Freitag + Samstag beim Midgardsblot 2022 in Norwegen


Der Freitag startet wieder mit bestem Festivalwetter: leicht bewölkt bei entspannten 20 Grad. Wem das zu viel Sonne ist, der begibt sich zur Listening Session von Heilung für ihr neues Album Drif. Den Besitzern einer zusätzlichen Eintrittskarte wird im einmaligen Setting der Gildehalle das neue Album vorgestellt und von Mitgliedern der Band erklärt. Auf der Helheim-Stage eröffnen derweil Endezzma und Lindy-Fay Hella den Tag. Old-school Black-Metal trifft auf elfengleiche Gesänge.

Marekvist
Auf der Valhalla-Stage wird es experimentell: Marekvist verbinden traditionelle norwegischen Volksmusik und der progressiven Psychedelik der 70er Jahre. Mit zwei Schlagzeugern, übersteuerten Orgeln, Wänden aus verzerrten Gitarren und Sirengesang sind die Norweger eine Wucht, die das Publikum begeistert.

Ragnarok
Auf der großen Helheim-Stage wird es mit Ragnarok wieder traditioneller – zumindest im Sinne des norwegischen Black-Metals. Ragnarok suchen seit 1994 die Bühnen dieser Welt heim und sind damit eine der dienstältesten norwegischen Bands. Auch heute erwischt die Kombo um die Gründungsmitglieder Jontho und Jerv wieder einen Sahnetag und halten die Fackel des Black-Metal hoch.

Nytt Land
Auf der Valhalla-Stage nimmt uns das Duett Natasha und Anatoly Pakhalenkos mit in die Welt der sibirischen Schamanen. Nytt Land wird geprägt durch den einzigartigen und kraftvollen Gesang der beiden Sibirier. Er basiert auf traditionellen, uralten Vokal- und Kehlkopfgesangstechniken indigener Völker. Die offizielle Beschreibung gibt ihre Inhalte in unnachahmlicher Weise wieder: „Schattengeister tanzen unter dem Mond, sein glühendes Licht flackert durch die Äste der tiefen Wälder. Der Atem der Geister flüstert durch die Blätter, Geschichten, die so alt sind wie die Hügel, längst vergessen.“

Eivør
Auf der Helheim-Stage geht die Reise derweil auf die Faröern. Eivør verbindet färöischen Volksgesang mit modernen Elektro-Pop – zumindest, solange die Sicherung hält. Mit ihrer kraftvollen Stimme schlägt sie ihr Publikum in ihren Bann. Beim Höhenpunkt ihres Sets dem Song „True Love” wird es mittendrin jedoch plötzlich still. Die Backline hat sich verabschiedet und benötigt eine Auszeit. Den Fans ist es egal und sie kommentieren den Vorfall nicht zu Unrecht mit „Those PAs sometimes just can’t handle perfection!“

Darkend
Für einen kurzen Abstecher geht es in die sonst brechend volle Gildehalle. Dort zelebrieren Darkend ihr dunkles Ritual. Symphonischer Black-Metal aus Italien neigt bisweilen zu übertriebenem Pathos. Nicht so bei den Mannen um Bandgründer Valentz. Hier werden Melodien und brachiale Schwefelriffs fein ausbalanciert.

Djvel
Auf der Valhalla-Stage erschallt im Anschluss wieder norwegischer Black-Metal. Teuflisch heiß wird es hingegen nicht, auch wenn der Name Djevel anderes verheißen lässt. Angesteckt von der eigenen Eiskälte wirkt der norwegische Black-Metal und der Auftritt etwas unterkühlt. Schade!

Batushka
Das musikalische Ausnahme-Projekt aus Polen ist aktuell ein Zankapfel in der Metalwelt. 2015 gestartet elektrisiert Batushka die Welt des extremen Metals mit der blasphemischen Verschmelzung von Black-Metal und christlich-orthodoxer Ästhetik. Epische Choräle treffen auf epochales Black-Metal-Gewitter.
Auf den Erfolg folgte 2018 jedoch ein Rosenkrieg, der sich gewaschen hat. Die Schlammschlacht dauert bis heute an und führt dazu, dass es aktuell zwei Bands gleichen Namens gibt. Heute gibt es die Version von Krzysztof Drabikowski zu sehen. Die Musiker bringen die einzigartige Atmosphäre perfekt auf die Bühne – visuell und musikalisch.

Nebala
Die Musik von Jonas Lorentzen zu beschreiben ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Neuinterpretation von nordischem Folk und spirituell geprägter Musik ist schwer in Worte zu fassen. Das ehemalige Mitglied von Heilung und Schaupieler/Songwriter im bekannten Film „The Northman“ scharte eine Reihe von Künstlern und Wissenschaftlern um sich, um die Konzeptband Nebala aus der Taufe zu heben. Mit traditionellen Rahmentrommeln, Leier, Tagelharpa, tibetischen Klangschalen und Kehlkopfgesang hat Jonas Lorentzen für Nebala einen einzigartigen indisch-nordischen Sound entwickelt. Komplex und nicht für jedermann.

Rotting Christ
Rotting Christ haben einen weiteren Höhepunkt in ihrer langen Karriere erreicht, die sich mittlerweile über mehr als drei Jahrzehnte erstreckt. Die Griechen haben buchstäblich den Test der Zeit bestanden. Als Headliner an diesem dritten Tag heizen die Griechen dem Publikum mächtig ein. Geboten wird Material aus allen Schaffensphasen der nunmehr 30-jährigen Bandgeschichte. Gitarrist und Sänger Sakis Tolis und sein Bruder Themis am Schlagzeug schaffen es, ihren klassischen und einzigartigen Stil von Riffs und Rhythmus mit aufregenden neuen Elementen zu vereinen, um ihr Material spannend und frisch zu halten. Puristisch und energiegeladen überrollen sie auch an diesem Abend das Publikum wie eine Lawine.

Zum offiziellen Ausklang am Freitag gibt es elektronisches von den Ziegen von The Devil and the Universe in der Gildehalle. Über die Feiernden halten die Götter in dieser Nacht ihre schützende Hand – ein Nordlicht erhellt den nächtlichen Himmel.

so war Tag 4

Auch am letzten Festivaltag hat Thor ein Einsehen und beglückt das Midgardsblot mit prächtigem Wetter. Die Aussichten sind hingegen weniger prächtig. Für die Nacht und den Abreisetag sind Böhen und Regenschauer angekündigt, die einige zu einer früheren Abreise bewegen. Stürmisch startet auch das Festival. Erst heizen die Folkmetaller Vanvidd ordentlich ein, um dann das Zepter an die Black-Metal-Urgesteine von Helheim zu übergeben.

Nagirčalmmiid
In der Gildehalle bitten dabei die beiden jüngsten Künstler des Festivals zum Tanz. Sebastian Togstad und Vegard Anthonsen entfesseln eine wüste Mischung von Doom- und Death-Metal mit einer Prise Wahnsinn darin. Die beiden jungen Norweger greifen dabei Themen und Motive der indigenen Sami-Bevölkerung auf.

Koldbrann
Während die letzten Töne in der Gildehalle verklingen, wird auf der Valhalla-Stage der nächste Sturm entfesselt. Koldbrann gehören seit ihrer Gründung im Jahr 2001 zur Speerspitze des norwegischen Black Metal-Undergrounds. Angeführt von Mannevonds charakteristischem Gesang haben die Norweger über die Jahre kein bisschen ihrer Giftigkeit verloren und heizen dem Publikum ordentlich ein.

Hindarfjäll
Auf der Helheim-Stage wird es traditionell, als das skandinavisch-nordisches Volksmusikprojekt aus Schweden übernimmt. Traditionelle Instrumente und epische Gesänge beschwören eine mythische Atmosphäre. Hindarfjäll ist dafür bekannt, auch moderne Werkzeuge und Instrumente in den dunklen und kraftvollen skandinavischen Folk-Sound zu integrieren. Inspiriert von den schwedischen Landschaften bietet die Musik eine einzigartige Erfahrung und verleitet das Publikum zum Träumen.

Kælan Mikla
Auf der Valhalla-Stage treten wir eine andere Form der Zeitreise an. Kælan Mikla ist ein weibliches Synth-Punk-Trio aus Island, das den 1980er-Geist von The Cure und Anne Clark über die heiligen Höhen von Borre wehen lässt. Dass sich ausgerechnet die Gothic-Legende Robert Smith zum größten Fan aufgeschwungen hat, wundert dabei kaum. Epische Synthesizer, ätherischer Gesang, treibende Bässe und programmierte Drums ziehen die Besucher tiefer denn je in die Welt von Kælan Mikla. Die energie-geladene, authentische Bühnenshow tut ihr übriges.

Borknagar
Die progressiven Black-Metaller aus Bergen durften letztes Jahr bereits ihr 25-jähriges Jubiläum feiern. In dieser Zeit hat sich das Besetzungskarussell fleißig gedreht. Die Liste der gegenwärtigen und ehemaligen Bandmitglieder liest sich ein bisschen wie das Who is Who des Genres. Heute Nachmittag ist davon wenig zu spüren. Mit dem 2019er Album „True North“ im Gepäck liefern Borknagar auf der Helheim-Stage ein solides Set ab.

YM:stammen
Die Valhalla-Stage bleibt weiterhin in den 1980er treu. Die in Norwegen legendäre Band Ym:stammen spielt nach 23 Jahren Pause ihr erstes Konzert beim Midgardsblot. Die 1983 von Trygve Mathie gegründete Post-Punk-Band aus Oslo hat über die Jahre viele prägende Namen für ihre Musik gefunden – von Eisenzeit-Punk, Weltmusik und Astral-Punk bis hin zu Nordic Stump. Es wird behauptet, dass die Band mit ihrem nordisch-heidnischen Ansatz einen großen Einfluss auf die norwegische Black-Metal-Szene gehabt haben soll. Ihren letzten Auftritt hatten Ym:stammen in der Mittsommernacht 1999 in Oslo. Auch heute Abend zeigen die Originalmitglieder Mathie, Eriksen, Lundewall und Alexandre, dass sie nichts verlernt haben.

Zeal & Ardor
Die Schweizer Zeal & Ardor brechen mit so ziemlich jedem Black-Metal-Klichee, das es gibt. Der schweizerisch-amerikanische Bandleader Manuel Gagneux verbindet eisige Black-Metal-Stürme mit Südstaaten-Blues und Gospel-Elementen. Heisere Schreie treffen auf bluesigen Gesang. Eine unheilige Verbindung aus Sklavenmusik der US-Südstaaten und satanischem Black-Metal aus Skandinavien, der die Frage aufwirft, was wohl passiert wäre, wenn die Sklaven auf ähnliche Weise wie Burzum oder Darkthrone rebelliert hätten.

Einherjer
Was wäre ein dem Wikinger-Erbe geweihtes Festival ohne die Gründerväter des Viking-Metals. Einherjer haben das Subgenre definiert und ihre Musik und Vision seit über 20 Jahren in die Welt getragen. Dabei ist das nordische Erbe der Band ist zentraler Bestandteil ihrer Musik, ihrer Texte und ihrer Philosophie. Dieses Erbe treibt die Recken um Sänger Grimar auch heute Abend zu Höchstform an und das Publikum zu Begeisterungsstürmen.

Heilung
Den triumphalen Abschluss des Festivals bildet die dänische-deutsche Ausnahme-Band Heilung. Mit ihrem 90-minütigen Ritual nehmen sie die offizielle Abschlusszeremonie quasi vorweg. Bereits 2017 spielte das Ensemble um den Tattoo-Künstler Kai-Uwe Faust auf dem Midgardsblot. Der magische Auftritt vor fünf Jahren sollte maßgeblich zum Durchbruch der Band beitragen. 2022 ist ihre Rückkehr nach Midgard umso epochaler. Heilung ist mehr als Musik und mehr als eine Aufführung; es ist ein Ritual, eine Zeremonie, eine Erinnerung an eine ferne Zeit. Fausts kehliger Gesang wird umschmeichelt von Maria Franz‘ Sirengesang untermauert mit einzigartigen Klängen aus alten Trommeln, Schlaginstrumenten, Chören, Speeren, Schilden und menschlichen Knochen. Heilung gehen weit zurück in die Zeit der nordeuropäischen Eisenzeit und der Wikinger, um ihr Klangerlebnis zu schaffen. Auf dem heiligen Boden von Borre gewinnt das vollständig durchchoreographierte Ritual noch einmal an Kraft und Bedeutung und elektrisiert das Publikum vollständig.

Abschied / Fazit
Zum Ausklang gibt es noch Ambient und Trance in der Gildehalle, bevor gegen 2 Uhr Ragnarök über das Midgardsblot hereinbricht. Nach einem harten Überlebenskampf in den zwei Jahren Pandemie, in denen das Festival mehr als einmal am Abgrund stand, ist es wie der Phönix aus der Asche wieder auferstanden. Das Blot ist und bleibt ein Ort für alle Menschen, unabhängig von Nationalität, kulturellem Hintergrund, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Es zelebriert das Miteinander und die Vielfalt. Nicht zuletzt ist es ein perfekt organisiertes Festival (abgesehen vielleicht vom Shuttle) mit vielseitiger musikalischer Ausrichtung bei fast durchgehend perfektem Sound (Sorry, Eivor) und einem eigentlich schon zu umfassenden Rahmenprogramm. Als Wehrmutstropfen bleibt, dass aufgrund der parallelen Veranstaltungen viele sehenswerte Vorträge, Events wie das Met-Tasting und etliche Bands auf der Strecke bleiben. Dazu zählt leider im Falle des Autors auch die Fahrt mit dem restaurierten Winkinger-Langboot „Saga Oseberg“. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

Danke an die Organisatoren, die Mitwirkenden und nicht zuletzt auch die vielen Freiwilligen, die das Festival möglich gemacht und für ein unvergessliches Erlebnis gesorgt haben. I will be back!