Freitag + Samstag beim Midgardsblot 2022 in Norwegen


so war Tag 4

Auch am letzten Festivaltag hat Thor ein Einsehen und beglückt das Midgardsblot mit prächtigem Wetter. Die Aussichten sind hingegen weniger prächtig. Für die Nacht und den Abreisetag sind Böhen und Regenschauer angekündigt, die einige zu einer früheren Abreise bewegen. Stürmisch startet auch das Festival. Erst heizen die Folkmetaller Vanvidd ordentlich ein, um dann das Zepter an die Black-Metal-Urgesteine von Helheim zu übergeben.

Nagirčalmmiid
In der Gildehalle bitten dabei die beiden jüngsten Künstler des Festivals zum Tanz. Sebastian Togstad und Vegard Anthonsen entfesseln eine wüste Mischung von Doom- und Death-Metal mit einer Prise Wahnsinn darin. Die beiden jungen Norweger greifen dabei Themen und Motive der indigenen Sami-Bevölkerung auf.

Koldbrann
Während die letzten Töne in der Gildehalle verklingen, wird auf der Valhalla-Stage der nächste Sturm entfesselt. Koldbrann gehören seit ihrer Gründung im Jahr 2001 zur Speerspitze des norwegischen Black Metal-Undergrounds. Angeführt von Mannevonds charakteristischem Gesang haben die Norweger über die Jahre kein bisschen ihrer Giftigkeit verloren und heizen dem Publikum ordentlich ein.

Hindarfjäll
Auf der Helheim-Stage wird es traditionell, als das skandinavisch-nordisches Volksmusikprojekt aus Schweden übernimmt. Traditionelle Instrumente und epische Gesänge beschwören eine mythische Atmosphäre. Hindarfjäll ist dafür bekannt, auch moderne Werkzeuge und Instrumente in den dunklen und kraftvollen skandinavischen Folk-Sound zu integrieren. Inspiriert von den schwedischen Landschaften bietet die Musik eine einzigartige Erfahrung und verleitet das Publikum zum Träumen.

Kælan Mikla
Auf der Valhalla-Stage treten wir eine andere Form der Zeitreise an. Kælan Mikla ist ein weibliches Synth-Punk-Trio aus Island, das den 1980er-Geist von The Cure und Anne Clark über die heiligen Höhen von Borre wehen lässt. Dass sich ausgerechnet die Gothic-Legende Robert Smith zum größten Fan aufgeschwungen hat, wundert dabei kaum. Epische Synthesizer, ätherischer Gesang, treibende Bässe und programmierte Drums ziehen die Besucher tiefer denn je in die Welt von Kælan Mikla. Die energie-geladene, authentische Bühnenshow tut ihr übriges.

Borknagar
Die progressiven Black-Metaller aus Bergen durften letztes Jahr bereits ihr 25-jähriges Jubiläum feiern. In dieser Zeit hat sich das Besetzungskarussell fleißig gedreht. Die Liste der gegenwärtigen und ehemaligen Bandmitglieder liest sich ein bisschen wie das Who is Who des Genres. Heute Nachmittag ist davon wenig zu spüren. Mit dem 2019er Album „True North“ im Gepäck liefern Borknagar auf der Helheim-Stage ein solides Set ab.

YM:stammen
Die Valhalla-Stage bleibt weiterhin in den 1980er treu. Die in Norwegen legendäre Band Ym:stammen spielt nach 23 Jahren Pause ihr erstes Konzert beim Midgardsblot. Die 1983 von Trygve Mathie gegründete Post-Punk-Band aus Oslo hat über die Jahre viele prägende Namen für ihre Musik gefunden – von Eisenzeit-Punk, Weltmusik und Astral-Punk bis hin zu Nordic Stump. Es wird behauptet, dass die Band mit ihrem nordisch-heidnischen Ansatz einen großen Einfluss auf die norwegische Black-Metal-Szene gehabt haben soll. Ihren letzten Auftritt hatten Ym:stammen in der Mittsommernacht 1999 in Oslo. Auch heute Abend zeigen die Originalmitglieder Mathie, Eriksen, Lundewall und Alexandre, dass sie nichts verlernt haben.

Zeal & Ardor
Die Schweizer Zeal & Ardor brechen mit so ziemlich jedem Black-Metal-Klichee, das es gibt. Der schweizerisch-amerikanische Bandleader Manuel Gagneux verbindet eisige Black-Metal-Stürme mit Südstaaten-Blues und Gospel-Elementen. Heisere Schreie treffen auf bluesigen Gesang. Eine unheilige Verbindung aus Sklavenmusik der US-Südstaaten und satanischem Black-Metal aus Skandinavien, der die Frage aufwirft, was wohl passiert wäre, wenn die Sklaven auf ähnliche Weise wie Burzum oder Darkthrone rebelliert hätten.

Einherjer
Was wäre ein dem Wikinger-Erbe geweihtes Festival ohne die Gründerväter des Viking-Metals. Einherjer haben das Subgenre definiert und ihre Musik und Vision seit über 20 Jahren in die Welt getragen. Dabei ist das nordische Erbe der Band ist zentraler Bestandteil ihrer Musik, ihrer Texte und ihrer Philosophie. Dieses Erbe treibt die Recken um Sänger Grimar auch heute Abend zu Höchstform an und das Publikum zu Begeisterungsstürmen.

Heilung
Den triumphalen Abschluss des Festivals bildet die dänische-deutsche Ausnahme-Band Heilung. Mit ihrem 90-minütigen Ritual nehmen sie die offizielle Abschlusszeremonie quasi vorweg. Bereits 2017 spielte das Ensemble um den Tattoo-Künstler Kai-Uwe Faust auf dem Midgardsblot. Der magische Auftritt vor fünf Jahren sollte maßgeblich zum Durchbruch der Band beitragen. 2022 ist ihre Rückkehr nach Midgard umso epochaler. Heilung ist mehr als Musik und mehr als eine Aufführung; es ist ein Ritual, eine Zeremonie, eine Erinnerung an eine ferne Zeit. Fausts kehliger Gesang wird umschmeichelt von Maria Franz‘ Sirengesang untermauert mit einzigartigen Klängen aus alten Trommeln, Schlaginstrumenten, Chören, Speeren, Schilden und menschlichen Knochen. Heilung gehen weit zurück in die Zeit der nordeuropäischen Eisenzeit und der Wikinger, um ihr Klangerlebnis zu schaffen. Auf dem heiligen Boden von Borre gewinnt das vollständig durchchoreographierte Ritual noch einmal an Kraft und Bedeutung und elektrisiert das Publikum vollständig.

Abschied / Fazit
Zum Ausklang gibt es noch Ambient und Trance in der Gildehalle, bevor gegen 2 Uhr Ragnarök über das Midgardsblot hereinbricht. Nach einem harten Überlebenskampf in den zwei Jahren Pandemie, in denen das Festival mehr als einmal am Abgrund stand, ist es wie der Phönix aus der Asche wieder auferstanden. Das Blot ist und bleibt ein Ort für alle Menschen, unabhängig von Nationalität, kulturellem Hintergrund, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht oder sexueller Orientierung. Es zelebriert das Miteinander und die Vielfalt. Nicht zuletzt ist es ein perfekt organisiertes Festival (abgesehen vielleicht vom Shuttle) mit vielseitiger musikalischer Ausrichtung bei fast durchgehend perfektem Sound (Sorry, Eivor) und einem eigentlich schon zu umfassenden Rahmenprogramm. Als Wehrmutstropfen bleibt, dass aufgrund der parallelen Veranstaltungen viele sehenswerte Vorträge, Events wie das Met-Tasting und etliche Bands auf der Strecke bleiben. Dazu zählt leider im Falle des Autors auch die Fahrt mit dem restaurierten Winkinger-Langboot „Saga Oseberg“. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

Danke an die Organisatoren, die Mitwirkenden und nicht zuletzt auch die vielen Freiwilligen, die das Festival möglich gemacht und für ein unvergessliches Erlebnis gesorgt haben. I will be back!