Ruhrpott Rodeo 2016 – Tag 2: Drei Akkorde für eine schönere Welt


(Bild: stagr / Maria Graul Photography)

Nachdem der Freitag auf dem Ruhrpott Rodeo mit Jugendhelden wie WIZO, The Adolescents, Dritte Wahl, Jello Biafra (ehem. Dead Kennedys), Suicidal Tendencies oder Michael Monroe bereits überwältigend startete, sollte die Punkrock-Schatzkiste am Samstag nicht weniger reich gefüllt sein. Neben den Punkrockurgesteinen Descendents, erwarten uns hochkarätige Bands wie Lagwagon, Turbonegro, Useless ID, The Casualities, Reagan Youth und viele mehr.

Aber erstmal wach werden: So ein Festival-Camp-Leben schlaucht früher oder später selbst den motiviertesten Musikfanatiker. Wenig Schlaf, Würgereizpogo durch die Dixiallee, nasse Klamotten und geflutete Pavillonwohnzimmer dank andauernder Regengüsse oder migräneartige Pfeffikopfschmerzen par excellence und kein Konterbier, Aspirin oder bestenfalls beides zur Hand, sind nur eine Handvoll Beispiele der allgegenwärtigen Festivalromantik. Der ganz normale Wahnsinn eben. Anders am Flugplatz Schwarze Heide. Nach gut sechs ununterbrochenen Stunden Schlaf schwebt uns ein sympathisches „Guten Morgen, gut geschlafen?“ entgegen. Die Lieblingsnachbarn sind schon wach und schmieden Kaffeepläne. In geselliger Runde startet der Samstag auf dem Ruhrpott Rodeo 2016.

Während Schmutzki beim Zeltplatzmob hoffentlich erfolgreich waren, bewundern wir die Seifenblasenmaschine an Einlass des Festivalgeländes. Richtig schön! Kurz nachdem die Monster of Liedermaching die Ruhrpott Stage eröffnen, zieht Petrus ärgerlicher Weise den Schönwettervorhang zu und lässt das gut besuchte Infield ordentlich im Regen stehen. Auch wenn die Monsters immer wieder beteuern: „Es hat aufgehört!“, bleibt der Regen hartnäckig. Fred Timm solidarisiert sich mit dem triefenden Publikum und übergießt sich -in eine Glitzerkonfettiwolke gehüllt- mit Bier. Kollektives Gruppentriefen während das aktuelle Neulingswerk Kola-Korn angespielt wird! Da wird es einem doch gleich ganz warm um’s Herz.

Hier gehts zum Bericht: Ruhrpott Rodeo 2016 – Tag 1
Hier gehts zum Bericht: Ruhrpott Rodeo 2016 – Tag 3

So waren MONSTERS OF LIEDERMACHING live

Nachdem viele Festivalbesucher noch einmal den Rückzug vom Gelände antreten, bereitet sich die bayrische Skacore Band The Prosecution auf ihr 65-minütiges Rodeo-Set vor. Bei so viel guter Laune hat das ‚olle Dreckswetter keine Chance und wird prompt vom Platz verbannt. Schuldigung, aber Regen braucht hier echt keiner.

So war THE PROSECUTION live

Kaum haben Asta Kask die Saiten angeschlagen, springen die Ersten in den Pit und nutzen den noch zur Genüge vorhandenen Platz zum Pogen. Das soll sich bald ändern. Die schwedischen Punk-Rock Urgesteine füllen in kürzester Zeit die Fläche zwischen Ruhrpott Stage und FOH. Die Zigarillo im Mundwinkel und das Gesicht hinter dem Mikrofon vergraben, signalisiert ein verstecktes aber vollends authentisches Lächeln das Asta Kask gerade richtig Spass haben.

So war ASTA KASK live

Warum nun ausgerechnet die Show von Useless ID recht überschaubar besucht ist, hat sich bis heute nicht geklärt. Fakt ist: hier gab es ein großartiges, energiegeladenes Punkhighlight zu erleben. Die seit 1994 bestehende Band um Frontmann Yotam Ben Horin hat nicht nur ihre Instrumente, sondern auch ihr Publikum fest im Griff. Textsicher und tanzmotiviert unterstreicht die Zuhörerschaft, dass die aus Israel stammende Band wohl immer noch weit unterschätzt wird. Die Songs ihrer aktuellen Scheibe „State Is Burning“ (Top 5 Geheimtipp „Platte des Jahres“ 2016) haben sich in den vergangenen Wochen nicht nur als clubshowtauglich, sondern auch maximal festivalnötig erwiesen. Hut ab!

So war USELESS ID live

Meist hochgradig unterschätzt wird auch die New Yorker Band Reagan Youth. Dabei ist schon allein das Gitarrenspiel Paul Cripples ein maximales, stundefüllendes Erlebnis voller Aaahhhs und Ooohs. Was der Typ an seinen Saiten loslässt ist phänomenal. Die offensive Punkband macht eine gute Stunde richtig Action. Laut und angepisst weht ein angenehm radikales Lüftchen über die Freifläche am Flugplatz: „Trump ist ein Arschloch, Amerika ist für alle da!“

So war REAGAN YOUTH live

Wenn eine Band nach 25 Jahren Musikgeschichte immer noch so energiegeladen die Gitarren peitscht, ist es mehr als verdient, dass ihr Publikum auch im Regen seinen Mann steht. Von so ein bisschen Himmelswasser lassen sich doch The Casualities nicht ihr Set versauen! Ganz im Gegenteil: gefühlt setzen die  – auch aus New York stammenden – Street Punks noch einen drauf und Geben richtig Gas. Das Bier und Regen gut zusammen funktionieren haben schon die Monsters heute morgen bewiesen; Frontmann Jorge Herrera schnappt sich ein Dosenbier und ext es binnen kürzester Zeit unbeeindruckt weg. Wenn einen Petrus schon im Regen stehen lässt, meldet sich der mittlerweile gut bekannte Rodeogeist zurück. Während die einen im warmen Nass The Casualities feiern, nutzen andere die Dixies des Geländes und das Regentief kollektiv vorbeiziehen zu lassen. Die, die einen Schirm haben teilen ihn und schon befindet man sich wieder in diesem nie abreißen wollenden Gemeinschaftsgefühl.

So war THE CASUALITIES live

Schmutzki ersetzen die spanische Ska-Punk-Band The Locos. Zuerst sei nur der Zeltplatz-Mob geplant gewesen, berichtet Bassist Horowitz. Gegen das Angebot auch die Ruhrpott Stage zu bespielen, hatten die drei Stuttgarter natürlich nichts. Mit im Gepäck haben die Herren ihr ganz frisch erschienenes Album „Spackos Forever“.

So war SCHMUTZKI live

Ob es wohl einen einzigen Anhänger harterarbeiteter Gitarrenmusik gibt, der Joey Cape und seine Lagwagon-Jungs nicht mag? Eben noch gemeinsam mit Useless ID und Versus The World auf Clubtour, beehren die kalifornischen Punk-Legenden das Ruhrpott Rodeo in Hünxe. Mit lockeren Sprüchen auf den Lippen scheint Joey so konzentriert, dass Grumpy Cat sich ihrer Einzigartigkeit unsicher wird. Doch achtet man genau auf das Gesicht des Capers, zeigt sich sein Interesse am Publikum und der Musik. Immer wieder lässt er den Blick über die Crowd schweifen, lächelt kurz und präsentiert letztendlich seinen Bauch. Die Besucher danken es Lagwagon mit bedingungsloser Textsicherheit. Auch Useless Id´s Ishay Berger trifft man in der ersten Reihe an. Trotz der erst kürzlich beendeten gemeinsamen Europatour, lässt er es sich nicht nehmen Lagwagon aus dem Zuschauerraum zu feiern. Genau da zeigt sich einmal mehr die sympathische Stimmung des Ruhrpott Rodeos: Völlig selbstverständlich mischen sich die Künstler unter das Publikum, feiern in den ersten Reihen ihre Helden und sind dabei mit genauso funkelnden Augen zu beobachten, wie alle anderen auch.

So war LAGWAGON live

Irie Révoltés lassen den Boden des Ruhrpott Rodeos beben und schleudern ihre Parolen mit über den Köpfen schwingenden Handtüchern in die Menge. Dabei ist „Allez“ nicht nur der Titel eines Albums und Song der insgesamt neun Musiker, sondern vielmehr eine Aufforderung. Unterstützt werden die Heidelberger dabei von Sokee. Im weißen Strobolicht schwingen die Jacken des Publikums über den Köpfen, „Refugees Welcome“ prangt auf der Bühne und für die scheiß Nazis oder Pegidisten und wie sie alle heißen, gibt es keinen Fingerbreit!

So war Irie Révoltés live

Weniger ruhig wird es bei den Altmeistern Fuckin Faces. Zur Rodeo Stage ist kaum noch durchzukommen. Die Deutsch-Punk-Band verkürzt die Umbaupause, hat sichtlich Spaß an ihrer Show und überträgt das nach bestem Wissen und Verstand auf die Zuhörerschaft, bevor die unzähligen Turbojugendvertreter zu ihrem ganz persönlichen grand finale schreiten.

So war FUCKIN FACES live

Turbonegro mausern sich – orientiert man sich an der Stimme der Besucher – zum höchst erwarteten Außenseiter. Auch wenn sich über Klassiker wie „All My Friends Are Dead“ oder „Don´t Say Motherfucker, Motherfucker“ gefreut wird, findet ein Großteil das Gehörte nicht mehr vergleichbar zu den alten Turbonegro. „Zu lahm“ sei es und „irgendwie habe ich mir mehr erhoffet“, erklärt Chris neben und geknickt. Das Turbonegro ein bisschen Tempo verloren haben ist in tatsächlich unüberhörbar, aber alles in Allem liefern die Norweger eine solide Show ab und die Turbojugend macht eh alles viel schöner, da sie seit Freitag auf alles und jeden Glitzer streuen.

So war TURBONEGRO live

Während der rote Glitzer der Turbojugend im roten Bühnenlicht der Ruhrpott Stage funkelt, machen sich The Creepshow bereit für das Finale auf der Rodeo Stage. Mit erhobener Faust schreitet die bezaubernde Frontfrau Kenda durch den Graben und hat die ehrenvolle Aufgabe die Show der legendären Descendents vorzubereiten.

So war THE CREPSHOW live

Kaum betritt Milo mit seinen Descendents die Bühne, springt das gesamte Rodeo in eine riesige Zeitmaschine. Zurück kehrt letztlich ein Haufen 15- und 16-jähriger. Kurze, kaum wahrnehmbare Ansagen, 28 Songs, motivierte Musiker und eine Crowd, die alles gibt. Nicht nur das Infield ist mehr als gut besucht, auch auf der Bühne versammeln sich die Künstler, um die Descendents zu sehen. Denn eines ist klar: die 1978 gegründete kalifornische Punkband hatte mit Sicherheit ihren prägenden Platz in jedem Leben, der hier anwesenden Besucher und mit Hits wie „Suburban Home“ oder „I´m The One“ liest sich auch die Setlist wie ein zwanzig Jahre alter Tagebucheintrag. Echt erstaunlich, welchen Einfluss die Kalifornier auf mehr als eine Generation Musikliebender und Musikmachender hatten und haben. Bei der ersten Zugabe „Van“ gibt es von keinem geringeren als Dez Cadena (Flag) Unterstützung am Mikrophon. Nach „Shameless Halo“ und „Catalina“ ist dann aber wirklich Schluss für heute. Oh my! Wie viel schöner die Welt dank drei Akkorden ist!

So war DESCENDENTS live

Danke an:
Maria Graul für Bilder und Text.