Der 4.Tag des Wacken Open Air. Die Füße tun weh, der Rücken ist verspannt, der Bierdurst …. nicht wirklich versiegt, aber so ein bisschen geringer als an Tag 1. Auf der einen Seite kann man nicht glauben, dass bereits 3 Tage um sind, auf der anderen Seite hat man so viel erlebt, dass man eigentlich ein bis zwei Ruhetage bräuchte, um all die neuen Erinnerungen zu sortieren.
Bands die man neu entdeckt hat, wie Butcher Babies und Panara … Pamela … Paramena. Bands die man nach langer Zeit wiederentdeckt hat, wie Opeth und Korn. Bands die man sehen wollte aber leider verpasst hat. Neue Fressbuden die man entdeckt hat (mein persönliches “kulinarisches Highlight”: Das Tomahawk-Steak im Brot). Freunde, die man wieder getroffen hat. Bekanntschaften, die man neu geschlossen hat. Pläne für die Zeit bis zum nächsten Wacken. Merch den man gekauft hat und Merch der ausverkauft war.
Dazu Erinnerungen und Vergleiche mit vorherigen Wacken Open Airs. Wie Blind Guardian oder Accept bei ihrem letzten Wacken-Auftritt gespielt haben und ob es besser oder schlechter war als dieses Jahr. Und natürlich das Schlamm-O-Meter. Jahre wie 2023 und 2016, die komplett im Schlamm versunken sind. Oder 2007, wo das Infield vom Heli-Föhn trocken gepustet wurde. 2019, wo es so sonnig war dass Stoff-Masken ausgegeben wurden um sich vom Staub zu schützen (ja, noch vor der Corona-Pandemie). Und die Tatsache, dass ich 18 der 33 Wacken-Festivals besucht habe, und noch nie ein Wacken erlebt habe bei dem es nicht geregnet hat.
Entsprechend war es nicht überraschend, als am Samstagnachmittag der Himmel dunkel wurde. Irgendwann zwischen Dragon Force und Testament werden routiniert Ponchos und Regenmäntel übergestreift, ein paar wenige Regenschirme poppen auf, Mützen werden aufgesetzt oder man stellt sich unter das Zeltdach von Fressbuden und Getränkestände. Als würde man einen Eimer auskippen regnet ein unglaublichen Schauer auf den Heiligen Acker runter, aber die nordischen Küstenwinde treiben die Wolken direkt weiter und nicht mal eine halbe Stunde später fallen nur noch einzelne Tropfen vom Himmel. Aber dieser kleine Schauer bringt den Festival-Besuchern die eine Sache, die ihnen bisher gefehlt hat: Schlamm. Jedes Jahr wenn ich meinen Arbeitskollegen erzähle, dass ich auf das Wacken Open Air fahre kommen sofort Kommentare zur Schlammschlacht. Das Image von im Schlamm versinkenden Metalheads hält sich hartnäckig, und der große Regen letztes Jahr hat das seinige getan um es wieder aufzufrischen. Und auch dieses Jahr wird man Fotos von schlamm-verdreckten Metalheads sehen. Nur dass dieses Jahr der ganze Schlamm aus einer etwas größeren Pfütze im Infield stammt. Dennoch: Schlamm macht Spaß, Schlamm ist des Metalhead’s Freund, also warum nicht etwas Schlamm ins Gesicht malen. Und gut für die Haut ist es bestimmt auch.
Raven
Korn wurde vor 30 Jahren gegründet, Blind Guardian vor 40 Jahren. Beeindruckende Zahlen. Raven hingegen feiert dieses Jahr das 50 Jährige Band-Bestehen. Und zwei der drei Bandmitglieder sind von Anfang an dabei. Die Brüder Mark Gallagher (Gitarrist) und John Gallagher (Gesang/Bass) gründeten Raven 1974 in Newcastle. Raven’s 1981er Album “Rock Until You Drop” war Teil der ”New Wave ob British Heavy Metal” zu denen auch Bands wie Def Leppard oder Saxon gehörten. Charakteristisch für die “NWoBHM” war eine Gelungene Mischung aus Heavy Metal à la Black Sabbath und Deep Purple gepaart mit der britischen Punk-Rock-Attitüde wie sie von SexPistols und Ramones vorgelebt wurde. Zahlreiche Drummer, 21 veröffentliche Alben und unzählige Touren mit Größen wie Saxon und Dirkschneider später stehen die Gallagher Brüder nun auf der Bühne vom Wacken Open Air. Raven sieht aus wie eine alte Herren Band, was nicht verwunderlich ist da die beiden Brüder mittlerweile über 60 sind. Das dünner werdende Haar zeigt sich deutlich inder langen Metal-Matte, und auch sonst sind 50 Jahre Heavy Metal nicht spurlos an ihnen vorbeigezogen. Aber sobald “Destroy all Monsters” gespielt wird verhandeln sich die alten Britischen Herren in eine fette Heavy Metal Band mit einer klaren Punk-Attitüde. Es sind die “alten Herren” die man sieht und denkt “Ich wünschte ich bin in dem Alter nur halb so fit wie die beiden.” Ravens Metal ist relativ simpel und “auf die Fresse”. Songs wie “ Surf The Tsunami”, “Turn The Truth” oder auch der Klassiker “Rock Until You Drop” treiben einen mit harten, schnellen Riffs und sympathischen Britischen Akzent zum Headbangen und “Nachbarn mit den Schultern anrempeln” an. Wer lieber epische Geschichten hört oder anspruchsvolle Gitarrensoli möchte sollte lieber zu Guardian oder Opeth gehen, aber von “Hell Patrol” über Gitarren- und Bass-Solo bis zu “Break The Chain” und “Chainsaw” sorgen Raven durchgehend dafür dass man nicht eine Sekunde still steht und die beiden Brüder schon ein bisschen vermisst wenn sie sich verabschieden.
Emil Bulls
Wir gehen zurück zu einer Band die vor nicht mal 30 Jahren gegründet wurde. Emil Bulls ist eine Münchner Band die in den 90ern im Zuge der Alternative Metal Welle gegründet wurde.Sie wird oft auch als Alternative Metal Band bezeichnet, was ihr aber meiner Ansicht nach nicht gerecht wird. Einige Songs klingen wie Metal-Core, andere sind klar von Thrash-Legenden wie Slayer und Machine Head inspiriert. Dazu kommen für dieses Genre sehr ungewöhnliche melodische Passagen dazu, die eher von Pop-Bands wie a-ha beeinflusst sind. Deutlich zu erkennen am “Take on me” Cover vom 2001er album “Angel Delivery Service”. Aktuell sind die Bulls mit ihrem neuen Album “Love Will Fix It” auf Tour, dass im Januar erschienen ist. In Wacken spielen sie auf der Louder Stage bei strahlendem Sonnenschein vor einer begeisterten Menge, die bereits zum Intro (The Crown and the Ring” von Manowar) laut jubeln. Mit “The Ninth Wave” eröffnen die Münchner also das Wacken-Set. Und bei all der Experimentierfreude und Vielseitigkeit in den Songs, auf der Bühne bleibt die Band eine Alternative Metal Band. So springen und flitzen Gitarristen und Bassist über die Bühne, spielen dabei hart auf ihren Instrumenten rum und werden durch den schnellen Takt der Drum angetrieben. Dazu singt Frontmann Chris von Freydorf Hits wie “The Age of Revolution”, “Happy Birthday You Are Dead To Me” und Songs vom neuen Album “Love will Fixit”. Wenn man die Begeisterung der Menge in der Zahl der Crowdsurfer messen würde, ist die Crowd mega begeistert. Zahlreiche Crowdsurfer lassen sich wieder und wieder von der Menge nach vorne tragen. Aber auch die anderen Bangen mit, schubsen und rempeln sich zu “Warriors of Love” und “When God Was Sleeping” und feiern trotz Sonne und “Crowdsurfer über den Kopf tragen” Workout bis “Worlds Apart” durch.
Dragonforce
Zwei übergroße Arcade-Maschinen links und rechts auf der Bühne, dahinter zwei riesige Drachenköpfer die über die Arcademaschinen hinweg ragen. Dazwischen ein Bühnenbild von zwei Kämpfenden Drachen und die Band-Mitglieder im Stil von Helden. Dragonforce ist eine Power-Metal-Band, die Fantasy und Scifiy im Comic Stil verbindet. Dazu kommt nun Gaming, denn im neusten Album handeln die Songs von Videospielen wie z.B. “The Power of the Triforce” (Zelda) oder “The Last Dragonborn” (Skyrim) Wie in vorherigen Alben sind auch diese Songs von dem typischen Dragonforce-Stil geprägt. Das leitende Element ist die unfassbar schnell gespielte Gitarre von Herman Li, der sie auch gerne mal hochhebt, fallen lässt, einen Tritt verpasst und wieder auffängt. Die Drums von Gee Alzano und die zweite Gitarre von Sam Toteman laufen genauso schnell mit, immerhin sind Sam und Herman seit der Gründung ein eingespieltes Duo, und Gee ist auch schon seit 10 Jahren dabei. Relativ neu im Bunde ist Bassistin Alicia Vigil. Beim letzten Dragonforce Gig in Wacken 2019 war noch Bassist Frederic Leclerc dabei, der sich nach der Tour verabschiedet hat. Aber in diesem Jahr tritt Alicia ein würdiges Erbe an und zeigt, dass sie problemlos mit den “Jungs” von Dragonforce mithalten kann. Dragonforce ist keine komplexe progressive Metal Band mit experimentellen Tempi-Wechseln und anspruchsvollen Hooks. Dragonfroce spielt relativ simplen Power-Metal. Nur halt schnell. Die flinken Finger der Gitarristen und Bassisten der Band und die schnellen Hände und Füße der Drummer haben ihnen den Ruf der “schnellsten Band der Welt” eingebracht, und machten den Song “Through The Fires And Flame” zum allerletzten Endgegner-Level von Guitar Hero. Dazu singt Marc Hudson mit hellen screams von Videospiel-Helden, “Fury of the Storm”, “Soldiers of the Wasteland” und “Doomsday Party”. Eine schöne Idee die nur Games verstehen: Bei “Power of the Triforce” werden große Stoffhühner in die Menge geworfen, die damit wie Wasserbälle spielen oder sie wie Crowdsurfer hin und her tragen. Eine Hommage an das Videospiel, wo der Held Link Hühne hochheben und werfen kann. Mit seiner hellen Stimme kann Marc auch erfolgreich Celine Dione’s “My Heart Will Go On” und Taylor Swift’s “Wildest Dreams” erfolgreich covern. Nur viel schneller, und in Metal halt. Und zum Abschluss gibt es wie immer den Guitar-Hero Song “Through The Fires And Flames”.
Testament
Eine weitere Band die 2019 auf dem Wacken Open Air war, ist Testament. Wenn man über Thrash Metal redet, fallen neben Namen wie Slayer, Metallica, Kreator und Anthrax auch immer Testament. Es ist eine der Bands, die in den 80ern in Kalifornien gegründet wurde und das Genre des Thrash Metal von Anfang an mitgestaltet hat. Neben Slayer war Testament ein großer Teil meiner damaligen LP und CD Sammlung (LPs für zuhause, CDs für’s Auto). Seit damals begleitete mich Chuck Billy’s gut gelauntes Gesicht mit dem schelmischen Grinsen und der immer mal wieder rausgestreckten Zunge durch alle Konzerte die ich mir leisten konnte. Lange bevor ich Slayer und Metallica zum ersten mal live sehen konnte, war ich auf meinem ersten und auch zweiten Testament-Konzert. Entsprechend freut es mich immer wieder, Testament auf der Bühne zusehen. Auch wenn mittlerweile erste graue Haare in den Haaren und Bärten der Band zu sehen sind rockt Testament soliden Thrash-Metal wie “Raging Waters”, “Trial by Fire” und “Do or Die” die Menge, die aufgrund des kurzen Regenschauers teilweise noch in Regenponchos steckt oder sich gerade frisch mit Schlamm eingeschmiert hat. Wie es sich gehört wird in der Crows freundschaftlich gemosht, gerempelt und geschubst bis kleine Moshpits auf natürliche Weise und ohne Ansage von oben entstehen. Andere Bands rufen dei Crowd auf eine nCriclepit aufzumachen, Testament muss nur kurz den Zeigefinger kreisen lassen und die vorhandenen Moshpits wandeln sich in Circles. Diese Energie, diese “Metal-Autorität” macht Testament aus, basierend auf Jahrzehntelange treue zu rudimentären Thrash Metal ganz ohne große Experimente. Und nicht umsonst heißt der letzte Song von Testament “Into the Pit”. Aber das muss eigentlich gar nicht mehr ausgesprochen werden.
Amon Amarth
Es wird Zeit für den letzten Headliner, am letzten Abend des diesjährigen Wacken Open Air. Die Füße tun weh, der Rücken ist steif, der Nacken vom vielen Headbangen verspannt. Ich zücke mein Handy und buche für Montag Abend eine Massage, hole mir noch ein Bier und traue mich gar nicht in die Menge rein, da der Gedanke daran Crowdsurfer über den Kopf zu tragen oder in einen Moshpit zu geraten mir viel zu anstrengend erscheint. Amon Amarth ist eine Gute Band, aber es ist kein Metal-Core, kein Alternative Metal oder Thrash – die Genres, die mich trotz aller Erschöpfung nochmal antreiben könnten. Vikinger-MUsik: Not so much. Denke ich. Und dann startet die Show.
Ich hatte Amon Amarth aufgrund der Outfits und Songtitel als “Viking Metal” abgespeichert. Aber während der “Viking Metal” eher dem Black Metal zuzuordnen ist mit langsameren, stampfenden Rhythmen und (wenn auch eher tiefem) Klargesang, ist Amon Amarth schnell, Aggressiv und gegrowlt. Frontmann Johan Hegg, sprichwörtlich ein schwedischer Hühne mit langen Haaren und langen Bart, growlt in bester Death-Metal-Manier den Eröffnungs-Song “Raven’s Flight”. Dazu gibt es aggressive Riffs, tiefen Bass und ein Maschinengewehrfeuer auf der Double-Bass-Drum. Angesichts der Vikinger-Thematik hatte ich ganz vergessen, dass Amon Amarth eine solide Death-Metal Band ist und somit zahlreiche Elemente mit Thrash Metal gemein hat. Während andere Bands Konzept-Alben rausbringen, hat die Death Metal Band Amon Amarth das konzept “Wikinger” für sich als Band. Amon Amarth ist eine Konzept-Band, die das Thema “Wikinger” in Songs und Auftritten auslebt. Und was für ein Auftritt! DIe Band spielt erstklassisch, es wird Bühnen-Pyro gezündet als müsse man alles, was da ist, nochmal raushauen. Stuntmen in Wikinger- Rüstungen schlagen sich auf der Bühne mit Schwert und Schild und die Band spielt drum herum “War of the Gods” und “As Loke Falls”. Zwei neue Songs werden erstmals auf der Tour präsentiert: “Death in Fire” ist ein unglaublich schneller Song mit dominanten Drumlines, “Find a Way or Make One” startet mit schweren Gitarrenriffs und bleibt eher marschierend im Tempo. Beide Songs machen Lust auf mehr.
Wenn wir bei “Shield Wall” und “Raise your Horns” angekommen sind sind die strapazen der letzten Wochen vergessen, man growlt laut mit und reckt die (Finger-)Hörner bzw. “Pommes-Gabeln” ein letztes mal in die Höhe und tankt noch mal ganz viel Metal-Energie bevor es Sonntag zurück nach Hause in den Alltag geht. Bis nächstes Jahr, wenn es wieder heißt: “See you in Wacken. Rain or Shine.”