Jedes Jahr, kurz nach dem Wacken Open Air, findet das kleine aber feine Elbriot in Hamburg statt. Abgesehen davon, dass bei beiden Festivals Metal gespielt wird, kann man die beiden Festivals kaum miteinander vergleichen. Wacken Open Air ist mit 85.000 Besuchern eines der größten Metal-Festivals der Welt, geht über 4 Tage wobei viele Besucher auch gern eine Woche in Wacken übernachten, und findet auf einem Acker mitten im Nirgendwo statt, so dass es bei Regen schlammt und bei Sonne staubt. Das Elbriot wiederum hat um die 10.000 Besucher, geht einen halben Tag, ist Fußläufig 10 Minuten von der nächsten S-Bahn Station weg und findet auf einem asphaltieren Großparkplatz statt.
Es ist also eher ein kleiner gemütlicher Ausflug innerhalb der Stadt, aber mit vollem Festival Feeling. Bereits die Bahn dahin füllt sich mehr und mehr mit schwarz gekleideten, langhaarigen Menschen mit Metal-Band-Prints auf den Shirts oder Metal-Band-Aufnähern auf der Weste. Sobald man ausgestiegen ist folgt man der Jungen Dame weil ein Aufnäher in ihrem Kragen sagt “Don’t follow me! I’m lost, too”. Wobei man eigentlich nur den Ohren folgen muss, denn man hört bereits laute Musik, die immer lauter wird, je näher man dem Einlass kommt.
Auf dem Weg zur Bühne kommt man noch an zwei Bier- und mehreren Essens-Ständen vorbei, auf der anderen Seite in der Ferne sieht man den einen Merch-Store. Das Elbriot ist sehr übersichtlich, die Anreise komfortabel, der Boden frisch von der Stadtreinigung gereinigt. Dazu scheint die Sonne durch eine ganz dünne Wolkendecke hindurch, es ist warm aber nicht zu warm und der unangekündigte Regen später am Tag hat sich verzogen bevor man ihn so richtig bemerkt hat. Alles in allem ein schöner Nachmittag & Abend in Hamburg. Mit ganz viel Metal.
Neaera
Erst als der Frontmann mit seinem kurzgeschorenen Haaren und dem 3-bis-5-Tage Bart auf die Bühne kommt, fällt mir auf “Ach ja, stimmt, die kenn ich.” Gesegnet mit einem schwer zu merkenden Namen, bei dem alle sich nicht sicher sind wie man ihn richtig ausspricht, hab ich die Band auf der Running Order so gar nicht wiedererkannt. Aber wer Neaera einmal live gesehen hat, wird die Band so schnell nicht wieder vergessen. Bereits beim ersten Song „Armamentarium“ (die Band macht es einem auch echt nicht leicht mit den Namen) klettert Frontmann Benny Hilleke von der Bühne über die Front-Stage-Lautsprecher runter, geht durch den Graben zur Absperrung die die Metal-Fans zurückhält, kreist mit den Armen dass sie einen Moshpit aufmachen sollen und springt dann direkt in den Pit um mit den Fans zu moshen. Ohne dabei aufzuhören zu singen!
Neaera spielt eine Mischung aus MetalCore und Death Metal mit ein wenig Melodie. Ein Stakkato an hektischen Double-Bass-Drums, schnelle Gitarren-Riffe und Basslines, und eine Mischung aus Screams und Growling, dass der Frontmann in sein Mikro schreit während er sich Crowd-surfend aus dem Moshpit raustragen lässt. Und das war nur der erste Song. Beim zweiten Song “Walls instead of Bridges” springt er wieder in die Menge, mosht im Pulk mit, klaut einem Metalhead seine Mütze, setzt sie sich kurz auf, gibt sie wieder zurück, lässt sich in die Menge rein und wieder raus tragen. Nach dem Song guckt er kurz hoch zur Bühne, fragt welcher Song als nächstes kommt, “Ah, Torchbearer, ok” und feiert eine dritte Runde mit der Crowd bevor er auf die Bühne zurück klettert. Neaera ist eine gute Band, aber vor allem live merkt man das Feuer und die Leidenschaft der Band, und die ist ansteckend. Zwei Songs später heißt es “Ich war da unten, jetzt kommt ihr hoch!” Die Security ist nicht begeistert, aber Benny verspricht “Die gehen auch wieder von der Bühne”. Also klettert nun das Infield über die Absperrung (mit Hilfe der Security) die Front-Stage Boxen rauf und auf die Bühne, wo sie mit Neaera feiern und sogar einen kleinen Circlepit laufen. Um dann nach dem Song – wie versprochen – artig die Bühne wieder zu verlassen.Mit “Spearheading the Spawn” ist Neaera’s Auftritt wieder vorbei. Schade, es hätte ruhig noch ein wenig so weitergehen können. Aber die Jungs sind ja tourfreudig und sicher demnächst wieder live zu sehen.
The Amity Affliction
Ein Shouter mit einer tief ins Gesicht gezogenen Basecap, ein Gitarrist und Bassist die harmonisch Backings singen, dazu E-Bass und Drum, die nicht wie bei Neavera durchgehend durch knallen sondern eher in kurzen, schnellen Salven knallen und eine relativ melodische Gitarre untermalen. Dieses kontrastreiche Zusammenspiel aus Metal-Core und harmonisch melodischen Elementen macht die 4er Gruppe aus Australien so besonders. Bereits im Eröffnungssong “Pittsburgh” beweisen sie, dass die ungewöhnliche post-hardcore Metal Mischung funktioniert. Und dass die melodischen Elemente die Metalheads auf dem Großneumarkt nicht davon abhalten, den Moshpit aufzumachen, der gerade zum Ende von Neaera geschlossen wurde.
Links und rechts davon lassen sich Crowdsurfer von anderen Metalheads über das (zugegeben eher kurze) Infield tragen und werden von der Security entgegen genommen. Ab dem zweiten Song “All my Friends are Dead” werden die Songs schneller. Ohne in die Menge zu springen oder die Crowd auf die Bühne zu holen kann The Amity Affliction das Energielevel halten (wobei sie schon vor dem guten “Warm Up” von Neaera profitieren) und treiben die Crowd vor sich her. Man ist dankbar über die sanfte Brise die über das Infield pustet und etwas Kühlung bringt, aber gleichzeitig nicht die dünne Wolkendecke vor der Sonne weg schiebt, so dass die Temperaturen erträglich bleiben. In einem kurzen Set wechseln sich Geschwindigkeit mit kurzen, melodischen Klargesang-Passagen ab, die einen kurz Luftholen lassen, bevor es wieder mit Vollgas weiter geht. Und als The Amity Affliction mit ihrem Set durch ist, ist man einerseits froh mal verschnaufen zu können, und andererseits etwas traurig weil die Band echt gut ist.
Graveyard
Nach jedem zweiten Bier ein Zwischenwasser. Sowas in der Richtung müssen sich die Veranstalter gedacht haben, als sie die Running Order festgelegt haben. Dachte ich beim ersten Überfliegen der Setlist noch “Grave Digger” gelesen zu haben, bemerk ich meinen Fehler spätestens als der Orange-Amp und die Halbakustische Gitarre auf der Bühne aufgebaut werden: Die klassischen Inhaltsstoffe von bluesigen Rock. “Graveyard” ist erstklassiger, psychedelischer Bluesrock aus Schweden. 4 Langhaarige Männer in hellen Farbtönen, die auf einem für Heavy Metal viel zu leicht gestimmten Schlagzeug begleitet mit einer halbakustischen Leadgitarre und groovigen E-Bass Lines entspannt mit einer sanften Stimme gemütliche Rocksongs spielen.
Die Musik von Graveyard ist ein Tick zu schnell um wirklich Stoner-Rock zu sein, und erhält durch eine Komplexität vor allem in den zwei Gitarren einen psychodelisch-progressiven Touch. Es ist aber auch zwei Schritte zu langsam und immer noch ein bisschen zu komplex um wirklich Hard Rock zu sein, zu dem man gut abgehen kann. Während alle Anwesenden anerkennend nicken und einige auch schon auf Spotify Graveyard abonnieren, dünnt sich doch das Infield aus. Viele nutzen die Gelegenheit, um sich ein Bier oder doch vielleicht ein Zwischen-Wasser zu holen. Ich werde in den nächsten Tagen in einer ruhigen Minute sicher mal in ein Album von Graveyard reinhören. Aber auf dem Riot, nach Neaera und Amity Affliction, war mir die Band trotz funkiger Songs wie “Twice” dann doch etwas zu lasch.
Motionless In White
Die Fanbase von Motionless in White ist eher weiblich und eher jung. Diese gewagte These begründe ich mit den Personen die das Motionless in White bzw. “MIW” Shirt auf dem Elbriot tragen (wobei das MIW mich ein wenig an das NIN von Nine Inch Nails erinnert). Mit der ersten Reihe vor der Bühne, die im Vergleich zu den ersten 3 Bands komplett ausgetauscht wurde und von jungen Frauen mit weißer Schminke und schwarzem Lippenstift und Kajal-Strichen im Gesicht dominiert wird. Und mit dem ganz hellen Gekreische, als die Band dann endlich auf die Bühne kommt. Alle sind hellweiß-blass geschminkt und haben schwarze Akzente wie Lippenstift, Eyeliner oder auch zusätzlich Striche im Gesicht. Der Bassist hat neon-grüne Haare die an den Joker aus “Suicide Squad” erinnern, Kontaktlinsen mit weißer Iris und und eine Gesichtsbemalung wie “The Crow”. Ein Gitarrist trägt eine Halbmaske die seine Augen freilässt und wie eine Mischung aus einer Teufelsmaske und Cyberpunk aussieht. Im Vergleich dazu sehen der andere Gitarrist und der Sänger noch relativ unspektakulär aus. Dennoch: Motionless in White ist bereits auf den ersten Blick als Schocker-Band zu erkennen und wurden bereits 2012 zur Veröffentlichung ihres Albums “Infamous” mit Marilyn Manson verglichen. Wie Manson arbeiten sie mit digitalen Samples und bis zum Anschlag aufgedrehten Tonabnehmern. Selbst die Drum sind soweit aufgedreht dass man befürchtet der Sound könnte “brechen”. Tut er aber nicht. Respekt an die Anlage vom Elbriot.
Anders als Manson sind MIW aber insgesamt um einiges schneller, die Gitarren um einiges komplexer. Die Drums mischt punkige Blast-Beats in die sonst core-igen Rhythmen, und die Gitarre haut parallel dazu Metal-Breakbeats rein. MIW schafft es das Tempo und das Energielevel des Elbriot wieder auf das Vor-Graveyard-Niveau zu heben und plötzlich ist der Mosh-Pit wieder da, und die flankierenden Crowdsurfer. Auch wenn ich MIWs musikalisches Können, die Mischung aus Energiereicher Passagen mit gut mitsingbaren Refrains und vor allem das erfolgreiche Konzept des “Horror-Metalcore” zum Erreichen einer jungen Zielgruppe anerkenne, für mich persönlich wird es eher Neaera oder The Amity Affliction auf meine Metal-Playlist schaffen. Was aber niemanden davon abhalten sollte, in MIW reinzuhören. Denn mit Songs wie “Meltdown”, “Slaugterhouse” und “Another Life” wird die Band sicher viele neugierige Metalheads positiv überraschen.
Beyond The Black
Es wird wieder etwas ruhiger. Symphonic Metal ist einfach langsamer als Metal-Core, weil es das einfach sein muss. Symphonic Metal, in den Anfangszeiten stark geprägt von Bands wie Nightwish in der Erstbesetzung mit der hervorragenden Sängerin Tarja, lebt von epischen Lyrics mit langgezogenen, gestützten Vokalen bei denen die Sängerinnen ihre beeindruckenden Stimmen voll ausschöpfen können. Beyond The Black Frontfrau Jennifer Haben spielt zudem noch direkt auf einer großen Plexiglas-Trommel, während sie die ersten Strophen von “Dancing in the Dark” singt. Erst nach der ersten Strophe legt sie die Drumsticks weg, dafür kommt der Rest der Band auf die Bühne und es wird Metal-iger. Wie schon Graveyard wirkt auch Beyond the Black eher wie eine Verschnaufpause auf mich. Wobei da sicher auch ganz viel persönliches Befinden mit drinsteckt, komme ich doch eher aus der Thrash-Death-and-Core Ecke, also alles was mit schnellen Drums und sehr viel Power gespielt wird, Songs die einen stärker pushen als jeder Energy Drink und einen das Bedürfnis geben das Bier auf Ex zu leeren und danach die Pizza gegen die Wand zu werfen.
Anders als Neaera, The Amity Affliction und Motionless in White ist Beyond the Black nicht auf diesem Push-Level. Songs wie “Songs of Love and Death”, “When Angels Fall” und “Lost in Forever” sind eher zum Mitsingen geschrieben und nehmen einen emotional mit zwischen Trauer und Freude. Sie sind ein guter Begleiter, weil in jeder Lebenslage ein Song da ist, den man sich anhören kann und der zu seiner Stimmung passt. Und Jennifer Habens Stimme hat die Bandbreite, um einen einerseits zu trösten und andererseits auch mal hochzuziehen, und ist dabei weniger eindringlich als zum Beispiel die Stimme der Sopranistin Tarja. Als “eigentlich gar nicht so ein großer Fan” von Symphonic Metal sehe ich Beyond the Black immer wieder gern auf einem Festival, aber lieber etwas früher zur Einstimmung als später am Abend, wenn man schon gepusht wurde und auf “Moshpit-Temperatur” ist. Aber das ist wieder meine persönliche Vorliebe. Und es ändert nichts daran, dass Beyond the Black sich den Slot als zweite Headliner des Riot auf jeden Fall verdient hat.
Amon Amarth
Es wird langsam dunkler, die Uhr zeigt 20:30, das letzte Set wird aufgebaut. An dieser Stelle möchte ich die Organisation des Elbriots einmal loben: Alle Bands wissen genau wie lange sie spielen dürfen und halten sich dran, die Bühnenarbeiten sind effizient und wurden immer Pünktlich abgeschlossen, die Security-Leute sind freundlich, gut vorbereitet und aufmerksam, und das Sanitäts-Personal immer hilfsbereit und schnell vor Ort wenn sie gebraucht werden. Plus, sie haben das perfekte Wetter gebucht. Zu Amon Amarth lassen sie etwas nach: Es fallen 3 – 5 Tropfen Regen, und der Start verzögert sich um nicht ganz 10 Minuten. Alles in allem Super Job. Kommen wir nun zu Amon Amarth. Johan Hegg, Frontmann, ist ein Schwedischer Hüne in Wikinger-Klamotten, langen haaren und langem Bart, dem man sofort glaubt das er mit einem Drachenboot von Schweden nach Hamburg gerudert ist und mit Schild und Axt aussteigt um den Zoll anbrüllen der ihn kontrollieren will. Aber danach hat er wahrscheinlich kurz gelacht, die Axt weggelegt und die verschreckten Zöllner auf ein Bier aus seinem Trinkhorn eingeladen.
Amon Amarth ist eine Death Metal-Band, die mit Wikinger-Motiven auf der Bühne und in den Songs spielt. So sind auf der Bühne ein Drachenboot und zwei große Wikingerstatuen aufgebaut, später kommt noch eine große Seeschlange dazu. Der altnordische Gott Loki kommt auf die Bühne, nur um von Johan mit einem Tritt von der Bühne vertrieben zu werden, nachdem er es gewagt hat, die Gitarristen zu erschrecken. Wenn zwei Wikinger anfangen auf der Bühne zu kämpfen erwartet man eigentlich, dass Johan dazwischen geht, die beiden am Nacken packt und sie zwingt, sich zu versöhnen. Aber er lässt die beiden “Spielen”, weil er beim letzten Song doch noch mal mit einem großen Hammer besagte große Seeschlange bzw. den Weltfeind “Jormungand” zu bekämpfen. Dazu wird allerlei Pyro gezündet, so dass einem richtig warm wird.
Aber Amon Amarth ist keine Show-Band. Amon Amarth ist eine solide Death Metal Band mit tief gestimmten Gitarren, die schnelle, harte Riffs spielen, angetrieben von einem knallenden 5-saitigen Bass und hämmernden Doppelbass-Rhythmen und verprügelten Toms. Dazu growlt Johan Hegg Texte über “Guardians of Asgard”, “Death in Fire” oder “Twilight of the Thunder God”, und wenn gerade nicht gesungen wird, lässt die gesamte Band ihre langen Haare kreisen. Das ganze Wikinger-Geraffelt kommt einfach als Konzept “On Top” und funktioniert gut. Auch wenn ich Amon Amarth erst vor einer Woche in Wacken gesehen habe ist es trotz kleinerer Bühne und kürzerem Set immer wieder schön die Schweden live zu erleben, und mit dem gesamten Festival zusammen “Raise your Horns” zu Gröhlen bevor die Musik ausklingt und es Zeit wird, die S-Bahn nach Hause zu erwischen. Oder doch eher in die andere Richtung zu dem einen oder anderen Nach-Festival-Bier.