“Welcome to the Riot”, so steht es auf den Fanshirts. Nach 2 Jahren Zwangspause findet endlich wieder ein Elbriot statt. Allerdings war die Pause nicht nur Covid-Bedingt. Bereits 2019 wurde bekannt, dass der Veranstalter des Elbriots 2020 eine neue Location braucht, weil der Parkplatz vor dem Mehr!-Theater nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Es gab Gerüchte wohin das Elbriot 2020 umziehen würde – und dann kam Covid mit Lockdowns, abgesagten Konzerten und Festivals. Jetzt, 3 Jahre später, findet das Elbriot 2022 genau da statt, wo es 2019 auch stattfand: Auf dem Hamburger Großneumarkt, direkt vor dem Mehr!-Theater. Allerdings mussten gewisse Zugeständnisse gemacht werden. Die größte Änderung zu 2019 ist dass die letzte Band nur bis 22:00 spielen darf, und auch die Bühnenposition wurde um 90 Grad gedreht, was vermutlich ebenfalls mit Lärmschutz zu tun hat. Andererseits sorgt die um 90 Grad gedrehte Bühne auch dafür, dass der Wind nicht in die Bühne rein, sondern an der Bühne vorbei weht. Entsprechend “fehlen” die lästigen Windgeräusche in den Mikrofonen der Sänger, die man von den vorherigen Elbriots kennt. Auch neu ist der “Laufsteg” der von der Hauptbühne aus in das Publikum führt und den Bands somit neue Möglichkeiten gibt, mit den Fans auf “Tuchfühlung” zu gehen.
Abgesehen von diesen Änderungen hat sich nichts geändert. 8.000 Metalheads sich auf dem vom Hauptbahnhof zu Fuß erreichbaren asphaltierten Platz, der mit einer großen Bühne, mehreren Bier- und Fressbuden und einem Merch-Zelt ausgestaltet ist. Im Vergleich zum Wacken Open Air, das vor 2 Wochen 80km entfernt stattfand, wirkt alles sehr klein, übersichtlich und gemütlich. Keine viertelstündige Wanderung zum Bierstand oder zwischen den Bühnen, kein Acker-Staub in der Luft, und wenn alles vorbei ist, braucht man 10min zum Hauptbahnhof und kann in weiteren 10min mit der U-Bahn auf der Reeperbahn sein und weiter feiern.
Trotz 2 Jahren Pause geht’s am Einlass schnell, das Bier wird zügig gezapft und die Umbauarbeiten zwischen den Bands bleiben im Zeitplan. Der Sound ist gut, das Line-up kann sich durchaus sehen lassen und selbst das Wetter spielt mit und es bleibt trocken. Alles in allem eine gelungene Wiederkehr des Riot auf dem Großneumarkt, und ich hoffe sehr dass das kleine Metal-Fest in den nächsten Jahren dort bleiben darf. Und die Bands ein bisschen länger spielen dürfen.
Kissin Dynamite
Durch die Nähe zum Wacken Open Air (örtlich und zeitlich) kommt es immer wieder vor, dass Bands die auf dem Wacken Open Air spielen auch auf dem Elbriot auftreten (z.B. Megadeth, die 2017 Headliner von Wacken und Elbriot waren). Und so beginnt auch mein Riot 2022 mit dem Wiedersehen einer Band, die ich schon in Wacken vor der Kamera-Linse hatte: Die 5 Schwaben von “Kissin Dynamite” stürmen gut gelaunt auf die Bühne und beginnen direkt mit “I’ve got the Fire” die Menge aus ihrer Samstäglichen Mittagsruhe zu wecken. Auch mit 2 Wochen Pause funktioniert die Mischung aus poppigem Glam-Rock und dem “klassichen” Metal Quartett (E-Gitarre, E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug mit Double-Bass-Drum) für mich. Dank der langen blonden Mähne, den passenden super-engen Hosen und der Energie auf der Bühne liegt ein Vergleich mit Eddy Van Halen nahe, aber die Stimme von Hannes ist geschmeidiger, in den Songs wird weniger geshoutet, und das ganze Auftreten ist doch etwas weicher. Beim ersten Song hat man die Befürchtung dass die Songs insgesamt etwas zu poppig sind, aber nach “Sex is War” und “I will be King” merkt man dass Kissin Dynamite die feine Grenze zum Pop nicht überschreitet und eine gelungene Mischung aus Glam-Rock-Gesang und Heavy Metal Begleitung bleibt. Und am frühen Nachmittag ist ein Start mit “leichter” Metal Kost sicher auch gesund.
caliban
Als Kontrastprogramm zu den gute Laune Rock-Songs von Kissin Dynamite folgt Caliban, die für puren, Deutschen Metal-Core stehen. 25 Jahre sind Sänger (bzw. Growler) Andreas Dörner und Lead-Gitarrist Marc Görtz der Idee von Metal Core treu ergeben: Rasende Drumlines die einen aggressiven E-Bass jagen, raue Gitarren darüber und dazu aus vollen Lungen gegrowlter Gesang mit deutschen und englischen Texten. Bereits beim zweiten Song “Paralyzed” wird zur Wall of Death aufgerufen, vor dem dritten Song “ViruS” lässt Caliban einen Circlepit aufmachen, und zum vierten Song “Davy Jones” soll das Publikum sich hinsetzen und Rudern. Caliban liefert nicht nur harten Metal Core, sondern auch Festival-Unterhaltung. Und ein Cover von Rammsteins “Hier kommt die Sonne” zum Mitsingen und zur Erholung von den körperlichen Aktivitäten. Gerüchten zufolge soll Frontmann Andreas sich während der Tour das Knie verletzt haben, aber auf der Bühne vor der Mehr!-Theater merkt man davon nichts. Das Energie-Level mit dem er die Band und das Publikum antreibt zeigt deutlich, dass Caliban zurecht eine Größe des Metalcore ist.
alestorm
Wenn die Bühnenbauer die große gelbe Badeente mitten auf der Bühne aufbauen weiß jeder Bescheid: Es ist Zeit für Schottischen Piraten-Folk-Metal. Und ganz viel Bier. Auch hier handelt es sich für mich um ein Wacken-Wiedersehen, wobei Alestorm nicht in Wacken aufgetreten ist. Dafür aber Gloryhammer, eine Band die von Alestorm-Frontmann Christopher Bowes mitgegründet wurde. Bowes ist also aus seinem spacigen Poweranger-Kostüm in Wacken in sein Piraten-Kostüm mit Schottenrock geschlüpft und stürmt mit seiner Keytar (Also ein Keyboard dass man wie eine Gitarre trägt) an der riesigen Badeente vorbei auf die Bühne und fängt direkt mit “Keelhauled” an Piratengeschichten in Metal-Melodien zu singen. Alestorms Songs sind Gute-Laune-Folk mit schottischem Akzent, Heavy-Metal-Instrumenten und ganz viel Spaß. Bei Songs wie “Treasure Chest Party Quest” und “Mexico” öffnen sich die Circlepits von Selbst und die Lust zum Crowdsurfen greift um sich. Spätestens beim “Hangover”-Cover wenn M.C. Sharky (ein Rapper mit einem riesen Plüsch-Haikopf der gerne mal die Köpfe der anderen bandmitglieder anknabbert) weiß man worum es alestorm wirklich geht: Bier Trinken und Spaß haben. Bestätigt wird das mit Songs wie “Drink” (We are here, to drink your beer) oder noch deutlicher in “Pirate Metal Drinking Crew”. Entsprechend fließt das Bier, fliegen leere Becher durch die Luft, die Menge tobt, die Band hat Spaß. Und sicher auch noch ein paar neue Fans auf dem Riot gewonnen.
jinjer
Die Tatsache dass Jinjer eine Band aus der Ukraine ist hat seit Februar 2022 eine viel größere Bedeutung bekommen. Auf jeden Auftritt wird mindestens eine Ukraine-Flagge geschwenkt, und auf dem Rücken der Fan-Shirts steht “Jinjer – We want our Home back” und 100% der Einnahmen des im April 2022 veröffentlichen Shirts wird an Hilfsorganisationen in der Ukraine gespendet. Die gleichnamige Single “Home back” wurde bereits 2019 veröffentlicht und durfte natürlich auch auf der Setlist des Elbriot nicht fehlen, aber dazu gleich mehr.
Was ich noch mal betonen möchte: Man darf Jinjer nicht auf ihr Herkunftsland reduzieren. So lobenswert es ist dass die Band sich für ihr Heimatland einsetzt und ihre Fans dazu motiviert es ihnen gleich zu tun, möchte ich die Band an dieser Stelle gern rein musikalisch bewerten. Und Jinjer ist eine hervorragende Band. Wie keine andere Band hat Jinjer die Genres Nu Metal, Death Metal und Metalcore vereint und darauf was eigenes geschaffen. Vor allem mit der Sängerin Tatiana Shmailyuk (ich hoffe ich hab das richtig geschrieben) hat Jinjer die fehlende Zutat gefunden um von einer guten Band zu einer großartigen Band zu werden. Songs wie “Teacher, teacher!”, “Vortex” und natürlich das Thematisch hoch aktuelle “Home back” werden durch (entschuldige die Analogie) ein Maschingewehrfeuer von Bass-Drums und angriffsfreudigen Gitarren-Riff Salven getragen. Aber die Tatianas fähigkeit, innerhalb eines Songs zwischen Balladen-artigem Klargesang und anarchistischen Growling zu wechseln macht Jinjers Songs so besonders. Und auch wenn ich dabei bleibe dass niemand so schön Growlt wie alissa von Arch-enemy, ist Tatiana auf einem wohlverdienten zweiten Platz (zumindest in meinem Growl-Herzen).
Auf der Bühne gibt Tatiana alles, singt, springt, growlt, bangt mit ihren Zöpfen und haut Air-Kicks raus. Ihre “Jungs” aus der Band wollen in ihr nichts nachstehen, und das Publikum nimmt die Energie die ihnen von der Bühne entgegen geworfen wird dankbar an und spielt sie durch Klatschen, Springen, Mitsingen und Crowdsurfen zurück.
fever 333
“Hast du von denen schon mal was gehört?” “Nee, aber die sollen in den USA recht erfolgreich sein.” “Spricht man das Three-Three-Three aus?” Solche Gespräche führte ich noch vor dem Auftritt von Fever 333 während der Umbaupause. Tatsächlich hab ich den Namen Fever 333 zum ersten mal auf dem Line-up vom Elbriot gelesen, und entgegen meiner Gewohnheiten beschloss ich mich nicht schon mal reinzuhören oder reinzulesen, sondern der Band die Chance eines unvoreingenommenen Ersten Eindrucks auf dem Elbriot zu geben. Etwas, was als Musikredakteur eher selten vorkommt. Umso beeindruckter war ich, als Fever 333 (und ja, es wird Three-Three-Three” ausgesprochen) los legten. Stephen Harrison (Gitarre) startet mit stark gezerrten Riffs, und Jason Butler (Gesang) rappt die ersten Strophe von “Bite back” ins Mikro, während Aric Impota (Drums) vorsichtig auf seinem Drumsets anklopft. In der ersten halben Minute frage ich mich wo der Bassist ist (es gibt keinen), aber da ist Jason schon beim ersten “Bite Back” im Song angekommen und auf einmal dröhnen mir die Ohren. Harris reißt an den Gitarrensaiten und lässt harte Riffs aus dem Boxen explodieren, Aric fängt mit voller Kraft an sein Schlagzeug nach Strich und Faden zu verprügeln wie man es nur aus dem härtesten Hardcore kennt, und Harris bellt die nächstes Strophen von “Bite Back” so laut ins Mikro dass es mehrfach ausgetauscht werden muss.
Dabei rennt, springt und wirbelt Jason energiegeladen über die Bühne. Warum man dem Mann ein Mikrofon mit Kabel gegeben hat habe ich ebensowenig verstanden wie warum er sich nicht mit dem Mikrofonkabel 35mal eingewickelt und 4 mal selber erdrosselt hat. Beim zweiten Song “Only One” hat er bereits das dritte Mikro in der Hand, und ist genau so geladen unterwegs wie bei Bite Back. Gitarrist Harris springt nun auch über die Bühne und haut dabei seine hämmernden Riffs raus, die von Arics harten Drumbeats gestützt werden. Man assoziiert Fever 333 schnell mit den ersten Auftritten von Rage Agains the Machine, aber es gibt wichtige Unterschiede. Jason’s Shouts haben die Qualität von Zack de la Rocha (Rage Agaist The Machine), aber er wechselt auch zu sustained shouts, wie man sie von Chester Bannington (Linkin Park) kennt. Dazu kommt Harris mit seiner tief gestimmten Gitarre und das Fehlen der Bass-Line. Somit sind smarte Intros wie bei Rage’s “Bomb Track” einfach nicht drin, und auch mit der Virtuosität eines Tom Morello kann Harris nicht mithalten. Dafür trägt seine “Ich bin zwei Gitarristen” Attitude die vielseitigen Shouts von Jason. Gemeinsam verfestigen sie den eigentümlichen Stil von Fever 333.
Mich hat Fever 33 positiv überrascht, um nicht zu sagen überwältigt, und ich kann es kaum erwarten das Trio bei nächster Gelegenheit wieder live zu sehen.
accept
Von der großen Überraschung zum alt Bekannten: Sobald Glatzkopf Wolf Hoffmann (Gitarre mit seinem breiten Lächeln und seiner Flying V Gitarre die Bühne betritt und Spitzbart Mark Tornillo (Gesang) mit Mütze und Sonnenbrille folgt, weiß ich genau was mich erwartet. Seit 1971 gibt es Accept (mit mehrjährigen Pausen), und auch wenn Frontman Tornillo “erst” seit 2009 dabei ist, habe ich diese Konstellation in den letzten 10 Jahren wieder und wieder gern live erlebt. Nach 2 Jahren in denen ein Virus das gesellschaftliche Leben inkl. Livemusik auf den Kopf gestellt hat ist es schön wieder eine Band zu erleben, bei der man jedes Lied spätestens nach 2 Takten Gitarre erkennt. bei der niemand dem Publikum sagen muss wann sie zu klatschen und was sie zu singen haben weil mindestens zwei Drittel aller Anwesenden das wissen und das restliche Drittel trotzdem Spaß hat.
Mit 3 Jaulenden E-Gitarren, “Heavy” Drums und Bass und einem Schreihals-Sänger der mit Brian Johnson (AC/DC) um die wette Schreien kann bringt Accept ein altbewährtes Metal-Rezept auf die Bühne, dass in den letzten 50 Jahren nicht geändert wurde weil es einfach funktioniert. so wie Coca Cola oder die Panade von Kentucky Fried Chicken. Songs wie “Zombie Apocalypse” und “Overnight Sensation” sind Energie- und Spaß-geladen. “Metal-Pommes gabeln” werden in die Höhe gereckt, Köpfe bangen vor und zurück, Mähnen werden geschüttelt und wer kann macht beim Crowdsurfen mit. Auf der Bühne sieht man ein eingespieltes Team, dass genau weiß wer gerade was macht und sich mal getrennt, mal synchron hin und her bewegt. Während andere Bands auf der Bühne choreographiert wirken, sieht man bei Accept einfach dass man sich schon lange kennt und vertraut.
“Metal Heart” und “Teutonic Terror” drücken meiner Ansicht nach am besten aus wie sich Accept anfühlt: Eine deutsche Band deren Herz voll und ganz für Metal schlägt. Und spätestens bei “Balls to the Walls” singen wirklich alle im Publikum mit.
bullet for my valentine
Als Musikredakteur ist es wichtig, dass man sich nicht zu sehr von einer persönlichen Sichtweise leiten lässt. Man sollte eine schlechte Band nicht in den Himmel loben, nur weil sie dir ein Bier ausgegeben haben. Und man sollte eine gute Band nicht schlecht machen, nur weil ein Bandmitglied einen schief angeguckt hat. Aber all diese Dinge kann man gut kontrollieren. Schwierig sind die “Ich kann nicht genau sagen warum, aber …” Situationen. Und Bullet For My Valentine sind so ein Fall für mich. Ursprünglich gegründet als Nirvana- und Metallica-Tribute Band (zwei Bands die ich sehr mag), besteht BFMV aus Frontmann und Gitarrist Matthew Tuck, dessen Klargesang mit Jason James ein begnadeter Bassist und Shouter zur Seite gestellt wurde. Gemeinsam waren die beiden für zahlreiche Hits wie “Tears don’t fall”, Scream, Aim, Fire” und “Fever” verantwortlich, die man als MetalCore mit Thrash-Einflüssen bezeichnen könnte. Und auch wenn Jason James mittlerweile von Jamie Mathias am Bass ersetzt wurde und die letzten beiden Alben “Venom” und “Gravity” weniger Core-ig anfühlen, sondern rockiger geworden sind (und je zwei Balladen dabei haben) hat BFMV doch alle Zutaten dabei um einen Core- und Thrash-Fan wie mich zu begeistern. Allerdings: Ich kann nicht genau sagen warum, aber irgendwie will der Funke der Begeisterung bei mir nicht überspringen.
Gott sei Dank bin ich auf dem Riot so mit der einzige mit diesem Problem. Bereits bei den ersten Songs “Your betrayal” und “Waking the Demon” hat die Security alle Hände voll zu tun um die Crowdsurfer rauszufischen. Wie immer stehen BFMV an ihren Mikrofonen und singen statt wie Jinger, Caliban oder Fever 333 über die Bühne zu springen. Wie immer besticht Matthew mit seinen Klargesängen, auch wenn er nicht die langgezogenen Sustains eines Kissin Dynamite Sängers einbaut. Und wie immer kommen am Ende dann doch die Core-igen Klassiker “Tears Don’t Fall” und “Scream Aim Fire” und bescheren dem ersten Riot seit Jahren einen würdigen Abschluss.