Unsere Highlights vom Roskilde Festival 2025 – Freitag + Samstag


Unsere Highlights vom Roskilde Festival 2025 – Freitag + Samstag
Unsere Highlights der zwei letzten Festivaltage vom Roskilde 2025 in Dänemark. (Bild: Marten Körner)

Zwischen Dosenbier und Dänemark-Charme zeigte das Roskilde Festival an den letzten beiden Festivaltagen einmal mehr, warum es als eines der wildesten und herzlichsten Europas gilt. Die Stimmung? Euphorisch trotz wechselhaftem Wetter – oder vielleicht gerade deswegen oder auch, weil die Zusammenstellung der Line-ups so wechselhaft (gut) war. Roskilde bleibt ein Ausnahmezustand mit Herz: politisch, laut und absolut unverwechselbar.

So war der Freitag

Annahstasia ist die erste Entdeckung des Tages. Die Amerikanerin mit nigerianischen Wurzeln verzaubert die Frühaufsteher 12:00 Uhr auf der Gaia Stage mit ihrem „Power Folk“, wie sie ihren Stil selbst nennt. Fasziniert sie schon Solo mit Akustikgitarre, kann man gespannt sein, wie ihre Songs mit Band arrangiert wirken.

Nala Sinephro entführt uns auf der Avalon Stage mit der Harfe in die Stimmung der progressiven Londoner Jazzszene, in der sie sich einen Namen gemacht hat. Übrigens ihr erstes Konzert in Dänemark.

Die profilierte dänische Multikünstlerin Emma Sehested Hoeg, die als Schauspielerin, Musikerin, Sängerin, Autorin und Performerin erfolgreich ist, betritt die Arena Stage mit viel Glamour, aber sympathischem, authentischem Publikumskontakt. Ein zweifellos großer Popmusikmoment, ein starkes Roskilde Debut!

Electric Callboy präsentieren sich, wie erwartet, im typischen „hard hitting party“-Style mit Deathcore-Riffs, Schlagerhumor, Pyrotechnik und Konfettikanonen. Am Nachmittag solche Moshpits zu generieren nötigt Respekt ab! Wie zu erwarten, gibt’s bei Electric Callboy mit ihrem „porn metal“ ein elektrisierendes Party‑Set: harte Riffs, Schlager‑Würze, Rampenlicht‑Entertainment und ein Publikum, das sich voll fallen lässt. Ein Festival‑Highlight, das neben musikalischer Radikalität und Pyroattacken vor allem gute Laune hinterließ.

Bei Doechii, dem aufstrebenden amerikanischen Rap-Star und Grammy Gewinnerin, werden wir bühnenbildlich in ein Klassenzimmer der „Hip-Hop School“ eingeladen. Wir erleben ganz großes Showbusiness, die Bühnen ist voll mit Tänzern und Tänzerinnen, die uns mit ausgefeilten Choreographien schon fast reizüberfluten. Doechii, alias Jaylah Ji`mya Hickmon, gelingt eine Synthese aus Gassenhauer-Samples (Daft Punk, Gotye), auch bisweilen sehr rockig, die das Konzert auf der Orange Stage noch lange nachhallen lassen werden.

Schon 2023 war Florence Adooni eine Überraschung, aber das heutige Konzert auf Avalon Stage zeigte sie noch viel souveräner mit ihrer Mischung aus Gospel, Funk und Jazz. Es gelingt ihr, die Menge in Bewegung zu bringen, niemand steht mehr still. Das Zelt wird zum Dancefloor.

Der Kontrast zu unserem nächsten Ausflug könnte nicht größer sein und gleicht einem Faustschlag in den Magen. Ikkimel hat sich auf den Weg aus Berlin auf die Apollo Stage gemacht um ihren (so selbstgenannten) „Fotzenstyle“ nach Dänemark zu exportieren. Die Bühnenperformance ist witzig und energiegeladen, die Sprachtabubrüche mit explizitem, derben deutschen Gossenvokabular (F…., f….. usw.) etwas verstörend. Die Crowd brüllt begeistert mit und es kommt, für Hyperpop untypisch, zu Moshpits. Wir beobachten die oft als feministische Selbstermächtigung interpretierte Sprache mit ein wenig ironischem Augenzwinkern. Letztlich reiht sich Ikkimel in die Tradition von amerikanischen Rapstars wie Sexxy Red oder Lady Bitch Ray ein. Ikkimel liefert einen soliden Auftritt und nötigt uns dafür Respekt ab. Der Rest ist Geschmachssache.

In ihrem violetten Lederoutfit gleicht Olivia Rodrigo eher einem Rockstar. In der Tat enthält ihr Set auf der Orange Stage viele rockige Elemente, aber natürlich überwiegend soliden Pop und Singer-Song-Writer Balladen. Ein wunderbares Hauptbühnen-Festivalkonzert. Man könnte sagen, melodisch wie Taylor Swift und bissig wie Alanis Morissette.

So war der Samstag

Schon Samstag…! Dieser unfassbare Rausch, das Orange Feeling, das man niemandem wirklich vermitteln kann, der nie auf dem Roskilde Festival war, geht in die letzte Runde. Für den letzten Tag haben die Booker noch einmal hochspannende Überraschungen in den Schedule gepackt.

Nicht unerwähnt soll auch in diesem Jahr das ausgewogene Geschlechterverhältnis des gesamten Line-Ups bleiben. Seit Jahren ist es ein Alleinstellungsmerkmal in Roskilde, sich von historisch dominant männlicher Besetzung von Festivals klar abzukehren. Liegen europäische Festivals statistisch bei einem Verhältnis von 69 % männlichen, 22 % weiblichen und 9 % gemischten Acts, liegt das Verhältnis in Roskilde bei 50 % männlichen und 50 % weiblichen/non-binären Acts.

Jasmin.4.T und Band unterschrieben als erste britische Band bei Phoebe Bridgers Label „Saddest Factory Records“ einen Vertrag zur Veröffentlichung ihres Debut Albums. Wir erleben ein sehr emotionales Set auf der Gaia Stage. Kraftvolle Indie-Pop/Alternative Rock – Songs werden gefeiert. Das Publikum reagiert spürbar solidarisch auf die Texte über Trans-Identität.

Bezeichnend für die Offenheit und Interessiertheit des Roskilde Publikums, ist die Atmosphäre auf der Avalon Stage, wo Anoushka Shankar, Tochter von Ravi Shankar das traditionelle indische Sitar-Spiel präsentiert. Klassische indische Ragas treffen faszinierend auf jazzige Klänge. Das meditative, spirituelle Klangerlebnis bewegt.

Vincent Neil Emerson liefert uns eine erdig-authentische Performance, bei der handgemachte Musik und ehrliche Erzählkunst im Vordergrund standen. Für Fans moderner Country-Music war das Konzert ein unerwartetes Highlight auf der Avalon-Bühne. Der Texaner und seine Band kommen unglaublich cool daher und ein wenig fühlen wir uns wie beim Sommerfest auf der Dutton Ranch (für Unkundige: Yellowstone, Neowesternserie)

Irgendwo zwischen Britpop und Indie-Pop bewegen sich die Popmolodien und rockigen Gitarrenriffs in der Show von Rachel Chinouriri auf der Arena Stage. Die britische Newcomerin fegt mit strahlendem Lächeln über die Bühne und reißt das Publikum sofort mit. Die erst 26-jährige ist so beeindruckend souverän auf dieser zweitgrößten Bühne des Festivals!

Vergleichsweise schwere Kost ist dann der Auftritt von Anohni and the Johnsons, ebenfalls auf der Arena Stage. Anohni in Weiß, die achtköpfige Band in Schwarz gekleidet, stehen vor der Videoleinwand auf der uns permanent Bilder sterbender Korallenriffe gezeigt werden. Inhaltliche Botschaften zwischen den Songs thematisieren die Zerbrechlichkeit unseres Planeten und die Aufforderung zum Handeln gegen den Klimawandeln. Viele Zuschauer sind tief berührt.

40 Musiker aus vier Kontinenten, geleitet von Mastermind Demon Albarn, formieren sich auf der Orange Stage zu einem Weltkollektiv namens Africa Express. Quasi eine gigantische Jamsession. Westafrikanische Riffs, mexikanischer Brass, britischer Art-Rock und südafrikanischer Electro, mehr geht kaum! Ein opulenter, vielfältiger Genre-Mix, der ganz offensichtlich sowohl Musikern als auch Publikum einen riesigen Spaß machte.

Wir schauen kurz auf der Avalon Stage bei Lucy Dacus auf der Avalon Stage vorbei. In intimer Wohnzimmer-Atmosphäre bietet sie emotionale Songtexte zu mitreißenden Melodien, eindringliches Storytelling mit beeindruckender stimmlicher Performance. Jasmine.4.T kommt als Überraschungsgast auf die Bühne um im Duett „Bullseye“ zu interpretieren.

Wieder eine Newcomerin ist mit Ravyn Lenae aus Chicago am Start. R&B, mit Gitarre, Schlagzeug und vorproduzierten Tracks, dazu kristallklarer, charismatischer Soulgesang von Songs ihres aktuellen Albums „Bird`s Eye“ machte den Auftritt für die Zuschauer zu einem highlight. Mit dem Hit „Love me not“ nahm das Konzert einen fulminanten Abschluss.

Mit der Besetzung für das Abschlusskonzert auf der Orange Stage haben die Festivalmacher einen wirklich guten Griff getan. Superstar Tyla, deren Streamingzahlen bei Spotify sich für einzelne Songs im Milliardenbereich befinden, musste im letzten Jahr krankheitsbedingt absagen. Nun entert die 23-jährige Südafrikanerin ungeachtet des Nieselregens die ikonische Orange und liefert stimmlich glänzend mit energiegeladenen Tanznummern echte Starpower als Festivalabschluss. Es gab zum Festivalfinale schon wildere, ekstatischere Konzerte, aber vor der Bühne herrscht ausgelassene Partyatmosphäre, was will man mehr.

Um den langsam aufkommenden Festivalblues im Zaum zu halten, geben wir uns noch die Lambrini Girls auf der Gaia Stage. Das explosive Set der Punks aus Brighton ist ein überbordender Kessel aus Chaos, Humor und (teilweise streitbaren) politischen Botschaften. Hart und roh geprügelter Punkrock, Circlepit, Crowdsurfing von Phoebe Lunny und dazu ein „Fuck the IDF“ (israelische Streitkräfte) – Ruf von ihr verstört nicht nur uns. Neben Zustimmung gibt es auch Buh-Rufe und Festivalgäste, die demonstrativ das Konzert verlassen.

Für uns ist das Festival nun auch zu Ende. Reizüberflutet wie in jedem Jahr verlassen wir das Gelände Richtung Camp. Auch in diesem Jahr war das Festival mit seinen 185 Acts aus 45 Ländern wieder ein Ort des Gemeinschaftsgefühls: facettenreich, musikalisch spektakulär mit Stars und Newcomern, logistisch (Essen, Trinkwasser, Sicherheit, sanitäre Bedingungen) nahezu perfekt, und anregend zum politischen Diskurs.
Nun heißt es wieder, ein Jahr warten. Farvel Roskilde! Vi elsker dig!