Sziget 2019 am Freitag: Glühendheißer Start ins Wochenende


Sziget 2019 / Sziget Festival 2019
Der Freitag beim Sziget Festival 2019 in Budapest. (Bild: stagr / Axel Schilling)

Vom 07. bis 13. August wurde eine Donauinsel in Budapest zu einem der größten Musikfestivals Europas: Sziget 2019! Heute berichten wir vom Freitag.

Während ich diese Zeilen schreibe, krabbeln Ameisen aus meinem MacBook. Wie die da reingekommen sind? Das wüsste ich selber gerne. Sowas passiert auf Festivals halt. Falls dieser Text irgendwann abrupt abbricht, liegt das daran, dass ein technikinteressierter Sechsbeiner übers Motherboard gekrabbelt ist und einen Kurzschluss verursacht hat.

Schlafen für Fortgeschrittene

Gestern war Freitag, der zweite Tag des Sziget Festivals 2019. Als Fotograf Axel und ich gegen Mittag auf das Festivalgelände schlenderten, waren viele Fans noch tief und fest am Schlafen: im Zelt, vorm Zelt, halb im, halb außerhalb des Zelts, in einer Hängematte, mitten auf dem Gehweg, im Gebüsch und davor, sitzend im Campingstuhl, angelehnt an einen Baum, einen Lautsprecher oder ein Dixi-Klo, im Schatten oder in der prallen Sonne direkt vor der Hauptbühne, lang ausgestreckt, in Embryostellung oder verknotet wie ein indischer Yogi. Interessant, zu was der menschliche Körper in der Lage ist, wenn er genug Bier intus hat.

Auf anderen Festivals ist der Campingplatz ein sauber abgetrenntes Areal. Auf dem Sziget wird wild gecampt. Du hältst es für eine gute Idee, dein Zelt bei den Klos aufzuschlagen? Oder direkt neben der Colosseum Stage, wo bis 4 Uhr morgens Techno stampft? Schlaf doch, wo du willst. Auf dem Sziget wird alles nicht so eng gesehen. Schlafen und schlafen lassen.

Island of Hitzekoller

War es am Donnerstag noch bewölkt und angenehm kühl, hat der Freitag einen kleinen, glühendheißen Vorgeschmack auf das gegeben, was der Wetterbericht angedroht hat: Temperaturen weit über 30°C. Für viele Sziget-Besucher war das die Aufforderung, auch die letzten Klamotten zuhause zu lassen. Einfach mal nur in Unterhose auf ein Festival gehen? Zieht euch was an, Leute.

Schnee im Sommer

Auch die Festivalveranstalter hatten dieses Jahr eine neue Idee, um die Hitze erträglicher zu machen: Schneekanonen. Tja, gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht. Wegen der enormen Hitze ist ein Großteil des feinen Schneenebels direkt in der Luft geschmolzen und lauwarm zu Boden gefallen. Und weil Schneekanonen enorme Energiefresser sind, war das eine ziemlich seltsame Idee, vor allem, wenn sich das Sziget auf die Fahne schreibt, ein „Green Sziget“ zu sein. Letztes Jahr wurde mit Feuerwehrschläuchen Wasser auf die Fans gespritzt – gleicher Effekt, ungleich energiesparender.

Die alternative Abkühlung: der Sziget Beach. Viele Festivalbesucher wollten sich in der Donau erfrischen, wurden aber aus (berechtigten) Sicherheitsgründen nach zwei Metern von einem Zaun aufgehalten. Ein lustiges Bild: Hunderte Fans in bunten Badehosen kauerten eng gedrängt im knietiefen Wasser, jeder kühlen Tropfen wurde ausgenutzt. Doch einem Sziget Besucher kann nichts die gute Laune vermiesen.

Aufwärmrunde

Zum warm werden haben wir uns ein paar Newcomer und Local Heroes angeschaut. Zum Beispiel Danicattack, eine kolumbianische Rockband, die auf der Europe Stage für ca. fünf Fans alles gegeben hat. Oder die ungarische Hip-Hop-Band mit dem seltsamen Namen Punnany Massif. Warum der seltsam ist? Googelt mal Punnany. Wie Hip Hop hat sich das zwar nicht angehört, aber egal. Die Jungs haben in Ungarn Nummer 1 Hits gelandet und werden dementsprechend gefeiert. Weiter ging’s zu Mongooz and the Magnet, deren Bandmitglieder aus Ungarn, Norwegen und Irland kommen. Sie haben bluesigen Pop-Rock mit einem dicken Kontrabass gespielt.

Grace Carter

Der erste Act, auf den wir uns persönlich gefreut haben: Grace Carter. Die englische Soulsängerin hat im Mastercard Zelt gespielt, der zweitgrößten Festivalbühne. Hier war’s schon gefühlte 100°C heiß, aber Grace hat mit ihrem Gesang noch ein paar Grad draufgelegt. Zu Beginn sah sie zwar etwas gelangweilt aus, aber nach wenigen Songs ist sie aufgetaut. Vielleicht war sie einfach nur schüchtern? Sie hat sich bei den Fans bedankt, dass sie gekommen sind – sie hat erwartet, dass 10 Leute vor der Bühne stehen. Es waren dann doch viele, viele Fans mehr, die zu ihrem Gesang dahingeschmolzen sind.

6lack

Wird nicht Six-Lack ausgesprochen, sondern Black. Die alternative Schreibweise hat sich der Rapper und Sänger aus Atlanta ausgedacht, weil sich Black so schlecht googeln lässt. Früher war er mal Battlerapper, heute macht er moody Hip Hop mit verträumtem Rap und Gesang. Doch bevor 6lack auf dem Sziget loslegte, hat sein DJ Tonee die Crowd auf Beriebstemperatur gebracht: „Which side is louder, the left side or the right side?“ Es gibt kaum ein Hip-Hop-Konzert ohne diese Anheizer-Nummer. Augenroll-Emoji.

Kurz vor 18 Uhr ging’s endlich los und 6lack kam auf die große Hauptbühne. Wer knallharte Beats erwartet hat, musste einen Gang zurückschalten. 6lack ist eher der Mann für die große Gefühle, was er mit Songs wie „Unfair“, „Let Her Go“ und „Cutting Ties“ klargemacht hat. Übrigens, 6lack arbeitet gerade an einem gemeinsamen Album mit dem Rapper J.I.D., meiner größten Entdeckung des letzten Jahres. Unbedingt mal sein Album „DiCaprio2“ anhören.

Gang of Youths

Erst Rap, dann Rock. Nach 6lack sind wir rüber ins große Zirkuszelt zu Gang of Youths. Die Band aus Sydney macht Indie Rock, aber das so richtig: Beim leisen Intro habe ich noch bierselig mit dem Kopf genickt, wurde dann aber schlagartig aus dem Halbschlaf gerissen: Die Band hat voll aufgedreht. Sänger und Gitarrist David Le’aupepe hat mit wildem Blick in die Menge geschaut und seine langen Locken gemosht, als hätte ein Dämon von ihm Besitz ergriffen. Doch von der stürmischen, energiegeladenen Performance darf man sich nicht täuschen lassen. David Le’aupepe ist ein brutal ehrlicher Songwriter, der offen über Depressionen und Selbstmordgedanken schreibt. Harte, haarige Schale, weicher Kern.

Yeasayer

Nichtstun tut auf einem Festival auch mal gut. Anstatt hektisch zur Hautbühne zu rennen, sind wir einfach im Mastercard Zelt geblieben und haben mit einem kühlen Bier auf die nächste Band gewartet: Yeasayer aus Brooklyn, New York. Die drei Jungs spielen nach eigenen Angaben „Middle-Eastern-Psych-Pop-Snap-Gospel“, was uns direkt neugierig gemacht hat. Wir wurden nicht enttäuscht: schöner, experimenteller Rock und schöne, experimentelle Outfits. Wo kann ich den Trainingsanzug des Gitarristen bekommen?

Xavier Rudd

Unser letzter Künstler am Freitag: Xavier Rudd, ein Sänger und Songwriter aus Australien, der sich für Naturschutz und die Rechte der Aborigines einsetzt. Er stand barfuß auf der Bühne und spielte Folk mit Reggae-Einfluss. Sein erster Song war „Creancient“, zu dem er den durchtrainierten, tätowierten Arm mit geballter Faust in die Luft streckte. Danach ging’s sitzend weiter, mit der Lap Steel Guitar auf dem Schoß. Doch schon beim nächsten Song war er wieder auf den Beinen, um mit stolz erhobenem Didgeridoo über die Bühne zu laufen. Xavier hat geht’s um was. Der Mann ist auf einer Mission und hat die Sziget Besucher mitgenommen.

Wer war sonst noch da?

The Ringo Jets auf der Europe Stage, die im ersten Song direkt ihre Gitarre geschrottet haben. Die leichtbekleidete Sängerin Tove Lo aus Schweden, die auf der Hauptbühne elektronische Popmusik gespielt hat. Nach ihr kam der Headliner des Tages auf die Hauptbühne: Martin Garrix, der tausende Fans mit massentauglichem Techno zugeballert hat. Mit Martin konnten wir überhaupt nichts anfangen – daran konnte auch das Feuerwerk nichts ändern, das ihm zu Ehren abgefeuert wurde. Aber das ist ja das Tolle an Riesenfestivals wie dem Sziget: Wenn dir was nicht gefällt, gehst du halt zu einer der 60 (!) anderen Bühnen. Oder nach Hause, so wie wir. Es liegen noch vier Festivaltage vor uns, da müssen wir unsere Kräfte einteilen.

Coming up next

Es ist mittlerweile Samstag. Heute erwarten uns ein paar hochkarätige Acts: Macklemore, The National, Wanda, James Blake und viele mehr. Wir halten euch auf dem Laufenden!

Sziget Festival 2020: Tickets + Infos

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