Wacken Open Air 2017 – Symphony of Destruction


Dieses Jahr gab es beim Wacken Open Air 2017 drei Kategorien von Schlamm-Usern. Die Unterteilung spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wieder. Sie ist keinesfalls „offiziell“, wurde nicht mit den Veranstaltern von Wacken oder meiner Chefredakteurin abgesprochen und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit:

1. Die „All In“-User – Schlammbedeckte Körperfläche: 80 – 100 %
Der Klassiker, die eine sehr innige Beziehung zum Schlamm hatten. Umarmen, kuscheln, darin wälzen, gegenseitig reinschubsen, rausziehen und wieder reinschubsen gehörten zu den gängigen Ritualen dieser Gruppe, die erst zufrieden waren wenn sie wirklich komplett vom heiligen Acker bedeckt waren.

2. Die „Och nö … Ach Egal“ User – Schlammbedeckte Körperfläche: 40 – 60 %
Ebenfalls mit einer langen Tradition auf Wacken, kamen diese User meist unfreiwillig mit dem heiligen Acker in Kontakt. Möglichkeiten dazu gab es viele: Einfach mal ausgerutscht, beim Weitergehen den Stiefel nicht aus dem Boden gezogen bekommen und deshalb hingefallen, Kollateralschaden der Bematschungs-Rituale der All-In-User, oder (mein persönlicher Favorit) mit einem der riesen Wasserbälle die in einer Schlammpfütze rumlagen angeschossen worden. Doch auch diese User neigten dazu, ihren Schlamm mit Stolz und Freude zu tragen – zumindest bis man die Möglichkeit ergab, den Schlamm abzuwaschen. Übrigens: Ein echter „Och Nö … Ach Egal“ ist man eigentlich erst, wenn man mindestens einmal im Leben „All in“ gegangen ist.

3. Die „Schlamm-Hipster“ – Schlammbedeckte Körperfläche: 0,5 – 2,8 %
Wahrscheinlich waren Leute wie ich mit Schuld an diesem Trend. So wie man Tomatensaft im Flugzeug, Club Mate im Büro und handgecraftetes International Pale Ale nach Feierabend trinken muss (statt ganz vulgär Bier, Bier, und Bier zu trinken … ja, auch im Büro), haben die Medien auch immer wieder propagiert dass es cool ist, in Wacken-Schlamm in der Fresse zu haben. Was dazu führte, dass sich immer mehr Wacken-Besucher einfach mit den Fingern ein paar Streifen ausgewählten Matsch (bloß nicht zu viel) ins Gesicht malten. Bevorzugt einen senkrechten Streifen in die Mitte der Stirn, oder je zwei oder drei schräge Streifen auf die linke oder rechte Wange. Kaum einer traute sich einen auf American Football zu machen und sich die Streifen unter die Augen zu malen (könnte ja ins Auge gehen). Und die meisten mussten danach erst einmal Selfies machen und wahrscheinlich nach gründlicher Instagram-Filter-auswahl mit dem Hashtags #Wackenopenair2017 #Ichvollimschlammdigga posten. Liebe Schlamm-Hipster, willkommen in Wacken, ich wünsche euch vom ganzen Herzen- dass ihr euch nächstes Jahr auch mal traut, „All in“ zu gehen. Es ist toll.

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Lacuna coil

“Delirum” heißt das aktuelle Album der italienischen – hm – Goth Metal Band? Alternative Metal Band? Alternative Metal Band mit tiefschwarzen Themen. So würde ich das bezeichnen was Lacuna Coil am zweiten Tag des Wacken Open Air auf einem der Main-Stages präsentierte. weiße Outfits die an Zwangsjacken und der Arbeitskleidung in geschlossene Anstalten erinnern, besudelt mit Kunstblut das auch ins Gesicht geschmiert wurde, weiße Gesichtsbemalung mit tiefschwarzen Augenhöhlen und Gesten die fauchen, kratzen, die Stimmen im Kopf zum schweigen bringen … dazu die tiefen Gesänge und Growls von Sänger Andrea Ferro und die für eine Frau auch eher tiefe Stimme von Christina Scabbia. Andere Bands setzen eher auf eine hellere, höhere weibliche Stimme in Kombination mit einem männlichen Growl, aber die Tief-Tief-Kombination von Lacuna Coil, zusammen mit den eingängigen Metal-Gitarren die teilweise melodisch gespielt werden aber niemals kreischen oder jaulen, wurde eine finstere und trotzdem energiegeladene Stimmung erzeugt. Natürlich durfte auch ”Enjoy the Silence” nicht Fehlen, das bekannte Depeche Mode-Cover, dass von den Italienern düster und noch viel agressiver performt wurde als das Original.

SANCTUARY

7 Jahre nach der Gründung 1985 löste Sanctuary sich wieder auf. Beim diesjährigen Wacken, 7 Jahre nach der Neugründung in 2010, gab es keine Spur von Auflösungserscheinungen. Frontman Warrel Dane kam wieder mit verspiegelter Sonnenbrille und seinem abgehalfterten Cowboyhut auf die Bühne und verbreitete mit seiner tiefen Stimme und den langen, kraftvollen Lieder vom letzten Album “The Year the Sun died” Endzeit-Stimmung. Dabei schaffen Sanctuary den Spagat aus virtuosen Solos und eingängigen Riffs und Refrains die im Kopf bleiben. Und nachdem das Publikum das ganze Set von Sanctuary gefeiert hatte, erschien ein fast schon freundliches Grinsen auf Warrels Gesicht.

saltatio mortis

E-Gitarren, E-Bass und Schlagzeug konnte man bei jeder Band auf dem Wacken Open Air 2017 erwarten. Aber Dudelsack – sorry – Marktsackpfeife, Drehleier, Mandolia … allein an der Instrumentenauswahl sah man sofort, dass Saltatio Mortis (Latein für “Totentanz”) eine Mittelalter-Band ist, die neben Wacken auch auf Festivals wie M’era Luna oder WGT auftreten. Doch die Deutsche Band hat bereits die Who is who der Festivals hinter sich: Deichbrand, Summerbreeze, Metal Hammer Paradise und das Schweizer Greenfield stehen auf der “Been there, done that” Liste von Saltatio Mortis, ebenso wie zwei Alben die #1 in den Deutschen Charts erreicht haben.

Mit guter Laune, zahlreichen Instrumenten und akrobatischen Tanzeinlagen begeisterten Saltatio Mortis die Zuschauer. Doch wer genau zuhörte erkannte hinter den mittelalterlich anmutenden Gesangstexten die Botschaften einer Punk-Rock-Band: Gesellschaftskritik an Nationalismus, Krieg, Ausbeutung und einer Weg-Guck-Kultur. Und sie wirkt, die Punk-Rock Kritik mit Mittelalterlichem Anstrich. Sie bleibt ihm Ohr, lässt die Leute Tanzen und mitsingen, und später die Melodien vor sich hin summen und im Kopf die Texte durchgehen. Und unabhängig davon ob man mit der Meinung die darin vertreten sind übereinstimmt oder nicht: Man hat zumindest für einen Moment drüber nachgedacht und nicht die Augen verschlossen.

Den 360°-Grad-Livestream von Saltatio Mortis bei Wacken 2017 siehst du hier: magenta-musik-360.de

trivium

Im Rahmen ihrer „Silence In The Snow“ Tournee waren Trivium in diesem Frühjahr bereits mehrfach Gast in Deutschlands Konzerthallen. Die Musiker aus Orlando – das sind Matt Heafy (Gesang, Gitarre), Corey Beaulieu (Gitarre), Paolo Gregoletto (Bass) und Alex Bent (Schlagzeug) – lassen sich nicht lumpen und gehen von der ersten Sekunde in die Vollen. Da wird gepost, mit den Fans geschäkert, fleißig die Haarpracht geschüttelt und vor allem mit schnellen Fingern das Saiteninstrument gekitzelt. Das Wacken-Infield dankt es ihnen sogleich mit Mosh Pits, Crowdsurfern und vor allem jeder Menge Begeisterung.

Nicht alltäglich ist, dass dieses Stimmungsniveau zu keiner Sekunde abfällt. Das mag vor allen daran liegen, dass das komplette Set klug aufgebaut ist: Schnelles wechselt mit Getragenem, Bandhits mit Songs die nicht jeder gleich auf dem Zettel hatte. Firlefanz wie gesampelte Gesänge brauchen Trivium sowieso gar nicht. Matt Heafy meistert die Doppelbelastung Gitarre/Gesang mit Hetfieldscher Leichtigkeit und soliert brillant. Auch bei zweistimmigen Gesängen – unterstützt von Gregoletto – sitzt alles wie ein Maßanzug. Die brutaleren Vocals übernimmt Corey Beaulieu gekonnt. Keine Frage, trotz ihres fast noch jugendlichen Alters sind hier Vollblutmusiker und Vollprofis am Werk.

Paradise Lost

“Der Glatzköpfige mit dem Bart an der Gitarre”. Viele denken bei der Beschreibung an Kerry King, doch nicht viel weniger werden als erstes an Aaron Aedy denken, Gitarrist und Gründungsmitglied von Paradise Lost. Die Vorreiter und Namensgeber der Musikrichtung “Gothic Metal” durch das gleichnamige Album “Gothic” waren bereits beim letztjährigen Elbriot in Norddeutschland unterwegs. In Wacken hatten sie mehr Zeit auf der Bühne zur Verfügung aber immernoch das gleiche Album im Gepäck. Die Setlist wurde gegenüber dem letztjährigen Riot um 4 Lieder erweitert, Unter anderem mit dem Song “Blood and Chaos”, der in Wacken zum ersten mal Live performt wurde.

The Dillinger Escape Plan

Es ist schwer zu erklären, was die 5-köpfige Band aus New Jersey für Musik auf der Bühne vom Wacken-Festzelt abgeliefert haben. Es einfach nur unter “Hardcore” abzuspeichern würde im Kern stimmen, denn ihre Songs waren laut, hart, aggressiv und so energiegeladen dass sie zu explodieren drohte. Sozialkritische Texte, von Frontmann Dimitri so laut ins Mikro geschrien dass das arme Mikro nach dem ersten Song schon einen Tinitus haben musste, begleitet von knallendem Bass, maschinengewehrartigen Drumbeats und harten, tiefen Riffs. Aber The Dillinger Escape Plan überraschte mit einer musikalischen Komplexität die in dem Genre normalerweise unüblich ist, und kam in einigen Passagen melodisch, fast jazzig daher. Anders als Progressive Metal Bands wo den einzelne Instrumenten immer genug Raum gelassen wird damit die komplexen melodischen (und teilweise eeeeeeeecht langen) Soli für ich wirken können, waren bei The Dillinger Escape Plan die anspruchsvollen Musikpassagen gelungen in das Corige Grungekonstrukt eingefügt und ergaben ein erfrischend anderes Gesamtwerk. Leider hat The Dillinger Escape Plan angekündigt sich zum Jahresende aufzulösen, was sehr schade ist. Vor allem nach dieser Live-Performance.

Megadeth

“Hauptsache sie spielen Symphony of Destruction” war meine Grundeinstellung als ich vor der Bühne stand und auf Megadeth wartete. Als eine der “Big Four” des Thrash Metals hatte Megadeth vor allem mit ihren Alben “Countdown of Extinction” und “Rust in Peace” meine Jungend und meinen Musikgeschmack massiv geprägt. Aber durch die zahlreichen Mitgliederwechsel (selbst Slayer-Gitarrist Kerry King war für eine kurze Zeit Megadeth-Gitarrist) hatte ich ehrlich gesagt keine Ahnung wer gerade neben Frontmann und Gründungsmitglied Dave Mustaine auf der Bühne stehen würde. Und nachdem ich schon zu oft erlebt hatte dass Bands aus meine Jungend in den letzten Jahren live eher enttäuschend waren, ging ich mit einer künstlich niedrig gehaltenen Erwartungshaltung auf das Konzert zu. Denn eigentlich wollte ich einfach nur “Mee-Gaa-Deeth” schreien und mich freuen. Schade, dass man im „hohen“ Alter von Mitte/Ende 30 so zynisch wird.

Und als hätte Dave meine Zweifel gehört sprang er nach einem vom Band abgespielten intro auf die Bühne, zückte seine Gitarre und schmetterte “Hangar 18” als hätte er de nSong vorgestern aufgenommen und nicht schon 1990. Alles was Megadeth ausmachte war wieder da. Komplexe Riffs, ein perfekt aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel der Gitarren, und die aggressiven Texte über Tod und Zerstörung durch das „System“, symbolisiert durch ein Skelett mit einem Visier über den Augen, das manchmal as Anzugsträger und manchmal as Soldat dargestellt wurde. Und beim letzten Song „Peace Sells“ auch live auf die Bühne kam, stilgerecht im Businessman-Anzug. Aber davor spielte Dave noch Symphony of Destruction.

Den 360°-Grad-Livestream von Megadeth bei Wacken 2017 siehst du hier: magenta-musik-360.de

Marilyn Manson

Wenn man bei Wacken im Pressebereich unterwegs ist trifft man auch Kollegen, die eigentlich nur Hip Hop und/oder Elektro hören (leicht zu erkennen an den hellen Outfits) und meist aus Neugier und zum ersten mal auf Wacken sind. Für diese Kollegen war Marilyn Manson der einzige Name auf der Running Order, den sie vorher schon kannten. Ja ja, das Tainted Love Cover war toll. Aber da war dann auch schon der einzige Song den sie von Manson kannten. Doch Manson ist so viel mehr als ein Tainted Love Cover. Musiker, Künstler, Schauspieler, und Regisseur eines Films, der leider nie fertiggestellt wurde. Vertreter Zahlreicher Rock-Genres, da seine Musik sich nicht auf ein einzelnes Genre festlegen lässt. Vor allem aber eine Kunst-Figur, die durch ihre Auftritte gleichzeitig provozieren und schockieren will. Beim nächtlichen auftritt in Wacken mussten die Fans erstmal 20 Minuten warten. Während der Zeit lief durchgehend die Nebelmaschine – fast so, als wäre der An-Aus-schalter defekt und die Techniker würden sich nicht trauen den Stecker zu ziehen. Tatsächlich aber wartete “The Pale Emperor” (wie auch sein neues Album heißt) bis die ganze Bühne bis oben hin mit dickem Nebel gefüllt war bevor er sich in das rote Licht heraus wagte und mit Revelation #12 das Set eröffnete.

Überraschenderweise befand sich nicht ein Song seines neusten Studioalbums “The Pale Emperor” auf der Setlist, sondern nur ältere Hits wie “This is the New Shit” vom Matrix-Reloaded-Soundtrack, oder “Disposable Teens”, das er als zynische Antwort auf die Unhaltbaren Vorwürfe geschrieben hatte, seine Musik hätte den Amoklauf von Columbine ausgelöst. Und nein, er spielte nicht das Tainted Love Cover. Aber Das Cover von “Sweet Dreams are made of this” kam den Kollegen die sonst Hip Hop und/oder Eleketro hören bestimmt auch bekannt vor.