Gothic in Klarsichtfolie – Blutengel im Hamburger Docks


Es wird dunkel in Hamburg. Die Legenden der deutschen Gothic Szene singen sich heute tief in die schwarzen Herzen ihrer treuen Jünger. Gemeinsam tauchen wir in eine mystische Welt voller Schmerz, Sehnsucht, Trauer und Hoffnung. Und Liebe natürlich. Doch da ist etwas, das diese so angenehm warme Idylle stört …

Nein, es ist nicht die Vorgruppe Massive Ego. Allein ihre Optik ebnet dem Publikum bereits den Weg in geheimnisvollere Welten. Der silber geschminkte Drummer bewegt sich wie ein fleischgewordener Roboter und Frontmann Marc Massive gibt sich als abstrakte Horror-Version einer Mickey Mouse. Nur einer hat es zu diesem Zeitpunkt bereits verkackt – ich. Denn ich war 15 Minuten zu spät und konnte leider keine Fotos mehr machen. Mit dem passenden Song „Haters Gonna Hate“ übergeben Massive Ego die Bühne schließlich an Blutengel.

Kirchenglocken und ein monotoner Klangteppich durchfluten das Docks. Ein blutroter Gral steht am Bühnenrand und ich spiele mit dem Gedanken, einen Schluck zu nehmen. Vielleicht ist er ja heilig. Hinter mir kann ich die Spannung der ersten Reihen spüren. Hier und da barocke Kleider, Siegelringe und weiße Schminke – ein Vorgeschmack auf das M’era Luna 2017? Neben Korn, ASP, And One und vielen mehr, ist natürlich auch Blutengel bei dem vielleicht besten Gothic Festival Europas dabei.

Es ist so weit. Chris und Ulrike betreten die Bühne und beginnen den Abend mit „Welcome To A New Life“. Der treibende Beat und die warmen Stimmen bringen alle in ihren ersehnten Trancezustand. Das Publikum singt aufrichtig und intensiv jede Zeile mit. Es scheint angekommen zu sein. Blutengel spielt viele Songs aus ihrem neuen und 17. Album „Leitbild“, präsentiert aber natürlich auch (zur Freude aller) einige alte Stücke.

Doch nicht nur die Musik beflügelt die schwarze Fantasie der Gäste. Sexy Nonnen lassen sich von einem schwarzen Engel ausziehen und an die Leine legen, gemeinsam trinken alle aus dem bereits erwähnten, blutrotem Gral und dutzende Fackeln werden von den Tänzerinnen über die Bühne geschwungen.

Aber was genau hat mich jetzt gestört? Klingt doch nach einem gelungenen Abend? Ja, das war es auch. Aber ein paar Dinge verstehe ich nicht. Warum müssen die beiden zeitweise ihre Texte ablesen? Warum sind die Texte in einem gewöhnlichen Ringordner mit Klarsichtfolie? Warum verlässt Chris zwischen den Songs seine Rolle und redet wie der Nachbar von nebenan? Mich haben diese Details immer wieder aus der traumhaften Welt des Gothic herausgerissen. Büroartikel und flotte Sprüche passen einfach nicht zur Show.