Wacken Open Air 2022 Freitag – Kühle Brise und Hoodie-Mangel


Tag 2 beim Wacken Open AIr 2022 in Schleswig Holstein.

Das erste Wacken seit 3 Jahren, und am ersten Tag brutzelt man bei 35 Grad in der Sonne. Entsprechend viele waren am 2. tag leicht bekleidet und mit Ordentlichem Sonnenschutz auf das Festival-Gelände gekommen, nur um von einer nordisch steifen Brise überrascht zu werden, die eine relativ dichte Wolkendecke vor die Sonne schob. Der Temperatursturz auf teilweise unter 20 Grad sorgte für lange Schlangen an den Merch-Ständen die am frühen Vormittag einen Ausverkauf der meisten Hoodies verkünden mussten. Ein Schelm der behauptet Wacken-Gründer Thomas Jensen und Holger Hübner hätten in der Nacht einen Regentanz veranstaltet um das Merchgeschäft anzukurbeln. Denn wie man aus der Vergangenheit weiß – die Gute Laune und der Bier-Konsum bleiben konstant – Wacken, Rain or Shine.

Was leider nicht Konstant geblieben ist ist das Layout vom Festival Gelände. Mein Haupt-Kritikpunkt am neuen Aufbau des Wacken Open Airs ist die Positionierung des “Wasteland” Bereichs. Viele Mad-Max Enthusiasten bauen hier mit leeren Containern, zusammengeschweißten Fahrzeugen und selbstgemachten Kostümen eine wundervolle Post-Apokalypische Atmosphäre auf. Für mich immer mal wieder einen Besuch wert, auch weil es auf dem zugehörigen Wasteland-Stage immer wieder neuen Bands zu entdecken gibt die ich vorher noch nicht live gesehen habe. Dieses Jahr war das Wasteland jedoch vor dem Eingang zum Wacken-Gelände, was bedeutet, dass man nach jedem Wasteland-Besuch wieder am Eingang anstehen und durch die Einlass-Kontrolle musste. Zusätzlich zur noch weitere Entfernung von den Hauptbühnen führte die zu weniger Besuchern im Wasteland, was ich persönlich sehr schade finde.

Kissin’ Dynamite

Es gibt sie immer wieder, die Bands die sich nicht an den Dresscode von Wacken halten: Schwarz mit Schwarz und wenn es sein muss ein wenig “freundliches Schwarz” (grau) um akzente zu setzen. Denkwürdig waren die Herren von “Status Quo” die allesamt 2017 mit weißem Haar und weißen Hemden “Whatever You Want” auf der großen Bühne gespielt haben. Aber auch Kissin’ Dynamite Frontmann Hannes Braun fordert mit langer Blonder Mähne und weißem, tief geknöpftem Hemd die Kleiderordnung heraus. Meine erste Assoziation war eine gelungene Mischung aus Van Halen und A-ha-Frontmann Morten-Haket (fragt mich bitte nicht warum). Kissin’ Dynamite ist auch so eine gelungene Mischung: Hard-Rock trifft auf Glam à la Steelpanther gewürzt mit einem Soliden Metal-Ensemble aus zwei E-Gitarren, Bass und Schlagzeug (alle wie es sich gehört in schwarz). Der Bandname basiert auf dem AC/DC Song, die Gitarren schwanken zwischen jaulenden Solis und harten Metal-Riffs, Bass und Schlagzeug hauen einen tiefen, kräftigen Metal-Beat rein und getragen von alldem flitzt der Sänger mit wehender Mähne und freundlicher Miene und Könnte auch Liebesschnulzen singen, wäre der Beat nicht zu schnell, die Riffs nicht zu hart und seine Shouts nicht zu grell um romantisch zu sein. Trotzdem “I’ve got the Fire”, “Love me, Hate me” und “Sex is War” sind massen-taugliche (im besten Sinne) gute Laune Metal Songs die sicher ein breites Publikum finden und auch von den Wacken-Besuchern mit Klatschen, Singen und Crowdsurfen positiv quittiert wurden. Auch “Not the end of the Road” vom gleichnamigen Album sollte man sich mal angehört haben, und wenn es einem gefällt gleich das ganze Album mit. Es freut mich dass die Band es nach 2017 wieder nach Wacken geschafft hat, und ich hoffe sie kommen bald wieder.

Kadavar

Wenn ein Band namens “Kadavar” auf einem Metal-Festival auftritt, würde man wahrscheinlich Gore-Metal bzw. Grindcore à la Carcass, Rotten Sound oder Napalm Death erwarten. Stattdessen treten drei langhaarige, nett aussehende Jungs aus Berlin auf, die mit einem Purpurnem Samthemd (Sänger/Gitarrist) bzw. hellem Hemd mit Blumenmuster (Bassist) den Dresscode auch nicht wirklich ernst nehmen. Denn Kadavar ist eine ernstzunehmende Größe im Deutschen Stoner-Rock, und hat mit Grind und Gore nicht das geringste zu tun. Eine warme Gibson-Gitarre, (relativ) hohe Bass-Läufe die Metal-Bands mit einer Drop-D Stimmung auf der E-Gitarre spielen würden und ein schnelles, leichtfüßiges Schlagzeug erzeugen einen 70er-Jahre Rock-Klang auf den die band auch bei ihren Studio-Aufnahmen großen Wert legt. Und auch wenn die Titel wie “Doomsday Machine” und “Die Baby Die” etwas hört interpretiert werden, zeigt sich in Songs wie “Into the Wormhole”, “Lord of the Sky” oder “Pale Blue Eyes” die eindeutig Rockige Ausrichtung von Kadavar. Wem die Beatles zu weich und Carcass zu hart ist sollte auf jeden fall mal bei Kadavar reinhören.

At The Gates

At The Gates reiht sich in die Gruppe der erfolgreichen Death Metals Bands aus Schweden ein, auf Augenhöhe mit Größen wie In Flames und Children of Bodom. Hier gibt es keine glamourösen Gitarren-Soli-Begrüßungen wie bei Kissin’ Dynamite oder freundliches Gibson-Gezerre wie bei Kadavar. Bereits beim ersten Song “Blinded by Fear” hauen die Gitarren und Bässe brutal in die Saiten, die Drums werden getreten und geprügelt und Frontmann Tomas Lindberg brüllt seinen Growl ins Mikrofon als wolle er es töten. Vorbei mit nett und freundlich, At The Gates ist harte auf die Fresse Musik die das Infield zum Headbangen und Crowdsurfen antreibt als gäbe es kein Morgen. Mit “Slaughter of Soul” halten At The Gates das Tempo und den Energie-Pegel am Anschlag, der Dritte Song “Cold” hat ein kurzes, langsames Intro. Genau 11 Sekunden dauert die Ruhepause bevor es wieder mit voller Kraft voraus geht. Warum ich Bands wie At The Gates liebe – vor allem live: Bands wie Kissin’ Dynamite und Kadavar spielen für das Publikum (und lassen sie manchmal mitsingen oder klatschen). Bands wie At The Games oder Neaera (siehe Wacken Tag 3) spielen mit dem Publikum, in dem sie ganz viel Energie von der Bühne in die Menge Pumpen und sich vom Hype dann wieder Energie rausziehen. Gerade auf Festivals wie Wacken klappt das perfekt: Die Band dreht durch, die Menge dreht durch, und die Band legt noch einen drauf, was das Publikum dann wieder toppt … ein Teufelskreis von Metal-Power nach dem am Ende alle erschöpft aber glücklich nach Luft schnappen.

Metal Fight Club

2 Bands, 2 Tage Zeit. so beginnt der Metal-Fight-Club, in dem es darum geht, die bessere Festival-Hymne zu schreiben. Im Fight-Club sind Mittelalter-Rock-Band Saltatio Mortis (eine der Bands wo ich immer zweimal nachgucken muss ob ich sie richtig geschrieben habe) und die Deutsche Thrash-Metal band Hämatom. “Dem Sieger winken Ruhm und Ehre, der Verlierer wird monumental bestraft und muss bei der Herbsttour der Gewinner-Band für einen Tag in die Roadie-Rolle schlüpfen und ihr alle erdenklichen Wünsche erfüllen.”, so steht es auf der zugehörigen Website metalfightclub.de

Während der 48 Stunden gab es dann auch noch zahlreiche Challenges wie Tauziehen und Flachwitze hören ohne zu lachen, bei dem der Verlierer wichtige Studio-Zeit verloren hat. Nun, als Überraschung an Tag 2, dürfen nun beide Bands auf der Zwischenbühne wo am Vortag schon Amon Amarth gespielt hat ihre fertigen Lieder präsentieren. Zwischen den beiden Main-Stages, Hoch oben unter dem Wacken-Bullhead erklären also Thorsten Scharf (Frontmann Hämatom) und Jörg Roth (Frontmann Saltatio Mortis) noch mal kurz die Regeln, und dann wird gespielt. Den Anfang macht Saltatio Mortis mit “Alive now” einem für Saltatio Mortis relativ simpel gehaltenen Song mit eingängigem Refrain zum Mitsingen, wo die Mittelalter-Instrumente nicht fehlen dürfen. Gefühlt ist man von Saltatio Mortis mehr gewöhnt, allerdings ist das breite Repertoire an Instrumenten natürlich ein Nachteil wenn man nur 48 Stunden Zeit für die Produktion hat. Es folgt das neue LIed von Hämatom, und man merkt schon am Titel dass Hämatom es sich einfach gemacht hat. Wobei das unfair ist: Das Konzept von Hämatom ist so genial wie einfach. Deutsche Texte, Ein “Datt-da-da-daaah” am Anfang dass jeder mitsingen kann, und ein Titel der so eingängig wie sympathisch ist: “Es regnet Bier”. Raus kommt ein eingängiger Song der sofort im Kopf hängen bleibt, alle mitklatschen und “Es regnet, es regnet, es regnet Bier” mitgrölen lässt. Welcher Song einem nun besser gefällt muss jeder für sich entscheiden. Ich persönlich finde Hämatom hat die bessere Lösung für die gestellte Aufgabe präsentiert, während Saltatio Mortis sich mit “Alive Now” treu geblieben ist. Aktuell kann man noch unter metalfightclub.de abstimmen, der Gewinner wird am 12.08. bestimmt.

Behemoth

Corpsepaint, also weiße Gesichter mit tiefschwarzen Augenhöhlen und Lippen, schwarze Klamotten, schwarze Instrumente, Heidnische Symbole und Mikrofonständer mit zwei Schlangenköpfen – Behemoth, die sich im Laufe ihrer Auftritte immer mit Blut beschmieren und wo es geht auch Flammenzungen aufsteigen lassen, lassen keinen Zweifel aufkommen dass ihre Wurzeln im tiefsten Black Metal liegen. Kritiker von Black Metal bemängeln dass alle Songs durch die tiefen Gitarrenstimmungen und den gegrowlten Texten “die kein Mensch verstehen kann” gleich klingen. Aber das tut Bands wie Behemoth Unrecht. In ihrer 20-jährigen Band-Geschichte haben Behemoth vieles Ausprobiert, sowohl Thematisch in ihren Songs (von Nordischen Mythen über Satanismus bis hin zu Ägyptischer Mythologie) als auch musikalisch in dem sie Elemente des energischen Death-Metals und komplexen Progressive Metals mit den finsteren, rhythmischen Black Metal vermischten. Vor allem in den letzten 3 Alben “Evangelion”, “The Satanist” und “I Loved you at your Darkest” zeigen die Polen deutlich, dass man sie nicht als “noch eine Black Metal Band” abstempeln darf. Und so ist auch ihr Wacken-Set kraftvoll und bringt (“für eine Black Metal Band” würden Kritiker sagen) eine gewisse Abwechslung in ihrer Grund-Düsteren Stimmung mit. “Ora Pro Nobis Lucifer” und “Ov Fire and the Void” sind energiegeladen und peitschen die Massen an, während “Off to War!” um einiges Melodischer und ruhiger ist.

Slipknot

Es gibt wenige Bands, selbst als Headliner, die auf Wacken so viel Publikum anziehen dass das Infield gesperrt wird und ein Teil der Besucher außerhalb des Infields die Band ansehen müssen. Vor allem wenn man bedenkt, dass das Infield 2022 erweitert wurde und eine höhere Kapzität hat als die Jahre davor. Bei Slipknot war mir vorher schon klar, dass das passieren würde. Genau so wie mir klar war, dass sich der Platz vor der Bühne zu einem einzigen, großen Moshpit verwandeln würde sobald der erste Gitarren-Riff ertönt. Dennoch wurden meine Erwartungen übertroffen. Sobald Craig Jones zum ersten Song “Disasterpiece” ansetzte setzt sich die Masse in Bewegung, der Moshpit fängt weit links vor der Bühne an und setzt sich bis über den rechten Rand der Bühne fort (ich weiß es, ich hab mich von links nach rechts durchgekämpft um einen einigermaßen ruhigen Platz zum fotografieren zu finden, aber keine Chance). Gefühlt sind zig Tausend Menschen in bewegung, angetrieben von Songs wie “Wait and Bleed” (bis heute ein Meisterwerk und wahrscheinlich eins der bekanntestens Songs von Slipknot), “Sulfur”, Dead Memories”, “Psychosocial” und natürlich “People = Shit”. Wenige Bands haben gleichzeitig diese Anziehungskraft UND diese Energie. Judas Priest oder Iron Maiden füllen das Infield ebenso sehr aus wie Slipknot (vielleicht sogar etwas mehr), aber selbst bei Thrash-Größen wie Slayer auf ihrer Abschiedstournee war das Publikum nicht so wild und aufgepeitscht wie bei den Nu Metal Legenden aus Iowa.