Back to the future mit Skunk Anansie


Zugegeben – Skunk Anansie haben bei mir persönlich nach dem 2. Album aufgehört zu existieren. Live gesehen habe ich sie noch nie und von etwa 40 ihrer Songs noch nichts gehört. Die 22 Hits auf „Paranoid and Sunburnt“ und „Stoosh“ hatten eine Dauerkarte für meinen Disc-Man und jede Note wurde auswendig gelernt. Aus spätpubertären Gründen aber eben irgendwann abgelöst. Aber warum bin ich jetzt hier im Docks und sehe Skunk Anansie live? Gerade jetzt? 20 Jahre und 4 Alben später?

Schon die Vorgruppe „The Pearl Harts” knallt richtig. Zu zweit übertragen die beiden Mädels aus London ihre Punk-Blues-Energie auf das Hamburger Publikum. Kurze Pause.

„And Here I Stand”. Klare Ansage – es geht los. Fetter Bass, krachende Gitarren und diese unfassbare Energie. Skin ist links von mir, plötzlich rechts und schließlich direkt über mir. Die Bühne wird ihr schnell zu klein und schon nach dem ersten Song springt sie einfach mal in die Menge. So fängt man ein Konzert an! Skunk Anansie setzt da an, wo andere aufhören und, ich nehme es vorweg, kann sich trotzdem noch steigern.

Die Hamburger Fans sind alle keine Zwanzig mehr. In ihren Köpfen drängeln sich Gedanken um den letzten Elternabend, den Chef oder ob ihr Hund zuhause gerade die Wohnung auseinander nimmt. Doch die Zeitmaschine setzt zur Landung an. Ace startet sein verzerrtes WahWah, Cass Bass kracht, Marks Sticks prallen auf die Snare und Skins Stimme dröhnt „Ahhhhhhhhhhhhhh”. Willkommen im Jahr 1995. Das Jahr, in dem unsere größte Sorge der Tafeldienst war. Hamburg ist wach! Spätestens mit „Intellectualise My Blackness” sind aus Männern und Frauen wieder Jungs und Mädels geworden.

Ich verlasse den Fotograben und mache einen Fehler, den ich im Docks dummerweise oft mache. Ich gehe in die letzte Reihe. Leider ist die letzte Reihe eine Mischung aus Ausgang und Bar. Hier wird mehr über alte Zeiten gesprochen, als sie noch einmal zu erleben. Also ab auf die etwas besseren, oberen Ränge.

Skunk Anansie macht keine Pausen und rast über eine ständige Spannungskurve. Die Roadies tauschen die Instrumente in Schallgeschwindigkeit und ermöglichen so übergangslose Wechsel der Songs. Zeit zum Atmen hat hier heute keiner und Skin sucht die Aufmerksamkeit der Fans immer wieder direkt im Publikum. Berührungsängste gibt es nicht.

Auf „Weak” folgt „Hedonism”. Der Gesang der 1.200 Gäste wird immer klarer. Doch plötzlich ein Bruch. „Are you the victim of your love?” Ganz im ernst – „Victim” ist für einige Leute ein Grund zu gehen. Hinter mir wird schon davon gesprochen, dass das Konzert cool WAR, weil alle geilen Lieder gespielt wurden. Ist der Abend zu Ende? Ein anscheinend nicht ganz unbekanntes Problem. Skin betont auf ihre sympathische Art, dass sie nicht Skunk Anansie wären, würden sie nicht noch immer neue Songs schreiben. Richtig so! Ein Gitter aus roten Laserstrahlen baut sich über die gesamte Breite der Bühne auf. Skin trägt einen Glitzeranzug und lässt sich von den Strahlen durchbohren. Aus dem Album „Anarchytecture“ von 2016 hören wir „Love Someone Else”.

Ganz ohne Politik geht es natürlich nicht. Zwar ist die Message von Skin nicht neu. Das macht sie aber nicht weniger wichtig. Für Frieden und Menschenrechte kann man sich einfach nicht laut genug einsetzen. Darin scheinen sich alle einig. „This is fucking political” ist mein fucking last song des Abends und ich komme zurück zu meiner Frage vom Anfang: „Warum bin ich jetzt hier im Docks und sehe Skunk Anansie live? Gerade jetzt? 20 Jahre und 4 Alben später?” Weil ich Ihnen noch ordentlich Applaus für die gute, alte Zeit schuldig war.

Das neue Album von Skunk Anansie gibt’s bei Amazon:
Audio-CD „Anarchytecture“,  Vinyl-LP „Anarchytecture“ oder MP3-Download „Anarchytectu