“Es ist so geil! Du gehst schlafen und hörst Metal. Du wachst auf und hörst Metal. Und dann stehst du auf und gehst los, um irgendwo Metal zu hören!” (Ein begeisterter Wacken-Festivalgänger den ich dieses Jahr kennengelernt habe). Heute, am 3. Tag des Wacken Open Air, möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen Bestandteil des Festivals lenken, der in meiner Berichterstattung sonst immer viel zu kurz kommt: Der Camping Ground.
Ja, im Infield spielen die großen Bands, und auf dem restlichen Festivalgelände sind die kleineren Stages, wo man Newcomer wie Paramena oder auch mal Blaskapellen oder A Cappella Gruppen findet. Dazu gibt es zahlreiche Fressstände, einen Mittelalter-Markt, die Wastelands und natürlich die berühmten Bier-Pipelines, die das Bier unter dem Festivalgelände hinweg direkt in die Zapfanlagen der Bierstände pumpen, ohne dass jemals ein Fass gewechselt werden muss. Aber ein nicht unwesentlicher Teil des Festival-Erlebnisses findet fernab von all dem zwischen Dixiklos und Duschhäuschen, Wohnmobilen und Zelten statt. Legenden (bzw. eigentlich nur Gerüchte) erzählen von Metalheads die das ganze Festival über den Campingplatz nicht verlassen haben weil sie anderen Metalheads begegneten, Freundschaften und Liebschaften schlossen, gemeinsam grillen, Bier tranken und natürlich ganz viel Metal hörten. Aber auch diejenigen, die sich die Konzerte anschauen, stolpern danach im Dunkeln über den Campingplatz und begegnen nicht selten anderen Metalheads, mit denen sie sich Würstchen, Bier und Metal aus der Bluetooth Box teilen.
Manche Camper bauen regelrecht eine Bar samt Theke, Zapfanlage und Jägermeister-Maschine auf. Und laden Wandernde die auf dem Weg zum Heiligen Acker sind oder gerade dort herkommen ein, für ein geisthaltiges Getränk zu verweilen bevor sie ihre Reise fortführen. Wie auch auf dem Festival herrscht auch auf dem Campingplatz eine familiäre Atmosphäre des Miteinanders, des aufeinander Aufpassens, des “wir gehören zusammen”. Oder, um einen anderen Festival-Besucher zu zitieren: “Endlich mal normale Leute.”
Blues Pills
Es gibt einige Bands, die am Tag ihres W:O:A Auftritts ihr Album releasen. Dieses Jahr reiht sich Blues Pills in diese Gruppe ein. Aber was gibt es schöneres als eine Release Party auf dem heiligen Acker mit einem großen Haufen Metalheads? Wobei Blues Pills – wie der Name schon verrät – keine Metal-Band ist. Die Schwedische Combo um Sängerin Elin Larsson spielt Blues Rock, mit einigen Songs, die man auch dem Hard Rock zuordnen könnte. Mit souligen Gesang und psychedelischen Gitarren-Passagen ist Blues Pills alles andere als „Heavy“. Aber das stört niemanden. Denn Blues Pills rockt. Das Energielevel von Elin, die bei all ihren souligen, gestützten Gesang mit beeindruckend langgezogenen Vocals trotzdem nie stillsteht und über die Bühne flitzt als wolle sie metalcore-bands konkurrenz machen überstrahlt an diesem sonnigen Tag die Crowd, die sich versammelt hat um mit ihr das neue Album “Birthday” zu feiern. Den gleichnamigen Titelsong “Birthday” gibt es gleich als erstes, gefolgt von “Don’t you love it” und “Top of the Sky” die ebenfalls vom neuen Album sind. Die Inhaltsstoffe der Blues Pills sind wie immer vielversprechend. Ein eher hell gestimmtes Drumset, das einen klaren, nicht zu schnellen Rhythmus vorgibt. Eine recht schnelle aber immer noch groovige Bass-Line die einen zum Wippen und Nicken animiert. EIne Gitarre mit dem klassisch-Bluesigen Overdrive-Sound, die die Backings für Elins soulige Vocals singt. Für den Einstieg in einen sonnigen Festival Tag sind die gute Laune und der nicht ganz so harte Bluesrock von Blues Pills wie immer ein guter Start.
Ankor
“Was spielen die?” Fragt mich mein Festival-Buddy, als ich ihm sage, dass ich als nächstes zu Ankor gehe. Und ich muss kurz überlegen. Ich denke die Genre-Zuordnung wäre “Alternative Metal”, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Die spanische Band mit internationaler Besetzung (Sängerin aus UK, Drummerin aus Griechenland, der Rest der Band aus Spanien – sorry – Katalonien) variiert in ihrer Musik zwischen eingängigen Hooks mit Klargesang und brutalen Riffs bei denen einem die Gitarre fast leid tut und Screams die die Ohren klingeln lassen (im positiven Sinne – wenn man drauf steht). “Darkbeat” ist der Eröffnungssong, eine Single die vor Kurzem released wurde und auch Name ihrer aktuellen Europa-Tour. Sofort zeigt Jessie (Sängerin) die beeindruckenden Wechsel zwischen Singing und Screams. Ein harter, schneller Bass treibt die schnelle Doublebass-Drum vor sich her und übertönt schon fast die beiden Gitarren, die von den Gitarristen fast schon verprügelt werden. Und dann wird’s plötzlich leise, das ganze Gezerre aus Gitarren und Bass verschwindet in eine schnelle aber “ungeladene” Melodie während Jessi fast harmlos ins Mikro sing. Nur ganz kurz. Und dann BAAAAM!! Screams, Bass, Gitarre, harte Drums … die kurzen Pausen sind nicht zum Luftholen da, sondern um die harten Töne schnell runterzuschlucken bevor es wieder Nachschlag gibt. Weitere Songs wie “From Marbles to Cocaine” oder “Lost Soul” sind ein wenig melodischer. Was heißt sie fangen mit einer etwas längeren melodischen Passage an und haben längere ruhige Passagen, aber die harten Riffs und Screams ziehen einen immer wieder hoch und bringen die Menge zum Moschen und Bangen. Einzig “Oblivion” kommt nahezu ohne Screams aus (außer als Backing Vocal), und selbst die Riffs und die schnelle Drum halten sich ein wenig zurück, um dem Klargesang genug Space zu lassen, damit ein wenig Melancholie aufkommt. Alles in allem ist Ankor aber eine Band zum Abgehen, Abrocken, vielleicht auch mal zum Abreißen und Abreagieren. Und vor allem eine Band, die man sich live gönnen sollte.
Feuerschwanz
Ähnlich wie In Extremo, die am Mittwoch auf der Bühne standen, ist auch Feuerschwanz eine Deutsche Mittelalter-Metal Band. Für jemanden wie mich der Mittelalter-Metal eigentlich nur auf Festivals hört wenn die Bands eh da sind, und sich mit dem Genre nicht so wirklich auskennt, war es immer schwer zuzuordnen ob der Song nun von In Extremo oder von Feuerschwanz ist. Oder Saltatio Mortis vielleicht. Bevor jetzt die Empörung der Mittelalter-Metals-Fans überschwappt will ich schnell ergänzen dass ich beide Bands gerne live sehe, vor allem Open Air oder auf Festivals, wo unter dem freien Himmel und “unter Freunden” Mittelalter-Songs mit Geige, Dudelsack und Drehleier schöne Stimmungsmacher sind wenn es mal nicht gerade Voll-Auf-die-Fresse-Und-Ne-Doublebass-Oben-Drauf Metal sein soll. Wobei Feuerschwanz dann doch um einiges “Härter” ist als z. B. In Extremo. Die Gitarren-Griffs sind kräftiger, die Drums schneller und gleichzeitig schwergängiger, und auch der Gesang ist tiefer und hat auch mal Metal-Screams. Während In Extremo Mittelalter-Musik mit einem leichten Metal-Einfluss spielt, ist Feuerschwanz klassischer Drachentöter-Power-Metal garniert mit Mittelalter-Instrumenten. Auch vom Bühnenbild her ist Feuerschwanz mehr “Metal”. Schwerter stecken im Boden der Bühne und Walküren in (knappen) Rüstungen schwenken Flaggen, während der Sänger “Hauptmann Feuerschwanz” von “SGFRD Dragonslayer” singt und dabei eine Rüstung trägt. Respekt, vor allem bei den sommerlichen Temperaturen und der Bühnen-Pyro die während der Show abgefackelt wird. Es folgen Songs wie “Bastard von Asgard”, “Ultimate Nocte” und “Berzerkermode”, die mit donnernden Drums und schreddernden Gitarren von nordischen Legenden und epischen Schlachten singen. Dazwischen gibt es auch mal Songs um die Laune zu heben wie der “Schubsetanz” und “Die Hörner Hoch”. Gerade “Die Hörner Hoch” schafft es eine Tavernen-Mitsing-Atmosphäre zu schaffen, wie man es von anderen Mittelalter-bands kennt. Aber allein das Man-O-War Cover “Warriors of the World” als Zugabe zeigt, dass Feuerschwanz solider Power-Metal ist. garniert mit Geige und Dudelsack.
Gene Simmons Band
Wer kennt ihn nicht: Den mit Weiß-Schwarzer Schminke bemalten, axtförmigen Bass schwingenden, Feuer spuckenden Sänger der weltberühmten Band KISS. Rock ‘n’ Roll Hall-of-Famer Gene “The Demon” Simmons ist eine Legende des Rock und zusammen mit KISS eine Ikone Glam-Rock, aber in schwarz und viel härter. Von 2019 bis 2024 war KISS auf einer 4 Jahre Langen Abschiedstournee “End of the Road”,die im Dezember 2023 im Madison Square Garden endete. Unterwegs wurde noch ein neuer Rekord für die “Höchste Flamme die jemals bei einer Musikshow gezündet wurde” aufgestellt. Die Rechte von KISS liegen seit April bei der Pophouse. Das schwedische Unternehmen, das auch schon die Bühnenrechte an ABBA erwarb und die ABBA Show in London produziert, die mit virtuellen Avataren auf der Bühne läuft. Es gibt also Hoffnung, dass man künftig auch KISS Virtuell mit zahlreichen virtuellen Flammen sehen kann.
Aber in Wacken steht nun Gene auf der Bühne, in Fleisch und Blut, aber ganz ohne Schminke und wilden Kostümen. “Nur” mit Nieten auf Kragen und Ärmeln von seinem schwarzen Hemd. Und noch mehr Nieten auf dem schwarzen Bass. Und ganz vielen KISS Songs im Gepäck. Das Set startet mit KISS Klassikern wie ”Deuce” und “War Machine” (technisch gesehen sind es tatsächlich KISS-Cover wenn Gene Simmons sie mit seiner Band spielt), und wird mit Songs aus Genes Solo-Karriere wie “Are you ready” und “Weapons of Mass Destruction” aufgelockert. Gene auf der Bühne zu sehen lässt einen realisieren, dass KISS weit mehr war als nur dick aufgetragene Schminke, grelle Kostüme und Flammen-Shows. “Shout It Out Loud”, “Parasite” und “Cold Gin” sind einfach richtig, richtig gute Rock-Songs. Spätestens bei “Calling Dr. Love” (Dr. Looo-ooove” wie Gene es ausspricht) ist das Bild von KISS aus meinem Kopf verschwunden, und ich verbinde die KISS Songs mit der sonnigen Wacken-Bühne auf der der schwarzhaarige Wuschelkopf-Rocker mit funkelnden Nieten auf seinem Bass. Kurz vor Schluss covert Gene noch einmal gekonnt Mötörhead’s “Ace of Spades” und erntet die Jubel der zigtausend Metalheads. Eigentlich ist seine Zeit nun abgelaufen, aber der Altrocker sagt “F’k it” und spielt noch einen letzten Song. Während auf anderen Bühnen Bands, die ihre Spielzeit überziehen, eiskalt der Ton abgestellt wird, trauen sich die Sound Engineers das in diesem Fall nicht. Aber ein Gene Simmons Gig ohne “Rock And Roll All Night” ist einfach nicht das richtige, und bei so einem Klassiker den Ton abzudrehen gehört sich einfach nicht.
Blind Guardian
40 Jahre ist es her, dass Blind Guardian gegründet wurde. Na ja, genau genommen wurde 1984 “Lucifer’s Heritage” gegründet, die 1987 in Blind Guardian umbenannt wurde. 40 Jahre lang spielt die Band, angeführt von Frontmann und Gründungsmitglied Hansi Kürsch, alle Facetten von was ich persönlich “Drachentöter-Metal” nenne. Langsamer, epischer Metal, der von Helden und Drachen und epischen Sagen erzählt. Dabei haben die Krefelder die ich persönlich alles in allem dem “Power Metal” zuordnen würde viel ausprobiert. Unvergessen das “Legacy of the Dark Lands” Album mit vollem Orchester – das “Blind Guardian’s Twilight Orchestra”, oder die Kooperation mit Iced Earth als “Demons & Wizards”, die immerhin auch 3 Alben herausgebracht hat. Auch auf Wacken sind Blind Guardian recht häufige, aber auch immer wieder gern gesehene Gäste. Ihren ersten Auftritt auf den Heiligen Acker hatten sie bereits 1992, und ich persönlich erinnere mich an 2007, 2011 und 2016 (und ich bin mir sicher, ich hab noch mindestens einen Auftritt vergessen). Ich könnte hier einiges über Guardians Musikstil schreiben, wie dass sich die Musikalischen Aufbauten von Guardian in den Songs kaum wiederholen oder dass die Gitarren-Arrangements die unter den eher harmonisch, episch-langgezogenen Vocals komplex und vielstimmig sind. Aber am Ende zählt folgende Aussage: Wann immer mich Festival Besucher gefragt haben, ob ich zu Guardian oder zur gleichzeitig spielenden Band “Pain” gehen würde, war meine Antwort immer: “Ich hab Blind Guardian schon sooo oft gehört. Aber wenn das ganze Infield von Wacken, zigtausend Metalheads, gleichzeitig den Bard-Song oder Valhalla singen, das willst du auf keinen Fall verpassen.” Und alle, die ich danach getroffen habe, haben mir für den Tip gedankt.
Korn
Damals, als auf MTV noch Musikvideos gezeigt wurden und nicht nur irgendwelche Auto-, Häuser- und Dating-Shows, gab es immer wieder Titel, die nicht nur wegen des Songs, sondern auch wegen des Videos im Gedächtnis blieben. Unvergessen das Video von Nirvana zu “Smells like Teen Spirit”, Prodigies “Firestarter”, Lara Croft’s gastauftritt in “Männer sind Schweine” von den Ärzten oder die unterhaltsamen Musik-Videos der Foo Fighters. Eins der Videos, auf das immer gewartet habe, war “Freak on a Leash”. Angefangen in einem animierten Stil, in dem Kinder irgendwo in ein privates Grundstück eindringen um zu spielen und von einem Sicherheitsmann erwischt werden, löst sich ein Schuss aus der Waffe des Wachmanns und tritt dann aus dem Comic aus um durch die echte Welt bis zur Band zu fliegen. Die Kugel fliegt nur im Proberaum von Korn herum während diese weiterspielen, und wird dann zurück geschickt um im Comic neben eins der Kinder anzuhalten und zu Boden zu fallen. Man kann das Video interpretieren wie man will, die Mischung aus den Comic-Sequenzen, den Real-Life-Sequenzen in denen die Kugel in Slow-Motion durch Abbildungen eines glücklichen Alltags fliegen und schließlich die Band erreicht übte eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Dazu kam der Song, der energiegeladenen, harten Metal mit einer groovigen, tanzbaren Bassline kombinierte. Korn waren Wegbereiter des “Crossover” bzw. “Nu Metal” und bereiteten den Weg für andere Größen wie Linkin Park, Limp Bizkit und Slipknot. Als Korn auf der Running Order vom Wacken Open Air 2024 auftauchte, stand mein persönliches Highlight des Festivals bereits fest. Natürlich gab es noch die minimale Chance, dass Korn sich auf ihr neueres Material fokussiert und keine Songs von ihren damaligen Alben “Follow the Leader” oder “Issues” spielt.Aber letztendlich ist es kein richtiges Korn-Set ohne “Falling Away From Me” und natürlich Freak on a Leash, die beiden Songs die mich damals zum harten Fan von Korn gemacht haben. Und die mich immer noch bedingungslos mitreißen. Vor allem auf dem heiligen Acker von Wacken.