An der Haltestelle zwischen Einsamkeit und Kontrollverlust. Bereits zum zweiten Mal verzaubert Edwin Rosen am 21. Oktober in München seine Fans – mit einer Zusatzshow im Backstage Werk, seit Monaten restlos ausverkauft. Zu Beginn der Show tritt er zu „Schau dir zu“ aus dichtem Nebel hervor, ganz in Schwarz gekleidet. Leise, fast scheu, betritt er die Bühne und wirkt bescheiden, nahbar – und ein bisschen geheimnisvoll. Das nostalgische Bühnenbild verstärkt diese Stimmung: Zwischen verwachsenen Pflanzen und flirrendem Nebel steht eine verlassene Bushaltestelle, ein Sinnbild für Nostalgie, Sehnsucht und Vergänglichkeit, Themen, die sich auch durch seine Musik ziehen.
Rosen erzählt, dass er in diesem Jahr eines seiner schönsten Festivals in München gespielt habe. Die Freude darüber sieht man ihm an, sie wirkt ehrlich und ansteckend. Trotz der melancholischen Tragweite vieler seiner Songs ist die Atmosphäre ausgelassen und zugleich intim. Schon beim Oben Ohne Festival überraschten ihn seine Fans mit Papiersternen, die sie in die Luft hielten; heute sind es Herzen, die ihm aus der Menge entgegengestreckt werden.
Der Musiker gibt in Interviews und auf der Bühne nur wenig Persönliches preis, doch in seiner Zurückhaltung liegt Nähe. Edwin Rosen, geboren und aufgewachsen in Stuttgart, studiert Englisch und Philosophie auf Lehramt in Tübingen, die Musik ist sein kreatives Ventil. Mit seinem ganz eigenen Stil, den er selbst als „Neue Neue Deutsche Welle“ bezeichnet, verbindet er 80er-Jahre-Melancholie mit modernem Synth-Pop und Post-Punk-Einflüssen. Bereits mit seiner deutschen Debütsingle „leichter//kälter“ (2020) machte er ohne großes Label auf sich aufmerksam. Die EP „mitleerenhänden“ (2021) setzte dieses Gefühl konsequent fort – das Gefühl, „mit leeren Händen dazustehen, aber trotzdem weiterzumachen“, wie er einmal erklärte.
Auch live spürt man diese Ambivalenz aus Dunkelheit und Hoffnung. Die Menge singt jeden Text mit, bei „Die Sterne“ verwandelt sich der Saal in ein Meer aus Handytaschenlampen, das die Bühne in sanftes Licht taucht. Rosens Stimme trägt durch die Nebelwand hinweg und scheint für einen Moment alle im Raum zu verbinden. Auch der unveröffentlichte Song „Wenn alle Stricke reißen“, dem die Tour ihren Namen zu verdanken hat, stößt auf Euphorie und Begeisterung bei den Fans.
Zwischen den Liedern nimmt sich Edwin Rosen Zeit für Themen, die ihm wichtig sind. Besonders am Herzen liegt ihm die Stuttgarter Siebdruckerei, die seine Shirts und Prints produziert und Menschen im Kampf gegen Suchterkrankungen unterstützt. Aufgrund staatlicher Kürzungen ist die Initiative auf Spenden angewiesen. „Wenn ihr könnt, schaut am Merch-Stand vorbei“, bittet Rosen. Plakate und Sticker gibt es dort kostenlos, eine kleine Geste, die viel über seine Haltung sagt.
Doch Edwin Rosen belässt es nicht bei Worten über Kunst und Konsum. In einer ruhigen Momentaufnahme spricht er über Einsamkeit und psychische Belastung bei jungen Menschen: „46 Prozent der Jugendlichen fühlen sich stark belastet durch Einsamkeit. Geht auf die Leute zu, fragt nach, wie es ihnen geht. Seid füreinander da.“ Am Merchandise-Stand liegt zusätzlich eine Nummer für anonyme Unterstützung bei psychischen Krisen aus. Seine Botschaft ist klar: „Es ist nicht alles so dunkel, wie es aussieht.“
Als Zugabe folgt „Vertigo“ – jener Song, der laut Rosen das Gefühl beschreibt, „wenn alles aus Kontrolle zu geraten scheint“. Bevor die ersten Töne erklingen, bittet er das Publikum, die Handys in den Taschen zu lassen. Es entsteht ein Moment magischer Intimität: ein Chor aus berührten Stimmen, nur wenige Displays, keine Ablenkung. Nur Musik, Raum und Resonanz. Gänsehaut pur. „Hab vergessen, wer ich bin“, heißt es in der Zeile, und für Sekunden scheint dieser Satz Wirklichkeit zu werden.


























