“See you in Wacken, Rain or Shine” heißt es immer. Nachdem letztes Jahr ein nicht enden wollender “Rain” den Boden aufgeweicht und letztendlich zu einem Einreisestopp geführt hat, wurden die Metalheads dieses Jahr von “Shine”, also strahlendem Sonnenschein, auf dem heiligen Acker begrüßt.
Die Konsequenz: Es gibt diesmal leider keinen Traktor-Service der das Auto auf den Zeltplatz zieht. Und wenn man aussteigt, sinkt man leider nicht in eine wohltuende Schlammpackung ein, sondern tritt auf festen Boden. Eine weitere Nebenwirkung von Sonnenschein in Wacken ist der Staub, der innerhalb von Sekunden auf Haut und Klamotten hängen bleibt. Aber im Vergleich zu letztem Jahr sind alle bereit über ein bisschen Staub und harten Boden hinwegzusehen.
85.000 Metalheads aus aller Welt sind dieses Jahr wieder in das kleine Dorf in Schleswig Holstein gepilgert, um am größten Metal-Festival der Welt teilzunehmen. Wobei es in Wacken nicht nur Metal gibt. Blaskapellen wie die “Wacken Firefighters”, Marchingbands wie “Blaas of Glory” und selbst Acapella-Gruppen wie “Metakalpa” stehen bei strahlendem Sonnenschein auf der Bühne und reinterpretieren Hits aus Hard Rock und Heavy Metal während die Menge sie feiert. Dazu gibt es an zahlreichen Ständen was zu essen, noch mehr zu trinken und auch einen Farmers-Market für die Camper um sich mit regionalem Fleisch für den Grill einzudecken. Dazu eine kleine mobile Postfiliale, wo Briefmarkensammler sich eine Sonderedition Wacken-Briefmarken holen können, oder Metalheads Postkarten mit Wacken-Motiven an die Liebsten zuhause schicken.
Das Wacken Open Air fühlt sich an wie ein kleines Dorf, dass für eine Woche aufgebaut wird damit sich die Metal-Familie mal wieder treffen kann. Oder um eine Festival-Bekanntschaft zu zitieren: “Endlich mal normale Leute!”
Butcher Babies
Die erste Band die man auf einem Festival hört, ist immer was besonderes. Es ist quasi wie das Entrée eines ganz-viele-Gänge-Menüs. Es muss nicht nur schmecken, sondern setzt auch die Stimmung für das was noch kommt. Ich habe mich dieses Jahr für die Butcher Babies aus L.A. entschieden, eine Metal-Kombo die ich irgendwo zwischen Thrash und Core verorten würde. Ursprünglich mit zwei Sängerinnen – Heidi Shepard und Carla Harvey – tourte die Band 2023 schon ohne Carla durch Europa und im Juli diesen Jahres wurde dann bekannt gegeben, dass die Butcher Babies nun dauerhaft ohne Carla auskommen müssen. Entsprechend gespannt war ich auf den Auftritt mit “nur” einer Frontfrau. Und einem neuen Album im Gepäck, das erst im Juli rausgekommen ist.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Butcher Babies das perfekte Entrée waren, und mein persönliches Highlight vom Mittwoch. Heidi Shepard beherrscht die Bühne von der ersten Sekunde an. Zu den schnellen Trommeln und harten Riffs von “Backstreets of Tenessee” brüllt sie “Hello Wackeeeeen” ins Mikro und lässt ihre blonden Mähne kreisen. “Backstreets of Tenessee” stammt von “Til the World’s Blind”, das 2023 released wurde. Der Song ist also noch für Carla und Heidi geschrieben worden. Doch wenn man Heidi growlen hört wenn sie energiegeladen über die Bühne hin und her flitzt merkt man das nicht. Die gegrowlten Texte wechseln zwischen harten, ausdrucksstarken Rhythmen (also würde man mit einer Faust rhythmisch auf den Tisch hauen) und sehr schnell “gerappten” Growling-Passagen. Sogar Klargesänge mischen sich da rein wie z.B. bei “Monsters Ball”. All das meistert Heidi, die vorher vor allem die kraftvollen Growling-Passagen gesungen hat, mit bravour, und flitzt dabei auch noch auf der Bühne hin und her wie es sich für Metal-Core gehört. Was mich angeht haben die Butcher Babies total überzeugt und kann es kaum erwarten, sie wieder live zu erleben.
Wasteland Warriors
Jedes Jahr wenn ich in Wacken bin mache ich einen Abstecher zu den “Wastelands”. Selten um eine Band auf dem Wasteland-Stage zu sehen, sondern meistens nur um mir die Kulisse, die Fahrzeuge und die Kostüme der Wasteland Warriors anzusehen. Die Wasteland Warriors gibt es schon seit 10 Jahren und sind eine Gruppe aus Künstlern, die den Stil post-apokalyptischer Welten zelebrieren. Post-apo… was? Einfach erklärt handelt es sich um Welten, wie man sie aus Mad-Max, Waterworld oder Spielen der Fallout-Serie kennt. Eine (nukleare oder klimatische) Katastrophe hat die Welt schwer bewohnbar gemacht, Infrastruktur und Industrielle Produktion sind zusammengebrochen, und die Menschheit ist wieder zum Jagen und Sammeln verdammt. Nur dass es jetzt sehr viel moderne Technologie zu sammeln gibt. Reifen werden zu Teilen der Kleidung zerschnitten, Fahrzeuge wirken aus verschiedenen Modellen zusammengewürfelt und haben natürlich Gitter statt Fenster und Rammschutz, um Hindernisse aus dem Weg zu schieben. Ergänzt wird der Look durch Rost, Staub und Dreck. Das Ungepflegte der Warriors wird vermengt mit einer Modernen Version von Stammesbemalung wie man sie aus der Geschichte kennt, wobei die einen eher Nordisch und die anderen eher Südländisch angehaucht sind.
In diesem Jahr zelebrieren die Warriors eine Car-Show, das heißt sie fahren mit ihren Autos und Motorrädern über das Gelände, Spucken dabei Feuer oder spielen mit Feuer-Fächern.Donnernde Motorengeräusche und lautes Kriegsgeschrei lassen einen in Filme wie Mad Max oder Furiosa eintauchen und einen aus der Nähe erleben, wie viel Zeit und Liebe die Warriors investiert haben um diese Welt erlebbar zu machen. An dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an die Security, die dafür sorgt dass selbst solche apokalyptischen Fahrzeug-Shows sicher stattfinden können.
The Warning
Es geht weiter mit Frauen-Vocals. Auf derselben Bühne wie die Butcher Babies treten nun “The Warning” auf. das Trio aus Mexico besteht aus drei Schwestern: “Dany” – Lead-Vocals & Gitarre, “Pau” – Lead Vocals und Schlagzeug, und “Ale”, Bass und Backing Vocals. Die drei Schwestern haben die Band vor 10 Jahren gegründet und lehnten in den ersten Jahren zahlreiche Plattenverträge von Labels ab. Stattdessen finanzierten sie sich von Online-Verkäufen, Crowdfunding und Live-Gigs. Wer sich in der Musikbranche auskennt weiß, dass das kein einfaches Leben ist (und alle anderen können es sich wahrscheinlich auch denken), aber den Schwestern war es wichtiger ihre Musik so durchziehen zu können wie sie es wollen statt sich von einem Label vorschreiben zu lassen wie die Songs zu klingen haben.
Und es war definitiv eine gute Entscheidung. SOngs wie “S!ck” und “Queen of the Murder Scene” sind großartiger Hard Rock, der allerdings nicht abgekupfert wirkt sondern einen eigenen “Flavor” hat. Dies liegt auch stark an den harmonischen Gesängen von den beiden Lead-Sängerinnen Pau und Dany. Ale stützt das ganze mit recht komplexen Bass-Lines mit teilweise ziemlich hohen Tönen, so dass man keine weitere Rhythmus-Gitarre vermisst und trotzdem nicht in den eher simpel-punkigen Klag einer dreier-Kombo zurückfällt oder mit der Gitarre sehr bluesig-anspruchsvoll wird wie z.B. ZZ-Top. Der Song “Dust to Dust” der zum ersten mal auf dieser Tour präsentiert wird macht Lust auf das nächste Album von “The Warning”, das manisch als Fan des Hard-Rock nicht entgehen lassen sollte.
Tina Guo
Für die Cellistin Tina Guo ist Wacken kein Neuland: Bereits 2019 stand sie sowohl mit “Beyond the Black” als auch mit Sabaton auf der Bühne des heiligen Ackers. Nun steht sie mit ihrer eigenen Band auf der Louder-Stage. Tina Guo ist eine begnadete Cellistin und trat als Solistin von zahlreichen Symphonie Orchestern wie San Diego und Thessaloniki auf. Gleichzeitig hat sie zahlreiche Kollaborationen mit Rock- und Metal-Bands, wie z.B. 2008 mit den Foo Fighters beim Grammy Award. Sie war ebenfalls Teil des berühmten “Cirque de Solei” von 2011 bis 2013 und ist auch im Videospiel-Bereich sehr bekannt, spätestens nach ihrem großen Auftritt auf der Bizz-Con und zahlreichen Comic-Cons. Nun ist die vielseitige Cellistin also in Wacken und hat direkt einen bunten Blumenstrauß aus Songs im Gepäck. Gestartet wird mit der Filmmusik von “Wonder-Woman”, danach soll eigentlich “Dragonborn” von Skyrim folgen aber die eifrige Asiatin (präzise: China-Stämmige US-Amerikanerin) hat bereits beim ersten Song eine Saite ihres Cellos zerrissen und muss kurz neu spannen. Dafür springt Jörg Roth ein, Frontmann von Saltatio Mortis, auch bekannt als “Alea der Bescheidene”. Aber bereits zu Super Mario ist sie wieder zurück, führt uns dann in die Welt von Zelda um dann mit “The Water Phoenix” eher traditionell asiatische Melodien zu spielen. Unterstützt wird Tina dabei nicht nur von westlichen Instrumenten.
Neben dem Schlagzeug steht ein Taiko-Set dass mit den dumpf-dröhnenden Schlägen dem Konzert noch etwas tiefe verleiht, und bei zahlreichen Songs kommen noch zwei asiatische Sänger auf die Bühne, die traditionelle gutturale Melodien singen. Diese recht monotonen und gleichmäßigen KLänge haben wie die Taikos eine durchdringende Tiefe und stützen die recht warmen Cello-Melodien in dem sie ihr einen “Bauch” und dadurch mehr Volumen verleihen. Die Reise geht weiter zum Wüstenplanet Dune, zurück in den fernen Osten zu Fabeln die man im Westen noch nicht gehört hat. Und zum krönenden Abschluss wird mit “Queen Bee” noch mal der “Flight of the Bumblebees” angestimmt, ein klassisches Stück dass jeder kennt.
In Extremo
Gerade mal zwei Jahre ist es Her, dass In Extremo zuletzt in Wacken gespielt hat. Dazwischen habe ich sie auch noch mal in Hamburg im Stadtpark live gesehen, und nun sind wir wieder hier, MIchael Robert Rhein und seine lustigen Gesellen des Mittelalter-MEtals auf der Bühne, ich unten in bester Gesellschaft zahlreicher Metal-Heads. Dabei muss ich gestehen, dass das Genre des Mittelalter-Metals nicht wirklich zu meinen Favoriten gehört. Ich bevorzuge den dreckigen Thrash, den brutalen Core, und wenn mir wirklich nach Geschichten-Erzählern ist doch eher den klassischen Power-Metal. Ich brauche den tiefen Bass und die donnernde Bass-Drum und ein Energielevel dass mich dazu verleitet aufspringen, meinen Kopf zu bangen und die Pizza an die Wand zu schmeißen.. Mittelalter-Metal neigt dazu, eher seicht und hell zu sein. was natürlich auch der Instrumenten-Auswahl geschuldet ist: Harfe, Mundharmonika, Flöte, Drehleier sind an sich nicht wirklich “heavy”. Dass ich dennoch in den letzten 3 Jahren dreimal In Extro Live gesehen habe hat einen einfachen Grund: Es macht Spaß. Es ist die Tavernen-Laune mit einem Bier in der Hand und ganz vielen Freunden auf den Bänken, die alle das gleiche Lied laut und schief mitsingen, was die Live auftritte von in Extremo so besonders macht. Auch wenn In Extremo nicht in meinen Playlists ist, kann ich mittlerweile Songs wie “Wolkenschieber” und “Küss mich” mitsingen, freue mich als Hamburger natürlich auf “Störtebeker”, und spätestens wenn “Sternhagel voll” gespielt wird ist es immer wieder beeindruckend, zigtausend Metalheads schunkeln zu sehen während sie “Steernhaaagel voll, zwei Promille üüüüüüber soll” grölen. Dieses Gefühl des “wir sind unter Freunden” ist es, was das Wacken Open Air so besonders macht und in meinen Augen von allen anderen großen Festivals unterscheidet. Und da sind eine Band wie In Extremo das richtige “Dessert” um den erste ntag abzuschließen. Wie es in “Sternhagel voll” auch so passend heißt: “Auf Schaukelschuhen durchs Leben, Was kann es Schöneres geben?”