Samstag: Schlammtag.
Der Samstag fing wie Freitag an: nass. Der Regen hat uns an der denkbar ungünstigsten Stelle überrascht. Wenn man zum Gelände will, muss man noch ein gutes Stück zu Fuß gehen. Und zwar über einen langen Weg ohne Unterstell-Möglichkeiten. Keine Hauseingänge, keine Bäume, nix. Als wir gegen 17:00 Uhr genau über diesen Weg zum Festival gingen, wurden wir von einem Wolkenbruch begrüßt, der sich gewaschen hat. Besser gesagt: der uns gewaschen hat. Regen stürzte sintflutartig vom Himmel herab und hat uns in Sekunden komplett durchnässt. Ein paar Festivalbesucher haben versucht, sich in (!) einem Busch in Sicherheit zu bringen. Hat nicht viel gebracht, sah aber lustig aus: die bunt gekleideten Jungs und Mädels sahen aus wie exotische Vögel, die sich zwischen den Blättern verstecken.
MS Dockville 2017 – Impressionen bei Nacht
Crack Ignaz
Als wir an der Vorschott-Bühne vorbeikamen, haben wir noch ein paar Reime von Crack Ignaz mitbekommen. Noch so ein deutschsprachiger Rapper, der lieber den schwer angesagten und leicht verstrahlten Cloud-Rap-Style aus Amerika nachmacht, anstatt sich was eigenes auszudenken. Er rappte mit Salzburger Dialekt Zeilen wie „Swah, Swah, Swah, Swah, Swah in dei Gsicht bis es bricht.“ Swah, Swah, Swah? Bla Bla Bla.
Audio88 & Yassin
Crack Ignaz wurde auf der Vorschott-Bühne gottseidank von zwei Rappern abgelöst, die ihr Handwerk besser verstehen: Audio88 & Yassin. Wer das Video ihres Songs „Halleluja“ kennt, hat sich nicht über die seltsamen Aufbauten auf der Bühne gewundert: Kirchenfenster, ein Altar, zwei Kanzeln. Passend dazu stürmten die beiden Berliner Rapper und ihr DJ in Priestergewändern auf die Bühne, um „Halleluja“ zu performen. Die Crowd ist sofort mitgegangen und hat laut „Amen … Amen … Amen …“ mitgesungen. Amen? Hört man auf Musikfestivals eher selten. Ist natürlich ironisch gemeint. Die Texte von Audio88 & Yassin sind oft zynisch und sarkastisch. Kann helfen, wenn man mit erhobenem Zeigefinger rappt. Audio88 & Yassin kritisieren gerne die Politik, die Gesellschaft und natürlich die anderen Rapper. Wer kein Hip-Hop-Fan ist, fremdelt ja oft mit Battlerap. Aber der gehört dazu, auch bei schlauen Rappern. Der Sound erinnert an die guten alten Zeiten des Hip Hops: düstere, dicke Beats, die das Wasser in den Matschpfützen vor der Bühne vibrieren lassen.
MS Dockville 2017 – Audio88 + Yassin, Mura Masa
Oh Wonder
Für uns ging’s weiter mit Oh Wonder. Sollte es zumindest. Denn eine armageddonesque Gewitterfront zog auf, die so bedrohlich aussah, dass die Dockville-Veranstalter eine Unwetterwarnung ausgegeben haben. Am besten nicht unter Bäumen stehen! Okay, dann halt unterm Bierstand. Wie zuvor war der Wolkenbruch nach wenigen Minuten überstanden – und diesmal kam die Sonne raus. Zu einem kitschigen Sonnenuntergang konnten wir die letzten Lieder von „Oh Wonder“ genießen. Das gehypte Indie-Pop Duo aus London spielt elektronische Balladen, die an The xx erinnern, nur mit etwas Puderzucker oben drauf. Vor den riesigen, pinken Buchstaben „OW“ spielten Josephine Vander Gucht und Anthony West „Without you“ und viele andere Songs. Singen tun übrigens beide, und das immer gemeinsam. Tausende Fans vor der Bühne dankten es ihnen mit lautem Applaus.
Denzel Curry
Ich kam gerade mit einem verträumten Grinsen von Oh Wonder zurück – und plötzlich wurde ich von Denzel Curry verprügelt. Jeder Beat war ein Schlag in die Magengrube. Der Rapper aus Florida ist bekannt für seinen rohen Songs und Texte. Dementsprechend aggressiv war auch seine Show: Er rannte längs und quer über die Bühne und rappte mit soviel Wut und Druck ins Mikro, dass ich den Kopf eingezogen habe. Die Fans drehten durch, sprangen und sangen zum Song „ULT“ lauthals mit: „ULT! ULT!“ Jetzt bin ich wach.
MS Dockville 2017 – Oh Wonder, Denzel Curry, Sofi Tukker
Moderat
Die Headliner des Samstags hatten ihren Auftritt auf der Hauptbühne. Das Feld davor war bis weit nach hinten mit Menschen gefüllt, die sich voller Erwartung auf das Berliner Elektro-Trio freute. Um 22:30 war es dann soweit: Moderat kamen auf die Bühne und spielten ihre wobbelnden Elektrobeats. Ein Extralob gibt’s von mir für die sensationelle Lightshow, die fast komplett schwarz-weiß war. Auf der Leinwand erschienen riesigen Hände, die sich langsam bewegen, dazu grelle weiße Lichter, die in den Nachthimmel stachen. Was für ein Auftritt.
MS Dockville 2017 – Moderat
Sonntag: man kennt sich.
Ob in der S-Bahn, im Edeka oder vor der eigenen Haustür: andere Festivalbesucher erkannte man mittlerweile schon von weitem. Gummistiefel, von denen der verkrustete Schlamm abbröckelt? Den Bierbecher von gestern in der Jackentasche? Ein selbstgebasteltes Plastikeinhorn dabei, das auf einem mit bunten LEDs verzierten Regenschirm steht? Alles klar, Dockville. Man kennt sich.
Eine bunte Tüte.
Zu Beginn des letzten Festivaltages gab’s eine bunte Tüte Gemischtes ohne Lakritz: Die Höchste Eisenbahn, Beach Fossil, Palace, Mighty Oaks und Roosevelt. Die fünf Bands waren dermaßen schnell hintereinander getaktet, dass sie mir leider nur noch als ein großes, buntes Konzert-Durcheinander in Erinnerung geblieben sind. Waren bestimmt alle prima.
MS Dockville 2017 – Die Höchste Eisenbahn, Palace, Mighty Oaks, Roosevelt
AnnenMayKantereit
Um 20:30 wurde es dann nochmal spannend: AnnenMayKantereit waren auf der Hauptbühne. Die vier Kölner Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit, Malte Huck vergisst man eigentlich nicht, wenn man sie einmal gehört hat. Das liegt zum einen an der rauen Stimme von Sänger Henning May, der sich anhört, als wäre er 10 Jahre älter und würde jeden Morgen eine Schachtel Kippen und eine Flasche Jack Daniels frühstücken. Zum anderen an den eingängigen Texten, die hin- und hergerissen sind zwischen Wut und Freude, Liebe und Verlustängsten, gehst du jetzt oder bleibst du noch. Manchmal geht’s tiefsinnig zu wie in „Oft gefragt“, manchmal geht’s nur um banale Alltagserlebnisse, die für einen Moment tiefsinnig erscheinen, wie eine gemeinsame Flasche Billigwein vom Kiosk in „Länger bleiben“. Am Sonntagabend trafen sie mit den Dockville-Besuchern auf ein dankbares Publikum, das Henning jedes Wort von den Lippen abgelesen hat. Tausende Fans feierten, jubelten und schmachteten bis zum Schluss tapfer mit.
MS Dockville 2017 – AnnenMayKantereit
Grau 0 : Bunt 1
So weit, so bunt. Das war das MS Dockville Festivals 2017. Den Battle zwischen dem grauen Hamburger Wetter und dem bunten Festival hat auf jeden Fall das Dockville für sich entschieden. Bis nächstes Jahr!
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