Ruhrpott Rodeo 2016 – Tag 3: Die Euphorie des Abschiedsschmerzes


Ruhrpott Rodeo 2016
(Bild: stagr / Maria Graul Photography)

Dass das Ruhrpott Rodeo ein ganz besonderes Bandpaket zu bieten hat, lässt sich schon Wochen vor Beginn in den sozialen Netzwerken verfolgen. NOFX-Frontmann Fat Mike postet auf Instagram ein Bild zur Bandauswahl des Rodeos und kündigt ein hochkarätiges Pokerspiel mit Künstlern wie Milo Aukerman, Henry Rollins, Keith Morris, Joey Cape, Jello Biafra, Charlie Harper, Lou Koller, Scott Sturgeon, Blag Dahlia, CJ Ramone, Jack Grisham und Axel Kurth an.

Die Reaktionen seiner Leser sprechen Bände: „Wow. That line up is one of the most stacked I’ve ever seen!!!”, „Punk rock heaven show.“ oder „Why da fuck doesn’t Warped Tour have bands like this anymore?”. Völlig klar, dass irgendwer immer aus dem Häuschen ist, da er gleich DIE Helden seiner Jugend sehen darf.

Hier gehts zum Bericht: Ruhrpott Rodeo 2016 – Tag 1
Hier gehts zum Bericht: Ruhrpott Rodeo 2016 – Tag 2

Die erste Heimreisewelle hat begonnen. Pünktlich ab zwölf Uhr öffnen die Pforten für die letzte Runde Ruhrpott Rodeo 2016. Zwei Tage liegen bereits hinter uns und obwohl das Wetter am gestrigen Samstag nicht ausschließlich gut zu uns war, stehen wir pünktlich zu Christian Steiffen auf der Matte. Der Entertainer weiß, wie er das Publikum in seinen Bann zieht und bringt bereits zu dieser frühen Uhrzeit mehrere hundert Rodeisten zum Tanzen und Singen. „Wie gut, dass ich wieder hier bin!“, brüllt der Sänger der Menge entgegen und es ist fast ein bisschen erschreckend, wie fest das Punkrock-Publikum im Sattel der steiff’schen Songtexte steckt.

So war CHRISTIAN STEFFEN live

Deutlich brachialer hält es die tschechische Folk-Punk-Band Pipes and Pints. Bedingungslos öffnet sich der Pit vor der Bühne und der Prager Fünfer feuert nach. Brutal hetzt ein Titel nach dem anderen durch die Kehle des kalifornischen Frontmannes Syco Mike. Dass das Publikum schnell auf die Band anspringt, entgeht auch Mike nicht und so entschließt er den Circle Pit in der Menge der Masse zu zünden. Dazu begibt er sich gemeinsam mit dem Highland-Bagpipe-Genie Vojta Kalina in die Crowd.

So waren PIPES AND PINTS live

Da der Wind sein ganz eigenes Spiel mit dem energiegeschwängerten Sound der New Yorker treibt, kann man den Fünfer Leftöver Crack am besten aus den ersten Reihen bestaunen. Traut man dem Gehörten aus dem Publikum, scheint für viele die extrem gesellschaftskritische Band eine absolute Neuentdeckung zu sein. Zu recht, wie wir finden. Mit einem mehr als authentischen Dank verabschiedet sich die Band nach 45 Minuten von ihrer Zuhörerschaft.

So war LEFTÖVER CRACK live

Swiss und die Anderen scheinen erstmal so gar nicht in das bisherige Line Up zu passen. „Affektierter Hipster-Punk-Rap“, pöbelt ein Zuschauer und macht sich auf den Weg Richtung Food Corner. Cross Over im Genre Punk ist auch echt nicht immer die beste Idee. Als DJ Da Wizard mit dem Rage Against the Machine Cover „Killing In The Name Of“ startet, sind vermehrt kopfschüttelnde Besucher zu beobachten. Auch wenn es uns bis hier nicht wirklich packt, muss man den Hamburgern und insbesondere Sänger Swiss anerkennen, dass sie es echt Talent haben den Zuschauerraum zu motivieren.

So war SWISS & DIE ANDEREN live

Mit den UK Subs bucht Alex Schwers die nächsten Punk-Veteranen auf die Ruhrpott-Stage. Charlie Harper und seine Jungs gehören wohl nicht nur der alten Punkschule an, sondern gefühlt auch zu den Bands mit dem größten Charisma. Neu dabei haben die sympathischen Engländer den Gitarristen Stephen Straughan. Eine mehr als beeindruckende Wirkung hat die Leidenschaft von Frontmann Harper auf uns. Der 72-jährige hat deutlich Spass an der Musik, dem Publikum und offensichtlich auch am Ruhrpott Rodeo. Vielen Dank!

So war UK SUBS live

Darüber, dass Mann kackt sich in die Hose nicht einfach so auf die Rodeo Stage gebucht wurden, haben wir im Vorfeld schon berichtet. Geschadet hat es allerdings nicht. Souverän und ordentlich rotzig liefern die Dortmunder Crust-Punks ab. Ihre Ansagen werden zunehmen sinnbefreiter, aber das muss ja an einem Sonntagnachmittag nicht das schlechteste sein.

So war MANN KACKT SICH IN DIE HOSE live

Zurück auf der Ruhrpott Stage, startet schon die italienische Ska-Punk-Band Talco. Dass sich bei der clever gewählten Mischung aus Punk, Ska, Gipsy und Patchanka kein Besucher lang auf seinem Platz halten kann, beweist die aus Venedig stammende Band nicht zum ersten Mal. Talco heißt Tanzen trotz kritischer Texte, oder eben genau deswegen. Und wenn man sich dann mal überlegt, wie sich eine Revolution unter dem Soundtrack des Sextetts anfühlen würde, kann man nur die Faust in die Luft reißen, während man die Melodie zu „Bella Ciao“ summt.

So war TALCO live

Auch The Dwarves gehören zum alten Eisen. Mit Singalongs am Band lässt das Erscheinungsbild der Dwarves etwas zu wünschen übrig. Kennt man die aus Chicago stammenden Musiker eher provokant gekleidet, sind sie hier wohl ganz entspannt in Zivil unterwegs. Äußerst schade.

So waren THE DWARVES live

Auch wenn wir uns in keiner Sekunde dieses Wochenendes auf Sinkfahrt der MS Rodeo befunden haben, geht es ab jetzt nur noch steil bergauf. Flag impliziert ohne Frage Künstler, die mehr als eine Generation mit ihrer Musik prägten. Noch mehr alte Schule und uns wird schwindelig. Die am Schlagzeug prangende Setliste liest sich wie ein Lebenslauf und ein bisschen Gänsehaut zieht über den Körper. Flag haben längst Musik gemacht als – trotz des angenehmen Altersdurchschnittes – die meisten Anwesenden noch in ihren Kinderschuhen steckten: 36 Jahre Musikgeschichte gibt es zu bestaunen und auch wenn man irgendwie damit rechnet, dass Henry Rollins irgendwann die Bühne für eine glorreiche Reunion betreten wird, atmet man erleichtert auf, dass er es nicht tut. Aber vielleicht schenkt er den Erinnerung an die Vergangenheit zumindest ein Ohr.

So war FLAG live

Mit Sondaschule gibt es alte Bekannte zu sehen. Die Band aus Oberhausen ist wohl beliebter als Nutella – kann man aber auch verstehen. Immerhin beherrschen sie es wie kaum eine andere Combo, ihre Gefolgschaft bis in die kleinste Haarspitze zu motivieren. Die Security hat ordentlich zu tun, feiert das Siebenergespann aber selbst ordentlich. Im sechsten Jahr auf dem Rodeo sind die Herren mittlerweile alte Hasen am Flugplatz Schwarze Heide und es ist mehr als erstaunlich, wie offensichtlich sich die Ska-Punks von der Ruhr musikalisch – aber auch bühnenwirksam, weiterentwickelt haben. Hut ab!

So war SONDASCHULE live

TSOL – True Sounds of Liberty – gehören zu den Geheimtipps des Publikums. Eine Band aus der Zeit von Bad Religion, Circle Jerks oder The Adolescents. Das dicke Goldkettchen am Hals des Frontmannes Jack Grisham wirkt prollig, man munkelt jedoch, dass es ganz ironisch aus Plastik sei. Wer mal einen tieferen Eindruck bei TSOL bekommen möchte, sollte sich auf den Weg nach Huntington Beach machen, denn Grisham lädt mittlerweile traditionell alle Gäste zu sich nach Hause ein; gekommen sei bisher allerdings nur einer.

So war TSOL live

Was soll man zu Sick Of It All sagen? Das New Yorker Schlachtschiff erklärt sich nach 30 Jahren Bandgeschichte von selbst und fasziniert immer und immer wieder. Der Name ist Programm und so dauert es nicht lang, bis Lou Koller die politische Frustkeule schwingt und seinem Ärger über Clinton und Trump Luft macht. Untermauert wird seine Abneigung mit dem Titel „Uprising Nation“. Recht hat er! Das Publikum stimmt unter tosendem Applaus zu! Wie gewohnt rasen Pete Koller und Craig Setari über die Bühne als hätten sie Duracell-Batterien gefrühstückt. Mit peitschenden Gitarren und in Tiefrot gehüllt rechnen SOIA mit dem ganzen Scheiss dieser Welt ab.

So war SICK OF IT ALL live

Wenn sich eine Generation eingestehen muss, dass sie wohl keine Chance mehr haben wird die Ramones zu sehen, dann zeigt sie sich überschwänglich erfreut CJ Ramone in Hünxe begrüßen zu dürfen. Christopher Joseph Ward war von 1989 – 1996 Bassist bei der legendären Band „Ramones“ und beweist auch heute, dass er sein Geschäft versteht. Mit funkelnden Augen folgen die Zuschauer dem Punkurgestein und zeigen sich erstaunlich textsicher. Ob die Rodeo Stage ein anderes Mal so gut gefüllt war, können wir nicht sicher beweisen. Und bei CJs Geschichten um die Ramones sowie den Klassikern „California Sun“, „I Wanna Be Your Boyfriend“, „Judy Is A Punk“ und „Do You Wanna Dance“ träumt man sich schnell in die Zeit der Anfänge der Ramones oder einen Abend im legendären CBGB. Am Ende gibt’s Unterstützung vom The Dwarves Bassisten Nick Oliveri.

So war CJ RAMONE live

Als das kleine gelbe Banner mit den vier Buchstaben auf der Ruhrpott Stage gehisst wird, wissen wir, dass das Ende naht. NOFX beenden für uns das Ruhrpott Rodeo 2016 und überzeugen mit einer gewaltig lustigen Show. Fat Mike steht der Entzug echt gut und es ist fraglich, wann man ihn in letzter Zeit so unfassbar witzig erleben konnte. Im Duell mit Eric Melvin und El Hefe stellt der Kalifornier einige Komiker in den Schatten. Auch das Publikum bekommt immer mal wieder eine auf den Deckel, erfreut sich jedoch die anderen Gäste und Bandmitglieder erheitern zu können. Fat Mike hat ein – nennen wir es mal – sommerliches Kleid an und während des Blickes durch die Kamera fällt es schwer, sein rosa Höschen zu missachten. Ach, was soll’s, man sieht’s ja nicht ohne Grund. Dann macht er uns vor wie sich der Unterschied des Sick OF It All-Bassspiels und seines eigenen anhört. Kurz darauf erklärt er stolz, er habe jetzt auch einen Song im SOIA-Stil. Brachial geht also auch. Nach einer Show mit klaren Hits wie „Linoleum“, „Idiots Are Taking Over“, „Six Years On Dope“, „Bottles To The Ground“ oder „The Separation Of Church And Skate“ und selbstironischen Scherzen, begeben wir uns auf den Weg zum Caravan Camp. Unser Auto ist bereits gepackt und während Henry Rollins das Festival final beendet, geht unsere Reise Richtung Autobahn. Euphorisiert und gleichzeitig tief betrübt sagen wir Tschüss und uns wird bewusst, was wir dreißig Minuten nach Ankunft schon wussten: Der Abschied wird schmerzhaft, aber nicht für immer sein.

So waren NOFX live

Danke an:
Maria Graul für Bilder und Text.