Dieses Jahr findet das 33. Wacken Open Air statt. Für mich persönlich ist es das 18. Wacken Open Air. Ich habe 2001 Motörhead live gesehen, und 2004 Dio (und noch mal Motörhead). Als solch ein Traditionalist gibt es bestimmte Rituale, die sich über die Jahre eingebürgert haben, wie z.B.:
- Pool-Party im Freibad von Wacken
- Sich im Supermarkt mit Dosen-Ravioli, Wasser und Bier eindecken
- Ins Infield reinlaufen wenn es eröffnet wird
- Schlamm im Gesicht (den man sich in trockenen Jahren notfalls aus einer kleinen Pfütze holt und selber ins Gesicht malt)
- Den “Wacken-Nacken” (Nackensteak im Brot) essen
- Über die Sonne meckern
- Über Regen meckern
- Über mindestens eine Band meckern weil die “Nicht Metal” ist
- Die Band dann doch ganz geil finden
- Lange, ganz lange überlegen welche der beiden Bands man sehen will die gleichzeitig auftreten
- Sich ärgern dass man nicht genug Bier und zu viel Dosen-Ravioli gekauft hat
- Mindestens zwei Bier-Becher auswählen die man behalten will
- Genau diese Becher dann doch verlieren
- Sich zwei weitere Bier holen, natürlich nur wegen der Becher
- Der alljährliche “Tote Sonntag” nach Wacken, wo man sich nicht von der Couch runter bewegt und Pizza bestellt (immer die gleiche).
Allerdings noch aus einer Zeit, wo das Open Air nur 3 Tage lang war. Immer Donnerstag bis Samstag. 2022 nach der Pandemie und 2 Jahren Wacken-Open-Air-Pause, als alle zum Festival wollten aber die Tickets schon seit Jahren ausverkauft waren, hat man beschlossen für den Mittwoch noch weitere Bands zu organisieren und Tickets für den “Wacken-Wednesday” zu verkaufen damit alle, die nicht weitsichtig genug waren sich in 2019 Tickets zu kaufen in 2022 auch was zu feiern hatten. 2023 wurde dann der Mittwoch direkt integriert und das Wacken Open Air war direkt 4 Tage lang, ebenso 2024.
Warum erwähne ich das? Eine der Traditionen von Wacken war, dass das Infield am DO eröffnet wird, und dann Skyline als erste Band spielt. Zumindest seit 2009 bzw. dem 20.Wacken, wo Skyline frisch “reunited” aufgetreten ist. Und Skyline steht dieser Slot auch zu, immerhin war Wacken-Mitbegründer ThomasJansen auch der erste Bassist von Skyline, und Skyline selbst der erste Headliner des allerersten Wacken Open Air. Wie im Bericht über den Mittwoch schon erwähnt, ist die erste Band eines Festivals das “Entrée” oder vielleicht auch eher das „Amuse Bouche” eines Festivals, das die Stimmung setzt und Lust auf mehr macht. Dieses Jahr war es nicht Skyline. Es ist eine Kleinigkeit, aber es fühlt sich ein wenig so an, als würde Mutti das Lieblingsessen nicht mehr mit Butter sondern mit Margarine kochen. Oder plötzlich etwas mehr Pfeffer nehmen und dafür etwas weniger Salz. Eine Kleinigkeit, die eigentlich nicht wirklich schlimm ist, sich aber komisch anfühlt, weil man es einfach anders gewöhnt ist.
Paramena
“Par … Panama … Paramanemanara …. du weißt schon, diese Japanische Band …” Ja, mit dem Namen haben Panamera … äh … Paramena sich keinen großen Gefallen getan, zumindest für den westlichen Markt. Dennoch: Eine Sache, auf die ich mich jedes Jahr freue, ist auf den “kleinen “Bühnen von Wacken die Newcomer kennenzulernen, die es in diesem Jahr ins Metal-Battle Finale geschafft haben. Das Metal-Battle ist ein jährlicher Wettbewerb, bei dem Metal-Bands, die noch nicht bei einem Label unter Vertrag sind, in nationalen Wettbewerben gegeneinander antreten. Die Finalisten dürfen dann in Wacken spielen, wo der Gewinner bestimmt wird. Dieses Jahr habe ich mich unter anderem für Paramena entschieden, weil es – seien wir ehrlich – zeitlich passte. Und weil sie aus Japan waren. Und weil ich das Band-Setup sehr interessant fand. Und ich wurde nicht enttäuscht. Paramena ist eine 6-köpfige Band mit einem Sänger, drei 8-Saitigen Gitarren, einem 6-Saitigen Bass und Drums. Allein diese Zusammenstellung von Instrumenten verspricht schon mal eine tonale Bandbreite, die eine Standard 4-Personen Kombo aus Gitarre, Gitarre, Bass und Drums nicht hinbekommen kann. Die große Frage bei solchen “viel-Saitigen” Kombos ist, ob sie damit umgehen können oder nicht. Die Mitglieder von Paramena können es definitiv.
Wer angesichts der halb-pink-halb-swarz gefärbten Haaren der Gitarristin Saya nun ein Anime-Kawaii-Manga-J-Pop erwartet hat, dem schmettert Paramena mit Songs wie “Oxucas”, “0cide” und “Oblivision” entgegen. Schnelle Schlagzeuge, verzerrte Gitarren, die die volle Bandbreite ihrer 6 Saiten ausnutzen, dazu hart gegrowlte Texte. Paramena bezeichnet sich als “Extreme Metal Band” und gibt sich Mühe, auch diese Extreme auszuloten. Während das Bass-Drum-Feuerwerk fast schon core-ig wird, dominieren bei den Gitarren die Spielarten “Djent” und Thall, die aus dem Progressive Metal kommen. Während bei “Djent” die Saiten wie ein Powerchord hart angeschlagen und gleichzeitig abgedämpft werden, um eine bestimmte Klangfarbe zu erhalten, zeichnet sich Thrall wiederum durch die Mischung von melodischen Teilen und hart gezerrten Passagen mit “bends”, also “langgezogene” Saiten, aus. Beide sind nicht so einfach umzusetzende Spiel-Techniken, und Paramena verbindet beide erfolgreich zu einem eigenen Stil. Während der klassische Mittelalter- & Power-Metal-Freund vermutlich eher nix mit Paramena anfangen kann, sollten sowohl Fans des Prog- als auch des Thrash und Core mal in die Band reinhören.
Skyline
Also, die Ex-Band von W:O:A Gründer Thomas Jensen, die jedes Jahr in Wacken auftritt. Das ist Skyline. Lange Zeit nur ne Cover-Band, hat Skyline 2019 ihr erstes eigenes Album “Uncovered” released, und in 2024 haben sie ihr zweites Album “Human Monster” im Gepäck. Aber es ist kein Skyline Konzert, wenn nicht mindestens ein AC/DC Song gecovert wird (in diesem Fall “If you want Blood”) und einmal Rage’s “Killing in the name of” gespielt wird. Neuzugänge in diesem Jahr sind das Airbourne-Cover “Runnin’ Wild” und “Separate Worlds” und “Wheel in the Sky” von Journey. Für die Journey-Songs gibt es noch einen Special Guest: Joey Belladonna, Frontmann von Anthrax, unterstützt Vocalist Dan Hougesen dabei die Songs zu schmettern. Neben den Covern werden auch eigene Songs gespielt, “Black Star” und „Under the radar” sind bereits bekannt, “Human Monster” wird neu präsentiert und kommt bei den Metalheads gut an. Und zum Abschluss gibt es “This is W:O:A”, eine Hymne, die 2019 zum 30jährigen Jubiläum von Skyline geschrieben wurde und sich seitdem großer Beliebtheit erfreut.
Rage
Die eben erwähnten Power Metal Freunde findet man eher bei Rage vor der Bühne stehen. Ursprünglich als “Avenger” gegründet, wurde die Band 1986 zu “Rage” umbenannt. So gesehen ist Sänger und Bassist Peter “peavy” Wagner Gründungsmitglied von Rage weil er damals schon in der Band war (und wird auch immer als Gründungsmitglied geführt), wobei er nicht bei der Gründung von “Avenger” dabei war. Sobald die Truppe aus NRW aber auf die Bühne kommt und die ersten Töne von “Cold Desire” gespielt werden, ist das aber auch alles egal. Auch wenn ich weiter oben bei Paramena das “Klassische Metal-Quartett” Gitarre-Gitarre-Bass-Drums etwas gebashed habe, heißt das nicht, dass Bands wie Rage eintönig sind. Wobei Rage auch bis vor einigen Jahren als 3er-Besetzung unterwegs war. Dennoch hat Rage sich in den 40 Jahren Bandbestehen viel ausprobiert. Bereits in den 90ern wurden Songs mit dem Prager Symphonieorchester aufgenommen, in den 2000ern tauchte einer ihrer Songs im Soundtrack von “Schuh des Manitu“ und “Traumschiff Surprise” auf. Einige der früheren Alben sind eher dem Speed-metal als dem Power-Metal zuzuordnen, mit hoher Gesangsstimme und schnellen Riffs, während einige Songs in den 2010ern eher Death-Metal Einflüsse mit dumpfen Melodien und gegrowlten Screams haben, wie zum Beispiel “Serial Killer”. Am Ende bleibt Rage eine solide Power Metal Band, die mit Songs wie “Cold Desire”, “Let Them Rest In Peace” oder “Great Old Ones” genau die Musik spielt, die man auf Wacken erwartet.
Mr. Big
“Mr wer?” “Warte, du kennst bestimmt diesen Song: I’m the one who waaaaants tooo beeee with youuuu, deep inside I hoooope youuu feel it tooo-ooo-ooo~”. “Ach die! Ja nee, da bin ich raus …” Schade, denke ich, dass Mr Big nur solche “soften” Hits hatte. Wenn man “Just take my heart” und das Cat Stevens Cover “Wild World” erwähnt, bekommt man auch ein erkennendes Nicken “Ja stimmt, ich erinnere mich.” aber überzeugt den Metal-Head nicht wirklich, sich die band mal anzugucken. Andere Songs wie “Daddy, Brother, Lover, Little Boy” schafften es leider nicht als Single-Auskopplung, weshalb Mr. Big das Image einer Schnulzen-Band anhängt. Ich persönlich finde es schade, denn “Daddy, Brother, Lover, Little Boy” a.k.a “The Electric Drill Song” ist ein Beweis für das musikalische Können des Gitarristen Paul Gilbert (und Ex-Gitarrist Richie Kotzen, der aber diesmal nicht mit dabei war). Dieser Song war 1991 für den Verkauf zahlreicher Elektro-Schraubendreher verantwortlich, da Gilbert so einen nutzte, um ein Gitarrensolo in dem Song zu spielen. Vermutlich hätte es ein Latte-Macciato-Aufschäumer auch getan, aber ein “Powerdrill” ist einfach mehr Rock n Roll. In Wacken begleitet nun also Paul Gilbert auf seiner Gitarre wieder Frontmann Eric Martin, der mit seinem Spitzbuben-Lächeln und seiner weichen Stimme nicht nur Schnulzen wie “To be with you” und “Wild World” singt. Der Electric Drill Song darf ebenso wenig fehlen wie “Alive and Kickin’” oder “Colorado Bulldog”. Dennoch bleibt Mr. Big leichte Kost, denn die (Hard-)rockigen Songs sind auch gerade nur so hart, wie es Eric’s Stimme zulässt. Den richtig harten Rocker nimmt man ihm nicht ab, aber an einem sonnigen Tag nach Extreme Metal von Paramena und schönen Heavy Power Metal von Rage ist so ein leichter Gute-Laune-Rock auch mal ganz gut zur Verdauung und Vorbereitung auf die nächste schwere Kost.
Accept
Wir bleiben bei Deutschem Heavy Metal aus NRW aus den 80ern. Wobei die erste Band-Gründung von Accept schon in den 70ern stattfand und die Band sich seitdem 3 mal aufgelöst und neu gegründet hat. Einzig der Gitarrist Wolf Hoffmann ist schon seit den 70ern dabei, ansonsten gab es mehrere Wechsel in der Besetzung. Aber Accept blieb immer Accept. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Accept eine der bekanntesten Deutschen Bands in den 90ern war, nur noch übertrumpft von den Scorpions – zumindest im Bereich Hard & Heavy. Die Band hat nicht nur den Deutschen Heavy Metal stark beeinflusst, sondern auch international vor allem den Speed Metal stark beeinflusst. Branchengrößen wie Grave Digger, Dimou Borgia und Amon Amarth haben schon Accept-Songs gecovert. Heute steht das Original auf der Bühne von Wacken. Mal wieder, denn die Band aus Solingen ist ein immer wieder gern gesehener Gast auf dem Heiligen Acker, zuletzt 2014 und 2017. “W:O:A und Accept, das ist Familie” steht sogar auf der offiziellen Website des Festivals.
Und Accept liefert. Die Band ist eingespielt, was man nicht nur an der Musik merkt, sondern an ihrer Art, sich auf der Bühne zu bewegen, mit dem Publikum Kontakt aufzunehmen und sich gegenseitig anzuheizen. All das wird routiniert, aber nicht durchchoreographiert wie bei Bands wie Babymetal. Man merkt einfach, dass die Jungs von Accept schon lange zusammen spielen. Und dabei gute Musik machen. Von Klassikern aus der Anfangszeit wie “Restless and Wild” bis zu neueren Hits wie “Teutonic Terror”: Accept hält sich an ihr bewährtes Rezept. Marschierende Bass-Drum-Rhythmen, eine vor sich hin laufenden Bass-Line, Heavy Gitarren Riffs und darüber hinweg jaulende Gitarren-Licks. Dazu Mark Tornillo, der Schreihals, der die Lyrics aus voller Kehle shoutet. Man fragt sich, ob er überhaupt ein Mikro braucht. Wer einfach mal Bock auf so richtig Old School Heavy Metal hat, kann sich einfach eins der Alben von Accept greifen und so richtig abgehen. bevorzugt zum Abschlusssong “Balls to the Wall”.
Opeth
Leider, leider, leider durfte ich am Donnerstag keine Fotos von den Scorpions machen. Oder zum Glück, denn das nahm mir die Entscheidung ab, ob ich zu den Scorpions oder zu Opeth gehe. Natürlich sind die Scorpions ein Erlebnis, und natürlich bin ich nach Opeth noch schnell rüber geflitzt um “Wind of Change” und “Rock you like a Hurricane” mitzusingen. Aber ich bin auch froh, dass ich nicht bei den ersten Songs der Scorpions für Fotos anstehen musste, denn deshalb konnte ich noch Opeth mitnehmen. Opeth kommt aus Schweden, und wie fast alle Schwedischen Metal Bands waren die ersten Alben sehr finster. Gefühlt spielen die meisten Schwedischen Bands Death- oder Black-Metal, und Opeth reihte sich in die Death-Metal Liga ein. Wie gesagt: Anfangs. Viele Beschreiben den Weg den Opeth daraufhin geschritten haben als “Progressive Metal”, teilweise auch “Progressive Death Metal”, weil der Ursprung im Death Metal weiterhin sehr präsent ist. Ich persönlich würde unter “Progressive Metal” Bands wie Dream Theater und TOOL einordnen, die die Grenzen von Metal ausreizen und dabei hochkomplexe, virtuose Melodien und Song-Strukturen schaffen.
Opeth jedoch geht bewusst über die Grenzen des Metal hinaus. Bereits zum Eröffnungs-Song “Grand Conjuration” steht Sänger Mikael Akerfeld in einem Lichtkranz auf der Bühne und spielt auf einer unverzerrten E-Gitarre Chords die fast schon akustisch klingen und singt dazu im soften,warmen Klargesang, um dann Minuten später gestützt von seiner Band harte, gezerrte Death-Metal-Chords reinzuhauen und tief gegrowlte Lyrics ins Mikro zu brüllen dass einem ein Schauer den Rücken runterläuft. Songs von Opeth wechseln ohne Mühe von gechillten Stoner-Rock zu I-Kill-You-All Death Metal und wieder zurück, bleiben dabei an und für sich simpel, aber können auch richtig Progressive-Komplex werden. Stil-Wechsel wie diese können anstrengend sein wenn man sie nicht sauber verpackt und gekonnt abliefert. Opeth gehört zu den wenigen Bands, denen das gelingt. Dennoch, hier auf dem Heiligen Acker, wo Mikael zwischen den Songs erzählt dass die Airline seinen Koffer verloren hat, die Scorpions Kindheits-Helden von ihm sind und wie glücklich er nun ist zeitlich mit ihnen auf einem Festival zu spielen, ist mit Opeth ein wenig zu viel. Am frühen Nachmittag, erholt und mit einem großen Durst auf Metal (und Bier) wäre Opeth vielleicht das richtige gewesen. Nachts nach einem durchgerockten Tag als letzte Band des Tages ist mir persönlich Opeth etwas zu viel, weshalb es mich dann doch zu den Scorpions zieht, leichte Kost zum Mitsingen. Später, kurz vorm Einschlafen, wenn mein Körper sich entspannt hingelegt hat und mein Kopf sich voll auf die Musik konzentrieren kann, höre ich dann noch ein paar Opeth-Songs die ich verpasst habe.