black Snakes

Es sind meist die großen Acts und Headliner, die auf den Festivals die bei der Berichterstattung die meiste Aufmerksamkeit bekommen. An dieser Stelle möchte ich auch mal über eine Band berichten, die “morgens” um 12Uhr auf einer der kleinen Stages gespielt hat. Und dann noch als Rockabilly-Band auf einem Metal-Festival. Die Alabama-Black Snakes aus Dänemark sind eine muntere Rock n Roll Combo, die neben E-Gitarre und E-Bass auch den typischen Bigsbi-Sound einer Halbakustik Gitarre und eine Mundharmonika erklingen lassen, während sie über Liebe, Herzschmerz, Liebe, Herzschmerz, Liebe, Liebe und Herzschmerz singen.  Vor der Bühne schwingen zahlreiche Besucher in Metal-Kutte oder Mittelalter-Outfit in guter alter Rock n Roll Manier die Hüfte. Eine gelungene Abwechslung nach zwei tagen Headbangen um den Nacken zu entlasten und den Rücken zu lockern. und mit guter Laune in den Tag zu starten.

Subway to Sally

“Ich bin dein Messias, vielleicht sogar dein Gott …” Mit diesen Zeilen startet Subway to Sally ihr Set. Folk mit Metal-Einflüssen oder metal mit Folk-Einflüssen – irgendwo dazwischen liegt das was Subway to Sally seit fast 30 Jahren von Bühne zu Bühne trägt. Neben Gitarre, bass und Schlagzeug gibt es noch eine Drehleier, eine Violine, und je nach Song weitere exotische Instrumente wie Tin Whistle oder Bagpipes. Alle Texte, zumindest alle die heute in Wacken gesungen werden, sind auf Deutsch, viele doppeldeutig oder voller Metaphern, manche aber auch offene Kritik an der modernen Gesellschaft und seinen verwöhnten, ziellosen Bewohnern.

Wenige Bands schaffen es, um 13Uhr das Infield so voll zu kriegen wie Subway to Sally, mit einer Menge, die alle Texte kennt und mitsingt, mitklatscht, mitfeiert und am Ende des Auftritts immer noch mehr will.

Kvelertak

“Ku – wer?” höre ich öfters wenn ich über Kvelertak erzähle, der Norwegischen Band die irgendwo zwischen Heavy Metal und Punk zu verorten ist. Der ehemalige Frontmann Erlend Hjelvik neigte dazu, mit einer Eulen-Maske auf dem Gesicht oder direkt mit einer großen Eule auf dem Kopf (also einer Art Eulen-Helm) auf die Bühne zu kommen. Der neue Sänger Ivar, noch nicht mal ein Jahr im Dienst, hat nur ein Bandana um und grölt direkt den ersten Song ins Mic, dessen Namen ich weder aussprechen noch richtig schreiben kann (irgendwas mit einem kleinen Kreis an der Spitze des großen “A”.

Aber dass die Songs auf Norwegisch sind und vermutlich vom fast keinem im Publikum verstanden werden ist bei einer Band wie Kvelertak egal. Es geht um die Energie, die die Band erzeugt, die ihre Musik ausstrahlt, und die die Menge ansteckt. Zu Recht waren die Jungs Vorband von Metallica und Mastodon. Und spätestens als Ivar von der Bühne runter und in die Menge springt um sich auf Händen tragen zu lassen – mit einem verkabelten Mikrofon in der Hand in das er weiter singt, während die Ordner panisch versuchen genug Kabel nachzuschieben – ist die Menge begeistert und der Gig ein voller Erfolg.

Prophets of Rage

Es hat viele Vorteile, als Berichterstatter auf einem Festival wie Wacken zu sein. Man kommt auch ins Infield wenn es eigentlich überfüllt ist, man darf in den Graben vor die Bühne um Fotos zu machen und ist somit näher an den Künstlern als alle anderen, man darf auch mal durch Notausgänge abkürzen und im Presse-Bereich gibt es ein großes Zelt dass vor Regen schützt, Storm für das Handy und kostenloses WLAN. Und doch gibt es diesen Moment, in denen man am liebsten die (gar nicht so billige und recht schwere) DSL Kamera wegwerfen möchte, um in die Menge zu springen und teil der feiernden Masse zu werden.

Wenn Ex-Rage-Against-the-Machine-Gitarrist Tom Morello, der ehemalige Gitarrist von Rage Against the Machine, seine Finger über die Gitarrensaiten tanzen lässt, und B-Real (Cypress Hill) und Chuck-D (Public Enemy) Songs wie “Jump around”, “Fight the Power” und “Killing in the name of” performen, ist genauso ein Moment. Aber nicht nur die Cover, auch die eigenen Songs von den “Prophets of Rage” reißen einen mit. Allen voran Hits wie “Unfuck the World” oder “Made with hate”, wo in guter alter Crossover-Manier mit innovativen, aber auch sehr aggressiven Gitarren-Klängen, dumpfen Turntable-Beats und messerscharfen Vocals die Gesellschaft aufs gröbste Kritisiert wird zeigen dass Hip-Hop und Metal nach wie vor eine gute Mischung sein können, wenn die Chemie zwischen den einzelnen Band-Mitgliedern stimmt.

Avatar

Avatar gehört zu den Bands, die man nicht einem bestimmten Metal-Genre zuordnen kann. Außer vielleicht “Crazy Metal”. Immerhin ruft Avatar in ihrem letzten Album “Avatar Country” ihren eigenen Staat aus. Musikalisch bleibt es abwechslungsreich: Einige Songs sind Thrashig, andere Melodisch, wieder andere sind richtige Böser Death Metal. Und irgendwo dazwischen gibt es starken Rock n Roll Einfluss, mit einer kleinen Prise Country.

Auch der Auftritt mit den Kostümierten Bandmitgliedern und dem stark geschminkten Frontmann Johannes Eckerström der so schaurig schön Screamen kann wie Cradle of Filth und bei seinen Ansagen charismatisch daherkommt wie Heath Ledgers “Joker” aus The dark Knight” hat eine ganz eigene Verrücktheit inne, die bei stampfenden Bass-Drums und Riffs von den im Takt wirbelnden Haarprachten aller Bandmitglieder noch unterstrichen wird. Avatar ist finster, aber nicht auf die tiefschwarze Weise wie die meisten Death- oder Black-Metalbands, sondern auf seine helle bunte Weise wie es sie lange nicht mehr im Metal gab.

Parkway Drive

Direkt vor dem Auftritt von Parkway Drive gibt es eine angekündigte “Überraschung” der Wacken-Veranstalter: Trivium Frontmann Matt Heafy spielt auf einer Funken-sprühenden Gitarre ein langes Solo während die ersten bekannten Bands für das Wacken Open Air 2020 angekündigt werden, u.a. Amon Amarth und Judas Priest. Dann steigen zwischen Flammenstößen mehrere aztekisch gekleidete Männer auf die Bühne, die allesamt ein wenig an das Iron Maiden Maskottchen “Eddy” erinnern. Ein Hinweis darauf, dass es beim nächsten Wacken Open Air ein Motto geben wird: Die Kultur der Mayas und Azteken. Wie das ganze aussehen soll, bleibt der Phantasie überlassen: Lateinamerikanische Deko auf einem norddeutschen Metal-Acker, wo die Wikinger-Metal-Band Amon Amarth spielt. Man darf gespannt sein.

Dann wird es still, und dunkel. Fackeln werden entzündet, und ein Fackelzug schlängelt sich durch die Crowd, steigt über den Wellenbrecher und klettert auf die Bühne. So eröffnet Parkway Drive das Headliner-Set am dritten und letzten Wacken-Abend. Und mit Wishing Wells, den ersten Song vom neusten Album “Reverence”. Einen Wütend-Traurigem Metalcore-Lied in dem die Welt die die Götter angeklagt und bedroht werden. Ein melodisch langsam beginnenden Lied, das zum Refrain in brutale Rifft und Rhythmen beschleunigt, zu denen Frontmann Winston McCall den Text leicht growlend shoutet. Ebenso stark ist der zweite Song “Prey”, wo es ebenfalls darum geht, wie Trauer sich in hilflose Wut verwandelt.

Nach dieser Eröffnung begrüßt Winston erstmal fröhlich die Menge, holt Bassisten Jia auf die Bühne, der sich das Bein gebrochen hat und im Rollstuhl sitzt, aber trotzdem Bass spielt. Und Jias Mum wird vorgestellt, die sich während der Tour um ihren Jungen kümmert. “Sie war noch nie Crowdsurfen” erklärt Winston, und bittet die Wacken-Besucher Jias Mum nach hinten durchzulassen und sie dann sicher auf ihren Händen nach vorne zu tragen. Danach geht es mit Musik weiter. Metal-Core-Melodien mit Hardcore-Vocals, so kann man Parkway Drive am besten beschreiben. Die Songs sind schnell, kraftvoll, die Texte sprechen vielen aus dem Herzen, aus den dunklen Ecken und den schwierigen Zeiten.

Für “Wirtings on the Wall” und “Shadow Boxing” kommt ein Cello-Quartett dazu – wie in den Studioaufnahmen, das Tempo sinkt ein wenig, aber die Texte bleiben düster. Danach wird das Tempo wieder angehoben, und zu “Crushed” und “Bottom Feeder” können sich die Besucher noch mal so richtig austoben bevor der 30-jährige Geburtstag des Wacken open Airs zu Ende geht.

Wacken Open Air 2020: Tickets + Infos

Wacken 2020 Tickets