Iggy Pop in Hamburg: Das Mehr! Theater brodelte


Iggy Pop
(Bild: stagr / Dita Vollmond)

Hamburg, 8. Mai 2016. Nach einem Einlass auf höchster Sicherheitsstufe stehen wir im ausverkauften Mehr! Theater in Hamburg. „Wir“, das sind ca. 3.500 aufgeregte Fans, gekommen um Iggy Pop live zu erleben und um mit ihm Abschied zu feiern, hat er doch diese Tour als Ende seiner Karriere angekündigt.

Doch der Reihe nach… Denn zunächst eröffnet der Support den Abend: Noveller, bürgerlich Sarah Lipstate aus Brooklyn. Eine bildschöne Frau schwebt allein auf die Bühne und präsentiert mit E-Gitarre und eingespielten Loops eine experimentelle Ambient Geschichte. Mit mystischen Klängen verzaubert sie die Massen, die Musik fließt durch ihren Körper und ihr Körper fließt ekstatisch mit. Das Publikum lauscht gebannt und lässt sich willig hinreißen. Und doch, nach einer halben Stunde tritt sie ab und man freut sich auf Iggy Pop.

Bildergalerie: So waren NOVELLER live:

Um 21 Uhr ist es dann endlich soweit. Es wird dunkel, Trommelklänge durchdringen den Saal und BÄM, die Band stürmt die Bühne in schicken rot schillernden Jacketts. Mit„Lust for Life“ geht es los, das Publikum dreht durch, noch bevor Iggy Pop selbst mit seiner düsteren wütenden Stimme die Bühne erobert. Schon beim zweiten Song „Sister Midnight“, entledigt er sich seines Oberteils und präsentiert uns seinen nackten Oberkörper. Es bleibt die knappe, tief geschnittene, hautenge Hose.

Dann spricht er uns an: „Ich musste mein Leben lang kämpfen“, sagt er. „Wo zur Hölle ist mein Valhalla?“ Die Einleitung zu American Valhalla. Die Menge bebt und hüpft, während Iggy leicht ratlos feststellt, dass es doch etwas weit von der Bühne zum Publikum ist, wo er doch gern in der Menge baden möchte. Also macht er erst Mal weiter mit den Titeln „Sixteen“, „In the Lobby“ und „Some Weird Sin“. Doch zu Funtime hält er es nicht mehr aus: Er steigt zumindest mal in den Graben, klatscht Hände in der ersten Reihe ab, steigt kurzerhand über die Absperrung und lässt sich kurz vom Publikum tragen. Dann klettert er wieder auf die Bühne. Überall recken sich ihm Hände entgegen. Man will ihn anfassen, diese Ikone des Punks! Man will etwas abhaben von seiner unendlichen Kraft und Energie, die er mit seinen lächerlichen 69 Jahren versprüht.

Bildergalerie: So waren IGGY POP live:

Und Iggy Pop gönnt einem das gerne! Zu Tonight bittet er die Security, die Boxen näher ans Publikum zu schieben, damit er springen kann. Gesagt, getan, und schneller als man schauen kann, springt er schon kopfüber in die Menge. Die Security fischt ihn wieder raus und schiebt ihn zurück auf die Bühne. So, nun fühle er sich besser, meint er und macht weiter mit Sunday, in typischer Pose. Er stützt sich nach vorn gelehnt auf den Mikroständer, Hohlkreuz, Hintern raus und brüllt „Fucking Thank You!“ Alles grölt, er winkt. Er winkt überhaupt sehr viel und vergisst dabei keine Ecke des Saals.

Den gewaltigen Sound von Gardenia unterstreicht das durchweg tolle Lichtkonzept, das die roten Jacketts der Band stets leuchten lässt und es dennoch schafft, dass Iggy Pop mit seinem nackten, braungebrannten Oberkörper in hellerem Licht stets im Mittelpunkt steht. Überhaupt ist auffällig, wie sehr sich Josh Homme im „Hintergrund“ hält. Er verschmilzt mit der großartigen Band und stärkt Iggy Pop so den Rücken, lässt ihm aber stets voll und ganz die Hauptrolle. Lediglich als er sich auf der Bühne eine Kippe anzündet und natürlich bei einigen sensationellen Gitarrensoli fällt er auf.

Dann „Fucking great crowd! Can I get down with you? Can I do the Passenger?“ Und 3.500 Menschen hüpfen und grölen mit. Gleich danach China Girl, das wohl jeder zumindest von Davie Bowie kennt. Das Gitarrensolo nutzt Iggy Pop, um unauffällig von der Bühne zu verschwinden. Der Song geht zu Ende, die Band verlässt die Bühne. Ende. Aber man lässt sie nicht lang ausruhen. Es folgen satte sieben Zugaben!

Zu „Fall in Love“ with me spaziert er gemütlich durchs komplette Publikum, lässt sich anfassen, fotografieren. Ein Lichtermeer aus Handy begleitet ihn durch den Saal. Wieder auf der Bühne gibt er uns etwas mit auf den Weg, was ihn das Leben gelehrt hat: „Try to take over your fucking life. Don’t give up! Your day will come and you will win!“. Und so startet „Chocolate Drops“, das uns sagt „When you hit the bottom, you’re near the top, your shit turns into chocolate drops. So fly!“. Zu Paraguay platzt dann die Wut aus ihm: „I wanna go somewhere where people are still humans!“ Die Menge flippt aus. Er sagt „Feels like Success!“ und erzählt er habe noch nie eine so verdammt gute Zeit in Hamburg gehabt, obwohl er doch schon oft da gewesen sei. Zu Success steigt er wieder in den Graben und sucht die Nähe zur ersten Reihe, bevor er sich verabschiedet, und winkt, und Kusshände wirft, und wieder winkt, und sich verneigt.

Alle 3.500 Menschen stehen und jubeln. Die Band verlässt die Bühne, doch Iggy Pop bleibt und genießt. Alle Hände sind in der Luft, der Applaus reißt nicht ab. Gänsehaut… Er schmeißt sich nochmal kurz auf den Boden als suhle er sich im Jubel, bevor er dann auch… geht…

Erfüllt, erschöpft, ehrfürchtig und aber auch ein bisschen traurig bleiben wir zurück und werden diesen Abend ganz sicher NIEMALS vergessen. Mach’s gut, Iggy!

Iggy Pop – Setlist Hamburg

1. Lust for Life
2. Sister Midnight
3. American Valhalla
4. Sixteen
5. In the Lobby
6. Some weird sin
7. Funtime
8. Tonight
9. Sunday
10. German Days
11. Mass Production
12. Nightclubbing
13. Gardenia
14. The Passenger
15. China Girl

Zugaben
16. Break into Your Heart
17. Fall in Love with me
18. Repo Man
19. Baby
20. Chocolate Drops
21. Paraguay
22. Success

Fakten zu Iggy Pop:

Iggy Pop und der Frontmann der Queens of the Stone Age Josh Homme sind auf Tour mit ihrem am 18. März 2016 erschienenen Album Post Pop Depression. 20 Konzerte werden auf der Tour gespielt, nur zwei davon in Deutschland (Berlin und Hamburg). Beide werden begleitet vom Gitarristen und Keyboarder Dean Fertita (ebenfalls Queens of the Stone Age) und dem Schlagzeuger der Arctic Monkeys, Matt Helders. Beide haben auch am Album mitgewirkt. Außerdem dabei sind Troy Van Leeuwen (Gitarre) von den Queens of the Stone Age sowie Matt Sweeney (Bass) von Chavez (und Bill Callahan).

Die Setlist beinhaltet neben dem aktuellen Album keine Stooges-Songs, sondern Material von Iggy Pops Solo Alben Lust for Live und The Idiot aus den 70er Jahren, an denen sein mehrjähriger Berliner Nachbar David Bowie mitgewirkt hatte. Darunter beispielsweise der Song Success, den er noch nie zuvor live präsentiert hat. Josh Homme beschrieb Post Pop Depression als eine Art Fortsetzung von Lust for Life. Auch die neuen Songs erinnern an Bowies Stil.

Post Pop Depression dürfte sicherlich zu einem der besten Alben Iggy Pops zählen. Dieses reife und wütende Werk widmet sich neben üblichen Themen wie Sex und Drogen eben auch der Endlichkeit der Dinge. Und ja, er stammt aus der Generation, die die Musik prägte wie kaum eine andere. Er zeigt dem Nachwuchs heute stärker denn je wie es geht und dass man im Alter auch einfach immer besser werden kann. Und dass Alter in höchstem Maße sexy und aufregend sein kann. Lasst es uns alle genau so machen und nicht anders!