45 Jahre Grave Digger – Jubiläums-Tour in der Markthalle-Hamburg


(Bild: Mark Carstens)

Es ist immer wieder spannend, etwas zum ersten Mal zu erleben. So wie meine Begleitung, die heute zum ersten Mal ein Konzert in der Markthalle erlebt. Ich selbst werde ein wenig angesteckt und versuche mich daran zu erinnern, wie ich zum ersten mal vor dem mittlerweile 110 Jahre altem Gebäude aus roten Ziegelsteinen stand bis das große Metalltor geöffnet wurde, die grauen Treppen hoch ging bis zum Eingangsbereich, wo ein Trenngitter dafür sorgt dass man erst an der Garderobe vorbei geht, dann an die Kasse am Ende des raums kommt und auf der anderen Seite dann wieder an der Security vorbei zurück zur Treppe, die noch ein Etage nach oben führt.

Ich erinnere mich, wie ich vor 20 Jahren ganz plump versucht habe, mit der Dame an der Garderobe zu flirten, mein hart erspartes Geld an der Abendkasse für ein Ticket tausche, und mich dann von der Security abtasten lasse. Damals wie heute wird an der Abendkasse für einen guten Zweck gesammelt, immer ist es ein lokaler Zweck für Kinder. Seit damals schmeiße ich immer was in die Sammelbüchse, wobei ich mir damals immer spontan in der Hosentasche nach Rest-Kleingeld kramen musste, während ich mittlerweile vor meinen Markthallen-Besuch bewusst Bargeld einstecke, da ich sonst fast komplett bargeldlos unterwegs bin.

Oben angekommen läuft man natürlich erstmal am Merch-Stand und am Bier-Tresen vorbei (merch erstmal nicht, Bier … hmm … n Alster) bevor man den “Großen Saal” betritt. Der “Große Saal” fasst 1.000 Besucher, was ihn im Vergleich zu anderen Konzertsälen in Hamburg eher “klein und gemütlich” macht. Der Sound muss keinen Vergleich mit anderen, größeren Venues wie “Große Freiheit 36”, “Docks” oder “Grünspan” scheuen. Dadurch dass der Boden zu den Seiten und nach hinten hin stufenweise angehoben wird, können alle Anwesenden gut die Bühne sehen, besser als wenn man in den anderen erwähnten Venues weiter hinten stehen muss. Und durch zwei Ausgänge hinten ist es auch problemlos möglich, ohne großes Gedränge rauszugehen, sich ein Bier zu holen und an seinen vorherigen Platz zurückzukehren.

Einzig die Ventilation ist durch die niedrige Decke eher “mäßig”, was man vor allem bei der dritten Band merkt, wenn die Wärme sich aufgestaut hat, und die Luft so feucht ist, dass der Bühnennebel sich kaum noch verzieht. Aber bis dahin ist die Stimmung auch so aufgeheizt, dass es einen kaum noch stört.

Rigorious

Grave Digger’s Frontmann Chris Boltendahl war es, der das erste Album von Rigorious produziert hat. Mit einem Sänger der an Kerry King von Slayer erinnert (Glatze, gleicher Rauschebart, ähnliche Statur) und dem klassischen Power-Metal Ensemble (zwei Gitarren, ein Bass, ein Schlagzeug) kommen die 5 Männer aus Mannheim auf die Bühne. Kopfstehende Breitschwerter stehen links und rechts als Deko, und dunkel-violettes Licht erzeugt eine düstere Atmosphäre.

Hier liegt in meinen Augen die konzeptionelle Ungereimtheit von Rigorious. Frontman Lukas hat eine Stimme mit einem angenehm sonoren Brummen wenn er mit “Hallo Hamburg, wir sind Rigorious” begrüßt. Er und seine Band haben diese sympathische Mannheim-Kumpelige Art im Umgang mit dem Publikum und miteinander. Und von der ersten bis zur letzten Sekunde auf der Bühne strahlen alle überdeutlich den Spaß und die Freude aus, gemeinsam auf Tour zu sein.

Natürlich kann man verstehen, dass Lukas auch mal zeigen will, welche Höhen seine Stimme erklimmen kann, und wie gut er auch Shouts beherrscht. Aber Songs wie “Children of the Night” passen nicht so ganz zu dem Bild, das die Band live abgibt. “Power of my Sword” oder “Bathed in Blood” haben die martialische Power, die besser zu der Power-Metal Band passt. Dem Enthusiasmus und der sprichwörtlichen Power, die Rigorious auf die Bühne bringt. Ich wünsche mir mehr Songs wie diese von Rigorious. Und freue mich darauf, sie in naher Zukunft hoffentlich auch mal auf größeren Bühnen zu sehen.

Victory

Die Band “Victory” teilt sich für mich in 3 unterschiedliche Bands auf: Die Orginal-Band, gegründet 1985 und aufgelöst in 1994. Die zweite Band, gegründet 2001 und aufgelöst. Und die 2013 neu gegründete Band, die aber für mich erst seit 2019 mit dem neuen Frontmann Gianni Pontillo und dem neuen Gitarristen Mike Pesin “fertig” war. Die Konstante bei Victory ist Gitarrist Hermann Frank, der vor der Gründung von Victory noch bei Accept an “Balls to the Walls” beteiligt war.

In den 80er und 90er Jahren prägte Hermann Frank maßgeblich den Sound von Victory mit, war dann aber in der 2 Version von Victory wieder bei Accept beschäftigt und arbeitete an “Stalingrad” und “Blood of Nations” mit. In der 3. Version von Victory ist Herrmann Frank nun wieder mit von der Partie, als einziger der “Version 1”. Dennoch merkt man in den neuen Victory Alben “Don’t Talk Science” und vor allem “Gods of Tomorrow” deutlich, wie der Kreis sich schließt. Gleichzeitig bringen die neuen Mitglieder sich klar ein und führen zu interessanten Experimenten und einen doch eigentümlichen Stil.

Als großer Fan von den zweiten und dritten Victory Alben “Don’t get Mad, get even” und “Hungry Hearts”, aber auch der 2021er Album “Gods of Tomorrow“, war ich sehr gespannt, zum ersten mal Victory mit Gianni und Mike live zu erleben. Und ich wurde nicht enttäuscht. Gianni meistert die Klassiker wie “Rock the neighbours” und “Hit and run” meistert er genau so gut wie die aktuellen Songs wie “Gods of Tomorrow”. Wenn man die Covid-Jahre mal abzieht, tourt diese Band seit 3 Jahren gemeinsam durch die Welt und hat gerade mal 2 Alben rausgebracht. So gesehen steht Rigorious ihnen in nichts nach. Aber Victory besteht aus unfassbar erfahrenen Musikern, angefangen mit Band-Urgestein Hermann Frank. Und so wirkt Victory, als hätte die Band schon seit Jahrzehnten in dieser Besetzung gespielt. Alles läuft wie geschmiert, jeder weiß jederzeit was er zu tun hat. Dabei hat man aber nicht das Gefühl, dass die Show durchchoreographiert ist, wie es bei großen Pop-Ikonen aber auch bei Rockern wie “Meat Loaf” der Fall ist.

Es passt einfach alles. Die Backing-Vocals, die perfekt mit Giannis Gesang harmonieren, die abwechselnden Gitarrensoli bei denen Herman un Mike abwechselnd ihre Finger über die Saiten tanzen lassen und dabei eine flüssige Rock-Melodie abrollen, die sich perfekt auf den Rhythmus von bass und schlagzeug legen. Gianni bleibt tight, auch wenn er High-Fives in der ersten Reihe verteilt oder auf den Lautsprecher-Turm rauf- und wieder runterklettert. Wer den Sound von Led Zepplin mag, aber auf etwas mehr Tempo und Gekreische steht, der sollte sich definitiv mal Victory ansehen. Und die gute Nachricht für mich ist, dass die Band auch in Wacken 2025 dabei sein wird.

Grave Digger

Jeder hat in seinem Bekanntenkreis diesen einen Opa (sei es der eigene, der eines Freundes/einer Freundin oder einfach nur ein älterer Herr in der Nachbarschaft) der als er jünger war zur See gereist ist, Rowdy von Black Sabbath war oder irgendwas anderes spannendes gemacht hat. Gerade an runden Geburtstagsfeiern hat man sich gern versammelt, und Opa hat wieder die alten Geschichten rausgeholt, die man schon zigmal gehört hat, aber die man immer wieder gerne hört.

Es steht mir fern, Grave Digger’s Frontmann Chris Boltendahl als “Opa” zu bezeichnen (immerhin ist er erst 63 Jahre jung). Aber 45 Jahre in Bandjahren ist eine verdammt lange Zeit, und natürlich erwartte man auf einer Jubiläums-Tour all die Songs die man wieder und wieder und wieder gehört hat, die man auswendig kennt und schon an den ersten 3 Akkorden erkennt. Und die man trotzdem immer wieder gerne hört.

Chris, Band-Gründer und Frontmann seit 45 Jahren, hilft mir allerdings auch zu diesem Vergleich: Er freut sich über den Nachwuchs, also die jungen Leute die zum Konzert gekommen sind, lässt Gitarrist Tobias kersting auch mal n Accord spielen um zu beweisen dass die Musik hier noch Handgemacht ist, und schwelgt in Erinnerungen.

All das in der gemütlichen Atmosphäre einer Markthalle, die meiner Ansicht nach für Metal-Größen wie Grave-Digger zu klein ist. Natürlich, wenn Chris erzählt was für eine Ehre es war dass Rob Halford (Sänger Judas priest) ihn wiedererkannt hat, ist eine 1.000 Mann Crowd die herzlich drüber lacht genau richtig. Und um zu Songs wie “Keeper of The Holy Grail” langsam mitzuklatschen und mitzusingen, ist die intime Atmosphäre der Markthalle super. Aber wenn ich an Grave Digger denke, denke ich an Songs wie “The Curse of Jaques” (ja, der fängt akustisch an, nimmt dann aber schnell viel Power auf) und “Excalibur” mit schnellen Riffs und harten Drums. Ich denke zurück an die Show auf dem Wacken Open Air 2022, mit einer Schottischen Marschkapelle und Pyro-Show. Unvergessen auch “Rebellion” mit Gast-Künstlern wie Hansi Klütsch (Blind Guardian) in 2014.

Auch in der Markthalle werden “Rebellion” und “Scotland United” gespielt, aber statt Flammen gibt es nur Nebelfontänen, und die epische Atmosphäre einer großen Bühne fehlt mir bei den legendären Songs dieser Metal-Legende. So sehr ich die Markthalle auch mag, ich kann es nicht erwarten, Grave Digger dieses Jahr wieder auf dem Wacken Open Air zu sehen. Auch wenn es dann wieder die gleichen Songs und die gleichen alten Geschichten zu hören gibt, die ich schon zigmal gehört habe.