So war das Wacken Open Air 2018 am Freitag


Das erste Wort, dass mir zum WOA 2018 in den Sinn kommt ist: Staubig. Da wo sonst in meinem Kopf “Woohoo, Matsch!” gejubelt wird, wo unter Fotografen ein Rennen um die besten Schlamm-Fotos stattfindet und man die Stiefel lieber noch ein bisschen fester schnürt, damit man nicht stecken bleibt, ist dieses Jahr nichts als trockene Erde und vor allem Staub, Staub, Staub. Dazu ein wolkenloser Himmel und Temperaturen über 30 Grad. Kein Wunder, dass folgend Produkte am Merch-Stand gleich am Anfang ausverkauft sind: Caps, Fischer-Mützen, Staubschutzmasken, Trinkflaschen.

Tatsächlich habe ich vor 2018 noch nie erlebt, dass am gesamten Wacken-Wochenende nicht ein Tropfen Regen gefallen ist. Dafür haben die Stände eifrig gewässert und den Besuchern auch gerne Gratis-Duschen verpasst – und auch die Fass-Duschen im Village sind sehr beliebt gewesen. Ebenso beliebt hat sich das brandneue Full Metal Gaming Zelt entpuppt, wo in Kooperation mit der ESL zahlreiche Spielstationen für Spiele wie Streetfighter, League of Legends, Player’s Unknown Battleground und ein paar Virtual Reality-Stationen aufgebaut wurden. Wer sich fragt warum jemand auf einem Metal-Festival in ein Zelt gehen sollte um Videospiele zu spielen: A. viele Nerds hören Metal und B. das Zelt ist aufgrund der ganzen Spiele-Hardware klimatisiert gewesen… 🙂 Aber trotz Sonne, Staub und fehlender Klimaanlage: Hauptattraktion sind nach wie vor die Bands. Headbanger, Moshpits, Crowdsurfer und ganz viel Bier inklusive.

thundermother

Letztes Jahr sind Thundermother in Wacken auf der Beergarden-Stage zu sehen gewesen, gerade neu formiert nachdem alle Band-Mitglieder außer Lead-Gitarristin Filippa Nässil ausgetauscht wurden. Dieses Jahr haben die Ladies aus Schweden das Infield am Freitag eröffnet und dafür sogar ein neues Album im Gepäck gehabt. Schon beim ersten Song legen die Ladies so heftig los, dass der Bassistin beim Bangen die Sonnenbrille von der Nase fliegt. Diese landet dann einen Song später auf der Nase von Frontfrau Guernica Mancini, die sie in der nächsten Pause wieder auf die Nase der Bassistin setzt. Zwischendurch, davor und danach gibt es “klassischen” Hardrock mit lauten Screams, fetten Riffs und einer Power, die die verschlafenen Wacken-Besucher schneller wach bekommen als Kaffee oder Energy-Drinks.

korpiklaani

Noch eine Band wo man immer dreimal nachgucken muss, ob man sie richtig schreibt. Die Finnen um den Rasta-Zöpfe-tragenden Frontmann Jonne Järväla machen eine gelungene Mischung aus Folk und Metal, gewürzt mit einer gehörigen Portion guter Laune die ansteckend ist. “Hey! Hey! Hey!” oder auch “Oi! Oi! Oi!” echot es lautstark aus dem Publikum zu dem Gesang der Band. Wahrscheinlich weil es die einzigen Wörter der Lyrics sind, die der Großteil der Gäste (also diejenigen die nicht des Finnischen mächtig sind) versteht. Dazu wird wild getanzt. Und ich rede nicht von Moshen oder Bangen, nein, man wirbelt um die eigene Achse, hakt sich unter, dreht sich im Kreis und lässt die Füße fliegen. Ein teils ungewohnter Anblick, wenn sich Hardrocker und Black-Metaller mitreißen lassen und in den wilden Reigen einsteigen. Und zum Schluss gibt es doch noch drei Songs zum Mitsingen: “Tequila”, “Beer, beer” und “Vodka” versteht jedes noch so internationale Publikum.

mr. big

Ja, ich bin ein Fan von Mr. Big. Das habe ich schon letztes Jahrdeutlich gemacht, als ich die Band und ihre Akkuschrauber in Hamburg gesehen habe. Dennoch bin ich mir nicht sicher gewesen, ob der liebe, nette Mr. Big Frontmann Eric Martin zu Wacken passt. Allerdings habe ich mich dann an Depeche Mode vom letztjährigen Wacken erinnert, die auch in weißen Hemden auf die Bühne gekommen sind und auf den ersten Blick auch nicht so wirklich rein passten. Fakt ist: Wacken mag ein Metal-Festival sein, aber gute Gitarren-Musik wird immer anerkannt und sei es ein etwas “weicherer” Hardrock. Mit Paul Gilbert (Gitarre) und Bill Sheehan (Bass) haben Mr. Big seit der Gründung zwei Virtuosen an Bord, die es verstehen ihr Können einzusetzen ohne ein Statement zu machen wie “Guck mal was für tolle Techniken ich drauf habe” (Dream Theater) oder “Guck mal wie schnell ich spielen kann” (Dragonforce). Ganz kurz: Ich bin großer Dream Theater und Dragonforce Fan! Bitte nicht missverstehen.

Aber guten, alten 90er Jahre Hardrock mit fetten Gitarren- und Bass-Soli zu untermalen ohne Frontmann Eric Martin an die Wand zu spielen, ist eine andere Form von Kunst, die nur sehr wenige Musiker beherrschen. Und auf die Idee mit einem Akkuschrauber Gitarre und Bass zu spielen, muss man auch erstmal kommen. Zusammen mit einem leicht verschmitzt lächelnden, für Rock fast zu lieb aussehenden Eric, der eine viel kräftigere Stimme hat als man ihm zutraut, schafft Mr. Big es immer wieder mich zu begeistern. Und in Wacken war ich eindeutig nicht der einzige.

2cellos

Bei Jepardy würde man sagen: “Rock-Songs gecovert mit Cellos”. Wer jetzt “Wer ist Apocalyptica” löst: Sorry, aber die gesuchte Antwort war “2Cellos”. Statt 4 Finnen schwingen nun zwei Koraten den Cello-Bogen und covern Metal- und Rock-Songs. Was als Hobby und selbstgefilmten YouTube-Videos u.a. vom “Smooth Criminal” begonnen hat, wurde von Sony Music entdeckt und unter Vertrag genommen. Mit 4 Alben im Repertoire spielen Luka und Stejpan auf der Louder-Stage und fangen ganz gemächlich mit der U2-Ballade “With or without you” an. Die Menge denkt: ja schön, ganz nett. Dann steht Luka auf und als nächstes schmettern die Jungs (bzw. ihre Cellos) “Thunderstruck” und die Menge fängt an sich zu bewegen.

Eine gute Entscheidung ist das Schlagzeug, das die beiden Cellisten auf Tour begleitet und gerade den härteren Songs den richtigen “Wumms” gibt. Ohne wäre ein “Smooth Criminal” oder auch ein “Smells like teen spirit” etwas fad gewesen, “Thunderstruck” und “Highway to hell” hätten nur ein anerkennendes Nicken ausgelöst. Mit der kleinen Extra-Zutat der Drums “knallt” der Auftritt der beiden Kroaten richtig, das Publikum geht mit wenn Luka so schnell spielt, dass sich einzelne Strähnen aus dem Bogenfell lösen oder Stjepan sich während er spielt mit dem Cello auf den Boden legt und ein wildes Solo hinlegt. In Wacken beweisen die Kroaten, dass Celli nicht nur für klassische Musik gemacht sind, sondern auch auf den größten Metalfestival der Welt begeistern können.

trollfest

Luftballons und eine Polonäse mitten durch die Menge angeführt von einem Troll? Das kann nur die norwegische Folk-Metal-Band Trollfest sein! Denn diese Truppe schreibt Party groß und zieht das Publikum mit. Ein schöner Anblick, egal ob von etwas außerhalb oder mitten im Getümmel. Das ist ein echter Spaß-Band-Marathon. Die sieben Multi-Instrumentalisten haben sich in 2004 zusammengefunden um Musik zumachen. 14 Jahre später begeistert der unvergleichbare Sound der Norweger Fans immernoch weltweit. Auf der Bühne zeigen sich Trollfest als prima Entertainer mit höllisch viel Humor und Wortspielchen auf Trollspråk, einer Mischung aus Norwegisch und Deutsch.

nightwish

Sobald das Thema “Nightwish” unter Melodic Metal Fans angesprochen wird, geht die Diskussion los: Floor Jansen (die aktuelle Frontfrau) oder doch Tarja (Ex-Frontfrau und Gründungsmitglied). Da ich letztes Jahr Tarja in Wacken live erleben durfte und dieses Jahr Nightwish in der Besetzung mit Floor, habe ich nun einen mehr oder minder direkten Vergleich. Und ich muss sagen: Floor. Was nicht heißt, dass Tarja schlechter war. Tarja ist eine begnadete Sängerin, die helle, lange töne hält wie eine Opernsängerin. Aber Floor ist einfach mehr Metal. Keine Frage: Tarja war eine Wegbereiterin für den Melodic Metal und eine Inspiration für viele, stärker klassische Elemente in den Metal einfließen zu lassen.

Aber mit Floor, deren Stimme nicht so durchdringend und klar ist aber dafür mehr Power (oder wie mein Kollege Ty sagen würde: “mehr Eier”) hat, ist die Mischung aus Klassik, Folk und Metal möglich, die Nightwish gerade von anderen Melodic Metal-Bands abhebt und so erfolgreich macht. Nightwish ist kein Musical und keine Oper mehr, sondern erzählt Sagen aus fernen Ländern von vergangenen Zeiten, mit schnellen Drums, knallenden Bässen, Riffs die reinhauen und einer Sängerin, der man zutraut, dass sie nicht von einem Drachentöter erzählt, sondern ihm zur Seite stand und mit ihm zusammen das Herz der Drachen durchbohrt hat. Und deshalb mag ich persönlich die aktuelle Besetzung lieber. Vor allem auf einem Festival wie Wacken. Und ich höre Tarja zuhause über meine Anlage, wenn mir danach ist.

Running wild

In den letzten Jahren habe ich immer wieder über Accept und Kreator geschrieben und die beiden Bands als “Urgesteine des Metal” bezeichnet. Running Wild hat diesen Titel mindestens genau so sehr verdient, sind sie doch 6 Jahre vor Kreator gegründet worden und haben ein längeres Bandbestehen als Accept, da diese ja immer mal wieder aufgelöst wurden um dann doch wieder zusammen zu spielen. Bereits Mitte der 70er gründete Frontmann Ralf “Rock’n’Roll” Kasparek Running Wild, und in den 80ern begann er das Piraten-Thema mit der Band zu leben – sowohl in Texten als auch in den Auftritten. Unvergessen die Tour wo die Band mit einem Piratenschiff als Bühnenbild unterwegs war.

Ein Schiff gibt’s diesmal nicht, nur Outfits die ein wenig an Freibeuter erinnern. Dazu Powermetal der wie guter Rum über lange Jahre gereift ist und nun ein schön kombiniertes Aroma enthält aus schnellen Songs, wo die flinken Gitarren die Bass-Drum zu überholen drohen, und komplexen Arrangements aus flächigen Riffs und neckenden Licks, die sich mit klaren Akzenten zum Mit-grölen und Faust-recken abwechseln. Dass bei so viel Aktion auf den Instrumenten die Musiker selbst etwas steif auf der Bühne stehen, kann man angesichts der in Nebel getauchten Licht- und Feuershow schon mal verzeihen.

in flames

Kaum eine Band kann ich so schwer einem (Metal-)Genre zuordnen wie In Flames. was vor allem daran liegt, dass die Schweden auf jedem ihrer 12 Alben etwas Neues ausprobieren. Bereits der Anfang der Band war von dem Versuch geprägt, den ”erzählenden” Powermetal mit der finsteren Kraft des Death Metal zu verknüpfen. Im Laufe der Zeit wurde mit klassisch, melodischen Elementen und modernen Elektro-Klängen experimentiert und heraus kam das, was manche unter dem Dachbegriff “Melodic Death Metal” oder “Alternative Metal” einzufangen versuchen. Den Bühnenbildnern ist es gelungen, diese Vielseitigkeit von In Flames zu unterstreichen. Das Bühnenbild ist modern, Türme mit LED-Wänden und Spots oben drauf können in Kombination mit einem großen In Flames-Logo und zahlreichen Backlights die Bühne taghell erleuchten, oder – in dem man alles etwas runterregelt – eine finstere Stimmung erzeugen. Passend dazu gibt es schnelle, kräftige Songs mit aggressiven Vocals, die Headbanger und Crowdsurfer zu neuen Geschwindigkeitsrekorden motivieren, dursetzt mit nachdenklichen Songs, wo die Gitarren zu einem leisen Hintergrund-Flüstern des melancholischen Gesangs werden.

Die Musiker tragen auf der Bühne die Stimmung mit, springen teilweise von einem Ende zum anderen, recken dem Publikum ihre Instrumente und Fäuste entgegen, oder ziehen sich zurück, bis Frontmann Anders Fridés wie ein Solo-Artist alleine auf der Bühne zu stehen scheint und sich seinen Kummer von der Seele singt (den man als Fan schwer nachvollziehen kann, immerhin ist er der Sänger einer der coolsten Metal Bands). In der ausgefeilten Setlist ist für jeden was dabei, und nach zwei Stunden auf der Bühne kann man davon ausgehen, dass zumindest in dieser Nacht die meisten im Infield “Jester Heads” sind, wie In Flames ihre Fangemeinde nennt.

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