Tag zwei beim 40. Rock am Ring und der Samstag macht schnell klar: Wer hier durchs Jubiläumswochenende will, braucht Kondition und ein stabiles Nervenkostüm. Statt sich auszuruhen, zünden die Veranstalter gleich mehrere Überraschungsraketen – und das Publikum? Liebt’s.
Los gehts dort, wo man eigentlich am meisten mit Kater, aber am wenigsten mit Krawall rechnet: auf dem Campground. Punkt 13 Uhr schallen die ersten Akkorde von Feine Sahne Fischfilet über die Zeltplätze. Die Punkband aus Mecklenburg-Vorpommern spielt einen unangekündigten Special-Gig – mitten zwischen Zaltplanen, Raviolidosen und Palettenbier. Politisch, laut, ehrlich. Gänsehaut, Circle Pit, Festivalherz. Und als wär das nicht schon genug, setzen Kraftklub um 18 Uhr einen drauf: Mit Countdown und einem kollektiven “Was zur Hölle geht denn jetzt ab?” stürmen sie als geheimer Jubiläumsact die Bühne. Pure Energie, Hits wie “Songs für Liam” oder “Kein Liebeslied” – und eine Crowd, die jede Textzeile mitbrüllt, als wär es das letzte Konzert der Menschheit.
Doch auch der reguläre Spielplan hat keine Schwachstellen: Airbourne servieren trotz Mega-Regenguss ihren High-Voltage-Rock’n’Roll mit Schweißgarantie, In Flames liefern melodischen Death Metal auf Champions-League-Niveau, Kontra K kommt mit Boxring-Pathos und Pyro im XXL-Format und Rise Against schieben die Punkrock-Kurve wieder in Richtung Emotion. Der Abend gehört dann einem Titanen: Slipknot. Masken, Wahnsinn, Maschinengewehr-Drums – die US-Legenden lassen keinen Zweifel daran, warum sie Headliner sind. Der Ring bebt, der Moshpit ist ein schwarzes Loch und als “Duality” in die Nacht donnert, ist klar: Dieses Jubiläum schreibt Geschichte. Und wir sind mittendrin.
Kittie
Kittie feiern am frühen Samstagnachmittag mit einem wuchtigen Set auf der Mandora Stage ihr Comeback in Deutschland. Eindrucksvoll ist, dass sie nach über einem Jahrzehnt Pause nichts von ihrer Durchschlagskraft verloren haben. Das kanadische Quartett – bestehend aus Morgan Lander (Gesang, Gitarre), Mercedes Lander (Schlagzeug), Tara McLeod (Leadgitarre) und Ivy Jenkins (Bass) – präsentiert eine explosive Mischung aus Nu Metal, Groove Metal und Hardcore-Elementen, die sowohl alte Hits wie „Brackish“ und „Charlotte“ als auch neues Material vom aktuellen Album Fire umfasst. Besonders hervorzuheben ist die Performance von „We Are Shadows“, die das Publikum mit ihrer Intensität und Emotionalität fesselt. Die Rückkehr von Kittie auf europäische Bühnen nach langer Abwesenheit wird von den Fans mit Begeisterung aufgenommen und zeigt, dass die Band nach wie vor eine feste Größe in der Metal-Szene ist. Mit ihrer energiegeladenen Show und der gelungenen Mischung aus Nostalgie und frischem Sound setzen Kittie ein starkes Zeichen für ihre Zukunft.
Nothing More
Nothing More liefern direkt ein energisches Feuerwerk ab, das irgendwo zwischen Wahnsinn, Genie und purem Adrenalin pulsiert. Frontmann Jonny Hawkins, bekannt für seine wilden Tanzeinlagen auf dem selbstgebauten „Scorpion Tail“, ist wie gewohnt der unbestrittene Wirbelwind des Abends. Die US-Band, zu der außerdem Mark Vollelunga (Gitarre), Daniel Oliver (Bass) und Ben Anderson (Drums) gehören, zeigt mit einer explosiven Setlist, warum sie zu den spannendsten Acts des modernen Alternative Metal zählen. Mit Hits wie „This Is the Time (Ballast)“, „Go to War“ und neuen Krachern vom aktuellen Album „Carnal“ treffen sie den Nerv des Publikums zwischen Wut, Hoffnung und hymnischer Ekstase. Besonders beeindruckend: die Mischung aus technischer Raffinesse, emotionaler Wucht und einer Bühnenshow, die mehr Theater als Konzert ist. Wer denkt, Nothing More seien nur Studio-Giganten, wird hier eines Besseren belehrt – live sind sie eine Naturgewalt.
Imminence
Imminence entfachen ein wahres Klanggewitter – und das mit Stil, Geige und ordentlich Gänsehautgarantie. Die Schweden rund um Sänger und Violinist Eddie Berg zeigen, warum ihr Mix aus Metalcore, orchestralen Elementen und emotionaler Tiefe so einzigartig ist. Mit im Gepäck: ihr aktuelles Album „The Black“, ein düster-episches Meisterwerk, das die Festivalbühne in ein musikalisches Fegefeuer verwandelt. Songs wie „Come Hell or High Water“, „Paralyzed“ und „Lament“ lassen die Menge toben – und gleichzeitig innehalten. Zur Band gehören neben Berg auch Gitarrist Harald Barrett, Alex Arnoldsson, Bassist Christian Höijer und Drummer Peter Hanström – ein eingespieltes Team mit beeindruckender Live-Energie. Wer Imminence bis dahin noch nicht auf dem Radar gehabt hat, dürfte spätestens jetzt wissen: Diese Band spielt nicht nur Konzerte, sie erschafft Erlebnisse.
Skillet
An nächster Position erleben wir Skillet, deren christlich geprägter Hardrock alles andere als brav ist – stattdessen sind sie laut, episch und voller Energie. Die US-Band um das Ehepaar John (Gesang, Bass) und Korey Cooper (Gitarre, Keys) feuert zusammen mit Jen Ledger (Drums, Gesang) und Seth Morrison (Leadgitarre) eine mitreißende Show ab, die von der ersten Minute an zündet. Mit Klassikern wie „Monster“, „Hero“ und „Feel Invincible“ sowie frischem Material vom aktuellen Album „Dominion: Day of Reckoning“ liefern sie einen Soundtrack zwischen Stadionrock, Synth-Bombast und hymnischem Pathos. Besonders bemerkenswert: die starke Bühnenpräsenz und das perfekte Zusammenspiel aus harter Gitarrenarbeit und eingängigen Refrains, die das Publikum textsicher und begeistert mitnimmt. Skillet bleiben eine feste Größe im Festivalzirkus – und stehen dafür, dass Glauben und Gitarrenriffs ziemlich gut zusammenpassen.
Me first and the gimme gimmes
Me First and the Gimme Gimmes verwandeln das Infield in eine schräge Punkrock-Karaoke-Party der allerbesten Sorte – mit Hawaiihemden, Klamauk und Vollgas. Die Allstar-Coverband um Sänger Spike Slawson, NOFX-Bassist Fat Mike (wenn er gerade mitspielt), Joey Cape von Lagwagon und Gitarren-Ass CJ Ramone zeigen einmal mehr, dass man mit ordentlich Humor und noch mehr Tempo selbst I Believe I Can Fly oder Country Roads in Moshpit-Material verwandeln kann. Ihr Markenzeichen: Pop-, Rock- und Country-Klassiker im rotzigen Punk-Gewand – immer mit einem Augenzwinkern, aber musikalisch erstaunlich tight. Besonders ist die Show durch ihren Mix aus Anarchie und Entertainer-Qualitäten, bei dem selbst die Security mitschunkelt. Mit dem aktuellen Album Blowin’ It – Again! liefern sie erneut eine wilde Sammlung völlig überdrehter Cover-Versionen, die live wie eine mit Bier übergossene Jukebox wirken. Kein Band-Shirt ist sicher, kein Refrain zu kitschig – Hauptsache laut, schnell und mit Spass. Me First and the Gimme Gimmes sind der beste Beweis, dass Punkrock auch einfach mal nur Bock machen darf.
Kraftklub
Am Samstagabend um 18:05 Uhr verwandeln Kraftklub die Umbaupause zwischen Me First and the Gimme Gimmes und Airbourne auf dem Platz vor der Mandora Stage in einen unvergesslichen Secret Gig. Bereits am Vortag ist im Hintergrund das Kraftklub-Logo riesen groß mit einem Kran heraufgezogen wurden, am Samstag zeigt dann ein Countdown den zeitlichen Weg zum Gig. Mitten im Festivaltrubel, umringt von tausenden überraschten Fans, liefern die Chemnitzer eine energiegeladene Show, die Spontaneität und musikalische Präzision vereint. Die Band, bestehend aus Felix Brummer (Gesang), Karl Schumann (Gitarre), Till Brummer (Bass), Steffen Israel (Gitarre, Keyboard) und Max Marschk (Schlagzeug), präsentiert eine explosive Mischung aus Indie-Rock, Punk und Rap, die sie seit ihrem Debütalbum Mit K aus dem Jahr 2012 auszeichnet. Mit Hits wie „Ich will nicht nach Berlin“ oder „Songs für Liam“ oder auch Songs vom kommenden Album Sterben in Karl-Marx-Stadt (VÖ: 28. November 2025) bringen sie die Menge zum Kochen. Der Überraschungsauftritt untersteicht einmal mehr, warum Kraftklub als eine der spannendsten Live-Bands Deutschlands gelten. Ihre Fähigkeit, politische Statements mit mitreißender Musik zu verbinden, macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der deutschen Musikszene. Dieser Secret Gig ist nicht nur ein Highlight des Festivals, sondern auch ein Vorgeschmack auf ihre große Tour im Jahr 2026. Wer hier dabei ist, wird diesen Moment so schnell nicht vergessen.
Spiritbox
Spiritbox gehen mit einem intensiven Sound an den Start, der irgendwo zwischen ätherischer Schönheit und metallischer Zerstörung changiert – ein Gewitter, das live noch eindringlicher wirkt als auf Platte. Frontfrau Courtney LaPlante beweist, warum sie als eine der eindrucksvollsten Stimmen im modernen Metal gilt: Growls wie aus der Hölle, Gesang wie aus einem Traum. Gemeinsam mit Gitarrist Mike Stringer, Bassist Josh Gilbert und Drummer Zev Rose bringen Spiritbox Songs wie Holy Roller, Circle With Me und The Summit in absoluter Präzision und mit emotionaler Wucht auf die Bühne. Ihre Show besticht durch den Kontrast aus Härte und Verletzlichkeit – keine Show für Nebenbei, sondern ein Erlebnis, das unter die Haut geht. Spiritbox verbinden Prog, Djent, Metalcore und Pop-Elemente so eigenständig, dass man sie schwer einordnen, aber sofort widererkennen kann. Mit ihrem aktuellen Album Eternal Blue: Reimagined zeigen sie sich experimentierfreudiger denn je und beweisen, dass moderner Metal auch zart sein darf. Fazit: Wer das verpasst hat, verpasst die Zukunft des Genres.
Airbourne
Airbourne hauen am Samstagabend eine Show raus, die so klingt, als hätten AC/DC zu viel Bier und Adrenalin intus – und das ist durchweg als Kompliment gemeint. Die Australier um Frontmann Joel O’Keeffe, gemeinsam mit seinem Bruder Ryan am Schlagzeug, Justin Street am Bass und Gitarrist Harri Harrison, zelebrieren ehrlichen, bier- und schweißgetränkten Hard Rock ohne Schnickschnack. Songs wie Runnin’ Wild, Live It Up und Too Much, Too Young, Too Fast werden vom Publikum gefeiert wie eine einzige, laute Liebeserklärung an den Rock’n’Roll. Airbourne stehen für kreischende Gitarren, fliegende Bierdosen und eine Attitüde, die man eher in verrauchten Clubs als auf großen Festivalbühnen vermutet – genau deshalb ist diese Show so mitreißend. Mit ihrem aktuellen Album Back in the Game, das gewohnt riffstark und voller Energie daherkommt, beweisen sie, dass schnörkelloser Rock noch lange nicht tot ist. Das ist zwar keine Revolution, aber verdammt viel Rock.
Bullet for my Valentine
Bullet for My Valentine sind endlich wieder einmal auf der Utopia Stage (zuletzt erst in 2023 , aber von BFMV kann man nie genug bekommen). Und sie liefern eine Lehrstunde in melodischem Metalcore – druckvoll, tight und mit genau der richtigen Mischung aus Härte und Gefühl. Die Waliser um Frontmann Matt Tuck, Gitarrist Michael Paget, Bassist Jamie Mathias und Drummer Jason Bowld reissen mit Klassikern wie Tears Don’t Fall, Waking the Demon und Your Betrayal das Publikum aus der Abenddämmerung direkt in den Moshpit. Ihr Markenzeichen: eingängige Refrains, rasende Riffs und eine fast schon chirurgische Präzision beim Breakdown. Besonders beeindruckend ist, wie nahtlos neue Songs vom aktuellen Album Godspeed Inferno in die Setlist passten – moderner, düsterer, aber mit der gewohnten BFMV-DNA. Die Band zeigt sich spielfreudig und hungrig, als hätte sie etwas zu beweisen – und beweist es mit Nachdruck. Wer denkt, BFMV seien nur Nostalgie für 2000er-Emo-Kids, wird hier klar mit einem musikalischen Roundhouse-Kick aufgeweckt. Ein Gitarrenfeuerwerk, Growls mit Gefühl und ein Publikum, das bis zur letzten Note nicht stillsteht.
Heaven Shall Burn
Heaven Shall Burn lassen die Erde beben – mit einem Auftritt, der eher wie ein Aufstand als ein Konzert wirkt. Die Thüringer Metalcore-Veteranen um Frontmann Marcus Bischoff, Gitarrist Maik Weichert, Bassist Eric Bischoff, Drummer Christian Bass und Gitarrist Alexander Dietz liefern politisch motivierten Dampfhammer-Sound mit maximaler Wucht. Doch schon nach einem Song ist leider Schluss mit brachialen Riffs, klugen Botschaften und einer kompromisslosen Live-Energie – die Band bricht den Auftritt kurzfristig ab – leider hat Sänger Bischoff Stimmprobleme. Schade.