Wave-Gotik-Treffen 2019: Die schwarze Konstante


So war die beliebte der 28. Ausgabe vom Wave Gotik Treffen 2019 in Leipzig.

Das Weltgeschehen wird gefühlt immer chaotischer und unberechenbarer – das fängt beim aktuellen US-Präsidenten an und hört beim Klima auf. Da freut man sich doch über jeden Ankerpunkt, der in Zeiten des ständigen Wandels Halt bietet. Ein gutes Beispiel ist das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, das in diesem Jahr seine 28. Auflage feierte. Denn als Angehöriger der Schwarzen Szene weiß man: egal, was passiert – über Pfingsten wird die sächsische Metropole zum zweiten Zuhause. Auch diesmal konnte man aus über 200 auftretenden Künstlern in gut einem Dutzend Spielstätten und zahllosen Rahmen- und Kulturveranstaltungen schöpfen, um sich die vier Pfingsttage zu versüßen. Oder sich einfach treiben lassen und genießen, in schwarzen Klamotten und extravaganten Outfits mal nicht der Außenseiter zu sein.

Kann das der „normale“ Leipziger gut finden? Aber sicher doch. Die Leipziger lieben ihr WGT und pilgerten erneut in Massen zu öffentlich zugänglichen Veranstaltungen wie dem Viktorianischen Picknick oder dem Heidnischen Dorf im Torhaus Dölitz. Überall hörte man fast nur Positives über die freundlichen, zurückhaltenden Szene-Anhänger, die zwar etwas düster aussehen, aber offensichtlich auch ziemlich viel Spaß haben und lachen. Auch die Geschäfte rüsteten sich über alle Branchen hinweg. Ob Apotheke, Bäcker, Drogerie, Eiscafé, Buchladen oder Modegeschäft – alle hatten für die WGT-Besucher etwas Passendes im Angebot und vor allem im Schaufenster. Das reichte von praktischen Dingen wie Blasenpflastern über Plüschspinnen bis hin zu eher unappetitlich aussehenden schwarzen Baguettes.

Im offiziellen WGT-Programm herrschte wie gewohnt die Qual der Wahl. Tagsüber boten beispielsweise verschiedene Leipziger Museen spezielle Führungen und Ausstellungen an, Galerien präsentierten die Werke zahlreicher Künstler und Autoren luden zu Lesungen ein. Ab dem späten Nachmittag begannen in den zahlreichen Veranstaltungsstätten die Konzerte, die von Elektro und Industrial über Dark Wave und Post Punk bis Mittelalter und Metal sämtliche Spielarten schwarzer Musik abdeckten.

Wave-gotik-treffen 2019 – Freitag

Für uns begann das WGT offiziell mit einem Abstecher in die Mintastique, einer liebenswürdigen Cupcake-Manufaktur südlich des Leipziger Zentrums. Passend zum Anlass gab es spezielle WGT-Cupcakes, die nicht nur kulinarisch, sondern auch optisch ein Highlight waren. Die schwarz-roten Schoko-Exemplare hatten fast schon etwas Barockes und bei der Steampunk-Edition traute man sich eigentlich gar nicht, die süßen kleinen Schoko-Zahnräder und -Schlüssel zu essen. Für ganz Eilige gab es sogar leckere Pralinen am Stiel, die man auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle verputzen konnte.

Danach machten wir uns auf den Weg zum AGRA-Gelände, auf dem sich die größte Konzertlocation, die berühmt berüchtigte Flaniermeile, der Zeltplatz und natürlich die Messehalle mit zahlreichen Händlern befinden. Letztere offenbarte sich einmal mehr als die Schwarze Messe schlechthin. An gefühlt noch mehr Ständen als in den vergangenen Jahren konnten die WGT-Besucher ihr Erspartes für Kleidung, Schmuck, Deko, Bücher, CDs, Geschirr und vieles mehr auf den Kopf hauen oder sich sogar vor Ort tätowieren lassen. Insbesondere kleine Ein-Mann-Manufakturen, die ihre eigenen Kreationen und Unikate anboten, waren in hoher Zahl vertreten. Dazu zählte zum Beispiel El Drac Del Cabanyal, die ihre ausgefallenen Schmuckstücke dabei hatte. Besonders beeindruckend waren etwa die gut 20 Zentimeter langen und handgefertigten Holz-Haarnadeln und eine Kette mit integriertem USB-Stick. Weihnachtsfans kamen bei Metal Art & Fire voll auf ihre Kosten. Denn dort warteten selbst entworfene Weihnachtspyramiden aus Blech, deren Einzelteile mit einem Laser hergestellt werden. Die Modelle gab es in verschiedenen Größen und wer sich für eines der größeren Exemplare entschied, konnte sich sogar über eine Wendeltreppe im Innern freuen. Besonders praktisch: die Flügel müssen nicht mehr einzeln umgeklappt werden, weil das ein Mechanismus gleich für alle auf einmal erledigt.

Am frühen Abend machten wir uns auf den Weg zum Täubchenthal im Leipziger Westen, um unser WGT mit den Golden Apes auch musikalisch einzuläuten. Die Berliner Gothic-Rock-Band hatte sich für das WGT etwas Besonderes einfallen lassen. Denn an den Drums saß kein Geringerer als Steve Hewitt, der von 1997 bis 2007 zehn Jahre lang bei Placebo die Sticks geschwungen hat. Mit New-Wave-Gitarren, prägnanten Bassläufen und dem tiefen Gesang von Frontmann Peer Lebrecht vereinte der Sound der Berliner viele stilistische Elemente, die man von Genrevertretern aus den 80ern und frühen 90ern kennt, ohne dabei jedoch altbacken zu wirken. Als roter Faden zogen sich Melodien, die immer auf dem schmalen Grat zwischen Verzweiflung und vorsichtiger Hoffnung wandelten, durch den gesamten Auftritt der Golden Apes. Ein runder Auftakt!

Eher mittelprächtig gestaltete sich leider der Auftritt von Scarlet Dorn in der Moritzbastei, was allerdings nicht an der Künstlerin, sondern an dem viel zu kleinen Konzertraum lag (von einem Konzertsaal zu sprechen, wäre maßlos übertrieben). So blieb uns leider nur übrig, halb drin halb draußen den Klängen der sibirischen Sängerin zu lauschen, die unter der Regie von Lord of the Lost-Mastermind Chris Harms im letzten Jahr ihr Debütalbum herausbrachte. Schade, denn das was wir aufschnappten, klang vielversprechend. Mit einer Mischung aus düsterem Pop-Rock und einer warmen, recht tiefen Stimme schaffte sie es zumindest, diejenigen zu verzaubern, die es ganz hinein geschafft hatten.

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Wave-gotik-treffen 2019 – Samstag

Auf einem Festival ist es natürlich unerlässlich, möglichst früh auf seinen Hopfenspiegel zu achten. Deshalb startete der Samstag in der Getränkefeinkost Leipzig, einem extrem gut sortierten Geschäft für Bier, Spirituosen und Limonaden. Da man sein Getränk dort auch gemütlich am Tisch vor Ort zu sich nehmen kann, entwickelt man durchaus schnell Sitzfleisch. Trotzdem schafften wir es, uns rechtzeitig auf den Weg zum Volkspalast zu machen.

Dort wurde von uns mit Spannung der Auftritt von Goethes Erben erwartet – einer von insgesamt drei auf dem diesjährigen WGT, denn am Sonntag sollten noch zwei Kammerkonzerte im Schauspielhaus folgen. Goethes Erben haben die deutsche Gothic-Szene maßgeblich geprägt und heben sich seit ihren Anfängen vor fast 30 Jahren noch immer aufgrund des intellektuellen Niveaus von Texten und Inszenierung vom Gros der Szene ab. Das bewiesen sie einmal mehr mit ihrem 2018er Release “Am Abgrund” – dem ersten Album nach 13 Jahren und das sie im ersten Teil des Konzerts in voller Länge spielten. Der Auftritt glich dabei einer Theaterinszenierung, wodurch die auf dem Album sehr präsenten politischen und gesellschaftskritischen Aussagen als Abgesang auf die Menschheit noch stärker in den Vordergrund rückten. Die aufwendige Show mit Leinwänden, Projektionen und Kunstblut unterstrich die bedrückende Atmosphäre hervorragend. Oswald Henke sang und sprach sich förmlich in eine Rage, gegen die seine Darbietung auf dem Tonträger fast schon zahm wirkte. Nach einer kurzen Umbaupause gab die Band noch zehn Klassiker aus der Bandgeschichte zum Besten, darunter “Vermisster Traum”, “Zinnsoldaten”, “Nichts bleibt wie es war”, “Die Brut” und “Mensch sein”. Ein großartiger Auftritt und definitiv eines der Highlights in diesem Jahr.

Als alte WGT-Hasen meiden wir normalerweise das Heidnische Dorf wie der Teufel das Weihwasser. Zu viele Leute, zu viel Wetter (entweder zu warm oder zu kalt), zu lange Schlangen, zu teure Toiletten… Aber was, wenn eine wirklich tolle Band dort spielt? Vor zwei Jahren waren wir vom WGT-Debüt der sibirischen Black-Metaller WELICORUSS dermaßen begeistert, dass wir sie uns dieses Mal ebenfalls nicht entgehen lassen wollten. Die Schlange vor dem Dorf war lang, es ging aber flink vorwärts und wir fanden noch einen schönen Platz am Rande der ersten Reihe. Die Bühne spendete Schatten, es wehte ein laues Lüftchen – so ließ es sich gut aushalten. Das Publikum war zu Anfang etwas skeptisch, spätestens bei “Slava Rusi” wurden jedoch alle mitgerissen, Trinkhörner und Haare wurden im Rhythmus geschwungen. Der starke Auftritt endete mit „Sons of the North“, anschließend wurde der Merch-Stand vom begeisterten Publikum gestürmt.

Es gibt so Sachen auf dem Wave Gotik Treffen, von denen weiß man, dass es sie schon viele Jahre gibt, aber man kommt einfach nie dazu, sich das anzuschauen. Damit meinen wir nicht den Stricknachmittag für Schwarz-Romantiker, dafür fühlen wir uns dann doch noch etwas zu jung. Rein zufällig haben wir den Sammelpunkt der individuell und liebevoll restaurierten Gefährte vom alljährlichen Leichenwagentreff am Hauptbahnhof entdeckt und konnten so die Abfahrt im Konvoi zum Südfriedhof beobachten. Fazit: Das Motto des Treffens „Viva la muerte. In Würde leben, mit Würde sterben. Für den Erhalt zeremonieller Bestattungswagen und andächtiger Friedhöfe.“ trifft voll ins Schwarze, denn man sieht die Leidenschaft und Liebe zum Detail, die in jedes dieser Fahrzeuge gesteckt worden ist.

Wie am ersten WGT-Tag zog es uns am Abend wieder ins Täubchenthal. Die britischen Pagan-Rocker von INKUBUS SUKKUBUS feiern in diesem Jahr 30-jähriges Bestehen – und wo lässt sich das besser zelebrieren als auf dem WGT? Dachten sich Sängerin Candia Ridley und ihre Bandkollegen offenbar auch, packten eine ganze Menge Klassiker ein und machten sich auf den Weg nach Leipzig. Vom ersten Ton an nahm Ridley die Bühne in Beschlag und hatte das Publikum fortan fest in der Hand. Die Band rockte sich durch nahezu ihre gesamte Bandgeschichte mit Songs wie “Vampire Queen”, dem großartigen “Paint it black”-Cover, “Vampyre Erotica”, “Belladona & Aconite” und natürlich “Heart of Lilith”. INKUBUS SUKKUBUS haben auf dem WGT 2019 eindrucksvoll bewiesen, dass sie alles andere als zum alten Eisen gehören.

Altes Eisen wäre dann auch das Stichwort für unser letztes Konzert des Abends im Felsenkeller. JOACHIM WITT, der in diesem Jahr stolze 70 Jahre alt wurde, ist seit seinem Richtungswechsel in zur Neuen Deutschen Härte Ende der 90er Jahre ein gern gesehener Stammgast auf dem WGT. Entsprechend voll (und tropisch) war die Hütte. Als der inzwischen komplett ergraute und mit langem Rauschebart ausgestattete Witt die Bühne betrat, brandete ihm schon frenetischer Jubel entgegen. Dieser sollte auch im Verlauf des Auftritts nicht abebben, der hauptsächlich durch die düstere Schaffensphase des ehemaligen NDW-Recken führte. Der “Goldene Reiter” durfte in den Zugaben trotzdem nicht fehlen, ebenso wenig “Die Flut”, die ihm seinerzeit kommerziell einen zweiten Frühling bescherte. Den dritten erlebte er auf dem diesjährigen WGT, auch wenn er zu bedenken gab: “Schön dass ihr hier seid. Und ich auch – wer weiß wie lange noch.” Aber ganz ehrlich: Nach solch einem starken Auftritt muss man sich aktuell wahrscheinlich keine Sorgen machen und darf sich auf das nächste WGT-Konzert in ein paar Jahren freuen.

Zum Abschluss statteten wir dem Studentenclub “StuK” einen Besuch ab, der in diesem Jahr zum ersten Mal im Rahmen des WGT dabei war. Dort konnte man entweder im ersten Floor einer Lovecraft-Lesung beiwohnen oder im zweiten Floor zur “Noir Classique”-Party. Wir entschieden uns für letztere und ließen den Abend bei einer gelungen Mischung von BEHEMOTH bis GOETHES ERBEN ausklingen. Die Location macht auf jeden Fall Lust auf mehr – hoffentlich ist sie nächstes Jahr wieder dabei.

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Wave-gotik-treffen 2019 – sonntag

Der Sonntag hat sich als Metal-Tag im Felsenkeller etabliert, weshalb wir auch in diesem Jahr den Großteil des Tages dort verbringen wollten. Zumal das Metal-Angebot diesmal im Vergleich zu den vergangenen Jahren ziemlich dürftig war. Konnte man auf den vergangenen WGTs durchaus jeden Tag auf mehrere entsprechende Konzerte gehen und somit auch bedenkenlos als reiner Metaller das Festival besuchen, war das Angebot diesmal eher ernüchternd. Wenn man sich zusätzlich noch vor Augen hält, dass drei der fünf Bands im Felsenkeller ohnehin gerade gemeinsam auf großer Europatour sind, ist man als langjähriger Besucher schon etwas enttäuscht. Aber sei’s drum – hoffen wir einfach, dass der Metalbereich im nächsten Jahr wieder etwas mehr Aufmerksamkeit erfährt.

Das vermeintlich schwere Los als erste Band des Tages am Nachmittag zu starten, erwischten THY ANTICHRIST. Die zu 3/4 US-amerikanische Band mit dem kolumbianischen Frontmann Antichrist 666 existiert zwar schon seit über 20 Jahren, hat es aber nun als Tour-Support von CARACH ANGREN und WOLFHEART erstmals auf europäischen Boden geschafft. Schade, wären sie doch schon eher mal vorbeigekommen! Denn was die Band hier ablieferte, war nichts weniger als ein kompletter Abriss, der die Messlatte für die nachfolgenden Acts extrem hoch ansetzte. Die saftige Mischung aus Black und Thrash Metal wurde dem Publikum roh und rasant um die Ohren geballert, doch immer wieder mischten sich groovige Riffs und verspielte Soli unter die Knüppelorgie. Frontmann Antichrist 666 gewann zwar keinen Preis für den besten Namen, wohl aber für die beste Rampensau-Perfomance. Er keifte, bellte und brüllte sich offenbar so eindringlich durch die Songs, dass die Leute von draußen hereinströmten und den zunächst nur spärlich gefüllten Felsenkeller nach und nach füllten. Und obwohl wahrscheinlich kaum jemand die Lieder von THY ANTICHRIST kannte, wurde im Publikum gebangt und gejubelt was das Zeug hielt. Das nenne ich mal eine Europa-Premiere nach Maß!

Die folgenden WOLFHEART hatten dann einen etwas schwereren Stand nach solch einem Auftakt. Aber die Finnen machten das Beste daraus. Auf stolze fünf Alben hat es die Band innerhalb von fünf Jahren gebracht, entsprechend viel darbietungsreifes Material hat sich in dieser Zeit angesammelt. Mit epischen Songs, die sich durch ein Dickicht aus Melodic-Death, doomigen Passagen und rasenden Pagan Metal wühlten, konnten WOLFHEART die WGT-Besucher für sich begeistern. Die typische Melancholie, die irgendwie fast jeder Band aus Finnland innewohnt, schimmerte auch hier immer wieder durch.

Die Symphonic Black Metaller von CARACH ANGREN kehrten dorthin zurück, wo wir sie 2016 kennen- und lieben gelernt haben: aufs WGT in den Felsenkeller. Die Holländer werden ja oft mit CRADLE OF FILTH verglichen, wobei musikalisch doch recht deutliche Unterschiede vorhanden sind. Frappierende Ähnlichkeit herrscht allerdings zwischen CARACH ANGREN-Frontmann Dennis „Seregor“ Droomers und Dani Filth, zumindest in Sachen Bewegungsdrang. Denn beide sind hyperaktive Hüpfteufelchen, die keine Sekunde stillstehen und den gesamten Bühnenraum beackern. Mit ihren vertonten Horror-Geschichten schufen CARACH ANGREN eine wohlig-schaurige Atmosphäre, die voller dramatischer Höhepunkte, leisen bedrohlichen Passagen und finsteren Ausbrüchen war. Seregor flüsterte, keifte, schrie und sang sich rasant durch die Songs und man fragte sich, wo der Kerl bei dem ganzen Gespringe überhaupt die Luft hernimmt.

Besonders gespannt waren wir auf Batushka, den vorletzten Act des Abends. Für alle, die das Drama in den letzten Monaten nicht mitbekommen haben, hier die Kurzversion: Gitarrist Krzysztof “Derph” Drabikowski und Sänger Bartłomiej Krysiuk haben sich vor gut einem halben Jahr zerstritten, sind aber beide der Ansicht, die Hoheit über den Bandnamen zu besitzen. Mit dem Fall sind gerade die polnischen Gerichte befasst, so dass derzeit zwei Versionen von Batushka existieren, die auch beide schon neue Songs herausgebracht haben. An diesem Abend gab sich Krysiuks Version von Batushka die Ehre. Eine aufwendige Kulisse aus orthodoxen Kirchenmodellen und dutzenden Kerzen, die im Laufe des Intros von zwei verhüllten Ordensbrüdern angezündet wurden, sorgten für die passende Atmosphäre der folgenden “Schwarzen Messe”. Der Auftritt verdeutlichte relativ schnell, warum sich Batushka innerhalb kürzester Zeit zum Geheimtipp entwickelt hatten. Ihr osteuropäisch geprägter Black Metal, der insbesondere durch die opulenten Chöre glänzt, zog das Publikum spürbar in den Bann. Bei uns war der Bann leider nicht groß genug, um die mittlerweile unerträgliche Hitze und stickige Luft im Felsenkeller zu ignorieren, so dass wir nach nicht einmal einer halben Stunde die Flucht in den angrenzenden Biergarten antraten.

Das waren natürlich keine guten Vorzeichen für den Headliner Cradel of Filth. Live sind die Briten um Mastermind eine sichere Bank, doch was nützt es, wenn man kaum etwas sieht, weil die Brille aufgrund der Sauna-artigen Verhältnisse ständig beschlägt? Aufgrund der Bekanntheit der Band kam es recht zu schnell einen Einlass-Stop, der aber wieder aufgehoben wurde, weil zahlreiche aufs Konzert wartende Besucher nach Luft ringend wieder ins Freie stürmten. So konnten wir wenigstens ein paar Bilder machen, allerdings immer Gefahr laufend, im Schweiße der anderen WGT-Fotografen im Graben auszurutschen. Schade, der Felsenkeller ist eine sehr schöne Location, aber von der Belüftung eine absolute Katastrophe.

Eigentlich hatten wir uns auf die nach Konzertende stattfindende Metal-Party mit DJ Kermit im Naumanns gefreut, denn die war im letzten Jahr ein absoluter Volltreffer. Leider hatten die Veranstalter in den großen Naumanns-Floor eine Gothic-Party gepackt und DJ Kermit kurzerhand auf einen obskuren zweiten Floor verbannt, der eigentlich nicht mehr als eine 20 Quadratmeter kleine Abstellkammer war. Logischerweise wollte trotz einer klasse Songauswahl keine richtige Stimmung aufkommen, so dass wir dann doch lieber den Heimweg antraten. Hoffen wir, dass der Metal-Tag im Felsenkeller im kommenden Jahr einen würdigeren Abschluss erfährt.

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Wave-gotik-treffen 2019 – montag

Nach dem konzertintensiven Sonntag wollten wir am letzten WGT-Tag zumindest ein bisschen vom Kulturprogramm abseits der Musik mitnehmen. Erster Anlaufpunkt waren die Promenaden im Leipziger Hauptbahnhof, wo die Ausstellung „Awakened Consciousness“ des Metallbildhauers Ronald Knoll auf die Besucher wartete. Knoll hat seine eindrucksvollen Metallskulpturen ganz im Sinne des Upcycling-Gedankens hauptsächlich aus Schrottteilen angefertigt. Seiner Kreativität waren dabei keine Grenzen gesetzt – die Ausstellung zeigte ein breites Spektrum von Tieren über Steampunk-artige Maschinen bis hin zu Monsterwesen, die auch einem H.R. Giger gut zu Gesicht gestanden hätten.

Von dort zogen wir weiter zur nahegelegenen Atelier Hermeling / Schreckenberger in den Höfen am Brühl. Das Atelier ist für uns seit Jahren ein beliebter Anlaufpunkt, zum einen aufgrund der Streichholzkunst von Schreckenberger und den PopArt-Werken von Hermeling, zum anderen aufgrund der illustren Gäste, die sich zum WGT im Atelier tummeln. Diesmal war beispielsweise der Leipziger Steffen Fischer zu Gast, der aus einer alten Nähmaschine eine sehr edle Whisky-Zapfanlage angefertigt hat. Ein echter Hingucker, nicht nur für Whisky- und Steampunk-Fans.

In den 14 Jahren, die wir inzwischen das WGT besuchen, kam es meines Wissens noch nie vor, dass von den Besuchern politische Aktionen durchgeführt wurden. Das änderte sich in diesem Jahr, denn das Leipziger Bündnis “Extinction Rebellion” hatte gemeinsam mit prominenten Szenepersönlichkeiten wie Oswald Henke und Dr. Mark Benecke für den Montagnachmittag zu einer Schwarzen Demo gegen das Artensterben aufgerufen. Rund 2.000 Menschen nahmen an einem Trauermarsch vom Bayerischen Bahnhof zum Hauptbahnhof teil, um dort in einem Die In, bei dem sich alle regungslos auf den Boden legten, auf die Missstände in der globalen Klimapolitik aufmerksam zu machen.

Danach machten wir noch einen Abstecher in die Galerie Koenitz, deren Ausstellung sich dem Thema “Geheimnis und Mystik – Symbolismus in der ‘Gothic’-Bewegung.” widmete. Zu sehen gab es seltene Arbeiten von Richard Müller, Fidus, Franz Stassen, Hermann Wöhler, Max Klinger und anderen Künstlern. Vor allem die schwarz-weißen Landschaftsbilder von Wöhler strahlten eine düstere Bedrohlichkeit aus und würden sich sicher gut auf dem Cover des ein oder anderen Black-Metal-Albums machen.

Das für den Abend angekündigte Unwetter machte unseren Plan, zu ESCAPE WITH ROMEO und JANUS ins Westbad zu fahren, zunichte. Im Westbad muss fast immer mit einem Einlass-Stopp zu späterer Stunde rechnen und die Vorstellung, auf offener Straße von tischtennisballgroßen Hagelkörnern beschossen zu werden, ist eher nicht so schön. Deshalb stärkten wir uns noch im Biergarten des Bayerischen Bahnhofs und fuhren zum Abschluss ins Dr. Hops, Leipzigs beste Craft-Beer-Bar. Die “Zombierkalypse”-Lesung war zwar leider schon vorbei, aber immerhin gab es gutes Bier. Und so konnten wir im Trockenen das heftige Gewitter mitverfolgen, das draußen tobte und zur Folge hatte, dass das Heidnische Dorf vorzeitig geräumt wurde und der Headliner-Auftritt von TANZWUT entfiel.

FAZIT

Das WGT war in diesem Jahr einmal mehr ein (fast) perfekt organisiertes Festival ohne Zwischenfälle. Dass sich mittlerweile drei Konzertlocations im Leipziger Westen befinden, reduziert auch die Fahrerei ein bisschen, sofern man im Felsenkeller, Täubchental oder Westbad etwas für sich entdeckt. Der Kohlrabizirkus, die einzige richtig große Location neben der AGRA, fehlt aber nach wie vor an allen Ecken und Enden. Da er aber mittlerweile eine Eissporthalle ist, bekommen wir ihn definitiv nicht zurück. Die einzige Alternative wäre das Haus Auensee, aber das ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr schlecht zu erreichen. Interessant wird es nächstes Jahr, denn dann fällt wahrscheinlich auch das Westbad weg, weil die Musikalische Komödie im Herbst für eine Spielzeit dort einzieht und somit wohl keine WGT-Konzerte dort stattfinden können.

Aus rein persönlicher Sicht ist es schade, dass der Anteil an Metalbands so gering war wie seit vielen Jahren nicht mehr. Hoffen wir mal, dass das nur ein Ausrutscher war, denn Metal hat sich in den vergangenen Jahren eigentlich als wichtige Säule auf dem WGT etabliert und an Bands, die dem Festival gut zu Gesicht stehen, mangelt es wahrlich nicht.

Doch zurück zu den positiven Dingen, denn davon gibt es auch genug. Das Kulturprogramm ist gefühlt noch umfangreicher geworden und wer auf Facebook die Augen offen hält, finden auch viele “schwarze” Veranstaltungen, die nicht Teil des offiziellen Programms sind. Leider haben wir viel zu wenige davon besuchen können, aber das ist bei so einem riesigen Angebot automatisch der Fall. Bei den Bands werden insbesondere die Auftritte von GOETHES ERBEN und THY ANTICHRIST noch lange im Gedächtnis bleiben. Unangefochten auf Platz eins der Orte, an denen man sich am besten in WGT-Atmosphäre entspannen kann, steht der Felsenkeller-Biergarten, der nach einem Umbau in diesem Jahr noch größer war als letztes Mal. Die Security war überall freundlich, die Toiletten für Festival-Verhältnisse absolut in Ordnung und über die Auswahl an Getränken und Essen konnte man fast überall auch nicht meckern. WGT, es war wieder schön mit dir, wir sehen uns nächstes Jahr!

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Danke für den Text: Felix Wisotzki