Sohn in Hamburg – eine unterirdische Show


Es ist dunkel und verregnet in Hamburg. Fette Tropfen klatschen auf den Boden wie Schüsse. In Pfützen spiegeln sich vorbei huschende Gestalten. Ihre Silhouetten verlieren sich in der Tiefe der Reeperbahn und der gleißenden Neon-Beleuchtung. Der Boden vor mir öffnet sich: gigantische Bögen aus Asphalt drücken sich langsam nach oben und stoppen nach etwa 30 Grad. Es wäre nicht verwunderlich, jetzt Batman oder zumindest die Teenage Mutant Ninja Turtles anzutreffen. Doch die spektakulären Eingänge des Mojo Clubs laden mich heute zu einem Rennen ein. Ein Rennen mit 800 Leuten und dem atmosphärischen Musiker SOHN.

Bevor Christopher Taylor mit seinen magischen Händen die Kontrolle über die ausverkaufte Unterwelt übernimmt, tritt ein junger Mann mit Gitarre und Laptop vor das gespannte Publikum. Mystischer Elektro-Britpop mit einer Stimme, die an Kelly Jones von den Stereophonics erinnert. Vielleicht war er es ja tatsächlich. 

Die kleine Bühne schmückt sich im Design des aktuellen Album-Covers. Parallel gebündelte LED-Röhren leuchten im Zickzack den Hintergrund entlang. SOHN trägt Hut mit breiter Krempe und vermutlich Rick Owens oder Damir Doma. Kein Zweifel – er ist der Mittelpunkt der Show. Ein gleißend helles Licht schießt in die Dunkelheit und „Tempest“ eröffnet den Abend. LEDs schneiden das Mojo in feine Scheiben und treffen auf die Köpfe des Publikums. Der Nebel hebt die Menge an und lässt sie von jetzt an Millimeter über dem Boden schweben. Stille. Feine, organische Klänge umfließen meine Haut und fühlen sich an, als würde ein warmer, rötlicher Wüstenwind die Arme hinauf wehen – „Signal“.


Vom ersten Album „Tremors“ bekommen die Hamburger unter anderem „Bloodflows“ und „The Wheel“ präsentiert. Aber mich persönlich berührt das Plus an R&B und Groove der neuen Songs mehr. Sie erzählen mir intensivere Geschichten, die Kompositionen von 2014 erinnern eher an die Soundtracks der Werbespots für teure Hybrid-Fahrzeuge. Draußen regnet es wahrscheinlich noch immer und ich stelle mir vor, wie es wäre, würde das Regenwasser den Mojo Club fluten. Passend dazu tauchen wir ein in ein tief blaues Licht. I will never drown – „Harbour“ ertönt vorsichtig und minimalistisch aus den Lautsprechern. Doch das Finale des Songs nimmt Fahrt und Bass auf.

Der Saal ist ein Raum-im-Raum-Konzept und steht auf riesigen Stahlfedern. Diese verhindern, dass die Bässe umliegende Hotels stören. Doch spätestens jetzt sollte den Kiez-Touristen die Zahnpasta von der Bürste fliegen. „Falling“ meint es ernst. Plötzlich Unruhe. Der ganze Raum wird in rotes Licht getränkt. Die Herzen schlagen schneller und pumpen Blut in die Ohren. Erst dumpf, dann härter und dreimal hintereinander – „Hard Liquor“.  

Ich verlasse die Katakomben und werde vom Rhythmus der letzten Songs an die Erdoberfläche getragen. Wieder oben auf dem Kiez. Dankbar, dass zumindest unter der Erde mehr geht, als nur Saufparties und Junggesellenabschiede.