Hardrock mal gar nicht so hart – Mr. Big in Hamburg


Die 90er waren eine gute Zeit für Hardrock. Bands wie AC/DC, ZZ-Top oder Guns’n’Roses haben den Hardrock massentauglich gemacht und starteten das neue Jahrzehnt mit Alben wie “Razor’s Edge”, “Recycler” und “Use your Illusion”. John Bon Jovi und Richie Samboa hatten sich wieder versöhnt und brachten “Keep the Faith” raus. Und irgendwo dazwischen launchte Mr. Big ihr zweites Album “Lean into it” und produzierten eine Hit-Single, die in der USA und Deutschland auf Platz 1 landete.

Diese Single war der Grund für folgende Konversation, die ich eine Woche vor dem Konzert hatte. Ich erzählte einem Arbeitskollegen von mir, dass ich mich auf das Konzert von Mr. Big freue, und er antwortet mit “Das ist doch eine Boyband?!”. Das Missverständnis basierte auf besagter Hit-Single aus 1992. Hardrock hatte eine recht eigene Art, über Frauen zu singen. Liebesbekundungen bezogen sich im Idealfall noch auf ihr Lächeln (Sweet child of mine, Guns’n’Roses), sonst auch gern auf ihre Beine (Legs, ZZ Top), oder einfach auf ihre Bett-Qualitäten (Whole lotta Rosie, AC/DC). Bon Jovi mit ihren leidenschaftlichen aber damals noch kraftvollen Herz-Schmerz Balladen wie “In These Arms” galten schon als Schnulzen-Sänger (und das war noch vor „Always“ dass erst auf dem nächsten Album “Crossroads” herauskam).

Und dann erschien ein Musikvideo mit einem langhaarigen Sänger mit einem kindlich-unschuldigen Gesicht und einer sanften Stimme, der zu einer ruhigen Akustik-Gitarre und einem Schellenkranz “I’m the one who wants to be with you. Deep inside I hope you feel it too” sang. Und das so Zuckerwatten-weich, wie es die News Kids on the Block und Take That in den meisten Songs nicht hin bekamen (noch vor den Backstreet-Boys und N-Sync). Dass Mr. Big dann kurz danach noch sehr erfolgreich ein Cover von Cat Steven’s “Wild World” veröffentlichten half auch nicht wirklich, die Wahrnehmung als Hardrock-Band zu stärken.

Was viele bis heute nicht wissen: Band-Mitglieder Paul Gilbert (Gitarre) und Billy Sheehan (Bass) waren damals zwei der besten Musiker an ihren jeweiligen Instrumenten. Doch anders als die virtuosen Großmeister von heute wie Joe Bonamassa oder Steve Vai (bzw. für Bass Victor Vooten und Steve Bailey), die sehr beeindruckende aber nicht wirklich mitsingbare bzw. tanzbare Musik machen, konnten Gilbert und Sheehan “massentaugliche”, eingängige Melodien komponieren und trotzdem ihr Können eindrucksvoll unter Beweis stellen.

So war auf “Lean into it” neben “To be with you” auch der Song “Daddy, Brother, Lover, Little Boy“, der den Kauf von Akkuschraubern weltweit ankurbelte und den Beinamen “Ther Electric Drill Song” erhielt. Paul Gilbert und Billy Sheehan nutzten einen Akkuschrauber, klebten irgendwas auf die Spitze und nutzten die Rotation um die Gitarren- bzw. Bass-Saiten dauerhaft anzuschlagen. Gitarristen auf aller Welt versuchen das Gerät nachzubauen. Mein Kollege Ty probierte erst Plektren, dann weichere Plektren, und endete schließlich bei Einschlagfolie für Bücher, die er in dreifacher Lage auf dem Akkuschrauber befestigte, um einen ähnlichen Klang wie Paul Gilbert zu erzielen.

25 Jahre später in 2017 war Mr. Big also wieder unterwegs, gerade durch Asien getourt, und starteten nach einer Woche Pause ihre Europa-Tournee in der Markthalle Hamburg. Mit “Faster Pussycat” und “The Anwser” hatten sie zwei Bands im Gepäck, die die Bandbreite des harten Rock’n’Rolls aufzeigten: Faster Pussycat mit klarer Gute-Laune-Attitude die ihre Wurzeln als Glam-Punk-Band erkennen ließen und “The Answer” mit bluesigen Riffs und einer Bühnen-Performance, die an Led Zepplin erinnert.

faster pussycat

Man sah Lead-Gitarrist Ace von Johnson irgendwie schon an, dass er erst später zu der Band dazugestoßen war. Zum einen war er jünger as Bassist Danny Nordahl und Rhythm Gitarrist Xristian Simon. Zum anderen sah er im Gegensatz zu den anderen beiden nicht so aus, als würde er zu den Ramones (Nordahl) oder Sex Pistols (Simon) gehören. Doch vorm ersten Riff an hörte man, dass selbst der “Neuling” Johnson schon seit 7 Jahren dabei ist und auf der Bühne ein eingespieltes Team steht. Dann kam Frontmann und Band-Gründer Taime Downe mit Sonnenbrille und einem Lemmy-Kilmister-Gedenk-Cowboyhut auf die Bühne, und schmetterte die Klassiker von Faster Pussycat wie “The Power and the Glory Hole” oder “Number 1 with a Bullet”. Wobei man sagen muss, dass das letzte Album von Faster Pussycat bereits 11 Jahre alt ist und es somit keine “neuen” Songs gibt.

Aber auch mit dem alten Repertoire waren die Kalifornier in der Lage, das anwesende Publikum zum Mitsingen und tanzen zu motivieren. Abgerundet wurde das leider sehr kurze Best of von Faster Pussycats mit Covern wie “You’re so vaine”, “Shut up and Fuck” und natürlich zum Schluss mit einem kurzen “Ace of Spades” Cover passend zu der Kopfbedeckung von Frontman Downe.

The Answer

Cormac Neeson, Sänger und Gründer von The Answer, erinnerte mich sofort an Led-Zepplin-Sänger Robert Plant. Nur blasser und in hellblond. Aber es war nicht nur das Aussehen (Schnurrbart und lange Harre), sonder nauch die Art sich auf der Bühne zu bewegen, und die Songs selbst, die eindeutig zeigten dass “The Answer” sich stilistisch an die Rock-Größen der 70er wie Led Zepplin oder The Who orientierten. Das Ganze war aufgefrischt mit mit Einflüssen des modernen Hard-Rock und gewürzt mit nordirischen Klängen, die die Herkunft der Band-Mitglieder erkennen ließen.

Den Anfang machte “Solas” vom gleichnamigen, neuen Album. Doch statt weiter Songs vom neuen Album zu präsentieren performten die Nordiren lieber ein Best of ihrer zahlreichen Alben mit Hits wie “Spectacular” und “Pride”. Und ich war nach dem auftritt damit Beschäftigt, “The Answer” Alben in meine Playlist hinzuzufügen.

mr. big

Eric Marten, Sänger von Mr. Big, erinnerte mich damals schon an Michael J. Fox. Nicht dass die beiden sich ähnlich sehen, aber beide haben ein kindliches Gesicht und das Lächeln eines Lausbubs, was dafür sorgt, dass sie nie wirklich alt wirken. Oder erwachsen. Stilecht im Harley Davidson-Shirt kam er zusammen mit Paul Gilbert und Billy Sheehan auf die Bühne und legte direkt mit dem “Electric Drill Song” los, bei dem Peter und Billy auch gleich die Akkuschrauber rausholten während Eric “Daddy, Brother, Lover, Little Boy” schmetterte. Bereits mit dem ersten Song wurden also folgende Fakten klargestellt: Peter und Billy haben es immer noch voll drauf. Eric kann nicht nur weiche Boyband-Songs sondern hat auch harte Shouter-Qualitäten. Und Mr. Big hätte eine größere Location mit einem größeren Publikum verdient.

Peter und Billy gaben das ganze Set über Gas und zeigten deutlich was sie mit ihren Gitarren alles anstellen konnten. Jeder von ihnen bekam einen Solo Spot, und so beeindruckend Peter auch war, Billy überraschte später damit dass man alles was Peter mit seiner 6-Saitigen Gitarre gezaubert hatte auch mit einem 4-saitigen Bass machen kann. Immer mal wieder kam es zu kleinen Gitarre- vs. Bass-Duellen die unentschieden ausgingen. Und Eric lies den beiden Musikern während den Songs genug Raum, um sich entfalten zu können.

Die Setlist enthielt zahlreiche altbekannte Songs, in die immer mal wieder mit Songs aus dem neuen Album “Defying Gravity” gemischt wurden ohne dass es auffiel. Mit dem 2016er Album blieb Mr. Big seinem Stil treu und präsentierte guten alten Hardrock in denen die Musikalischen Talente von Peter, Billy und Eric voll zur Geltung kamen ohne dass es in abstraktes “Gefiddel” ausartete. Songs wie “1992”, “Damn I’m in Love again” und Titelsong “Defying Gravity” fügen sich nahtlos in die alten Hits wie “Alive and Kickin”, “Around the World” und “Green Tinted Sixties Mind” ein. Zur Auflockerung gab es mittendrin natürlich auch schnulzen wie “To Be with you”, “Wild World” und “Just take my heart”. Aber am Ende des Abends hätte keiner mehr gesagt, dass Mr. Big eine Boygroup ist.